Inside Nintendo 203: Der Wii-U-Report, Teil 3: Das lange Warten und die ersten Enttäuschungen

Knapp viereinhalb Jahre dauerte es vom Beginn der Planungen bis zur Veröffentlichung der marktreifen Wii U. Doch nicht nur die Mitglieder von Nintendos Hardware-Entwicklungsteam benötigten Ausdauer, auch für Fans des japanischen Konzerns war viel Geduld gefragt, bis die lang erwartete erste HD-Konsole aus dem Hause Nintendo endlich angekündigt und dann veröffentlicht wurde. Allerdings konnte die Enthüllung der Wii U auf der E3 2011 den Erwartungen nicht vollends gerecht werden, obschon Nintendo sichtlich bemüht war, eine überzeugende und innovative Konsole für Intensiv- wie Gelegenheitsspieler gleichermaßen anzubieten. Kurz nach der Markteinführung Ende 2012 sorgten die Verkaufszahlen des neuen Geräts dann für schrillende Alarmglocken. In diesem dritten Teil des Wii-U-Reports behandeln wir die Geschichte der Konsole bis Anfang Januar 2013.

Bildquelle: Wikimedia Commons.

Nintendo lässt sich Zeit

Mutmaßungen, Spekulationen und Gerüchte rund um eine „Wii 2“ oder „Wii HD“ hatte es seit langer Zeit gegeben, sie liefen aber ins Leere: Auch ohne HD-Grafik verkaufte sich die Wii mehrere Jahre lang wie geschnitten Brot. Noch im Finanzjahr bis April 2010 gingen weltweit etwa 20,5 Millionen neue Konsolen weltweit über die Ladentheken – nur etwa fünf Millionen weniger als im Vorjahr, in welchem die jährlichen Wii-Verkaufszahlen einen Höhepunkt erreicht hatten. Fans in Internet-Foren konnten ihrem Unmut noch so sehr Ausdruck verleihen – für Nintendo rentierte es sich angesichts dieser Zahlen schlicht noch nicht, eine neue, stärkere Konsole auf den Markt zu bringen.

Dennoch sprangen auch Branchenanalysten auf den Zug auf. Michael Pachter etwa äußerte Mitte 2009, dass er die Veröffentlichung einer HD-fähigen Wii-Konsole für das Jahr 2010 erwarte. Diesen und ähnlichen Erwartungen entgegnete Nintendo-Präsident Satoru Iwata Anfang Juni 2009 in einem Interview mit VentureBeat, dass man noch keinen hinreichenden Grund sehe, die Wii HD-fähig zu machen. Anders verhalte es sich freilich bei einer möglichen neuen Konsole in der Zukunft, wobei Iwata hier so vage wie nur möglich blieb: „Wenn wir die Gelegenheit haben, eine neue Konsole zu machen, wird sie vermutlich HD unterstützen, da es nun auf der ganzen Welt verbreitet ist.“

Es kommt Bewegung in Nintendos Zukunftspläne

Einen weiteren, wenngleich ebenfalls sehr vagen Ausblick in die Zukunft gab Shigeru Miyamoto im Dezember 2009, als er in einem Interview gefragt wurde, ob auch künftige Nintendo-Konsolen auf Bewegungssteuerung setzen würden. Der Nintendo-Chefproduzent erklärte, dass man derzeit zwar keine konkreten Pläne für künftige Hardware habe, er es aber für wahrscheinlich halte, dass die durch die Wii etablierte neue Steuerung weiter fortgeführt werde. „Ich glaube, es wäre wahrscheinlich, dass wir versuchen, diese Funktionalität vielleicht kompakter und vielleicht noch kosteneffizienter zu machen“, äußerte er.

2010 wurden Nintendos zukünftige Hardwarepläne dann konkret – allerdings noch nicht in Bezug auf eine mögliche neue Heimkonsole. Vielmehr kündigte der Konzern den Nachfolger seines erfolgreichen Handheld-Systems DS an, den Nintendo 3DS, der Anfang 2011 erscheinen solle und übrigens auch über Beschleunigungs- und Gyrosensor verfügte, also Bewegungssteuerung unterstützte. In einem im Umfeld der E3 2010 geführten Interview erklärte Iwata, dass er der Ansicht sei, 3D werde sich zukünftig in Videospielen durchsetzen. Allerdings werde das Unternehmen die Wii nicht 3D-kompatibel machen können, da dazu mehr Rechenleistung erforderlich sei. Auch sei die Verbreitung von 3D-Fernsehern noch zu gering. Vage deutete der Konzernchef an: „Wir werden es also wahrscheinlich mit dem nächsten System machen.“ Daraus freilich ist bekanntlich nie etwas geworden.

2013 ist dieses sehr frühe Wii-U-Dev-Kit auf eBay aufgetaucht. Angeblich stammte es von August 2011. Noch ältere Entwicklerexemplare der neuen Nintendo-Konsole sollen, wie es hieß, noch nicht einmal das GamePad bzw. seine Prototypen unterstützt haben, sondern nur mit einem Wii Classic Controller ausgeliefert worden sein. Allerdings ist über die frühen Dev-Kits nur wenig Klarheit zu gewinnen.

Die Bestätigung des Offensichtlichen

Diese und ähnliche Interviewaussagen aus dieser Zeit blieben – das Stichwort ist schon mehrfach gefallen – vage. Wenn man genau liest, so bestätigten Iwata und Miyamoto noch nicht einmal, dass die Arbeiten an einem Nachfolger der Wii überhaupt in Gange waren. Natürlich gingen Beobachter und Kenner des Konzerns unlängst davon aus, und wie wir heute wissen, waren in der Tat schon gegen Mitte 2008 die konkreten Planungen für die spätere Wii U aufgenommen worden.

Etwas konkreter wurde Iwata Ende Juni 2010 in einem Investorengespräch: „Natürlich erforschen und entwickeln wir die Nachfolgekonsole der Wii.“ Er beharrte aber darauf, nichts Näheres preisgeben zu können, da andernfalls die Konkurrenz die Idee hinter dem Gerät kopieren könne. Deswegen und wegen des Aspekts der Überraschung tendiere man dazu, „Informationen über unsere Produkte so spät wie möglich bekanntzugeben“. Damit bestätigte Iwata de facto nur, was insgeheim ohnehin schon jeder vermutete, weshalb diese Neuigkeit damals auch keine wirklich großen Wellen schlug.

Die Gerüchteküche kocht über: Project Cafe dringt an die Öffentlichkeit

Die Monate verstrichen und Nintendo breitete weiter den Mantel des Schweigens über den Wii-Nachfolger, dessen Existenz nun immerhin formal bestätigt war. Kurz nachdem Ende März 2011 der Nintendo 3DS in Europa und Nordamerika in den Handel gekommen war, nahm die Situation aber an Fahrt auf. Zunächst kam am 13. April das Gerücht auf, dass Nintendo einen Monat später den Preis der Wii auf 150 US-Dollar senken werde. Die Nachricht einer drastischen Reduzierung kurz vor der E3 ließ die Fachwelt aufhorchen und bereitete quasi auf das vor, was nur einen Tag später folgen sollte.

Am 14. April nämlich drangen gleich mehrere Reporte an die Öffentlichkeit, denen zufolge Nintendo seine neue Heimkonsole auf der kommenden E3 vorstellen werde. Die anonymen Quellen von IGN, Game Informer und weiteren renommierten Spielewebsites berichteten darüber hinaus, dass das kommende Gerät HD-fähig sei, die Leistung von PlayStation 3 und Xbox 360 überbiete und Ende 2012 veröffentlicht werde.

Aller Wahrscheinlichkeit nach stammten diese Angaben aus den Kreisen von Drittherstellern, denen hinter verschlossenen Türen die neue Konsole vorgeführt worden war. Nintendo äußerte auf Anfrage lediglich, dass man Gerüchte nicht kommentiere. Der Damm aber war gebrochen und es meldeten sich weitere anonyme Quellen zu Wort. So verkündete am 15. April die französische Seite 01.net, dass die neue Konsole den Projektnamen „Project Cafe“ trage, abwärtskompatibel zu sämtlichem Wii-Zubehör sei und einen neuartigen Controller mit integriertem Touchscreen biete.

Nachdem die ersten Informationen um „Project Cafe“ durchgedrungen waren, gab es für die Gerüchteküche kein Halt mehr. Diese Bilder sind nur einige von vielen angeblichen Leaks und Mutmaßungen, die damals im Internet kursierten.

Die Ankündigung der Ankündigung

Die Gerüchte hatten sich so schlagartig verdichtet, dass es Nintendo nicht mehr mit der Verweigerung eines konkreten Statements bewenden lassen konnte. So bestätigte der Konzern am 25. April 2011, dass der Wii-Nachfolger auf der E3 2011 enthüllt und im kommenden Jahr veröffentlicht werde. Einen Namen, die angepeilte Leistung oder die neuen Funktionen teilte Nintendo in dem kurzen Statement nicht mit. Stattdessen begnügte man sich mit dem Verweis auf die in anderthalb Monaten anstehende Spielemesse, auf der ein spielbares Modell der Konsole vorgeführt werde.

Die vielen Gerüchte in den Wochen bis zur E3 können wir hier unmöglich minutiös nachverfolgen. Es genügt festzuhalten, dass sich ein Controller mit integriertem Bildschirm immer deutlicher als die große Innovation von „Project Cafe“ herauskristallisierte. Wie genau man sich dies aber vorstellen solle – eine Art GameCube-Controller mit dazwischengequetschtem Bildschirm? –, blieb völlig unklar.

Für alle und für jeden

Am 7. Juni fand endlich die langersehnte Nintendo-Pressekonferenz zur E3 statt. Big N fuhr große Geschütze auf; zum Einstieg spielte ein Orchester anlässlich des 25-jährigen Jubiläums von „The Legend of Zelda“ Livemusik aus der beliebten Reihe. Die Enthüllung von „Project Cafe“ folgte gegen Ende der Konferenz. Die Katze war aus dem Sack – die Nintendo-Heimkonsole der nächsten Generation würde den Namen „Wii U“ tragen, endlich nativ HD-Grafik unterstützen und in der Tat einen neuartigen Controller mit integriertem Touchscreen umfassen, das sogenannte GamePad.

Die Vorstellung konkreter Spiele trat damals deutlich in den Hintergrund. Abgesehen von der Bestätigung eines neuen „Super Smash Bros.“-Titels (dessen Entwicklung aber erst 2012 starten würde) wurden keine hauseigenen Spiele für die Wii U angekündigt. Dafür gab es Statements mehrerer namhafter Dritthersteller zu sehen, die ihre Unterstützung kundtaten. Demnach war mit Wii-U-Umsetzungen von Spielen wie „Aliens: Colonial Marines“, „Assassin’s Creed“, „Batman: Arkham City“, „Darksiders II“, „Ninja Gaiden 3“ und weiteren zu rechnen. Das größte Highlight war Ubisofts neuer und exklusiver Shooter „Killer Freaks from Outer Space“. Das alles waren Spiele, die man auf der Wii sowohl wegen ihrer Leistung wie auch wegen ihres Rufes als Familienkonsole nie erwartet hätte. Die Grundbotschaft war klar: Mit der Wii U wollte Nintendo die Dritthersteller und die Intensivspieler zurückholen.

Dies sollte auch der Name der neuen Konsole, der bei vielen zunächst verwirrtes Schulterzucken ausgelöst haben dürfte, zum Ausdruck bringen. „Es ist ein System, das wir alle gemeinsam genießen werden, das aber auch für Dich maßgeschneidert ist“, erklärte Nintendo-of-America-Präsident Reggie Fils-Aime bei der Enthüllung. Es ging jetzt nicht mehr nur um uns („wir“ – „We“/„Wii“), sondern um jeden einzelnen („du“ – „You“/„U“).

Reggie Fils-Aime, Präsident von Nintendo of America, enthüllt am 7. Juni 2011 die Wii U. Er verriet zunächst den Namen der Konsole und zeigte dann den neuen Controller, woraufhin ein Trailer dessen mannigfaltige Verwendungsmöglichkeiten vorführte. Die Wii-U-Konsole war dabei, wenn überhaupt, dann unauffällig unterhalb des Fernsehers platziert und wurde nicht eigens in den Fokus gerückt.

Eine mäßig überzeugende Premiere

Auf der Spielemesse gab es für Besucherinnen und Besucher mehrere Technik-Demos zu spielen, die in erster Linie die Fähigkeiten des GamePad unter Beweis stellen sollten, darunter „New Super Mario Bros. Mii“. Um die HD-Grafik zur Schau zu stellen, präsentierte Nintendo außerdem eine in Echtzeit gerenderte Natur-Szenerie sowie eine „Zelda“-Technik-Demo in fotorealistischem Grafikstil, die Fans das Wasser im Munde zusammenlaufen ließ. Nintendo war bemüht zu betonen, dass es sich allein um Tech-Demos, nicht um Prototypen von in der Entwicklung befindlichen Spielen handele. Bei all dem stand das GamePad eindeutig im Rampenlicht, während die eigentliche Wii-U-Konsole von Nintendo bewusst im Hintergrund gehalten wurde.

Die unmittelbare Resonanz war gemischt. Das GamePad wusste in Anspielsitzungen durchaus zu überzeugen und die im Vergleich zur Wii deutlich erhöhte, endlich halbwegs zeitgemäße Grafikleistung ließ Nintendo-Fans vorsichtig aufatmen. Der komplette Mangel an konkreten Spieleankündigungen trübte die Aussichten allerdings, und die Technik-Demos waren abgesehen von der „Zelda“-Demo größtenteils nur mäßig spektakulär. Auch zeigte sich schnell, dass kein allzu großer Leistungssprung im Vergleich zur noch aktuellen Konkurrenz zu erwarten war.

Das größte Problem aber war, dass einige Menschen von der Ankündigung keinen klaren Eindruck gewonnen hatten, was genau die Wii U jetzt eigentlich war: Handelte es sich lediglich um einen neuen Controller für die alte Wii-Konsole? Unmissverständlich fiel hingegen die Reaktion an der Börse aus: Am Tag nach der Enthüllung stürzte Nintendos Aktienkurs um 7,5 Prozent ab und erreichte den niedrigsten Wert seit fünf Jahren.

Die Zukunft steht auf dem Spiel

Die gemischte Resonanz allein hätte nur bedingt Anlass zur Sorge gegeben. Hinzu kam allerdings, dass zur gleichen Zeit der Nintendo 3DS mit massiven Schwierigkeiten zu kämpfen hatte und sich gar als Ladenhüter zu entpuppen drohte. Die großen Hits, die das Blatt wenden sollten, waren zwar nach der E3 in Sichtweite, würden aber nicht vor Jahresende erscheinen. Und auch die Verkäufe der alten Wii ließen stark nach. Es stand zu befürchten, dass der sogenannte Casual-Markt, der die Wii so groß gemacht hatte, inzwischen größtenteils zu Smartphones und Tablets abgewandert war und kein Interesse mehr an dedizierten Spielekonsolen hatte. Erstmals seit 1981 rutschte der Konzern in die roten Zahlen. In dieser für Nintendo schwierigen Übergangsphase war es umso wichtiger, dass sich die Wii U würde beweisen können.

Der Konzern hielt sich allerdings weiterhin eher bedeckt. Die nächsten großen Neuigkeiten zur Wii U folgten erst im Januar 2012, als Iwata bekanntgab, dass die Wii U gegen Ende des Jahres weltweit auf den Markt kommen werde und dass die finalen Spezifikationen auf der E3 2012 bekanntgegeben würden. Im gleichen Atemzug wurde Nintendos neuer Online-Service vorgestellt, der die Nintendo Wi-Fi Connection ablösen sollte: Das Nintendo Network.

Impressionen von vier Technik-Demos, die auf der E3 2011 vorgestellt wurden. Links: In der „Zelda“-Demo, die primär die Grafikleistung unter Beweis stellen sollte, konnten Spielende nur die Tageszeit ändern. Ein vollwertiges „Zelda“-Spiel in diesem Grafikstil ist trotz der Wünsche vieler Fans nicht entwickelt worden. Zweite von links: Die Mal-Anwendung war nur in Trailern zu sehen und ist nie veröffentlicht worden. Zweite von rechts: Aus „Battle Mii“ wurde später „Metroid-Schießerei“, eine der zwölf Attraktionen aus „Nintendo Land“. Rechts: Die Naturszenerie war eine nicht interaktive Grafik-Demo.

Die Zeichen stehen auf Aufbruch

Nachdem es im Laufe der ersten Jahreshälfte immer wieder kleine Infohäppchen gegeben hatte, präsentierte Nintendo schließlich auf der E3 2012 eine ganze Palette an hauseigenen Spielen. Die eigentliche Pressekonferenz war vollständig der neuen Konsole gewidmet. Unter den Neuvorstellungen befanden sich das ursprünglich bereits 2008 angekündigte „Pikmin 3“. Daneben zeigte der Konzern „Game & Wario“, „New Super Mario Bros. U“, „Nintendo Land“, einen von Platinum Games entwickelten Exklusivtitel namens „Project P-100“ (das spätere „The Wonderful 101“) sowie „Wii Fit U“. Die erhoffte große Sensation war keiner dieser Titel, und der Moment, als sich das „just one more thing“ am Ende der Pressekonferenz lediglich als ein atmosphärisches Feuerwerk zu Ehren von „Nintendo Land“ erwies, ging als eine der enttäuschendsten Szenen in die Geschichte von Nintendos E3-Auftritten ein.

Immerhin hatten die Dritthersteller viele weitere Spiele in petto. Neben den bereits oben genannten sind etwa „Disney Micky Epic 2“ und „Tekken Tag Tournament 2“ sowie neue Teile beliebter Reihen wie „Skylanders“ oder „Fifa“ zu erwähnen. Aus „Killer Freaks from Outer Space“ war inzwischen „ZombiU“ geworden, neben dem Ubisoft mit „Rayman Legends“ noch einen zweiten Exklusivtitel vorstellte. „Metro: Last Light“ sowie ein neuer „Battlefield“-Teil wurden ebenfalls für Wii U angekündigt, kamen letztlich aber nie auf den Markt. Zwar waren, wie sich zeigte, die meisten E3-Neuankündigungen von Drittherstellern zumindest vorläufig nicht für die Wii U geplant. Dennoch waren deutliche und vielversprechende Zeichen eines Neubeginns erkennbar.

Doch ein großes Problem blieb bestehen: Das neuartige Konzept der Wii U konnte auch auf der E3 2012 nicht vollends überzeugen. Immer noch gab es Leute, die nicht verstanden, dass es sich um eine völlig neue Heimkonsole handelte. Mehrere Tage nach der Spielemesse gestand Iwata in einem Interview ein: „Auf der Bühne konnten wir nicht ganz erklären, was an unserem Produkt so einzigartig ist.“ Erst im Anschluss sei bei Besucherinnen und Besuchern der Groschen gefallen, als sie selber Hand anlegen konnten. „Aber wir müssen zur Einsicht kommen, dass die Leute es nicht verstehen, wenn wir nur zeigen, wie es [d. h. die Konsole; Anm. d. Red.] aussieht.“ Die Neuheit der Wii U so effektiv wie möglich zu kommunizieren, bezeichnete Iwata damals als „Hausaufgabe“ seines Konzerns.

Der Beginn der nächsten Generation

Die Markteinführung der Wii U nahte heran. Inzwischen war das Launch-Line-up bekanntgegeben worden. Demnach würde die Wii U neben „Nintendo Land“ mit „New Super Mario Bros. U“ an den Start gehen – eine kleine Sensation, denn seit dem N64 hatte es kein brandneues „Super Mario“ mehr als Launchtitel einer Nintendo-Konsole gegeben. Hinzu kam eine breite Palette an teils sehr namhaften Dritthersteller-Titeln, darunter „Assassin’s Creed III“, „Batman: Arkham City – Armored Edition“, „Call of Duty: Black Ops II“, „Mass Effect 3: Special Edition“, „Ninja Gaiden 3: Razor’s Edge“ und „ZombiU“.

Die Wii U würde in zwei verschiedenen Varianten erhältlich sein: Ein Basic-Set für 300 € sowie ein 50 € teureres Premium-Set, das sich durch einen größeren internen Speicher sowie ein schwarzes statt weißes GamePad auszeichnete und in dem außerdem ein Ständer, eine Sensorleiste und „Nintendo Land“ enthalten waren. Als erstes kam die Wii U am 18. November 2012 in Nordamerika auf den Markt. In Europa folgte sie am 30. November, und in Nintendos Heimatmarkt Japan erschien sie zuletzt, am 8. Dezember 2012. Damit brach nicht nur eine neue Ära für Big N, sondern auch eine neue Konsolengeneration an, nämlich die nunmehr achte.

Kurz vor Veröffentlichung der Wii U präsentierte Iwata höchstpersönlich das neueste Produkt seines Konzerns in einem liebevollen Unboxing-Video. Doch als endlich auch die Kunden die Konsole in Händen halten konnten, mussten sie vor dem Spielegenuss ein umfangreiches Day-One-Update durchführen. Dass Nintendo zentrale Bestandteile des Betriebssystems nicht von Haus aus mitliefern konnte, könnte darauf hindeuten, dass man mit der Fertigstellung der internen Software und damit des gesamten Wii-U-Projekts in Zeitschwierigkeiten geraten war. Offiziell hat sich Nintendo zu den Gründen freilich nicht geäußert. Ab Frühjahr 2013 sollten neue Wii-U-Konsolen jedenfalls mit bereits installiertem Day-One-Patch ausgeliefert werden.

Ein holpriger Start

Für die ersten Käuferinnen und Käufer hielt die Wii U eine eher unangenehme Überraschung parat, nämlich einen umfangreichen Day-One-Patch. Ohne das Update, das mindestens eine Stunde Zeit beanspruchte, konnte man abseits von Disc-basierten Spielen praktisch nichts mit seiner neu erworbenen Konsole anfangen. Internetbrowser, eShop, Freundesliste, Miiverse, Wii U Chat, Systemtransfer und mehr – de facto die gesamte Online-Infrastruktur musste auf diese Weise nachgeliefert werden.

Der fade Beigeschmack, den dieser Day-One-Patch erzeugte, dürfte aber noch Nintendos kleinstes Problem Ende 2012 dargestellt haben. Viel besorgniserregender waren die ersten Verkaufszahlen. In Nordamerika ging zwar die erste Lieferung von 400.000 Konsolen binnen einer Woche über die Ladentheken. Doch bis Ende des Jahres, also einschließlich des so lukrativen Weihnachtsgeschäfts, kamen dort nur gut 533.000 weitere Verkäufe hinzu. Die Wii U blieb in diesem Zeitraum nicht nur deutlich hinter PlayStation 3 und Xbox 360 zurück, sogar die alte Wii verkaufte sich im November und Dezember 2012 etwas besser als ihre Nachfolgerin!

Die ersten Warnsignale

Bis Ende 2012 hat Nintendo eigenen Angaben zufolge weltweit etwas über drei Millionen Wii-U-Konsolen sowie 11,69 Millionen Wii-U-Spiele verkaufen können. Doch dann brachen sogar noch diese eher bescheidenen Zahlen massiv ein, denn im Januar gingen in Nordamerika gerade einmal 57.000 Exemplare der Konsole über die Ladentheken. Das war nicht allein auf den traditionell für Konsolenverkäufe schwachen Monat zurückzuführen, immerhin hatte sich die Wii zwei Monate nach ihrer Markteinführung in Nordamerika im Januar 2007 noch 435.000 Mal verkaufen können!

Hatte sich der Konzern im Dezember über die ersten Zahlen noch verhalten zufrieden gezeigt, so kippte die Stimmung nun deutlich. Nintendo war ursprünglich davon ausgegangen, bis Ende März 2013 5,5 Millionen Exemplare an den Mann und die Frau bringen zu können – nun wurde diese Prognose Ende Januar um ein Drittel auf vier Millionen Konsolen reduziert. Selbst dieses heruntergeschraubte Ziel wurde letztlich um eine halbe Million Einheiten verfehlt.

Die Verwirrung um das Konzept der Wii U machte sogar vor Händlern nicht halt. In dieser Werbeanzeige des US-amerikanischen Einzelhandelsriesen Target ist das Wii U GamePad doch glatt mit einer Wii-Konsole kombiniert. Wie viele Menschen wohl ab Ende 2012 fälschlicherweise eine Wii gekauft haben, im Glauben, das GamePad sei lediglich ein Zubehör zur alten Konsole?

Die legendäre Januar-2013-Direct – ein Versuch, das Ruder herumzureißen

Ein eher schwacher Marktstart muss nicht gleich das Schicksal einer neuen Konsole besiegeln. Doch angesichts der Tatsache, dass die Wii U keine aktuelle Konkurrenz hatte – PlayStation 3 und Wii waren damals über sechs, die Xbox 360 sogar über sieben Jahre alt –, waren diese Verkaufszahlen nicht nur ernüchternd, sie waren alarmierend. Es gab Kritik am unausgereiften Konzept der Konsole und an der niedrigen Akkulaufzeit des GamePad, vor allem aber fehlten die großen Spiele, die die Anschaffung einer neuen Heimkonsole rechtfertigten. Um zumindest den letztgenannten Punkt anzugehen, strahlte Nintendo am 23. Januar 2013 eine Ausgabe von „Nintendo Direct“ aus, die es in sich hatte.

In bewusster Abgrenzung zu früheren Ausgaben des damals noch jungen Videoformats beschränkte sich Nintendo diesmal nicht auf Spiele, die in der unmittelbaren Zukunft erscheinen würden, sondern gab einen Einblick in die langfristigeren Pläne rund um die Wii U. Los ging es mit zwei umfangreichen Systemupdates im Frühjahr und Sommer, die die Ladezeiten des Wii-U-Menüs erheblich reduzieren sollten. Auch die Rückkehr des beliebten Virtual-Console-Service wurde angekündigt. Und dann trumpfte Iwata mit einer Sensations-Spieleankündigung nach der anderen auf.

Der Nintendo-Präsident versprach ein neues 3D-„Super Mario“ sowie ein neues „Mario Kart“ für die Wii U, die beide auf der kommenden E3 vorgestellt werden sollten. Eiji Aonuma verriet seine Zielsetzungen für das nächste Hauptspiel der beliebten „The Legend of Zelda“-Reihe und zeigte erste Bilder aus einem in der Entwicklung befindlichen HD-Remake von „Zelda: The Wind Waker“. Als weitere Premieren gab es „Wii Party U“, erste frühe Teaser zu „Shin Megami Tensei x Fire Emblem“ und „Yoshi’s Woolly World“ sowie einen Gameplay-Trailer zu „Xenoblade Chronicles X“ zu sehen. Das Sahnehäubchen waren neue Details zu den bereits angekündigten heiß erwarteten Titeln „Bayonetta 2“ und „Super Smash Bros.“, direkt von den Entwicklerteams.

Iwata bittet um Verständnis und Entschuldigung

In der besagten „Nintendo Direct“-Ausgabe von Anfang 2013 lag der Tenor auf der Aussage, dass sich Spielerinnen und Spieler zwar noch würden gedulden müssen; nun waren aber immerhin große Spiele für die Wii U am Horizont zu sehen. Die unmittelbare Zukunft hielt jedoch weiterhin kaum starke Argumente für den Kauf der neuen Konsole bereit.

In diesem Sinne rechtfertigte und entschuldigte sich Iwata in der Ausstrahlung: „Nintendo nimmt seine Verantwortung ernst, in den Anfangstagen einer neuen Konsole stetig neue Titel bereitzustellen, um ein umfangreiches Software-Angebot zu gewährleisten. Andererseits sind wir davon überzeugt, dass unsere neuen Titel qualitativ hochwertig sein müssen. Basierend auf den Software-Entwicklungsplänen vom Ende des letzten Jahres haben wir entschieden, uns etwas mehr Zeit zu lassen, um unserem Nintendo-Qualitätsstandard gerecht zu werden. Ich möchte mich bei allen Wii U-Besitzern dafür entschuldigen, dass im Januar und Februar so wenige Spiele erscheinen werden.“

Die Wii U verfügt über ein paar besondere, praktische Funktionen, die leider nur selten Aufmerksamkeit erhalten. So fungiert das GamePad auch als Fernbedienung für das Fernsehgerät! Mit Druck auf die TV-Taste lasen sich Kanäle auswählen und die Lautstärke anpassen, aber auch der Fernseher an- oder ausschalten. Eine weitere angenehme Eigenart: Die Discs der Konsole sind im Gegensatz zu allen anderen üblichen Discs an den Rändern abgerundet, sodass sie besonders weich in der Hand liegen.

Die „Notfall-‚Nintendo Direct‘“ war symptomatisch dafür, wie dürr der Ausblick auf die Zukunft der Wii U Anfang 2013 war und wie stark Nintendo unter Zugzwang stand. Wie es mit der Konsole weiterging, bis ihre Produktion Anfang 2017 eingestellt wurde, werden wir im abschließenden vierten Teil der Reportage erörtern. Wie in unseren früheren Hardware-Reportagen werden wir dort auch die Verkaufszahlen der Konsole näher analysieren.

Die einzelnen Quellen sind an den jeweiligen Stellen des Textes per Verlinkung hinterlegt.

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Bisher gibt es zwei Kommentare

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  • Avatar von K-I-T-N
    K-I-T-N 13.12.2022, 22:11
    Nintendo hatte in der Vermarktung der Wii U extrem viele Patzer gemacht. Das ist klar. Aber selbst, wenn sie das gut gemacht hätten, war die Konsole meiner Meinung nach zum scheitern verurteilt.

    Die Wii war aufgrund der neu erschlossenen Casual-Zielgruppe so verkaufsstark. Die sind aber größten auf den Mobile-Markt ausgewichen und waren daher unwiderruflich weg.

    Ohne diese Demografie, fehlte Nintendo auf der Heimkonsole die Spielerbasis, weil der klassische "Core"-Konsolenspieler zu Microsoft und Sony abgewandert ist. Das ist das Problem bei N64, Gamecube und Wii U gewesen. Nur die Kern-Fangruppe von Nintendo-Konsolenspieler reicht nicht.

    Leider hat Nintendo es versäumt das Tablet genau für die Zielgruppe interessant zu machen. Mario Maker kam zu spät. Und die Gamepad-Einbindung bei Mario Kart, Smash, New Super Mario Bros. Donkey Kong... ist extrem vernachlässigbar. Da hätte mehr kommen müssen. Mario Maker zum Release. Mario Kart mit Streckeneditor. Ein neues Zelda mit Gamepad-Support. Pokémon-Snap, ein richtiges Pokémon mit Gamepad-Support und und und.

    Ich liebe das Wii U Gamepad und bin Fan von einigen Wii U-Spielen. Aber leider wurde das Potenzial davon nicht ausgenutzt. So sehr würde ich mir wünschen, dass solch ein Gamepad Standard für alle Konsolen ist, weil der Second Screen sowas tolles ist.
  • Avatar von Karltoffel
    Karltoffel 11.12.2022, 20:19
    Man hat bei der Wii U auch immer gemerkt, dass Nintendo die Ausrichtung fehlte.

    We + You. Das hätte das Konzept der asymetrischen Multiplayer-Spiele perfekt beschrieben, hätte Nintendo denn wenigstens einen zweiten Controller beigepackt. Eine Minispiesammlung, die das Potential als Mehrspielerkonsole zeigen sollte, gab es ja. Aber dann kostete jede Wiimote noch einmal 50€ extra.
    Das Absurdeste daran ist, dass Nintendo Land tatsächlich Spaß macht. Aber eben nur einige, wenige Single-Player-Spiele, die genau im Widerspruch zu dem standen, was Nintendo beworben hatte.

    Nintendo Land hat zwar sicherlich nicht das Schicksal der Wii U in Stein gemeißelt. Es hat aber all deren Fehler und Ungereimtheiten bereits am Launch-Tag offenbart.

    Dazu die üblichen Nintendo-Fehler: Der Classic Controller Pro war in seiner 2. Iteration endlich ein richtig guter Controller. Aber Nintendo musste den Wii U Pro Controller dann von Grund auf neu designen, und hat ihn gleich mal verschlechtert. Man hat mit der Virtual Console auf der Wii einen großen Anteil daran gehabt, Retro einem Massenpublikum zugänglich zu machen - dass dann aber auf der U nicht mehr ordentlich bedient. Man hatte den Pro Controller, und dennoch zwangen viele Spiele ein zur Nutzung des Tablets.