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The Legend of Zelda: The Wind Waker

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Inside Nintendo 211: Auf zu neuen Ufern: Die Geschichte hinter Zelda: The Wind Waker (Teil 2)

Als „The Legend of Zelda: The Wind Waker“ 2001 angekündigt wurde, hatte das Spiel hinter den Kulissen schon einiges durchgemacht: Der Wechsel vom ursprünglichen realistischen Grafikstil, der auf der Space World 2000 auch der Öffentlichkeit gezeigt worden war, zu einer stilisierten Cartoon-Optik; das weitestgehende Verwerfen der Idee einer versunkenen Parallelwelt; Links Umschulung vom Thereminspieler zum Dirigenten – mit all dem haben wir uns im Detail im ersten Teil der Reportage beschäftigt. Nachdem das Designteam durch den Kurswechsel zu neuen Ideen angeregt wurde, stand nun die Frage im Raum, wie wohl die Fangemeinde darauf reagieren würde.

Eine Überraschung, die niemand kommen sah

Waren sich die Designerinnen und Designer anfänglich sehr unsicher, ob eine Weiterführung des durch „Ocarina of Time“ etablierten, realistisch angehauchten Grafikstils der richtige Weg sein würde, so sprudelten sie jetzt dank der Cartoon-Optik regelrecht vor neuen Ideen über. Die Videospielwelt wartete währenddessen aber noch immer sehnsüchtig auf das realistische „Zelda“-Spiel, wie es vermeintlich auf der Nintendo Space World 2000 gezeigt worden war. Rückblickend betrachtet war es zudem eine nicht gerade glückliche Entscheidung, dass Nintendo den gleichen kurzen Videoclip auf der E3 2001 erneut präsentierte. Die wiederholte Vorführung des bekannten Materials insinuierte, dass in der Tat ein realistisches „Zelda“-Spiel für den GameCube in der Mache war und es sich nicht nur um eine Demo gehandelt hatte. Die begierige Vorfreude der Fans wurde weiter angefacht.

Umso größer war dann das Entsetzen, als Nintendo nur wenige Wochen später einen ersten Einblick in das gab, was das erste GameCube-„Zelda“ tatsächlich werden sollte. Ende August 2001 wurde auf der – übrigens bis heute letzten – Space-World-Messe ein erster Trailer zum späteren „The Wind Waker“ vorgeführt. Von Grafik und Atmosphäre des vorherigen Videos war nichts mehr übrig geblieben. Das knapp einminütige Video zeigt eine augenscheinlich dem Vorschul-Fernsehprogramm entsprungene Version von Serienheld Link, der in verschiedenen Szenen mit Moblins kämpft. Von den Figuren über die Hintergründe bis hin zu Farbgebung, Texturen und Animationen sah das alles absolut nicht wie das aus, was Fans mit „Zelda“ verbanden.

„Einfach zu kindisch“

Ein größerer Kontrast zwischen den beiden Videos von 2000 und 2001 ist kaum denkbar. Angesichts der durchaus nachvollziehbaren Erwartungshaltung der damaligen „Zelda“-Fans war die Kontroverse groß. Und mal ehrlich, welchem pubertierenden Teenager ist es zu verübeln, dass er auf dem Pausenhof nicht zur „kindischen“ neuen Variante der einstmals so „erwachsenen“ Reihe stehen wollte? „Für die ‚Zelda‘-Fans war diese Ankündigung ein Schock“, gab Jahre später Nintendo-Präsident Satoru Iwata zu. „Viele waren überrascht und beunruhigt.“ Es war ohne Untertreibung eine der umstrittensten Enthüllungen in der Geschichte eines Konzerns, der ohnehin dafür bekannt ist, immer wieder Unerwartetes anzukündigen. Die Kontroverse rund um den Cel-Shading-Grafikstil ging unter dem Stichwort „Celda“ in die Nintendo-Historie ein.

Entsprechende zeitgenössische Kommentare findet man sogar noch in alten Threads aus unserem „Nintendo-Online.de“-Forum. „Also ich muß sagen, dass ich echt enttäuscht bin“, kommentiert eine Person am 23. Mai 2002. „Kann man Zelda so noch richtig ernst nehmen? […] Zelda sollte das Vorzeigespiel für den Gamecube sein, doch das wird es leider nciht [sic!] mit dieser Optik. Sie sieht einfach zu kindisch […] aus, ich hoffte, Zelda würde eher den Schritt richtung [sic!] erwachsenerem Game gehen.“ In einem anderen Beitrag vom 1. Juli 2002 heißt es: „Ich kann nur sagen, das [sic!] ich mir einzig und allein wegen der neuen zelda-grafik keinen gamecube kaufen werde. […] als ich die cel-shading grafik gesehen hab, wusste ich, dass mich nintendo mit 18 nicht mehr als kunden haben will.“

Eine wichtige Differenzierung ist aber angebracht: Viele Nutzerinnen und Nutzer störten sich offenbar weniger allgemein an der Cel-Shading-Optik als vielmehr konkret an Links neuem Aussehen. Andere Stimmen betonten hingegen, dass das Spiel in ersten Videos deutlich besser als auf Screenshots aussehe. Treue „Zelda“-Fans vertrauten ohnehin darauf, dass der Titel auch ganz unabhängig von der Grafik werde überzeugen können.

Der „Wind Waker“-Trailer von der Nintendo Space World 2001. Ein Wald und offenbar eine frühe Version der Verwunschenen Bastion sind als Umgebungen erkennbar. Wie im ersten Teil der Reportage erläutert, stellte eine Kampfsituation zwischen Link und einem Moblin in Cartoongrafik den maßgeblichen Impuls für die Entwicklung des Spiels dar. Wie passend, dass der Trailer genau auf dieser Grundkonstellation aufbaut.

Nintendo hält unbeirrt an „Celda“ fest

Die ablehnenden und teils hämischen Kommentare zum neuen „Zelda“ gingen damals an Nintendo keineswegs vorbei. Im Rückblick äußerte Director Eiji Aonuma 2013: „Bei unserem Ansatz, ein völlig neues ‚Zelda‘-Spiel zu machen, kamen wir nie ins Straucheln. Allerdings entgingen uns bei der Ankündigung nicht die negativen Reaktionen. Und so waren wir ein wenig unsicher.“ Doch dies führte nicht etwa zu einem Rückrudern, wie er fortfuhr: „Bei der Entwicklung des Spiels jedoch schüchtern vorzugehen, wäre völlig falsch gewesen. Also preschten wir voraus und gaben alles – in der Hoffnung, Anerkennung zu finden.“

Nach dem großen Schock von 2001 hielt sich Nintendo auffälligerweise ziemlich bedeckt über das neue „Zelda“ und veröffentlichte einige Zeit lang kein neues Material. Dies führte zu Spekulationen, dass hinter den Kulissen der Grafikstil womöglich doch noch geändert werde. In einem niederländischen Interview erteilte Shigeru Miyamoto im Februar 2002 solchen Gerüchten aber eine Absage. Im gleichen Atemzug versuchte er der Fankontroverse etwas Positives abzugewinnen: „Ich halte die Diskussionen im Internet für sehr interessant. Im Grunde hat damit die Spielerfahrung ja bereits begonnen. Über Videospiele zu sprechen, ist heutzutage zum Teil des Gameplays geworden.“

Miyamoto – Mastermind oder Motzkopf?

Noch in anderen Zusammenhängen äußerte sich Miyamoto damals zum kontroversen Grafikstil des neuen „Zelda“-Titels. So erklärte er Ende 2002 auf einer japanischen Pressekonferenz: „Ich glaube, wenn Leute das Spiel zum ersten Mal sehen, sprechen sie als erstes über die Grafik. Sobald man es spielt, wird man verstehen, warum wir uns für diesen Grafikstil entschieden haben. […] Man spiele es einfach, ohne zu viel über die Optik nachzudenken – es wird viel mehr Spaß machen.“ Als er selber zum ersten Mal die Cel-Shading-Optik gesehen habe, sei er – im positiven Sinne – „sehr überrascht und aufgeregt“ gewesen. Die Reaktion seitens der Presse aber habe ihn „erschrocken“. „Es hieß: ‚Oh, nimmt Nintendo jetzt also „Zelda“ und versucht es nur an Kinder auszurichten?‘“, fuhr er fort. Man habe „einen sehr kreativen und neuen Weg“ gewählt – doch dass die Öffentlichkeit dies als eine Art Produktstrategie interpretiere, sei für Nintendo ein großer Schock.

In diesen und ähnlichen zeitgenössischen Aussagen gab sich Miyamoto eindeutig als Verteidiger des neuen Grafikstils zu erkennen. Wie wir im ersten Teil der Reportage jedoch gesehen haben, herrschte hinter den Kulissen keineswegs eine solche Einmütigkeit. Gerade Miyamoto war lange Zeit offenbar überhaupt nicht mit dem Stilwechsel einverstanden. Da dies jedoch damals nur in japanischen Interviews durchschimmerte, die bis vor Kurzem nicht im Westen bekannt waren, hat sich das Bild von Miyamoto als dem kreativen Mastermind hinter der „Celda“-Optik gehalten. Rückblickend betrachtet waren Miyamotos apologetische Äußerungen wohl eher Werbemaßnahmen, als dass sie seine persönlichen Überzeugungen widerspiegelten.

Produzent Shigeru Miyamoto und Director Eiji Aonuma auf einer Pressekonferenz Ende 2002.

Augenmerk auf Links Augen

Was auch immer der Serienschöpfer davon gehalten haben mag: Der Cartoon-Stil erlaubte es dem Entwicklerteam, bei der Darstellung von Spielwelt und Figuren weniger auf Realismus achten zu müssen und stattdessen Dinge expressiver darzustellen zu können. Insbesondere Link sollte nun viel aussagekräftiger wirken. Er erhielt eine Vielzahl an Gesichtsausdrücken, wobei den Anime-typisch großen Augen besonders viel Aufmerksamkeit zuteil wurde. Dies ging so weit, dass sich die Augenfarbe je nach Situation ändern sollte – etwa rot während eines Kampfes, grün während eines Gesprächs und blau, wenn er entspannt ist. Insgesamt sieben verschiedene Farben sollten Links Augen annehmen können. Und das war nicht alles: „Mittendrin unterhielten wir uns sogar darüber, einen Strahl aus diesen Augen treten zu lassen!“, so Design Manager Satoru Takizawa.

Diese Ideen wurden nicht umgesetzt; im finalen Spiel hat Link einfache, schwarze Pupillen. Worauf man sich stattdessen einigte: Link blickt mitunter deutlich erkennbar in bestimmte Richtungen, in denen sich etwa ein Item befindet. Damit gibt er der Spielerin oder dem Spieler indirekt einen Hinweis. Dies war ein Novum innerhalb der „Zelda“-Reihe, das später unter anderem im Remake „Ocarina of Time 3D“ aufgegriffen wurde.

Wo ist Zelda?

Nicht nur wirkt Link in „The Wind Waker“ deutlich expressiver als in früheren Serienablegern, erstmals spielen noch lebende Familienmitglieder von ihm eine tragende Handlungsrolle. Dass der Held von Hyrule auf einmal eine Schwester hat, sorgte dabei unter Fans für besonders viel Verwunderung. Wie Aonuma erläuterte, erfüllt die Figur der Aril in erster Linie den Zweck, Link selber mehr Profil zu verleihen. „Dass seine Schwester entführt wird und er sie retten muss, dient nur dazu, die Beharrlichkeit im Charakter auszudrücken. […] Ich dachte darüber nach, ein solches Ereignis als Auslöser für den Anfang der Handlung zu verwenden. Also war es Link selber, der die Entstehung von Aril angestoßen hat.“

Eine weitere Besonderheit der Handlung gegenüber manchen anderen Ablegern besteht darin, dass die titelgebende Prinzessin Zelda erst ziemlich spät explizit eine Rolle spielt. Aonuma wollte, wie er äußerte, die Spannung bei erfahrenen „Zelda“-Spielerinnen und Spielern steigern, sodass sie sich die gesamte Handlung über fragen, wo Zelda eigentlich ist – bis es plötzlich zu einer überraschenden Enthüllung kommt. Übrigens spielt „The Wind Waker“ zwar 100 Jahre nach den Ereignissen aus „Ocarina of Time“ – und zwar in einer ganz bestimmten Zeitlinie –, ursprünglich aber hat Nintendo kommuniziert, dass die Handlung früher als die aller anderen „Zelda“-Teile angesetzt sei. Miyamoto war dabei, wie auch mit dem Grafikstil, ursprünglich nicht in die Handlung eingeweiht worden.

Zu den ursprünglich geplanten verschiedenen Augenfarben für Link äußerte Miyamoto in einem damaligen Interview: „Wenn man gut aufpasst und sich Screenshots anschaut, die wir im letzten Jahr veröffentlicht haben, bemerkt man möglicherweise einige unterschiedliche Augenfarben. Wir dachten aber nicht, dass jemand wirklich so sehr darauf achtet.“ Das hat natürlich unseren Entdeckersinn herausgefordert. Wegen der schlechten Qualität der frühen Screenshots war es allerdings schwierig, etwas zu finden. Zumindest auf diesen beiden Bildern einer frühen Version des Spiels ist, wenn man gut hinsieht, zu erkennen, dass Link blau umrandete Pupillen hat. Im finalen Spiel hingegen sind seine Pupillen ausschließlich schwarz.

Alle im selben Boot: die Projektbesatzung

Wie es seit jeher bei intern entwickelten „Zelda“- und „Mario“-Spielen der Fall war, entstand „The Wind Waker“ bei der legendären Abteilung Nintendo Entertainment Analysis & Development (EAD) und wurde vom externen Partnerunternehmen Systems Research & Development (SRD) programmiert. Der Abspann von „The Wind Waker“ nennt mehr als 100 Personen, die direkt an der Entstehung des Spiels beteiligt waren. Es handelte sich damit um die damals größte Nintendo-Eigenproduktion – ein Titel, den die „Zelda“-Reihe ohnehin immer wieder für sich beansprucht. Beinahe die Hälfte des Entwicklerteams hat auch am ein Jahr zuvor veröffentlichten „Super Mario Sunshine“ mitgewirkt.

Als Director fungierte Eiji Aonuma, der seit „Ocarina of Time“ an der Reihe mitwirkt und heute als deren Produzent weithin bekannt ist. Unterstützt wurde er von einer regelrechten Armada von gleich zehn Assistant Directors, darunter Yoshiaki Koizumi – seines Zeichens Director und Produzent vieler 3D-„Super Mario“-Spiele und Gesicht einiger jüngerer „Nintendo Direct“-Präsentationen – und Yoichi Yamada, der, von der Öffentlichkeit unbemerkt, bei fast jedem „Zelda“-Spiel als hochrangiger Planer mitgewirkt hat. Die Serienschöpfer Shigeru Miyamoto und Takashi Tezuka waren als Produzenten involviert und fungierten als die wichtigsten Gesichter in der Vermarktung des Spiels. Aonuma hingegen war damals noch völlig unbekannt.

Die Führer des Taktstocks

Einen besonderen Blick verdienen die Menschen hinter der Musik des Spiels. Mit Ausnahme von „Zelda II“ und „Link’s Awakening“ hatte bis dahin Koji Kondo stets im Alleingang für die „Zelda“-Reihe komponiert. Das änderte sich mit „The Wind Waker“, für dessen Soundtrack nun ein vierköpfiges Team verantwortlich zeichnete. Neben von Kondo, der nur wenige Stücke selber komponierte, bestand dieses Team aus Kenta Nagata, Hajime Wakai und Toru Minegishi.

Alle drei arbeiten seit der N64-Zeit bei Nintendo und haben seitdem an zahlreichen Spielen mitgewirkt, Nagata etwa an mehreren „Mario Kart“- und „Zelda“-Spielen sowie an „Animal Crossing“; Wakai unter anderem an den „Pikmin“-Spielen und an den „Zelda“-Teilen „Skyward Sword“ und „Breath of the Wild“; Minegishi an „Animal Crossing“, „Super Mario Sunshine“, weiteren „Zelda“-Spielen, der „Splatoon“-Reihe und mehr. Der einzige von diesen Dreien, der bereits zuvor bei einem „Zelda“-Soundtrack beteiligt war, ist Minegishi: Er hatte als Music Support bei „Majora’s Mask“ ausgeholfen.

Neben den vier Komponisten wirkten noch einige Tontechniker mit. Das Musik- und Tonteam hinter „The Wind Waker“ war damit größer, als damals für Nintendo üblich. Aonuma erklärte die Größe des Tonteams in einem zeitgenössischen Interview einerseits mit dem Bedürfnis nach einer „sehr hohen Soundqualität“, andererseits aber auch ausdrücklich mit der knapp bemessenen Zeit, die für die Entwicklung – und damit umso mehr für die Erstellung des Soundtracks – zur Verfügung stand.

Die Komponisten hinter „The Wind Waker“ (v. l. n. r.): Koji Kondo, Kenta Nagata, Hajime Wakai (Fotos von 2003, Quelle: nintenco.co.jp) und Toru Minegishi.

Drängt die Zeit, gehen Ideen unter

Die knapp bemessene Entwicklungszeit von zweieinhalb Jahren – davon ein Jahr für die Vorproduktion – machte einige frühe Pläne zunichte (mehr dazu in Teil 1 der Reportage) und hat auch im fertigen Spiel ihre Spuren hinterlassen. Das gleiche, für Nintendo eigentlich ungewöhnliche Problem plagt auch das gleichzeitig entwickelte „Super Mario Sunshine“. Der GameCube war damals nicht sehr erfolgreich und es mangelte an namhaften Veröffentlichungen, sodass Nintendo unter großem Zugzwang stand, seine großen Marken so schnell wie möglich auf den Spielwürfel zu bringen.

Das offenkundigste Anzeichen für die spärliche Entwicklungszeit von „The Wind Waker“ dürfte die berüchtigte Triforce-Suche gegen Ende des Spiels sein. Während „Zelda“-Spiele klassischerweise über acht Hauptdungeons verfügen, sind es diesmal nur sechs. Das hat für Spekulationen gesorgt, dass einige Dungeons aus Zeitgründen verworfen werden mussten. Viel ist dazu nicht bekannt – darauf gehen wir später noch etwas näher ein –, jedenfalls scheint die Triforce-Suche als Ersatz für die gestrichenen Tempel zu fungieren: Die Spielenden werden auf eine langatmige Schatzsuche über den gesamten Ozean geführt. Vielleicht hätte das Ganze ursprünglich etwas abwechslungsreicher ausfallen sollen, denn durch ein altes japanisches Interview wurde bekannt, dass das Team noch weitere Funktionen für das Boot abgesehen von Kran und Bombenturm implementieren wollte, aber dafür schlichtweg keine Zeit mehr hatte.

Auf der Suche nach verlorenen Relikten

Wie immer in solchen Fällen ist für die Frage nach verworfenen Materialien interessant, was Hacker in den Spieldaten an Überbleibseln aus der Entwicklung aufstöbern konnten. In der Tat schlummern auf jeder GameCube-Disc des Spiels zahlreiche entsprechende Elemente. Allzu spektakuläre Funde befinden sich allerdings nicht darunter. Es handelt sich vor allem um zahlreiche ungenutzte Levelabschnitte, die allermeist frühere Versionen von bekannten Räumen aus dem Spiel repräsentieren. Aber auch Materialien aus dem ersten Trailer von 2001 befinden sich noch in den Spieldaten.

Einige Funde ermöglichen sogar einen Blick auf frühere Versionen der ersten Insel Präludien. Sodann wurden Hinweise darauf entdeckt, dass es ursprünglich Pläne für die aus „Ocarina of Time“ bekannten Wasserstiefel sowie für zusätzliche Segel gab, konkret zu einem Zora- und einem Tingle-Segel. Die Rasse der Zoras taucht im Spiel zwar nicht auf, doch vielleicht hätte das Segel dazu gedient, das Boot schneller zu machen. Mit einer solchen Funktion hat das Team einer Aussage Aonumas zufolge ja auch tatsächlich experimentiert (siehe Teil 1).

Viel Beachtung hat außerdem eine Reihe von Testräumen gefunden, in denen das Entwicklerteam verschiedene Funktionen ausprobiert hat und die in ganz ähnlicher Form auch in den Daten von „Super Mario Sunshine“ aufgespürt werden konnten. In einem dieser Testräume gibt es ein Becken mit durchsichtigem Wasser. Dort ist zu sehen, dass Link vollständige Schwimmanimationen hat. Im normalen Spielverlauf bekommt man sie nur nie zu Gesicht, da alle Wasseroberflächen undurchsichtig sind. Der Fund in den Testräumen regt zu der Vermutung an, dass das zunächst anders vorgesehen war. Sollte der große Ozean etwa ursprünglich weniger stilisiert und eher wie das realistische Wasser aus „Super Mario Sunshine“ aussehen?

Funde aus den Spieldaten gewähren uns unter anderem einen Blick auf die Evolution von Präludien, der ersten Insel aus „The Wind Waker“. Links ist die im Spielcode enthaltene Version der Insel von der E3 2002 zu sehen. Ein noch älteres Design ist in Form einer Minikarte aufgetaucht (Mitte oben – zum Vergleich in der Mitte die Karte zur E3-2002-Fassung und unten die Karte zum finalen Präludien). Rechts ist einer der Testräume zu sehen. Wie immer können sich Interessierte bei tcrf.net durch die einzelnen Funde klicken.

Das Geheimnis der verschollenen Dungeons

Eine weitere wichtige Fundgrube ist das 2011 veröffentlichte „Zelda“-Artbook „Hyrule Historia“, in dem Nintendo zahlreiche Zeichnungen aus der Entwicklung von „The Wind Waker“ abgedruckt hat. Einige davon geben Hinweise auf verworfene Ideen, die weder aus Interviewaussagen noch aus Funden in den Spieldaten bekannt sind: Unter anderen zwei verworfene Rassen, gänzlich ungenutzte Gebiete, alternative Bossgegner und zwei verworfene Inseln, darunter eine Insel in Form eines GameCube. Die letztgenannte Idee wurde später in „Phantom Hourglass“ durch eine DS-Insel verwirklicht.

Von den zwei vermeintlich verworfenen Dungeons fehlt aber auch in „Hyrule Historia“ jede Spur. Ohnehin fällt es schwer, eine ursprüngliche Quelle dafür ausfindig zu machen, dass das Team tatsächlich zwei Tempel streichen musste. 2013 dementierte Aonuma die Geschichte in einem Interview mit Wired – wenngleich etwas indirekt. Doch anders klang es in einem anderen Interview aus der gleichen Zeit, in dem Aonuma indirekt die Wahrheit der Geschichte bestätigte. „Mir ist bewusst, dass viele Spielerinnen und Spieler diese beiden fehlenden Dungeons in ‚Wind Waker HD‘ implementiert haben wollten. Aber um ehrlich zu sein, haben wir diese beiden Dungeons bereits für andere Titel nach ‚Wind Waker‘ verwendet.“

Er spezifizierte: „Wir haben sie nicht unverändert verwendet und dann in ein anderes Spiel implementiert. Wir haben einige [ihrer] Merkmale in andere Dungeons eingebaut. Also sind sie jetzt in anderen Dungeons.“ In welchen Spielen diese verworfenen Dungeon-Ideen verwirklicht wurden, hat Aonuma aber nie verraten. Eine interessante Theorie dazu hat der YouTuber „Zeltik“ aufgestellt.

Die Strapazen einer harten Reise

Miyamoto zeigte sich nach Abschluss der Entwicklung stolz: „Wenn man bedenkt, dass wir bei Null angefangen haben – ‚The Wind Waker‘ hat eine völlig neue Grafik und ein völlig neues Gameplay –, dann ist die Tatsache, dass wir es in zweieinhalb Jahren fertigstellen konnten, wirklich gut für ein ‚Zelda‘-Spiel.“ Diese Leistung forderte allerdings hinter den Kulissen ihren Tribut. Während der Arbeiten kam es, trotz der mannigfaltigen Kürzungen, zu sogenannten Crunch-Zeiten. Dieses in der Videospielindustrie weitverbreitete Phänomen massiver, meist unbezahlter Überstunden wird für Nintendo nur selten öffentlich diskutiert. In alten japanischen Interviews haben einige der betroffenen Teammitglieder aber recht offen darüber gesprochen.

So äußerte der Script- und Eventplaner Mitsuhiro Takano: „Es war qualvoll, als wir es gemacht haben … wir konnten nicht wirklich nach Hause gehen.“ Er habe im Büro geschlafen und während dieser Zeit nichts von der Außenwelt mitbekommen. Auch Aonumas Eindruck war drastisch: „Ich sah ein paar Leute, die Daunenjacken trugen, und dachte ‚Was ist denn mit denen los?‘ Als ich dann endlich nach Hause gehen konnte, war ich überrascht, wie kalt es geworden war.“ Vor lauter Arbeit habe er den Wechsel der Jahreszeiten gar nicht mitbekommen.

Unrealisierte Ideen aus der Entwicklung von „The Wind Waker“, die dank „Hyrule Historia“ ans Tageslicht gelangt sind: Links zwei unbekannte neue Rassen; in der Mitte zwei verworfene Gebiete, darunter die GameCube-Insel; rechts zwei nicht umgesetzte (Boss-)Gegner.

Der Erwartungsdruck, nach zwei rundum als Meisterwerken geschätzten Titeln mit neuen Ideen zu überzeugen, die zahlreichen Kürzungen im Spielkonzept und hinsichtlich einzelner Ideen, die weiterhin knapp bemessene Entwicklungszeit und nicht zuletzt die kritischen ersten Reaktionen der Öffentlichkeit auf den neuen Grafikstil: Das Team hinter „The Wind Waker“ hatte wahrlich eine lange Reise hinter sich, als endlich das neue „Zelda“ vom Stapel lief. Ob sich die Mühen ausgezahlt haben und wie es mit dem Spiel weiterging, erfahren wir im dritten und letzten Teil der Reportage.

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Bisher gibt es zwei Kommentare

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  • Avatar von Tobias
    Tobias 25.11.2023, 14:57
    Vielen Dank! The Wind Waker liegt mir auch sehr am Herzen. Zusammen mit Link's Awakening und Ocarina of Time ist es eines meiner drei Lieblings-Zeldas.

    Zwei Gedanken zum eigenen Artikel: Ich fand es interessant, das NO-Forum als eine Art zeitgeschichtliche Quelle einbinden zu können – da sieht man mal, wie lange es NO schon gibt! Zum anderen bin ich überrascht, wie oft ein sorgfältiges Nachprüfen einer häufig wiederholten Behauptung ergibt, dass diese gar nicht so sehr feststeht, wie es scheint. Das erlebe ich in der Wissenschaft ja ständig, aber eben auch im Spielebereich, sei es wie hier die Frage nach dem Mythos von den zwei gestrichenen Dungeons, wie vor ein paar Monaten die Frage, wer Luigi erfunden hat, oder auch die Meldung neulich, dass dieses eine berühmte Miyamoto-Zitat nicht von Miyamoto stammt.
  • Avatar von Ryo Hazuki
    Ryo Hazuki 25.11.2023, 07:24
    Auch hier wieder dicke Thumbs Up! Sehr cooler Bericht zu meinem Lieblingsteil der Zelda Reihe