Inside Nintendo 201: Der Wii-U-Report, Teil 1: Eine Heimkonsole mit zweitem Bildschirm

Erfolg und Misserfolg liegen oftmals nah beieinander. Nachdem die Verkaufszahlen der Nintendo-Heimkonsolen mit dem GameCube einen neuen Tiefpunkt erreicht hatten, sah der japanische Konzern nur einen Ausweg aus dem Abwärtstrend: ein radikaler Richtungswechsel weg vom Konsolen-Wettrüsten und hin zu neuen Ufern. Der riskante Schritt zahlte sich voll aus – die Ende 2006 veröffentlichte Wii erwies sich als eine der erfolgreichsten Konsolen aller Zeiten. Als die Wii-Welle einige Jahre später abebbte, wollte Nintendo mit einer konsequenten Weiterentwicklung auftrumpfen, die diesmal zugleich auch Intensivspieler ansprechen und erneut wegweisende Innovationen etablieren sollte. Doch der Plan ging gewaltig nach hinten los – die Wii U blieb letztlich noch deutlich hinter dem GameCube zurück und ging als größer Misserfolg jenseits des Virtual Boy in die Konzernannalen ein.

Doch in der Tat, Misserfolg und Erfolg liegen oftmals nah beieinander. Mit der 2017 einsetzenden und bis heute anhaltenden Hoch-Zeit, die das Unternehmen dank Nintendo Switch feiert, hätte zu Zeiten der Wii U niemand gerechnet. Und ohne die Wii U hätte es die aktuelle Hybridkonsole nie gegeben. Allerdings würde man der ersten HD-Konsole aus dem Hause Nintendo Unrecht tun, würde man sie in der Rückschau ausschließlich als gescheiterten Wii-Nachfolger und erfolglosen Switch-Vorläufer einordnen. Nun, da sich die Markteinführung der Wii U zum zehnten Mal jährt, gehen wir in „Inside Nintendo“ der ganzen Geschichte hinter dem Gerät auf den Grund – von der Planungsphase über das Hardwaredesign und die Enthüllung bis zur Markteinführung und schließlich dem relativ frühen Produktionsende.

Zwischen bestehenden Pfaden und neuen Horizonten

Der kommerzielle Misserfolg des GameCube hatte Nintendo Anfang der 2000er-Jahre dazu bewogen, Abstand vom Kampf um die leistungsstärkste Konsole zu nehmen. Stattdessen setzten die Japaner auf innovative Ideen, die durch neue Spielmöglichkeiten und erhöhte Zugänglichkeit die Videospiellandschaft erweitern sollten. Anstatt auf einem immer kompetitiveren Markt um die Gunst einer begrenzten Käuferschaft zu buhlen, wollte man ganz neue Zielgruppen erreichen. Das Ergebnis waren das Doppelbildschirm-Konzept und der Touchscreen des Nintendo DS sowie die Bewegungssteuerung der Wii. Mit beiden Geräten gelang es Nintendo, sogar die glanzvolle NES-Ära Ende der 1980er-Jahre an Erfolg zu überbieten.

Der Nachfolger des DS, der Nintendo 3DS, behielt das Grundkonzept seines Vorgängers bei, erweiterte es aber durch eine Idee, die in Nintendos Geschichte schon öfter, wenngleich bislang stets erfolglos, ausprobiert worden war, nämlich einen 3D-Effekt. Der Innovationsfaktor des Geräts fiel damit eher überschaubar aus; die von Nintendo im Vorfeld vollmundig versprochenen neuen Möglichkeiten erwiesen sich in der Praxis als eher unspektakulär. Dafür war die Konsole vollständig abwärtskompatibel. Nintendo versuchte also recht konservativ den vom Vorgänger eingeschlagenen Pfad weiterzuführen, verpasste dem Gerät dabei aber eine deutliche Leistungssteigerung.

Die letzten Zeilen treffen im Großen und Ganzen auch auf die Wii U zu. Auch sie war eine konsequente Weiterentwicklung ihres Vorgängergeräts und vollständig abwärtskompatibel; ja sie ließ sich sogar mit den Controllern der alten Wii bedienen! Als zentrale Neuerung wurde neben HD-Grafik das Wii U GamePad eingeführt, ein Controller mit integriertem Bildschirm – der sich in der Praxis jedoch einfach nicht als derjenige „Gamechanger“ erwies, als den Nintendo ihn angepriesen hatte. Doch blicken wir der Reihe nach auf die Geschichte der Wii U und beginnen mit den frühesten Anfängen.

Das hat es doch schon einmal gegeben …

Die Idee, zwei Bildschirme parallel für ein Videospiel zu verwenden, ist tief in Nintendos Geschichte verankert. Man denkt dabei sofort an den Nintendo DS und 3DS. Doch das Konzept lässt sich bis in die frühen 1980er-Jahre zurückverfolgen. Damals gab es eine ganze Reihe an Game-&-Watch-Handhelds mit zwei Bildschirmen. Zu diesen „Multi Screen“-Modellen, die wie sehr frühe Vorläufer des DS aussehen, zählt unter anderem eine Umsetzung von „Donkey Kong“. Außerdem hatte Nintendo damals so viele überschüssige Bildschirme übrig, dass der Konzern beschloss, ein Arcade-Spiel mit zwei Bildschirmen zu produzieren. Designer Genyo Takeda musste sich dann ein Spielkonzept ausdenken, das sinnvoll zwei Bildschirme verwendet – das Ergebnis war das Boxspiel „Punch-Out!!“. Wie es der Zufall will, war Takeda 25 Jahre später Chefproduzent der entstehenden Wii U.

Doch auch die konkrete Idee, eine Heimkonsole um einen in den Controller integrierten zweiten Bildschirm zu erweitern, kann in Nintendos Geschichte auf direkte Vorläufer zurückblicken. Zur Zeit des GameCube hatte der Konzern damit experimentiert, den Game Boy Advance (GBA) mit der Heimkonsole zu verbinden. In den meisten Spielen, die diese kabelbasierte Link-Funktion nutzen, konnten Spielende dadurch zusätzliche Inhalte freischalten; bei sowohl für GameCube wie auch für Game Boy Advance veröffentlichten Titeln ließen sich Inhalte zwischen beiden Versionen austauschen. Ausgiebige Verwendung fand der GBA als Controller mit zweitem Bildschirm unter anderem in „The Legend of Zelda: Four Swords Adventures“. Bereits zuvor hatte Konkurrent Sega mit der Ende 1998 bzw. Ende 1999 veröffentlichten Dreamcast-Konsole einen Zweitbildschirm in den Controller integriert.

Es gibt leider keine Informationen darüber, in welchem Verhältnis die GameCube-GBA-Konnektivität zum Wii-U-Projekt stand. Wer sich ein wenig mit der Entstehung von Nintendos Spielen und Konsolen auskennt, den wird es freilich nicht überraschen, dass der Konzern vermutlich eine Idee aus früheren Jahren neu angegangen ist. Sicheren Boden betreten wir aber erst Mitte 2008, als die ersten konkreten Planungen für einen Wii-Nachfolger begannen.

Zwei Vorläufer des Konzepts der Wii U: Segas letzte Heimkonsole, die in Japan 1998 veröffentlichte Dreamcast (Bildquelle: Wikimedia Commons) und die GBA-GameCube-Konnektivität. Letztere wurde lange vor Veröffentlichung von GBA und GameCube angekündigt; ab Ende 2001 war das entsprechende Linkkabel erhältlich. Was im Vorfeld als zentrale Funktion des kommenden Handhelds angepriesen worden war, fristete schließlich eher ein Schattendasein.

Das Konzept der Wii fortführen

Oft heißt es, dass Nintendo unmittelbar nach Veröffentlichung einer Konsole die Planungen für das nächste große Projekt angeht. Glaubt man einer Aussage von Nintendo-Präsident Satoru Iwata, so begann das Wii-U-Projekt allerdings erst gut anderthalb Jahre nach Markteinführung der Wii. In einem kurz vor der E3 2011 geführten und nach der Erstvorstellung der Konsole veröffentlichten Interview gab er zu Protokoll: „Ich habe vor diesem Gespräch noch einmal in meinem Kalender geblättert und festgestellt, dass es jetzt knapp 3 Jahre her ist, dass wir die Besprechungen zu diesem Thema aufgenommen haben.“ Er fuhr fort: „Dabei war der entscheidende Faktor nicht, wann wir diese Konsole herausbringen würden, sondern es ging viel mehr darum, darüber nachzudenken, was als Nächstes kommen würde. Und seit damals haben wir immer wieder Besprechungen abgehalten, um dies zu diskutieren.“

Die frühen Planungsgespräche drehten sich um die Frage, wie man das Konzept der Wii weiter ausbauen könne. Dieses hatte auf der Vision einer Konsole gefußt, die mehr als ein reines Spielgerät ist und einen besonderen Stellenwert im Wohnzimmer und im Familienalltag einnimmt (siehe die „Inside Nintendo“-Reportagen Nr. 135 und 137). Entsprechend bestand ein Hauptziel des Wii-Projekts darin, eine unauffällige, kleine, leise und stromsparende Konsole zu entwickeln, die niemals ausgeschaltet wird, sondern im Stand-By-Modus rund um die Uhr neue Inhalte empfangen kann. Die integrierten Apps, die sogenannten Kanäle, sollten so beispielsweise stets aktuelle Wetterdaten oder Nachrichten bereitstellen. Die nächste Konsole nun sollte in dieser Hinsicht zu einem „umfassenderen, vielseitigeren Gerät“ werden, wie Nintendo-Chefproduzent Shigeru Miyamoto Mitte 2011 erklärte.

Emanzipation vom Fernseher

„Es gab da einen Haufen Dinge, die wir aus unserer Sicht mit Wii nicht vollständig hatten umsetzen können“, präzisierte Iwata. „Natürlich wollten wir diese Aspekte einen nach dem anderen nachholen, aber bei eingehenden Diskussionen darüber haben wir erkannt, dass diese Probleme nicht ohne strukturelle Änderungen gelöst werden konnten.“

Was Iwata mit „strukturellen Änderungen“ zur Lösung von „Problemen“ meinte, lässt sich vor allem am Beispiel des Fernsehers verdeutlichen. Die Wii sollte, wie erwähnt, einen festen Platz im Wohnzimmer und damit auch im Alltag einer Familie erhalten. Dabei war das Gerät aber völlig auf den Fernsehbildschirm angewiesen. Zwar konnte der Laufwerkschlitz durch blaues Aufleuchten signalisieren, dass neue Inhalte empfangen wurden, doch um diese dann einzusehen, musste erst der Fernseher eingeschaltet werden. Auch Konzepte wie die Wii-Pinnwand, auf der nach Nintendos Vorstellung etwa Familienmitglieder füreinander Notizen hinterlassen konnten, erwiesen sich durch die Abhängigkeit vom Fernseher als schwerfällig und unflexibel.

Dass diese Probleme „nicht ohne strukturelle Änderungen gelöst werden konnten“, dass vielmehr eine neue Hardware mit anderen Grundvoraussetzungen her musste, liegt auf der Hand. Dies führte zu einer Idee, die für eine stationäre Heimkonsole revolutionär war. „Bis jetzt war da der Fernseher, der immer das Zentrum des Wohnzimmers ausmachte“, erklärte Iwata, „und für das Spielen von Videospielen wurde dieser benötigt.“ Nintendos Heimkonsolen-Chefentwickler Genyo Takeda habe sogar von „eine[r] Art TV-Parasit“ gesprochen. Wer aber sagte, dass sich eine stationäre Konsole nicht vom Fernseher emanzipieren könne? Was wäre, wenn die Konsole einen eigenen Bildschirm hat, sodass sie unabhängig vom Fernseher verwendet werden kann? „Diese Idee bot eine Lösung für viele der Probleme, mit denen wir uns herumgeschlagen hatten, nicht wahr?“, so Iwata.

Der Laufwerkschlitz der Wii, der nicht nur beim Einlegen oder Auswerfen von Discs, sondern auch beim Empfangen neuer Daten blau aufleuchtet, war sehr einflussreich für das Konzept des Wii U GamePad: Die Idee des zweiten Bildschirms sollte es ermöglichen, neu empfangene Daten einzusehen, ohne den Fernseher einschalten zu müssen.

Das GamePad – ein Möchtegern-Tablet?

Tablet-Computer waren zur Zeit der Enthüllung der Wii U Mitte 2011 und erst recht zu ihrer Markteinführung Ende 2012 weit verbreitet. Dadurch konnte schnell der Eindruck entstehen, Nintendo habe das GamePad als Controller der neuen Konsole mehr oder weniger nur abgekupfert. Doch Mitte 2008, als die Planungen zur späteren Wii U langsam Fahrt aufnahmen, waren moderne Tablets noch gar nicht verbreitet gewesen; Apple etwa brachte sein iPad erst 2010 auf den Markt.

So waren denn auch Miyamoto und Iwata im Interview von Mitte 2011 bemüht, zu zeigen, dass es komplexere Überlegungen waren, die letztlich zum Wii U GamePad geführt haben. „Es ging eher darum, einen Bildschirm für Videospiele in der Hand zu haben“, setzte Iwata der Annahme einer großzügigen Inspiration durch Tablets entgegen, „und wir haben uns darauf konzentriert, wie man viele unterschiedliche Dinge erreichen könnte, ohne den Fernseher einzuschalten.“

Bis aus dieser Kernidee die fertige Wii-U-Konsole mit GamePad hervorging, waren zahlreiche Gespräche vonnöten. „Wir haben ziemlich viel debattiert, bevor wir uns auf die aktuelle Form geeinigt haben“, erinnerte sich Iwata zurück. „Es ging ziemlich lange hin und her, bis wir endlich dort angekommen waren, wo wir jetzt sind.“ Miyamoto ergänzte bekräftigend: „Stimmt, es ging ziemlich hoch her. Wir haben sehr oft wieder bei Null angefangen.“

Gratwanderung zwischen Größe und Kosten

Um das Ziel zu erreichen, dass ein kleiner Bildschirm unabhängig vom Fernseher Informationen bereitstellen kann, mussten so grundsätzliche Fragen geklärt werden wie jene, wo sich dieser zweite Bildschirm denn befinden solle. Denkbar war ja nicht nur ein in den Controller integrierter Bildschirm, sondern auch ein unabhängig vom Controller irgendwo im Raum zu platzierender Mini-Monitor mit Verbindung zur Konsole. Es setzte sich zwar die erste Option durch, doch die damit verbundenen Ambitionen sind im Laufe der Planungsmeetings zunächst heruntergeschraubt worden.

Denn bald gingen die Ingenieurinnen und Ingenieure von einem zweiten Bildschirm aus, der wesentlich kleiner als das finale GamePad mit seinem 6,2-Zoll-Bildschirm gewesen sein dürfte. Laut Miyamoto wurde diskutiert, „dass ein größerer Bildschirm attraktiver, aber in den Grenzen des Budgets nicht machbar wäre“. Iwata offenbarte Mitte 2012 in einem Interview mit The Telegraph sogar, dass man in einem recht späten Meeting kurz davor stand, die Idee des zusätzlichen Bildschirms aus Kostengründen gänzlich zu verwerfen.

Die sich rasant weiterentwickelnde Technik im Bereich von Bildschirmen und frühen Tablet-Computern hat es schließlich aber möglich gemacht, den Umfang des Konzepts doch wieder den früheren Ambitionen anzunähern. Miyamoto formulierte es wie folgt: „Während wir an dem Projekt arbeiteten, entwickelten sich die uns umgebenden Situationen zu unserem Vorteil. Es schien plötzlich, als könnten wir wirklich das erreichen, was uns ursprünglich vorgeschwebt hatte.“

Die erste Generation von Apples iPad kam 2010 auf den Markt (Bildquelle: Wikimedia Commons). Mit dem Tablet-artigen Wii U GamePad hat Nintendo dieses Konzept aber nicht einfach abgekupfert, da das Konzept bereits lang vor der Ankündigung des iPad entstand. Nur dank einer überraschenden Preisentwicklung konnte Nintendo das GamePad in der ursprünglich angedachten Größe umsetzen. Dies dürfte mit den großen damaligen Umwälzungen auf dem Tablet-Markt zusammenhängen. In diesem Sinne kann man wohl doch sagen, dass es das finale GamePad ohne das iPad wohl nie gegeben hätte!

Die Prototypen-Experimentierstube

Eine nicht zu unterschätzende Rolle beim Herauskristallisieren des neuartigen Konzepts der späteren Wii U spielten Nintendos Spieleentwickler, genauer gesagt das Team um Produzent Katsuya Eguchi. Bereits während der Entwicklung der Wii hatten seine Leute Technik-Demos entwickelt, die das Motion-Control-Konzept der Konsole maßgeblich mitprägten und schließlich in „Wii Sports“ und „Wii Play“ resultierten. „Ich denke“, hatte Iwata im „Iwata fragt“-Interview zu „Wii Sports“ einmal zusammengefasst, „das Geheimnis der Controller-Entwicklung bei Nintendo liegt darin, dass die Entwicklung der Controller-Prototypen und der Tech-Demos Hand in Hand geht.“

Dieses bewährte Vorgehen sollte nun in die nächste Runde gehen. Daher wurde Eguchi als Hardwareproduzent in das Wii-U-Projekt einbezogen, womit er eine ähnliche Rolle übernahm wie zuvor „Mario Kart“-Produzent Hideki Konno bei der Entstehung des 3DS. Im Sommer 2009, direkt nach Fertigstellung von „Wii Sports Resort“, begann Eguchis Team damit, sich brandneue Gameplay-Ideen für innovative Controller-Prototypen auszudenken.

Ohne Nintendo Land keine Wii U?

Im „Iwata fragt“-Interview zu „Nintendo Land“ erklärte Eguchi: „[U]nser Team [hat] völlig unabhängig davon, um was für eine Konsole es sich bei Wii U handeln würde, eine Reihe von Gameplay-Experimenten durchgeführt, wobei sowohl ein kleiner Handbildschirm als auch ein Fernsehbildschirm zum Einsatz kamen.“ Iwata ergänzte, dass man sich zu dieser Zeit „noch nicht auf ein konkretes Konzept für Wii U festgelegt“ hatte. Stattdessen habe man „mit verschiedenen Dingen herumexperimentiert“, und eines davon habe sich der Frage gewidmet, „was geschehen würde, wenn wir eine TV-Spielkonsole durch einen speziellen Spielbildschirm ergänzen würden“.

Aus dieser Aussage ergibt sich, dass die frühe Konzeptphase der Wii U keineswegs so linear abgelaufen ist, wie es ein Jahr früher im Interview mit der dort vorgestellten konzeptionellen Reise vom aufleuchtenden Laufwerkschlitz der Wii bis zum Wii U GamePad den Anschein erweckt hatte. Vermutlich wird es in den frühen Phasen eine ganze Palette anders gelagerter alternativer, aber letztlich verworfener Ideen gegeben haben. Von diesen sind lediglich keine Informationen an das Licht der Öffentlichkeit gelangt, anders als im Falle der Wii – wir rufen nur einmal diesen ominösen runden Controller mit einer einzigen, sternförmigen Taste in der Mitte in Erinnerung.

Zunächst hat Eguchis Team eine Art Wii Zapper mit Bildschirmaufsatz gebastelt. Danach entstand ein Touchscreen, der zwischen zwei Wii-Fernbedienungen geklemmt war – quasi eine Ur-Form des GamePad. Für diesen klobig-behelfsmäßigen Hardwareprototyp erarbeitete das „Wii Sports“-Team eine Vielzahl an Gameplayideen, ungefähr 30 Stück. „Bei Nintendo erstellen wir Hardware, indem wir eine Idee in ein Provisorium umwandeln und die Idee tatsächlich ausprobieren“, kommentierte Iwata. Eine Auswahl dieser Prototypen wurde später ausgearbeitet und in die Minispielsammlung „Nintendo Land“ aufgenommen, die parallel zur Wii U auf den Markt kam. „Nintendo Land“ fiel somit die nicht geringe Rolle zu, für die neue Konsole das zu sein, was „Wii Sports“ für die Wii war (mehr dazu in „Inside Nintendo 131: Nintendo Land – das Launchspiel, das die Wii U prägte“).

Frühe Konzept-Prototypen für neuartige Controller, mit denen das Entwicklerteam von „Nintendo Land“ experimentiert hat. „Kommet und sehet die Originalform des Wii U GamePad!“, lachte Iwata, und „Nintendo Land“-Projektleiter Takayuki Shimamura kommentierte: „Das ist ungeheuer ausgefeilte Technologie – ein Monitor und zwei Controller, zusammengeklebt mit beidseitigem Klebeband.“

Eine Plattform für alle

Nach und nach kristallisierte sich so das Konzept des GamePad heraus. Es wurde am Ende deutlich mehr als nur ein zweiter Bildschirm, wie Nintendo ihn ursprünglich geplant hatte, denn es bietet sämtliche Knöpfe, Tasten und Sticks, die man von einem zeitgemäßen Spielecontroller erwartet. Nach der auf Schlichtheit getrimmten Wii-Fernbedienung bedeutete dies für Nintendo einen großen Richtungswechsel, schließlich waren hier – in bewusster Abhebung vom als von Gelegenheitsspielern zu kompliziert empfundenen GameCube-Controller – die traditionellen Eingabemethoden zugunsten der intuitiveren Bewegungs- und Zeigersteuerung reduziert worden.

Als Erklärung für den neuerlichen Umschwung gab Nintendo an, dass der integrierte Bildschirm das GamePad leichter verständlich macht. Da der Bildschirm des GamePad wie von den DS- und 3DS-Systemen gewohnt über eine Touchsteuerung verfügt und ohnehin die regulären Wii-Fernbedienungen weiterhin unterstützt werden, ermöglicht die Wii U in der Tat einfache Steuerungsschemata etwa für Partyspiele, ohne dafür zwangsläufig die üblicheren, komplexeren Eingabemethoden aufgeben zu müssen. Davon versprach sich der Konzern, sowohl die Bedürfnisse von Gelegenheits- wie auch von Intensivspielern zufriedenzustellen.

Zusätzlicher Bildschirm – zusätzliche Ideen

Hinsichtlich neuer Spielideen bestand das Innovationspotenzial des GamePad zuvorderst in seiner Nutzungsweise als zweiter Bildschirm zusätzlich zum Fernseher, der etwa eine Karte darstellt, die Menüführung erleichtert oder ähnliches. Sich weitere kreative und individuelle Spielmöglichkeiten auszudenken, oblag den einzelnen Entwicklerteams. Populär war insbesondere das Konzept asymmetrischer Mehrspielermodi, bei denen eine der spielenden Personen dank des GamePad-Bildschirms über andere Informationen oder eine andere Perspektive verfügt als die Mitspielerinnen und Mitspieler.

Wie gesehen, stand in der Konzeptphase aber die Frage im Fokus, wie man eine vielseitigere Konsole für das Wohnzimmer entwickeln könne. Ein konkretes Beispiel dafür, wie das Zwei-Bildschirm-Konzept der Wii U genau dazu beitragen kann, ist das Surfen im Internet. Sucht man etwas im Netz oder möchte sich etwa ein Video anschauen, so ist ein Smartphone oder Tablet, das man direkt in der Hand halten und dank Touchscreen bequem bedienen kann, optimal. Möchte man Online-Inhalte aber anderen zeigen, so wird es auf einem kleinen Bildschirm schnell umständlich. Optimal ist hierfür ein Fernsehgerät, doch ist ein solch weit entfernter Bildschirm wiederum für die bedienende Person zu umständlich. Das Konzept der Wii U nun erwies sich, so Nintendos Vorstellung, als perfekte Lösung, um etwa einer Gruppe im Wohnzimmer bequem Inhalte im Internet zu zeigen.

Asymmetrische Mehrspielermodi, eine vergrößerte Ansicht des Spielbildschirms, innovative Steuerungsmethoden mit Touchscreen und Bewegungssensor: Die Minispiele aus „Nintendo Land“ zeigten, was die Wii U mit dem GamePad an Möglichkeiten eröffnete. Das war kein Zufall, denn diese Minispiele gehen auf Software-Prototypen zurück, die beim Herauskristallisieren des neuen Hardwarekonzepts entscheidende Bedeutung hatten.

Nie wieder Kampf um den Fernseher

Das GamePad lässt aber noch weitere Nutzungsweisen zu. So kann es in extra dafür entwickelten Spielen und Programmen verwendet werden, um völlig unabhängig vom Fernseher Wii U zu spielen. Insbesondere für Familienhaushalte stellt dies eine Funktion von zentraler Bedeutung dar: Beansprucht jemand anders den Fernseher, so kann das Spiel einfach auf dem GamePad fortgesetzt werden. Das GamePad darf zwar nicht zu weit von der Wii-U-Konsole entfernt werden, doch dies war ein weiterer zentraler Schritt in der Emanzipation vom Fernseher.

Natürlich ist es auch möglich, das GamePad als normalen, klassischen Controller zu nutzen. Der integrierte Bildschirm bleibt dann schwarz oder spiegelt einfach den Fernsehbildschirm. Bei manchen Wii-U-Spielen genügt zur Steuerung entsprechend sogar die Wii-Fernbedienung. Anders als die Wii, deren Menü von Haus aus nicht ohne Bewegungssteuerung bedient werden kann, zwingt die Wii U ihr zentrales Gimmick somit etwas weniger stark auf.

Alte Controller für eine neue Konsole

Apropos Wii-Fernbedienung: Hatte die Wii als erste voll abwärtskompatible Nintendo-Heimkonsole bereits von Haus aus die Controller des Vorgängergeräts unterstützt, so traten nun die Eingabegeräte der Wii bei der Wii U komplementär neben den Hauptcontroller. Die Bewegungssteuerung als zentrale Innovation der Wii wird damit fortgeführt, doch auch unabhängig davon sind die Wii-Fernbedienungen zur Steuerung gerade bei Mehrspielerpartien essentiell, da es pro Konsole nur ein GamePad geben kann.

Die Entscheidung, die älteren Controller weiterzuverwenden, dürfte gewiss auch mit der riesigen Hardwarebasis der Wii zusammenhängen. Miyamoto jedenfalls äußerte zu dieser Frage nur: „Bei der Entwicklung hatte ich eigentlich keine Zweifel daran, dass die Wii-Fernbedienung auch weiterhin in ihrer aktuellen Form verwendet würde. […] Als ich darüber nachdachte, ob es wirklich erforderlich sein würde, dass die Spieler etwas völlig Neues erwerben, fand ich, dass wir die aktuelle Spielweise ruhig noch eine Weile fortführen könnten.“

Was viele nicht wissen: Das GamePad verfügt sogar über eine integrierte Sensorleiste, sodass sich auch Wii-Spiele mit der Zeigerfunktion ausschließlich auf dem GamePad-Bildschirm spielen lassen!

Mit der langwierigen Konzeptfindungsphase des GamePad war die Entstehung der Wii U natürlich noch längst nicht am Ziel angelangt. Mit der Ausarbeitung und Umsetzung dieses Konzepts werden wir uns im zweiten Teil der Reportage befassen. Dort werden wir einen Blick darauf werfen, wie die Wii-U-Konsole sowie die Hardware des GamePad entstanden sind. So viel sei an dieser Stelle bereits vorweggenommen: Die nahezu latenzfreie Übertragung von in Echtzeit generiertem HD-Bildmaterial war eine kleine technische Meisterleistung, für welche die Konsole längst nicht genug gewürdigt worden ist.

Quellen: „Iwata fragt: Sonderausgabe E3 2011“, Nintendo.de, 2011; „Iwata fragt: Nintendo Land“, Nintendo.de, 2012.

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Bisher gibt es drei Kommentare

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  • Avatar von K-I-T-N
    K-I-T-N 29.11.2022, 16:38
    Da frage ich mich, wie Nintendo diese Dritthersteller wieder an Bord bringen wollte, bzw. ob sie da was gemacht haben. Es gibt ja Berichte von Drittherstellern, die sagen, dass die Portierung für die Wii U aufwändig und hackelig war. Darüer hinaus war die Technik zu wenig für die Thirds. Denn diese hatten ja zum Release der Wii U ebenfalls für die Next-Gen entwickelt und da war die Wii U wieder ein altes Eisen, weswegen man nach einem Jahr schon wieder nur Last-Gen-Titel portieren konnte oder heftig anpassen musste.
    Und auch im eigenen Lineup war der Gamepad-Support bei allem außer den Intensiv-Titeln dabei. Wie gesagt, gab es kaum Spiele außerhalb von Party-Spielen etc. die das Gamepad gut eingebunden haben auch beim Nintendo-eigenen Lineup.

    Ich sehe es übrigens ähnlich wie du. Ich fand das auch sehr schade. Ich liebe den Second Screen beim DS und beim 3DS. Bei der Wii U finde ich den Second Screen wenn er gut eingebunden ist auch extrem genial. Egal ob bei Titeln wie ZombiU und Deus Ex oder auch einfach nur beim Level Bauen in Mario Maker. Meine Kritik ist daher ein weinendes Auge über das verschenkte Potenzial. Ich hätte gerne so viel mehr gesehen, was leider nicht genutzt wurde. Das Potenzial des Gamepads wurde gerade in dem Bereich der Intensivspieler verschenkt.
  • Avatar von Tobias
    Tobias 29.11.2022, 15:56
    Vielen Dank für die lobenden Worte und die ausführlichen Kommentare! Zum zweiten Punkt: Bei der Enthüllung war schon recht deutlich, dass Nintendo mit der Wii U AUCH wieder Dritthersteller und Intensivspieler ansprechen wollte. Dass das am Ende nicht nachhaltig funktioniert hat, ist unbestreitbar, aber in der ersten Phase war zumindest der Wille durchaus da (oder eben nur, wie du es nennst, ein Lippenbekenntnis). Zum Launch gab es ja Spiele, die man zum Schluss auf der Wii nie erwartet hätte. Das wird in den nächsten Teilen noch etwas angesprochen. Natürlich hat sich Nintendo dabei nicht PRIMÄR an Intensivspieler gerichtet. Es ging beim Konzept in Nintendos Sicht gerade um das Nebeneinander von Intensiv- und Gelegenheitsspielern; man wollte beiden etwas bieten, platt gesagt Intensivspiele und bessere Technik einerseits und innovative Funktionen dank GamePad andererseits. Wie gesagt, aufgegangen ist das Ganze am Ende leider nicht.

    Was ich persönlich übrigens immer sehr schade fand! Ich hatte so viel Spaß mit der Wii U wie mit keiner anderen Nintendo-Konsole (mit Ausnahme evtl. des 3DS).
  • Avatar von K-I-T-N
    K-I-T-N 29.11.2022, 09:41
    Sehr schöner Artikel.

    War sicherlich viel Arbeit, das so ausführlich aufzuarbeiten. In einer Zeit wo jeder Klick zählt und jede Clickbait-News mit ein paar Zeilen, den Ertrag solch eines Berichts in den Schatten stellt, bin ich sehr froh, wenn sich dennoch die Zeit dafür genommen wird. Das kann ich nicht genug loben.

    Dennoch habe ich ein paar kleine inhaltliche Anmerkungen:

    "Der riskante Schritt zahlte sich voll aus – die Ende 2006 veröffentlichte Wii erwies sich als eine der erfolgreichsten Konsolen aller Zeiten."
    - Auch wenn der Erfolg der Wii natürlich so nicht vorhersehbar war, glaube ich nicht, dass der Schritt wirklich so riskant war. Einfach deswegen, weil Nintendo ja meines Erachtens kaum Alternativen zur Auswahl hatte. Einfach eine reguläre Konsole im Wettlauf mit PS3 und 360 herauszubringen, hätte noch weniger Aussicht auf Erfolg gehabt, man hat ja schon bei N64 und Gamecube gesehen, dass Nintendo diesen Markt an Sony verloren hat.
    Selbst wenn man mit der Wii keinen Erfolg gehabt hätte, wäre eine erfolglose Wii unterm Strich wohl ertragreicher gewesen, als eine erfolglose Konsole auf technischem Niveau der PS3 und 360. Immerhin hat Nintendo die Konsole aufgrund der Hardwarepower mit mehr Gewinn verkaufen können, als eine technisch bessere Konsole. Auch ist ein SD-Spiel in der Produktion weniger aufwändig und daher günstiger als ein HD-Spiel, weswegen die Spiele bei Misserfolg zumindest in der Produktion günstiger gewesen wären.

    "... die diesmal zugleich auch Intensivspieler ansprechen und erneut wegweisende Innovationen etablieren sollte."
    - Sowohl dein Text zu dem Konzept der Wii U als auch der Reveal-Trailer auf der E3 zeigen, dass die Wii U primär nicht für Intensivspieler gedacht war. Die ganzen Funktionen rund ums Gamepad (Brettspiele auf dem Tablet, Voice-Calls, Browsing, Notizen, Off-TV im Familienzimmer, Partygames mit asynchronem Multiplayer...) waren dafür gedacht, mehr als nur ne Konsole zu sein. Intensivspieler wollte man maximal als Lippenbekenntnis durch die altbewährten Marken abholen, wie auf der Wii auch schon. Und das ist meines Erachtens auch ein großes Problem der Wii U gewesen.
    Der Second Screen ist richtig cool. Gerade für RPGs, Open World, Action Adventures... also alles was Karte, Inventar, Questlog... hat. Dafür ist Deus Ex auf der Wii U so geil. Auch die ganzen JRPGs auf dem DS profitieren vom Second Screen. Jedes Spiel der oben genannten Genres hätte auf der Wii U tollen Mehrwert haben können, wie eben Deus Ex. Man denke an GTA V, Mass Effect, Skyrim, Witcher, ein vollwertiges Pokémon RPG, ein neues Zelda mit gutem Gamepad-Support... Das hat es aber leider nicht gegeben. Nintendo hat weder selbst bei den eigenen Produktionen darauf geachtet, noch Geld für gute Wii U-Ports von PS3- und 360-Spielen dieser Genres ausgegeben.
    Nicht nur hat die Wii U die Intensivspieler nicht aufgrund des mangelhaften Supports innerhalb dieser Spiele nicht abgeholt, auch lag es an der Leistung. Die Wii U war auf dem Niveau von PS3 und 360. Von daher war klar, dass die Konsole bei Release der Nachfolgekonsolen der Konkurrenz wieder technisch hinterher hinkt. Wie Microsoft auch die Xbox One mit Kinekt im Bunble verkaufen wollte, hätte Nintendo auch ne stärkere Wii U verkaufen können. Entweder in dem man den Preis der Konsole anhebt oder in dem man den Preis, wie die Konkurrenz auch, subventioniert. Damit hätte die Wii U mehr Aussicht gehabt auch bei aktuellen Spielen mit Ablegern bedacht zu werden.

    "Nintendo versuchte also recht konservativ den vom Vorgänger eingeschlagenen Pfad weiterzuführen, verpasste dem Gerät dabei aber eine deutliche Leistungssteigerung."
    - Auch wenn der 3DS natürlich leistungsstärker als der Vorgänger ist, war die Steigerung aber nicht sehr hoch. Der DS war zu seiner Zeit schon im Vergleich zur PSP abgeschlagen und der 3DS war es im Vergleich zur Vita noch mehr. Eben wegen des 3D-Effekts. Weil Kosten der Hardware dafür investiert wurden. Man hat sich also für den Effekt und gegen einen DS-Nachfolger mit noch größerer Leistungssteigerung, aber ohne Gimmick entschieden.
    Meines Erachtens ein Fehler. Der 3DS hat sich zwar immer noch gut verkauft. Aber nur weil Nintendo mobil immer gut läuft. Unterm Strich Nintendos am schlechtesten verkaufter Handheld mit einem 3D-Features, was ein totaler Griff ins Klo gewesen wäre. Ein 2DS, der kein 3D, aber dafür weitaus mehr Power hat, hätte den Indie-Markt abgreifen können, der mobil auf die Vita ausgewichen war und den Nintendo daher erst mit der Switch erobert hat. Das lag meines Erachtens nur an der zu geringen Power des 3DS. Bei Wii zu Wii U und DS zu 3DS konnte man nicht wie bei Wii U zu Switch auf dem gleichen Niveau bleiben. Bei Wii U zu Switch ging es, weil man von einer Konsole zu einem Handheld mit TV-Funktion gewechselt ist. Bei den anderen beiden Geräten war das nicht der Fall. Von daher musste es ne Leistungssteigerung geben und wenn diese immer noch so extrem vom Standard der Konkurrenz abweicht, würde ich es eher als die geringstmöglich verargumentierbare Leistungssteigerung betrachten.