Inside Nintendo 188: Die spektakulärsten Entdeckungen des Nintendo-Gigaleaks 2020 (Teil 3)

Herzlich willkommen zum dritten Teil unserer Reportage über den großen Nintendo-Leak 2020! Bislang haben wir vor allem spannende Funde aus der ersten Hälfte der 1990er-Jahre behandelt, darunter alternative Entwürfe für Yoshi aus der Entwicklung von „Super Mario World“, einzigartiges Material aus den frühesten Entwicklungsphasen von „Super Mario Kart“ sowie ein Prototyp eines Jump’n’Run für das SNES namens „Super Donkey“. Nun sind wir in der N64-Ära angelangt, aus der ebenfalls sehr viele interne Daten direkt aus Nintendos Entwicklungsabteilung geleakt sind. Beginnen werden wir dabei mit jener Enthüllung, die aus sämtlichen Funden des sogenannten Gigaleaks wohl am meisten Aufmerksamkeit erhalten hat.

Eines der größten Mysterien der Videospielgeschichte ist gelöst: So hätte Luigi in „Super Mario 64“ ausgesehen! Zu beachten ist jedoch, dass es sich bei diesem Modell um eine Rekonstruktion handelt. Gefunden wurde es nicht in dieser Form, sondern nur einzelne Modelle für Kopf und Körperteile sowie Texturen für das Mützen-Emblem, den Bart und die Koteletten waren in den Daten des Leaks enthalten. Zur Vervollständigung wurden die übrigen Texturen von Marios Charaktermodell übernommen.

L is Real 2401: Luigi in Super Mario 64

Es ist eines der größten Mysterien der Videospielwelt: Kann man im N64-Klassiker „Super Mario 64“ Luigi freischalten? Ende der 1990er-Jahre kursierten zahlreiche Gerüchte, die genau dies vermeintlich aufdeckten. Nährstoff für Spekulationen bot insbesondere ein Schild im Garten von Peachs Schloss, dessen kaum lesbare Aufschrift als „L is Real 2401“ entziffert und als versteckter Hinweis der Entwickler gedeutet wurde. Musste man etwa 2401 Mal das Spiel absolvieren, um in die Haut des häufig übersehenen Klempnerbruders schlüpfen zu dürfen?

Natürlich erwiesen sich die Gerüchte und Spekulationen als falsch. Die Spieldateien von „Super Mario 64“ wurden gründlich wie nur bei wenigen anderen Videospielen untersucht, und es konnten keine Spuren dafür gefunden werden, dass Luigi in irgendeiner Form im Spiel enthalten ist. In Interviews bestätigten die Entwickler hinter dem Klassiker unlängst, dass sie ursprünglich tatsächlich Luigi in „Super Mario 64“ aufnehmen wollten, diesen Plan aber aus technischen Gründen nicht umsetzen konnten.

Das aber bedeutet, dass es eine Phase während der Entwicklung gab, in der Luigi zumindest temporär sehr wohl im Spiel enthalten war – und genau solches Material ist im Rahmen des Gigaleaks nun aufgetaucht. Es handelt sich zwar nicht um ein vollständiges Modell, doch anhand der erhaltenen Daten konnten Hacker Luigi so rekonstruieren, wie er im Spiel wahrscheinlich ausgesehen hätte. Eigene Animationen fehlen jedoch ebenso wie separate Sprachaufnahmen. Die Dateien stammen vom 20. Juni 1995 und somit nicht mehr aus den frühesten Anfangsphasen, sondern ungefähr aus der Halbzeit der Entwicklungsarbeiten (ebenfalls geleaktem Material zufolge war „Super Mario 64“ vom 7. September 1994 bis zum 20. Mai 1996 in der Entwicklung).

Die große Frage ist nun, welche Rolle Luigi in „Super Mario 64“ eingenommen hätte. Die Berichterstattung Mitte 2020 begnügte sich meist mit der sensationellen Entdeckung an sich, sodass über die Hintergründe noch wenig bekannt ist. Der frühe Arbeitstitel „Ultra 64 Mario Brothers“, der sich auf den Arbeitsnamen der N64-Konsole bezieht und ebenfalls durch den Leak aufgedeckt worden ist, gibt immerhin einen Hinweis darauf, dass Luigi wie auch in den früheren „Super Mario Bros.“-Spielen wohl eine zentrale Rolle eingenommen hätte, vermutlich in einem geplanten Mehrspielermodus.

Wie dem auch sei, dank des Gigaleaks können wir nun unverhoffterweise endlich sagen: „L is Real“! Interessanterweise sind die Daten exakt 24 Jahre und einen Monat nach der ursprünglichen Japan-Veröffentlichung des Spiels aufgetaucht. Ob die Parallele zu „2401“, das wie erwähnt angeblich auf dem Schlossgarten-Schild zu lesen sein soll, reiner Zufall ist oder ob die Veröffentlichung des Leaks just zu diesem Zeitpunkt eine bewusste Anspielung seitens der dahinterstehenden Personen darstellt, bleibt jedem selbst zu entscheiden überlassen. Was wirklich auf dem mysteriösen Schild steht, konnte übrigens auch der Gigaleak nicht klären. In den Entwicklungsmaterialien findet sich die Textur nämlich nur in derselben Auflösung, wie sie auch im Spiel zu sehen ist. Zumindest dieses Rätsel bleibt also ungelöst.

Links: Ein Screenshot aus einer sehr frühen Testversion von „Mario Kart 64“. In dieser Phase der Entwicklung scheint sich die Grundidee von 2D-Spielfiguren in einer 3D-Umgebung gefestigt zu haben. Rechts: Erstmals können wir einen Blick auf eine verworfene Strecke des Spiels werfen, die in einem Interview erwähnt worden war. Wie ein Rennen auf dieser Stadt-Piste ausgesehen hätte, kann man etwa in diesem YouTube-Video erfahren.

Eine Alpha-Version von Mario Kart 64

Von „Mario Kart 64“, einem der größten Mehrspieler-Hits der N64-Ära, ist ein Prototyp geleakt. Von wann genau dieser stammt, scheint nicht bekannt zu sein; offenkundig handelt es sich aber um eine sehr frühe Testversion: Zu sehen sind die 2D-Sprites aus dem Vorgänger „Super Mario Kart“ in einer sehr groben, nicht fertiggestellten Polygon-Umgebung. In dieser Phase der Entwicklung ging es anscheinend darum, durch Tests herauszufinden, wie sich das Spielprinzip des Vorgängers in 3D-Grafik übertragen ließe. Auch im finalen „Mario Kart 64“ werden die Spielfiguren durch 2D-Sprites dargestellt; dies scheint dem Fund zufolge eine sehr frühe Idee gewesen zu sein.

Eine weitere bedeutende Entdeckung rund um „Mario Kart 64“ ist eine interessante Strecke, die es nie ins fertige Spiel geschafft hat. Schon 1996 wurden in einem Interview zwei verworfene Strecken erwähnt: ein Parkhaus und eine große Stadt. „Wir haben auch eine große Stadtstrecke entworfen, mit einem Schloss und einem schönen Teich, und man fuhr rund um all diese verschiedenen Häuser und Gebäude“, erzählte damals Art Director Tadashi Sugiyama. „Leider war es eine sehr große Karte, und es dauerte zu lange, hindurchzufahren. Daher haben wir sie gestrichen.“

Diese verworfene Strecke ist nun nach etwa 24 Jahren aufgetaucht. Ganz fertiggestellt ist sie anscheinend nicht, sie befindet sich aber in einem fortgeschrittenen, problemlos spielbaren Zustand. Der Kurs führt durch eine große Stadt mit Häusern und Gebäuden wie einem Restaurant, einem Café, sogar einer Kirche, und auch Bauernhöfe und Tunnel zählen zur Szenerie. Eine Fahrt gemäß der von den Entwicklern vorgesehenen Route dauert etwa anderthalb Minuten – die Piste wäre somit zwar durchaus lang gewesen, doch auch der Regenbogen-Boulevard des finalen Spiels ist eine ziemlich ausufernde Strecke. Mit ihren vielen engen Winkeln wirkt die Stadt-Strecke schwer zu befahren; vielleicht war dies der tatsächliche Grund dafür, dass sie gestrichen wurde. Die zweite erwähnte Strecke, die der Schere zum Opfer gefallen ist, das Parkhaus, konnte leider nicht aufgespürt werden.

Mitte 2020 und Anfang 2021 aufgetauchtes Material aus der Entwicklung von „Ocarina of Time“ ermöglichte es Fans unter anderem, bekannte „Beta-Screenshots“ zum Spiel nachzustellen und die dort gezeigten, im finalen Spiel so nicht mehr vorhandenen Ortschaften zu erkunden. Hier ist jeweils rechts das Originalbild aus der zeitgenössischen Berichterstattung zum Spiel und links die rekonstruierte Szene abgebildet.

Die Entzauberung der Welt: Ocarina of Time und die Erschaffung von Hyrule

„Dank umfangreicher Entwicklerinterviews – zeitgenössischer wie neuerer –, Hunderten von Screenshots und vielen Videoclips aus praktisch sämtlichen Phasen des dreijährigen Entwicklungsprozesses sowie unfassbar filigranen Analysen des vor ungenutztem Material nur so strotzenden Programmcodes steht uns über die Entwicklung von ‚Ocarina of Time‘ so viel Wissen zur Verfügung wie über kein anderes Produkt der interaktiven Unterhaltungselektronik.“ So schrieben wir Ende 2018 in einer „Inside Nintendo“-Reportage über die Entstehungsgeschichte des berühmten N64-Klassikers „The Legend of Zelda: Ocarina of Time“.

Seit 2020 hat sich unser Wissen über die Entwicklung des Spiels noch einmal erheblich erweitert, haben wissbegierige Fans nie erwartete Einblicke erhalten und wurden lang umrätselte Geheimnisse gelüftet. Dies ist nur zum Teil auf den Gigaleak zurückzuführen, denn unabhängig davon kam es Anfang 2021 zu einer weiteren unverhofften Enthüllung, als auf einem neu aufgetauchten Entwicklermodul für „F-Zero X“ Überreste einer frühen „Ocarina of Time“-Version von 1997, etwa ein Jahr vor der Veröffentlichung des Spiels, aufgespürt wurden (wir berichteten).

Programmcode, Modelle und Musik dieser Space-World-1997-Fassung waren bei diesem spektakulären Zufallsfund zwar nicht mehr erhalten, sondern mit den Daten von „F-Zero X“ überschrieben. Überdauert haben aber einzelne Ressourcen wie Karten, Texturen und Dialogzeilen, anhand derer sich weite Teile dieser frühen Spielversion rekonstruieren lassen. Die Funde geben Einblick in eine deutlich frühere Version der Spielwelt von „Ocarina of Time“ und in den ursprünglich vorgesehenen Storyverlauf.

Die Funde rund um „Ocarina of Time“ von 2020 und 2021 sind dermaßen umfangreich, dass wir hier wirklich nur die Spitze des Eisbergs beispielhaft vorstellen können. So wurde etwa der erste für das Spiel entworfene Dungeon gefunden, den wir zuvor nur aus frühen Videos und Screenshots kannten und von dem mehrere Aspekte in Ganons Turm aus dem fertigen Spiel eingeflossen sind. Auch unzählige weitere Orte und Modelle, die in frühem Spielmaterial gezeigt wurden, von denen in der finalen Fassung aber keine Spur mehr zu sehen ist und die Fans des Spiels somit zu entdecken äußerst erpicht waren, gelangten ans Tageslicht.

Wie schon betont: Obwohl wir bereits zuvor ausgesprochen detailliert über die Entwicklung von „Ocarina of Time“ informiert waren, bedeuten die neuesten Funde unzählige neue Detailerkenntnisse. Diese Puzzlestücke zu einer großen Geschichte der Entstehung des Spiels zusammenzufügen, wird noch eine lange Zeit dauern. Wohl am faszinierendsten und aussagekräftigsten dürften die Einblicke in die Entstehung der Ebene von Hyrule, dem Mittelpunkt der damals riesigen Spielwelt des ersten Polygon-„Zeldas“, sein.

Die Entstehung der Ebene von Hyrule anhand des entdeckten Entwicklungsmaterials: Oben links die früheste bekannte Fassung mit dem Schloss im Mittelpunkt, oben rechts die Version von Mitte 1997, unten links jene von der Space World 1997 und schließlich unten rechts die Ebene von Hyrule aus dem fertigen Spiel. Zu sehen ist auch ein Screenshot, der das sehr frühe Stadium in Aktion zeigt und dessen Geheimnis – in „Ocarina of Time“, wie wir es kennen, gibt es keinen annähernd ähnlichen Ort – somit nach über 20 Jahren gelüftet werden konnte.

Der Gigaleak brachte das Kollisionsmodell einer sehr frühen Version der Ebene von Hyrule zum Vorschein, in der sich Schloss Hyrule im Mittelpunkt befindet und vier Tore in alle Himmelsrichtungen hinausführen. „Zelda“-Fans dürfte dies bekannt vorkommen: Wenig später ist dieses Konzept für die Fortsetzung „Majora’s Mask“ aus den Schubladen gekramt worden, denn in der Mitte der Spielwelt Termina befindet sich Unruh-Stadt mit vier großen Stadttoren. Im finalen „Ocarina of Time“ hat diese frühe Idee übrigens noch Spuren hinterlassen, denn in der finalen Datei für die Ebene von Hyrule liegt der Mittelpunkt nicht in der Mitte der Karte, sondern im Norden, wo sich Schloss Hyrule befindet.

Mitte 1997 war diese Grundidee bereits markant abgeändert worden, wie sich aus weiterem geleakten Material ergibt, denn hier ist Schloss Hyrule inzwischen am Rande der Ebene von Hyrule angesiedelt. Diese ist bereits weiter ausgearbeitet worden, liegt aber noch in einer frühen und groben Version vor, die einen ungeschönten Einblick darin gewährt, wie das Entwicklerteam mit der Erschaffung einer großen und lebendigen Spielwelt experimentiert hat, wie es sie in damaligen Videospielen kaum gab. Es handelt sich um eine Phase des Übergangs zwischen der ältesten erhaltenen Idee und dem finalen Design. Ebenfalls aufgetaucht ist eine deutlich weiter fortgeschrittene Version der Ebene von Hyrule aus der Zeit der Space World 1997, in der nun auch die Lon-Lon-Farm eingebaut ist, die aber immer noch große Unterschiede zum fertigen Spiel aufweist.

Zwei weitere Oberwelt-Karten aus der Space-World-1997-Version: links das Dorf Kakariko und rechts der Zora-Fluss. Es wird deutlich, dass es sich um grobe Platzhalter handelt und die Erschaffung der Spielwelt sich damals noch in einem frühen Stadium befand.

Andere Bereiche der Spielwelt aus der Space-World-1997-Fassung befinden in einem noch rudimentäreren Zustand, etwa Kakariko oder der Zora-Fluss, während die Dungeons des Spiels weiter fortgeschritten sind, aber ebenfalls nicht mehr als Vorläufer ihrer fertigen Versionen darstellen. Auch wenn wir die 1997er-Version von „Ocarina of Time“ aufgrund des nicht erhaltenen Programmcodes nicht in spielbarer Form vorliegen haben, so erlauben all diese Funde doch den Rückschluss, dass das Spielprinzip damals im Kern festgelegt war, die Erstellung der Spielwelt aber noch in einer experimentellen Phase steckte, in der lediglich erste Teile eines Grundgerüsts feststanden.

Viele der berühmten Videos und Screenshots aus dieser Entwicklungsphase erweckten damals den Eindruck einer „verlorenen“, alternativen Fassung des Spiels und trugen dadurch wesentlich zum Zauber hinter der „Beta-Version“ von „Ocarina of Time“ bei. Dieser droht durch die nun ermöglichte Einordnung in den größeren Entwicklungskontext freilich abhanden zu kommen. Doch noch immer hält das Spiel große Geheimnisse parat, man denke etwa an die sagenumwobene Unicorn Fountain oder das Triforce, das Link in einem frühen Trailer von 1996 in einer Schatztruhe findet. Entsprechende Materialien aus der Spielentwicklung konnten bis heute nicht zutage gefördert werden.

Drei Screenshots aus unveröffentlichten Game-Boy-Spielen, die im Gigaleak vollständig aufgetaucht sind: „Pokémon Picross“, „Hello Kitty Game Boy Camera“ und „Gimmick Land“. Hinzu kommen die nie erschienenen lokalisierten Fassungen von „X“ und „Gargoyle’s Quest II“.

„Pokémon Picross“ und weitere unveröffentlichte Game-Boy-Spiele

Dass praktisch fertiggestellte Videospiele nicht auf den Markt gebracht werden, kommt nur sehr selten vor; „Star Fox 2“ ist eines der wenigen größeren Beispiele dafür. Der Gigaleak hat ein paar weitere Fälle bekannt werden lassen, auch wenn diese etwas weniger hochkarätig sind. Bei den fünf Titeln, die wir dazu vorstellen möchten, handelt es sich allesamt um Game-Boy-Spiele.

Die vollständig lokalisierte, aber nie veröffentlichte westliche Fassung von „X“, einem 1992 für den Game Boy veröffentlichten Weltraum-Kampfspiel mit rudimentären Polygon-Grafiken, ist ans Tageslicht gelangt. Ursprünglich wollte Nintendo das von Dylan Cuthbert mitverantwortete Spiel unter dem Namen „Lunar Chase“ auch in Nordamerika herausbringen, entschied sich jedoch dagegen. Ganz ähnlich gelagert ist der Fall der Game-Boy-Fassung von Capcoms „Gargoyle’s Quest II“: Die damals angekündigte, aber nie veröffentlichte Nordamerika-Fassung ist 2020 aufgetaucht – ein Beispiel dafür, dass auch ROMs von Dritthersteller-Titeln im Nintendo-Gigaleak enthalten waren.

Eine bekanntere Marke steckt hinter dem Game-Boy-Color-Titel „Pokémon Picross“. Dieses Spiel, 1999 kurz angekündigt und danach nie wieder gesehen, im Gigaleak aber vollständig erhalten, bietet exakt das, was sein Name verspricht: Picross-Rätsel im Taschenmonster-Universum. Obwohl „Picross“-Studio Jupiter den Titel seinerzeit komplett fertiggestellt hatte, war er aus unbekannten Gründen nie auf den Markt gebracht worden. Die Idee eines Crossovers von „Pokémon“ und „Picross“ wurde übrigens 2015 mit einem gleichnamigen Spiel auf dem 3DS, ebenfalls aus dem Hause Jupiter, doch noch Wirklichkeit.

Aus dem Jahre 1999 stammt auch das nächste unveröffentlichte Game-Boy-Spiel, das vollständig geleakt ist: eine Variante der Game Boy Camera mit „Hello Kitty“-Lizenz. Das eigenartige Zubehör verwandelte den Game Boy in eine waschechte, wenn auch mit einer Auflösung von 128×112 Pixeln sehr bescheidene Digitalkamera. Am zugrundeliegenden Prinzip ändert die „Hello Kitty“-Version nichts, sie bietet aber Minispiele und stark abgeänderte Menüs, sodass sie sich von der ursprünglichen Fassung unterscheidet. Auf den Markt geschafft hat es damals übrigens ein Game Boy Color im „Hello Kitty“-Stil – passend dazu war dann wohl auch dieses Zubehör geplant. Warum „Came Boy Camera: Hello Kitty“ jedoch nicht erschien, bleibt ein Geheimnis.

Sodann wurde das unveröffentlichte „Gimmick Land“ geleakt. Es handelt sich um ein Game-Boy-Rollenspiel aus dem Jahre 2001, entwickelt von AlphaDream, den späteren Machern der „Mario & Luigi“-Reihe. Weil damals der Game Boy Advance kurz vor seiner Markteinführung stand, entschied sich Nintendo gegen eine Veröffentlichung des Titels und AlphaDream entwickelte ihn von Grund auf neu für den 16-Bit-Handheld. Unter dem neuen Namen „Tomato Adventure“ kam das Spiel 2002 exklusiv in Japan auf den Markt. Das inhaltlich weitestgehend deckungsgleiche „Gimmick Land“ war vor dem Leak nur durch einige wenige Screenshots bekannt.

Die neu entdeckte spielbare Fassung von „Dinosaur Planet“ für N64 im Vergleich mit dem finalen „Star Fox Adventures“ für Nintendo GameCube.

„Dinosaur Planet“: der verworfene Vorläufer von „Star Fox Adventures“

Als der Gigaleak in der zweiten Hälfte des Jahres 2020 in vollem Gange war, äußerten viele Fans die Hoffnung, dass auch „Dinosaur Planet“ auftauchen könne – jenes verworfene N64-Spiel, aus dem später „Star Fox Adventures“ für den GameCube wurde. Da Spiele des britischen Studios Rare, das auch hinter „Dinosaur Planet“/„Star Fox Adventures“ steckte, nicht vom Leak betroffen waren, erfüllte sich diese Hoffnung zunächst nicht. Lange mussten Interessierte aber nicht warten: Anfang 2021 ist eine vollständig spielbare Fassung von „Dinosaur Planet“ aus dem Besitz eines schwedischen Sammlers aufgetaucht und von den Präservierungsspezialisten von Forest of Illusion, die kurz zuvor auch mit dem schon erwähnten Prototyp von „Zelda: Ocarina of Time“ für Schlagzeilen gesorgt hatten, im Internet verbreitet worden.

Der Fund stammt somit zwar nicht aus dem Gigaleak, stellt darum aber keine minder spektakuläre Entdeckung dar und wir können ihn hier nicht vorenthalten. Die aufgetauchte Fassung von „Dinosaur Planet“ datiert auf den 1. Dezember 2000, fast zwei Jahre vor der Veröffentlichung von „Star Fox Adventures“. Das Spiel befindet sich in einem fast finalen Zustand, enthält aber noch zahlreiche Programmierfehler, sodass es derzeit in Emulatoren nur zum Teil spielbar ist. Außerdem ist die ursprünglich geplante Hauptfigur Sabre bereits durch „Star Fox“-Protagonist Fox ersetzt worden. Damit spiegelt der Fund den Beginn der Transformation von „Dinosaur Planet“ zu „Star Fox Adventures“ wider. Bislang war angenommen worden, dass die Umarbeitung parallel mit dem Wechsel der Zielplattform zum GameCube stattgefunden habe.

Anlässlich dieser sensationellen Entdeckung hat Kev Bayliss, damaliger Lead Artist von „Dinosaur Planet“, bei videogamechronicle.com einen interessanten Artikel über die Entstehung des Spiels publiziert. Als Bayless 1998 nach Fertigstellung von „Diddy Kong Racing“ mit den Arbeiten am späteren „Dinosaur Planet“ begann, war demnach ursprünglich auch Sabre nicht die geplante Spielfigur, sondern Timber, der Tiger aus „Diddy Kong Racing“. „In ‚Dinosaur Planet‘ sollte Timber ein ‚zeitreisender Tiger‘ mit einem Rucksack, kleinen fingerlosen Handschuhen, einer Baseball Cap und einem kleinen Dinosaurier als Sidekick sein“, schrieb Bayliss. Die Entscheidung, das Spiel ins „Star Fox“-Universum zu bringen, fiel ihm zufolge während der E3 2000.

Und was hielt der Rare-Mitarbeiter davon, dass sein unveröffentlichtes Projekt nach all der Zeit doch noch aufgetaucht ist? Anders als „Star Fox“-Entwickler Dylan Cuthbert in Bezug auf den Gigaleak (siehe Teil 1 der Reportage) fand Bayliss positive, ja begeisterte Worte: „Ich hätte niemals gedacht, dass ich die ursprüngliche Demo-Version wiedersehen würde. Für mich ist es eine jener nostalgischen Reisen zurück in die Spieleentwicklung, die mich lächeln lässt, wie so viele andere Demo-Versionen, an denen ich gearbeitet habe und die vor so langer Zeit erstellt wurden, dass ich vergessen hatte, dass sie überhaupt existierten.“ Abschließend äußerte er: „Wenn jetzt noch jemand diese wirklich alte Demo mit Timber und seinem Rucksack ausbuddelt …“


Für die Zeit nach N64 und Game Boy nimmt die Dichte an spektakulären Entdeckungen aus dem großen Nintendo-Leak von 2020 zwar etwas ab, das heißt aber nicht, dass nicht auch aus den letzten 20 Jahren interessante Entdeckungen gemacht werden konnten. Die wichtigsten davon werden im folgenden vierten Teil der Reportage behandelt. Dabei werden insbesondere verworfene und frühe Ideen für Nintendos Konsolen im Mittelpunkt stehen – es bleibt also spannend!

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Bisher gibt es drei Kommentare

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  • Avatar von Jannik @derofa.de
    Jannik @derofa.de 21.07.2021, 02:40
    Freu mich schon auf den nächsten Teil. Super Arbeit :-)!
  • Avatar von Fabian
    Fabian 18.07.2021, 15:58
    Wieder sehr spannend! Mich faszinieren vor allem der verworfene Stadtkurs aus Mario Kart 64 und Dinosaur Planet. Sehr cool, dass man aus so frühen Phasen (halbwegs) spielbare Fassungen hat.
  • Avatar von Brixo125
    Brixo125 18.07.2021, 10:55
    Danke für diesen Artikel. Waren einige sehr interessante Dinge für mich dabei, die ich noch nicht kannte.