Seit über sieben Jahren berichten wir bereits über die Geschichten hinter Nintendo-Spielen. Diesmal haben wir uns Gedanken über das Erzählen der Geschichte hinter einem Spiel gemacht und tragen diese in einem Essay zusammen. Darin kritisieren wir einen im Videospieljournalismus sichtbaren Trend, der sich in den letzten Jahren noch verstärkt hat, und gelangen zum Desiderat eines neuen wissenschaftlichen Forschungsgebiets.
Der nachfolgende Artikel wurde ursprünglich in unserem dritten „Inside Nintendo“-Sammelband (2018) veröffentlicht (S. 350–354). Für die Onlinefassung wurde der Text geringfügig überarbeitet und mit Bildern versehen. Alle Infos zu unseren Sammelbänden, erhältlich als Paperback wie als eBook, findet ihr unter diesem Link.
Das Problem
Die primäre Domäne des Schreibens über die Entwicklung von Videospielen ist der Videospieljournalismus. Hintergrundreportagen über beliebte und bedeutende Spiele erfreuen sich in Zeitschriften und Websites über interaktive Unterhaltungselektronik seit jeher großer Beliebtheit. Jeder, der solche Artikel schreibt, gelangt unweigerlich irgendwann an jenen Punkt, an dem er noch so viel mehr schreiben könnte, sich aber selbst zurückhalten muss, um die so häufig strapazierten Grenzen des Textes nicht zu überschreiten. Journalistische Texte gerade im Bereich der Videospiele sollen schließlich zumeist einen kompakten Überblick geben. In der Regel erheben sie auch den Anspruch, zumindest nicht ununterhaltsam zu sein. Kürze und Prägnanz sind also geboten.
Das führt jedoch dazu, dass die Art und Weise, wie über die Entwicklung von Spielen im Spielejournalismus berichtet wird, der Sache nie ganz gerecht werden kann. Medien und Portale wie Nintendo-Online.de informieren bekanntlich in erster Linie aus aktuellen Anlässen, was mitunter in eine gewisse Sensationsgier ausarten kann. Das führt dann in unserem Thema dazu, dass im Spielejournalismus an den Geschichten hinter Spielen vor allem die sensationellen, die neuen, die verblüffenden, die extremen Aspekte in den Vordergrund treten – zu Ungunsten des Gesamtzusammenhangs. Sensationen und Anekdoten sind die wichtigsten Zutaten für einen informativen wie unterhaltsamen Bericht – das geht aber häufig auf Kosten der größeren Zusammenhänge, deren Darstellung für Leser wie Schreiber gleichermaßen schnell uninteressant werden kann.
Besonders deutlich zeigt sich dies in „jüngeren“ Formaten wie YouTube-Videos oder Posts in Sozialen Netzwerken. Der Grad an Sensationen und Anekdoten wird hier, wenn eine solche Verallgemeinerung erlaubt ist, stark nach oben gedreht. Kürze, Würze und (häufig überaus aufgezwungener) Humor sind es, die dem Streben nach Klicks, Likes und anderen Formen virtueller Anerkennung in den Sozialen Netzwerken entspringen. Einschlägige YouTube-Reihen über die Entwicklungsgeschichten bekannter Videospiele mögen durchaus gut gemacht sein, das steht außer Frage, und erreichen teilweise überwältigend hohe Aufrufzahlen. Aber diese meist doch zu sehr auf Unterhaltung getrimmten Videos dürfen nicht die einzige mediale Auseinandersetzung mit der Geschichte hinter Videospielen sein.
Formate wie die skizzierten beschränken sich allzu häufig auf die Wiedergabe allseits bekannter Fakten, auf ellenlange Auflistungen kleiner und kleinster Details oder sämtlicher Unterschiede zwischen früheren Versionen und der veröffentlichten Fassung eines Spiels. Dabei aber gerät das große Ganze aus den Augen. Im herkömmlichen Journalismus mag das Problem nicht derart ausgeprägt erscheinen, aber auch dort werden Themen normalerweise – der jeweiligen Zielgruppe, dem jeweiligen Fokus angepasst – stark selektiv behandelt. Einige große Formate bringen etwa nur dann Geschichten über Videospiele zu Papier, wenn sie selbst neues Wissen zutage fördern können, etwa durch eigene Interviews mit an der Entwicklung Beteiligten.
Damit kein falscher Eindruck entsteht: Das alles ist nicht zwangsläufig etwas Schlechtes. Diese Entwicklungen sind nun einmal der Natur der Medien geschuldet, die stets ihre Zielgruppe, ihre Adressaten und deren Interessen im Auge behalten müssen. Nur geraten dadurch ironischerweise die Themen an sich in den Hintergrund. Videospielgeschichtsschreibung müsste in einem viel größeren, breiteren Rahmen erfolgen.
Das Ideal
Zunächst einmal gibt es eher wenige Produzenten von Inhalten, die es sich zur Aufgabe machen, sämtliches Material über die Entstehung eines Spiels zu sammeln, zu sichten und in eine chronologische Ordnung zu bringen. Nötig wäre nicht nur die Sammlung einschlägiger Fakten, die dank allbekannter Plattformen schnell möglich ist, sondern die tiefgehende und kritische Auseinandersetzung mit Themen und ihre Einordnung in einen breiten Horizont. Einfacher und interessanter ist es meist stattdessen, einzelne herausragende Anekdoten auszubreiten. Aber so kann auf lange Sicht kein weiterführender und ernstzunehmender Diskurs über die Entwicklung von Videospielen entstehen.
Um etwas konkreter zu werden: Nötig wären quellenkritische Herangehensweisen. Zunächst einmal gilt es sich klarzumachen, dass man als Autor einer Reportage über die Entstehungsgeschichte eines Videospiels nicht etwa die Geschichte der Entstehung eines Videospiels nacherzählt; dies ist gar nicht möglich. Vielmehr versucht man vergangene Ereignisse – eben die Entwicklungsphase eines Spiels – zu rekonstruieren. Ein solches Vorgehen ist stets auf Quellen und deren Hermeneutik angewiesen. Ob Interviews, Bild- und Videomaterial aus früheren Versionen eines Spiels oder ungenutztes Material in den finalen Spieldateien – stets handelt es sich nicht einfach um faktische Informationen, die unreflektiert und bar jeder Hermeneutik übernommen werden könnten, sondern um Quellen, die kritischen Blickes untersucht, auf ihren Aussagegehalt hin geprüft und wie ein Stein eines Mosaiks in den gesamten Zusammenhang der zu rekonstruierenden Geschichte eingeordnet werden wollen.
Die Schwierigkeiten
Am deutlichsten lässt sich dies am Beispiel des Interviews veranschaulichen. Wenn ein Entwickler in einem Interview einen Schwank aus der Entwicklung zum Besten gibt, bestimmte Entscheidungen erklärt, die Anfänge eines Projekts schildert und so weiter, dann gilt nicht etwa, dass „das einfach so war“. So nützlich und aufschlussreich etwa für den Nintendo-Bereich die „Iwata fragt“-Interviews als Quelle sein mögen, so besteht die Schwierigkeit bei deren Verwendung doch darin, dass es sich in erster Linie um Marketing-Texte handelt, deren Aussagen man nicht unkritisch und ungefiltert übernehmen sollte. Bevor man solche und andere Interviewaussagen verwenden kann, wären strenggenommen immer zunächst quellenkritische Untersuchungen, wie in der Geschichtswissenschaft Usus, erforderlich.
Wer genau spricht in dem Interview? Ein berühmter Produzent stellt Dinge ganz anders dar als ein unbekannter Programmierer. Wer hat das Interview geführt und zu welchem Anlass? Ein Interview zur Vorstellung eines Spiels setzt ganz andere Schwerpunkte als eine retrospektive Besprechung. Damit hängt natürlich zusammen: Von wann stammt das Interview? Bei bekannten Retro-Spielen kommt es immerhin vor, dass Interviews aus der unmittelbaren Zeit der Veröffentlichung ebenso vorliegen wie aktuelle, und diese müssen nicht immer in Details und Duktus übereinstimmen. Wo wurde das Interview veröffentlicht? Ein offizielles Nintendo-Magazin stellt zweifelsohne andere Fragen als ein plattformunabhängiges Medium, das wiederum deutlich andere Schwerpunkte setzt als Formate, die nicht im Bereich der Videospiele beheimatet sind.
Über solche Dinge müsste man sich und seinen Lesenden eigentlich Rechenschaft ablegen, bevor man Interviews als Quelle heranziehen kann. Dann erst steht man vor der nicht einfachen Aufgabe der Kontextualisierung. Schließlich sind Angaben aus Interviews selten chronologische Berichte über die Entstehung eines Spiels, und neutrale Reporte sind sie schon gar nicht. Zieht man unterschiedliche Quellen heran, so gerät man unweigerlich irgendwann in erhebliche Widersprüche, seien sie inhaltlicher Natur, seien sie den Ablauf der Ereignisse betreffend. Dieses Problem lässt sich in der eingangs pauschalisiert skizzierten Praxis des Spielejournalismus einfach lösen: Wer Fakten ohne Anspruch auf logische Reihenfolge und sinnvollen Zusammenhang aneinanderreiht, muss sich ja gar nicht damit auseinandersetzen, wie unterschiedliche oder auf den ersten Blick nicht zusammenpassende Aussagen zueinander in eine Relation zu bringen sind.
Wissenschaftliche Ansprüche
Wenn wir schon von quellenkritischen Notwendigkeiten und anderen komplizierten „Eigentlichs“ sprechen, dann dürfen wir eine noch basalere Ebene nicht vergessen: Den Bereich der Textsicherung und Textkritik. Eigentlich müssten fremdsprachige Quellen, bevor sie in einem anderen sprachlichen Kontext verwendet werden können, zunächst in die eigene Sprache übersetzt werden. So wie jeder Bibelwissenschaftler für eine wissenschaftliche Arbeit die jeweilige Perikope selbst aus dem Griechischen oder Hebräischen übersetzen sollte, anstelle einfach eine übliche Bibelübersetzung zu übernehmen, müsste der Videospielgeschichtsschreiber beispielsweise ein „Iwata fragt“-Interview zunächst selbst aus dem Japanischen übersetzen, anstelle auf die oft nicht sehr exakten Übersetzungen erst aus dem Japanischen ins Englische und dann aus dem Englischen ins Deutsche zurückzugreifen.
Das ist ohnehin ein großes Problem im Bereich Nintendo: Interviews in japanischer Sprache. Mit shmuplations.com ist uns nur eine einzige Website bekannt, die japanische Entwicklerinterviews in breitem Umfang und mit brauchbarer Qualität ins Englische überträgt. Daneben gibt es durchaus weitere Seiten, die Entwicklerinterviews sammeln und zusammenstellen. Auch sie sind für die Arbeit an der Geschichte hinter Videospielen ein wertvoller Fundus. Das Sammeln, Übersetzen und Bereitstellen von Quellentexten, wie es zur Grundlagenforschung der Geschichtswissenschaft gehört, ist im Bereich der Videospiele insgesamt aber de facto noch gar nicht systematisch erfolgt. Schließlich handelt es sich dabei auch um alles andere als eine sonderlich dankenswerte Aufgabe, geschweige denn um eine, die in der heutigen schnelllebigen Internetwelt den ihr zustehenden Respekt erhalten würde.
Dabei wären diese Maßnahmen durchaus notwendig, um eine bessere Nachprüfbarkeit von Aussagen zu gewährleisten (und gerade Nachprüfbarkeit ist ja Kriterium von Wissenschaftlichkeit). In journalistischen Reportagen sind Quellenangaben selten. Das aber macht es problematisch, andere journalistische Texte wiederum als Quellen für eigene Texte zu verwenden, wie es für manche Schwerpunktsetzungen unvermeidbar ist. Ein häufiges Phänomen im Videospieljournalismus ist daher, dass sich bei einschlägigen Fakten, die immer wieder verbreitet werden, bei einer genaueren Nachprüfung mitunter ein anderes inhaltliches Bild ergibt. Dies gilt unter der Bedingung, dass es überhaupt zu einer Nachprüfung kommen kann, denn die genannten Gründe erschweren dem kritischen Schreiber die nachprüfende Recherche arg. Hinzu kommt die Unübersichtlichkeit und Schnelllebigkeit des World Wide Web. Wer meint, das Internet vergesse nicht, der hat nie versucht, mit zwanzig Jahre alten Websites zu arbeiten. Dagegen bleiben Bücher über Jahrhunderte erhalten.
Ein neuer Diskursrahmen
Bevor wir uns jetzt aber allzu sehr in quellenkritischen und wissenschaftstheoretischen Überlegungen verzetteln, wollen wir uns doch auf den Boden der Tatsachen zurückbegeben. Der Einwand liegt auf der Hand: Warum sollte man sich all diese Mühen machen, wenn man doch bloß einen informativen und im besten Falle zugleich unterhaltsamen Artikel über eines der beliebtesten Hobbys der heutigen Zeit schreiben möchte? Bereits dieser reflexive Artikel weist allein bis zu diesem Punkt einen größeren Umfang auf als die meisten Videospiel-Reportagen. Das Verhältnis zwischen Aufwand und Zweck scheint nicht angemessen zu sein.
Zweifelsohne: Der Videospieljournalismus kann die aufgezeigten Notwendigkeiten sicherlich nicht erfüllen, er ist dazu nicht der richtige Ort. Wie eingangs geschrieben, ist er aber der primäre Ort des Schreibens über die Entwicklung von Videospielen. Es gilt also, einen neuen Raum zu erschließen, nämlich den des wissenschaftlichen Diskurses. Die Entstehung von konkreten Videospielen müsste zu einem Gebiet akademischer Forschung avancieren, damit das Thema die ihm angemessene Aufmerksamkeit erlangt. Nur so könnte die Geschichte hinter bekannten Spielen möglichst objektiv und breit angelegt geschrieben werden.
Nun ist der große Bereich der interaktiven Unterhaltungselektronik schon seit einigen Jahren ein eigenes Forschungsgebiet. Im Vergleich zu anderen Wissenschaften, die – je nachdem, welches Verständnis des Wissenschaftsbegriffs man zugrunde legt – auf eine Geschichte von Jahrhunderten oder gar Jahrtausenden zurückblicken können, steckt die Erforschung von Videospielen aber gerade erst in ihren Kinderschuhen. Man neigt ja ohnehin dazu, zu übersehen, wie jung Videospiele als Medium überhaupt sind, blicken sie doch gerade erst auf ein halbes Jahrhundert Geschichte zurück. Nur zum Vergleich: In der Kirchengeschichtswissenschaft ist die Zeit seit den 1960er-Jahren die allerjüngste, die zeitgeschichtliche Epoche.
Die Wissenschaft der Videospiele
Es besteht bereits ein akademisches Interesse an Videospielen, es wird unter die Disziplin der Ludologie (Lehre vom Spielen) subsumiert und ist vor allem im angelsächsischen Raum relativ verbreitet. Doch ihrem momentanen Status entsprechend, befasst sich die videospielorientierte Ludologie hauptsächlich mit grundlegenden Fragen. Themen wie die Definitionen zentraler Begrifflichkeiten, die Bedeutung virtueller Welten oder Videospiele als Ausdruck von Kunst und Kultur vermögen einen Eindruck davon zu gewähren. Ein großer Schwerpunkt liegt natürlich auf der praktischen Gestaltung von Videospielen, was zentral für die universitäre Lehre ist. Dass es überhaupt an manchen Universitäten und Hochschulen möglich ist, Game-Design zu studieren, ist bereits ein riesiger Fortschritt.
Auch die Geschichte digitaler Spiele kommt langsam in der universitären Forschung und Lehre an. Dass jedoch, worum sich die vorliegenden Überlegungen ja drehen, die Entstehung, die Genese einzelner bedeutender Werke der Spielegeschichte erforscht würde – so weit ist die Forschung noch nicht vorgerückt. In den Literaturwissenschaften ist die Entstehung bedeutender Werke ein wichtiges Thema, in der Bibelwissenschaft lassen sich gar ganze Regelmeter mit wissenschaftlicher Literatur über die Entstehung einzelner biblischer Bücher füllen. Warum also sollte nicht auch die Entwicklung einzelner Werke der Videospielindustrie ein Thema sein, mit dem sich Gelehrte diskursiv auseinandersetzen?
Historische Ludologie als Desiderat
Eine Art historische Ludologie müsste stark gemacht, mehr noch, überhaupt etabliert werden. Ein solcher eigener Forschungszweig für die Entstehung einzelner Videospiele böte den notwendigen Raum zur angemessenen Entfaltung der Geschichten hinter konkreten Spielen. Ein derartiges Forschungsgebiet wäre nicht nur aus sich selbst heraus, also aus dem Interesse an der Entstehung wichtiger Spiele, von Bedeutung. Wenn wir die Entstehungsprozesse exemplarischer Videospiele besser verstehen, kann dies dazu beitragen, einen besseren Einblick in die gesamte Spieleentwicklung und die damit verbundene Industrie zu erhalten. Arbeitsprozesse könnten durch dieses Wissen optimiert werden. Die ganze Spieleindustrie würde von einer solchen Forschung profitieren, und dadurch natürlich auch wir Spieler.
Zudem würde ein solches Forschungsgebiet helfen, den Status von Videospielen als vollständig anerkannte kulturelle Ausdrucksform zu unterstreichen. Denn wenn die Geschichte einzelner Vertreter eines Mediums Thema akademischer Forschung sein kann, wie es unlängst in der Literatur- oder der Medienwissenschaft der Fall ist, spätestens dann ist das jeweilige Medium als Kulturgut universell und unbestreitbar anerkannt. Darüber hinaus stößt die Entstehungsgeschichte einzelner Videospiele im Gegensatz manchen anderen Forschungsgebieten der Ludologie ja durchaus auf großes Interesse in der Gemeinde der Videospieler, wie die vielen Reportagen, Videos und sonstigen Veröffentlichungen über diese Themen zeigen, über die wir in diesem Text schon viel geschrieben haben.
Die Schattenseiten
Es bestünden für eine historische Ludologie also durchaus breite Rezeptionsmöglichkeiten. Dennoch sollte man sich nicht selbst täuschen: Bis die Ergebnisse wissenschaftlicher Forschung ins allgemeine Bewusstsein durchdringen, vergehen viele Jahre, je nach Disziplin teils viele Jahrzehnte, es ist ein sehr langatmiger Prozess. Das Wissen, das eine solche wissenschaftliche Auseinandersetzung generieren würde, könnte also nur sehr langsam an ein breiteres Publikum dringen.
Genau so ergeht es schon jetzt solchen Veröffentlichungen, die dem hier skizzierten Gebiet einer historischen Ludologie bereits nahekommen. Als Beispiel sei William Audureaus „The History of Mario: 1981–1991: The rise of an icon, from myths to reality“ genannt. Auch wenn das Buch weder in einem wissenschaftlichen Kontext entstanden ist noch von einem wissenschaftlichen Verlag veröffentlicht wurde, befasst es sich durchaus in wissenschaftlicher – das heißt in diskursiver und nachprüfbarer – Weise mit der Entstehungs- und Rezeptionsgeschichte der frühen „Super Mario“-Spiele. Jedoch ist das Buch in einem kleinen Verlag erschienen, der nicht den seriösesten Eindruck erweckt, und war auf nur 500 Exemplare begrenzt – eine Auflagengröße übrigens, wie sie für den Buchmarkt wissenschaftlicher Spezialliteratur üblich ist.
So interessant und gut gemacht Audureaus Studie sein mag – sogar mit Fußnoten im wissenschaftlichen Sinne wurde gearbeitet –, so wenig Verbreitung und Beachtung hat das Buch gefunden. Inzwischen ist es weder über den Verlag noch über den gängigen Onlinehandel erhältlich. Das ist äußerst schade, zugleich aber symptomatisch für diese Art der Auseinandersetzung mit einem eigentlich überaus beliebten Thema: Ihr eignet nur eine begrenzte Zugänglichkeit und Erreichbarkeit für eine breitere Zielgruppe. Schließlich ist der populäre Diskurs über Videospiele ziemlich eindeutig von ästhetischen und qualitativen Gesichtspunkten dominiert, und das bereits seit Jahrzehnten.
Eigenverortung von „Inside Nintendo“
Wenn man all dies berücksichtigt, dann scheinen die Chancen für eine historische Ludologie zumindest für die absehbare Zukunft wohl doch eher gering zu sein. Dieses Urteil festigt sich dann, wenn man sich einmal bewusst macht, wie langsam die Mühlen gerade der geisteswissenschaftlichen Forschung eigentlich mahlen. Aber ein erster guter Schritt wäre getan, wenn sich Videospieljournalisten, die sich die Geschichten hinter Videospielen zusammenzutragen vornehmen, ein wenig mehr nach wissenschaftlichen Kriterien vorgehen würden. Leider ist in den letzten Jahren gerade der gegenteilige Trend zu beobachten, wie wir hier zur Genüge beklagt haben.
Wie nun lässt sich unsere Reportagereihe „Inside Nintendo“, die sich ja gerade der Entstehung einzelner Nintendo-Spielen verschrieben hat, verorten? Natürlich kann und möchte auch sie keinen Anspruch auf wissenschaftliches Vorgehen erheben. Aus Gründen des Umfangs kann kaum derart tief in die Materie eingestiegen werden, wie es häufig wünschenswert wäre. Es kann jeweils also nur ein Überblick über die Entwicklungsgeschichte eines Spiels gegeben werden. Dabei sind wir stets bemüht, alle vorhandenen Quellen zu sichten und auszuwerten, auch die häufig wiederholten Informationen kritisch nachzuprüfen, alles in einen chronologischen Zusammenhang und allgemeinverständlich zum Ausdruck zu bringen. Zumindest teilweise wollen wir dem eigenen Anspruch genügen.
Da wir keinen direkten Kontakt zu Nintendo-Entwicklern haben, kann „Inside Nintendo“ nicht selbst neues Wissen in Form neuer Quellen generieren. Dafür versuchen wir, durch gründliche Recherche neue oder zumindest wenig bekannte Fakten aufzudecken und verbreitete Irrtümer zu beseitigen. Durch eigene Überlegungen entsteht häufig auch ein neuartiger Blick auf ein Thema. Aber in erster Linie geht es uns darum, die unzähligen interessanten und faszinierenden Geschichten hinter der Entstehung von Nintendo-Spielen zu erzählen. Daran haben wir während des Schreibens der Reportagen Freude, das bereitet uns Spaß – und Freude und Spaß empfinden hoffentlich auch unsere Leser.
Und natürlich sind auch andere Herangehensweisen, die wir hier teilweise hart kritisiert haben, absolut legitim. Schließlich weiß bereits die Bibel: „Sich daranzumachen, überlieferte Nachrichten eindringlich und kritisch zu beurteilen und bis ins Einzelne genau zu untersuchen, ist Sache des Geschichtsschreibers. Wer aber nur nacherzählen will, darf die Darstellung straffen, auch wenn die genaue Ausarbeitung nach den Regeln der Geschichtsschreibung dabei zu kurz kommt“ (2 Makk 2,30f.).
Zuletzt: Sollte jemand diesen essayistischen Artikel tatsächlich von vorn bis hinten gelesen haben, so sei er beglückwünscht. Dieser Text ist ein gutes Beispiel dafür, wie journalistische Texte gerade nicht auf viel Aufmerksamkeit stoßen. Aber manche Themen lassen sich in einem anderen Rahmen einfach nicht ihrer Sache angemessen behandeln.
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