Inside Nintendo 169: Wo die Musik spielt: Eine kleine Geschichte der Nintendo-Videospielmusik

Die inhaltliche und emotionale Aussagekraft eines Films kommt zu einem nicht zu unterschätzenden Teil durch seine Musik zustande – eine Beobachtung, die trotz grundlegender Unterschiede zwischen den Medien auch auf Videospiele übertragbar ist. Auch der Musik eines Spiels eignet ein gewisser Repräsentationscharakter, dem, wenn auch unterschwelliger, vielleicht eine ähnliche Bedeutung wie der Grafik zukommt. Denn wer an „Super Mario“, „The Legend of Zelda“ oder „Tetris“ denkt, hat nicht zuletzt die Titelmusik dieser Spiele im Kopf. Bedingt durch die technische Entwicklung hat sich in den letzten vier Dekaden viel in der Videospielmusik verändert. Dieser Geschichte gehen wir nun paradigmatisch für Nintendo nach.

Der Fokus auf Nintendo verdankt sich nicht allein der Tatsache, dass dieser Text Teil einer Nintendo-Reportagereihe auf einer Nintendo-Website ist. Vielmehr wird die Spielmusik des japanischen Konzerns schon seit Langem als eine der besten der ganzen Videospielindustrie angesehen. Aus Gründen des Umfang, der Kontinuität und der beispielhaften Aussagekraft legen sich jedoch weitere Eingrenzungen nahe. Daher werden wir uns im Folgenden hauptsächlich auf Nintendos traditionsreiche Hauptspieleabteilung EAD (seit 2015 EPD) und ihre größten Spielereihen konzentrieren. Wo es geboten scheint, werden wir selbstverständlich unseren Blick weiten. Wohlan nun – lasst uns der Musik lauschen!

Arcade: Die ersten Schritte

In der Frühzeit der Videospiele gab es noch nicht viel zu hören, da stellt Nintendo natürlich keine Ausnahme dar. Die ersten Konsolen und Arcadespiele aus dem Hause Nintendo seit 1977 hatten höchstens rudimentäre Toneffekte, nichts aber, dem die Bezeichnung „Musik“ gerecht würde. Die Color-TV-Game-Konsolen geben ihren Ton nicht einmal über den Fernseher, sondern über integrierte Geräuscherzeuger wie bei Weckern oder Eieruhren aus. Auch das Piepsen der 1980 eingeführten LCD-Handhelds Game & Watch befindet sich noch auf dem akustischen Stand der späten ersten Konsolengeneration.

In den Arcadehallen war die Technik inzwischen schon etwas weiter. 1981 erklangen in „Donkey Kong“, Nintendos größtem Erfolg jener Zeit, schon kurze Jingles und Hintergrundmelodien, auch wenn diese nicht mehr waren als drei beziehungsweise vier Töne in Dauerschleife. Besonders die Toneffekte wie Jumpmans Laufgeräusche muten heute seltsam an, waren damals aber so üblich. Bemerkenswert: Eigentlich sollte Paulines Hilfeschrei hörbar sein – die noch im Spielcode vorhandenen Klangdaten sind das früheste Beispiel für Sprachausgabe in einem Nintendo-Spiel.

Die ersten Spiele für das 1983 veröffentlichte Famicom reizen die Fähigkeiten des Tonprozessors der 8-Bit-Konsole nicht annähernd aus, handelte es sich doch um einfache Portierungen von Nintendos Arcadespielen. In „Mario Bros.“ (1983) tritt ein Phänomen an den Tag, das uns in Nintendos Spielemusik der 1980er-Jahre mehrfach begegnet: Die Verwendung lizenzfreier klassischer Musik, hier ein kurzer Ausschnitt aus Mozarts „Kleiner Nachtmusik“. Nintendos wichtigste Komponisten – damals eher noch Tontechniker – dieser frühen 8-Bit-Spiele waren Yukio Kaneoka und Hirokazu Tanaka, welch letzterer auch für die Soundprozessoren von Famicom/NES und Game Boy zuständig war.

Links: Yukio Kaneoka war unter anderem für die Hintergrundmusik aus „Donkey Kong“, „Donkey Kong jr.“ und „Mario Bros.“ zuständig. Nachdem er 1990 als Tontechniker an „F-Zero“ mitgewirkt hatte, verliert sich seine Spur. Dieses einzige bekannte Foto von ihm stammt aus dem Jahr 1985. Rechts: Hirokazu Tanaka, hier anno 2016, war viele Jahre als Nintendo-Komponist aktiv, fungierte 1998 als Chefentwickler der „Game Boy Camera“ und verdingt sich seit einiger Zeit als Präsident von Creatures Inc. und Chiptune-Künstler.

NES: Die goldene 8-Bit-Ära

Auch Famicom-Spiele der zweiten Genration ab 1984 wie „Devil World“, „Excitebike“ oder „Ice Climber“ waren musikalisch noch sehr simpel gestrickt. Wo es überhaupt eine Hintergrundmusik und nicht nur durchgehende Toneffekte gab, da war diese unspektakulär und kurz. Einen Meilenstein stellte 1985 „Super Mario Bros.“ dar, in dem erstmals der Bildschirmhintergrund nicht einfach schwarz war und erstmals komplexere Musikstücke zu hören waren. Was Nintendo-Musiklegende Koji Kondo hier über die Lautsprecher ertönen ließ, sollte zum berühmtesten Stück Videospielmusik aller Zeiten avancieren. Ein Jahr später schrieb Kondo die nicht minder maßgebliche Musik von „The Legend of Zelda“.

Diese Spiele nutzen den Rauschkanal der 8-Bit-Konsole für eine rudimentäre Perkussion, die in älteren NES-Spielen kaum genutzt worden war. Der NES-Ton-Prozessor arbeitet nämlich mit fünf Kanälen – üblicherweise wird einer für die Melodie, einer für die Begleitung, einer für Basstöne und einer für Rauscherzeugung genutzt, der fünfte Kanal für Samples findet gerade in frühen Spielen nur selten Verwendung. Die Grundstruktur der ersten drei Kanäle erinnert zumindest ein wenig an jene einer Orgel, an der der Organist mit den Pedalen gleichsam als dritte Stimme Basstöne spielt. Auch die Möglichkeit verschiedener Klangfarben erinnert an die Register einer Orgel – dass Kondo als Kind an einer Heimorgel zu spielen gelernt hat, war ihm darum später sicher eine große Hilfe!

Der durch die 8-Bit-Architektur bedingte synthetische Klang ist mit keinem analogen Instrument vergleichbar, auch wenn manche Klangfarben und Samples echte Instrumente grob nachzuahmen vermögen. Gerade dieser spezifische 8-Bit-Klang hat seit den 1980er-Jahren das Image von Videospielen enorm geprägt. Damals als piepsiges Gedudel verachtet, hat sich unlängst eine gewisse Wertschätzung für 8-Bit-Musik breitgemacht, die unter der Bezeichnung „Chiptune“ auch außerhalb der Spielewelt angekommen ist.

Die Musik des NES als späterer Videospielmusik unterlegen einzustufen, wie es sehr häufig geschieht, wird der Sache nicht gerecht. Vielmehr handelt es sich um eine genuine Musikform mit eigenem künstlerischen Wert. Auf dem NES stehen für Musik und Soundeffekte ja nur fünf Kanäle auf einmal zur Verfügung, sodass höchstens fünf Töne gleichzeitig möglich sind, und mit den nur zwei Melodiestimmen lassen sich keine vollständigen Akkorde bilden, was zum rauen Klangcharakter beiträgt. Wegen dieser ihrer Beschränkungen ist 8-Bit-Musik auf ausdrucksstarke, eingängige Melodien angewiesen. Das Paradoxon, dass Einschränkungen künstlerische Kreativität oft beflügeln, trifft gerade hier zu. Aufgrund der simplen Struktur lässt sich 8-Bit-Musik außerdem recht gut transkribieren und auf Klavier – und gerade Orgel! – nachspielen.

Die zweite Hälfte der 1980er-Jahre lässt sich als goldene Ära dieser schlechthinnigen Art von Videospielmusik betiteln. Wie das Potenzial im Laufe der Jahre immer weiter ausgeschöpft wurde, lässt sich schon an den Kondo-Soundtracks der drei „Super Mario Bros.“-Spiele nachvollziehen, bis hin zu vielfältiger Perkussion im dritten Teil. 1994 kann dann ein „Kirby's Adventure“ alles aus dem Tonprozessor rausholen. Eine ähnliche Entwicklung erfolgte auch auf dem Game Boy, dessen Musik strukturell sehr ähnlich daherkommt. Man vergleiche die technisch simplen und bezüglich des Umfangs überschaubaren Melodien eines „Super Mario Land“ (1989) mit den für 8-Bit-Verhältnisse beeindruckenden Soundtracks von „Link's Awakening“ (1993) oder „Pokémon“ (1996)!

Als Komponist von „Super Mario“ und „The Legend of Zelda“ gilt Koji Kondo als einer der bedeutendsten Videospielkomponisten. Er arbeitet bis heute bei Nintendo, komponiert seit einigen Jahren aber nur noch selten. Dieses Bild zeigt ihn im Juli 1989 in seinem Tonstudio.

SNES: Erweiterte Möglichkeiten

Der Übergang von 8-Bit- zu 16-Bit-Konsolen machte sich nicht nur in der stark weiterentwickelten Grafikleistung bemerkbar, auch der Ton brachte vielfältigere Möglichkeiten mit sich. Diese führte Koji Kondo eindrücklich im SNES-Launchspiel „Super Mario World“ vor: Erstmals erlaubte ihm eine Spielekonsole, Töne zu erzeugen, die wie richtige Musikinstrumente klingen! So sind in der Hauptmusik des Spiels vielfältige Instrumente wie Banjo oder Steel Drum zu vernehmen, die Kondo zu einzigartigen Klängen zusammenstellte. Auch ließen sich Charakteristika verschiedener Musikgenres recht authentisch nachbilden, wie etwa Ragtime im Athletic-Theme.

Aus technischer Sicht besteht bei der Musik des SNES eine starke Kontinuität zu jener des NES, aber die stark vermehrten Möglichkeiten machen den Unterschied aus: Statt Dreieck- und Viereckwellen sowie Rauschen steht eine riesige Anzahl „feinerer“ Klänge zur Verfügung, sodass der typische, mit dem Begriff „MIDI“ assoziierte Toncharakter entsteht. Darüber hinaus potenzierte eine erhöhte Anzahl an Tonkanälen die Möglichkeiten noch einmal; der Komponist hatte nun etwa die Freiheit, einen ganzen Kanal ausschließlich für Toneffekte zu reservieren, sodass die für 8-Bit-Spiele noch so typische Ausblendung einer Musikstimme für die Erzeugung eines Soundeffektes auf dem SNES deutlich seltener zu beobachten ist.

In „The Legend of Zelda: A Link to the Past“ ließ Kondo 1992 sogar in zahlreichen Stücken ein regelrechtes MIDI-Orchester erklingen – schon damals bestand eine starke Tendenz, sich typischer Filmmusik anzunähern. Angesichts dessen ist zu konstatieren, dass 8-Bit-Videospielmusik mit ihren stärkeren Limitierungen einen eigenständigeren Charakter aufweist. Freilich ist nicht zu leugnen, dass die MIDI-Musik rein klanglich weitaus angenehmer für die Ohren ist. Dies sowie die Ambition des Videospiels der frühen 1990er-Jahre, sich als ernstzunehmendes Kulturangebot und Kunstgattung zu etablieren, mag erklären, warum auf dem SNES nur sehr selten 8-Bit-Musik zu hören war, zu dessen Generierung das Gerät natürlich auch in der Lage war.

Weitere musikalische Nintendo-Highlights dieser Zeit waren „F-Zero“ (1990), „Donkey Kong Country“ (1994), „Yoshi's Island“ (1995) sowie „Super Metroid“ (1994), das nicht nur durch einen bis heute äußerst atmosphärischen Soundtrack glänzt, sondern auch mit einer kurzen Sprachausgabe-Sequenz zu Beginn für Aufmerksamkeit sorgt. Bereits auf 8-Bit-Konsolen war durch den Samplekanal synthetische Sprachausgabe möglich, wegen des hohen Aufwands und Speicherbedarfs aber nur äußerst selten angewandt. Übrigens sollte es, bis 16-Bit-Musik auch auf einem Nintendo-Handheld erklingen konnte, noch bis zur Markteinführung des Game Boy Advance 2001 dauern.

Charles Martinet, hier 2018, spricht Mario nicht erst seit „Super Mario 64“ – bereits zuvor hatte er Nintendos Maskottchen seine Stimme geliehen, 1996 wurde er aber einem breiteren Publikum bekannt. Auch viele andere Charaktere aus dem „Mario“-Universum vertont er seither, etwa Luigi oder Wario, und trat auch abseits dessen als Synchronsprecher für Videospiele sowie Film- und Fernsehschauspieler in Erscheinung. Außerdem ist der 1955 geborene Amerikaner Stammgast auf der Gamescom (Foto: Wikimedia Commons).

N64: Nur der Speicher ist das Limit

Den nächsten großen Schritt in der Geschichte der Nintendo-Videospielmusik stellt das 1996 veröffentlichte N64 war. Hier war nun eine solche Klang-Bandbreite und Dynamik möglich, dass Videospielmusik erstmals nicht notwendig nach Videospielmusik klingen musste. Die Akustik interaktiver Unterhaltungssoftware wurde immer atmosphärischer und immer dynamischer und nahm immer größere Anleihen an Filmmusik – dies übrigens inzwischen oft auf subtilere Weise, als einfach Standard-Orchester-Sound zu imitieren.

Der große Nachteil dieser Entwicklung war, dass Spielemusik immer weniger von ihrer Melodie lebte und ihre Einprägsamkeit einbüßte. Natürlich gilt dies nicht für alle Spiele – Kondos fantastischer Soundtrack zu „Super Mario 64“ (1996) ist ein naheliegendes Gegenbeispiel. Ebenfalls aus Kondos Feder, war die Musik zu „Ocarina of Time“ (1998) ebenso ein Meilenstein wie nahezu alle anderen Aspekte des Spiels. Hier gaben sich eingängige Ohrwürmer und ungemein atmosphärische Stücke die Klinke in die Hand. Ähnliches gilt natürlich auch für den Nachfolger „Majora's Mask“ (2000), den letzten von Kondo allein verfassten Soundtrack. In „F-Zero X“ wagte sich Nintendo 1998 sogar an Rock- und Metalmusik, die sonst für die Musik von Big N sehr ungewöhnlich ist.

Ein weiterer wichtiger Meilenstein: Mit „Super Mario 64“ erhielt Nintendos Maskottchen eine Stimme, denn Sprachausgabe in Videospielen wurde endlich salonfähig! Dass diese nur spärlich eingesetzt wurde und sich meist nur auf Ausrufe beschränkt, war für Nintendo (anders als in späteren Zeiten) weniger eine künstlerische Entscheidung als ein technischer Zwang: Die im Vergleich zu CDs sehr niedrige Speicherkapazität der N64-Module setzte dem Ton ebenso wie der Grafik enge Grenzen. Oft wird gefragt, welchen Einfluss Nintendos Wahl des Mediums auf die Grafik und die Beziehung zu den Drittherstellern hatte – aber auch Musik und Sound auf dem N64 sind dadurch geprägt worden!

Das Oberwelt-Thema aus „The Legend of Zelda: Twilight Princess“ ist ein Beispiel für wenig authentischen Synthesizer-Orchester-Klang. Erst wenig später konnte sich Nintendo zur Einbindung von Live-Aufnahmen überwinden. Leider wurde auch für das HD-Remaster von 2016 keine Überarbeitung der Musik vorgenommen. Seit einigen Jahren verzichtet Nintendo bei Remakes unter Berufung auf das originale Spielgefühl auf Veränderungen an der Musik.

GameCube: Stillstand bedeutet Rückschritt

Auf dem GameCube waren der Kreativität von Nintendos Tonteam so gut wie keine Grenzen mehr gesetzt, denn spätestens jetzt wurden Musik und Sound nicht mehr in Echtzeit vom Tonprozessor generiert, sondern gestreamt. Es musste also nicht mehr jeder Ton einzeln in den Spielcode programmiert werden, sondern die Komponisten konnten fertige Klangdateien erstellen, die die Software dann nur noch abzuspielen hatte. Außerdem stellten Spielesoundtracks nun kein Ein-Mann-Projekt mehr dar, vielmehr war an den meisten neuen Nintendo-Spielen fortan ein ganzes Soundteam beteiligt. Mario-Maestro Kondo komponierte seitdem nur noch selten selber und trat eher als Leiter der Soundabteilung in Erscheinung. In die erste Reihe rückte nun eine neue Generation an Nintendo-Musikern.

Während Anfang der 2000er-Jahre immer mehr Spieleentwickler auf Livemusik setzten, widersetzte sich Nintendo diesem Trend konsequent. Das begründete der Konzern vor allem mit künstlerischen Argumenten: Gerne bringen die Nintendo-Komponisten Interaktivität in ihre Werke ein – etwa ein erhöhtes Musiktempo in den „Super Mario“-Spielen, wenn die Zeit abzulaufen droht, die Bongo-Tonspur für Yoshi in „Super Mario World“, die dynamische Oberwelt-Musik in „Ocarina of Time“ oder in diversen Spielen der Unterwasser-Soundfilter. Das sei mit Live-Aufnahmen kaum möglich.

Obwohl die Synthesizer-Klänge der GameCube-Zeit besser zum Medium Videospiel passen als cineastische Orchestermusik, ist diese Phase doch musikalisch eine der schwächsten der Nintendo-Musikgeschichte. Ob „Super Mario Sunshine“, „Zelda: The Wind Waker“ oder „Mario Kart: Double Dash!!“ – die Soundtracks dieser Spiele sind zweifelsohne alles andere als schlecht, ragen innerhalb ihrer jeweiligen Reihen aber auch nicht heraus. Größtenteils handelt es sich um klassische Spielemusik in einem modernen Gewande. Die Nintendo-typische Dynamik täuschte nicht über mangelnde Spektakularität hinweg. Das begann sich mit „Zelda: Twilight Princess“ jedoch zu wandeln, denn für die Musik zweier Trailer – und leider nur für diese – streckte Nintendo die Fühler in Richtung Live-Orchestermusik aus.

Am 23. August 2007 hat „irgendwo in Tokyo“ das „Mario Galaxy Orchestra“ die Hauptmusik zu „Super Mario Galaxy“, „Gusty Garden Galaxy“ aufgenommen. Dankenswerterweise hat Nintendo ein Video der Aufnahmen veröffentlicht, wie es der Konzern seither immer mal wieder für aufwändigere Soundtracks tat.

Wii: Fortschritt zum Orchester bei Besinnung auf die Tradition

Ansonsten ist „Twilight Princess“ als Ende der GameCube- und Beginn der Wii-Generation von Synthesizer-Musik geprägt, deren Klangqualität kaum noch zeitgemäß war. Auf der Handheld-Front sah es seit 2004 mit dem Nintendo DS sehr ähnlich aus. Doch dann erschien 2007 „Super Mario Galaxy“, dessen Soundtrack zu einem großen Teil von einem Orchester eingespielt wurde. Das war für Nintendo keine leichte Entscheidung, denn neben den kreativen Bedenken, die wir vorhin schon kurz angerissen haben, standen auch die hohen Kosten für ein Orchester im Raum. Einige der Stücke hatte Koji Kondo selbst komponiert, für den Rest aber war Mahito Yokota zuständig, der in den folgenden Jahren noch mehr orchestrale Musik für Nintendo erklingen ließ.

Das wahrhaft Meisterhafte an „Super Mario Galaxys“ Soundtrack ist aber weniger der satte Orchesterklang, der den Weiten des Weltalls würdevollen Ausdruck verschafft, als vielmehr die Tatsache, dass Yokota und Kondo trotz aller Widrigkeiten Musik geschaffen haben, die wie angegossen zu einem derart munteren Spiel wie einem „Mario“-Jump'n'Run passt. Die Orchester-Stücke sind trotz der unflexiblen Live-Aufnahmen genauso dynamisch und interaktiv, wie es Nintendo-Soundtracks seit eh und je sind, und zugleich anders als ein Großteil orchestraler Spiel- und Filmmusik sehr melodiebetont und eingängig. Nintendos mutiges Experiment, Videospielmusik mit einem Orchester aufzunehmen, ohne die eigene Videospielmusik-Tradition preiszugeben, war ein voller Erfolg.

Natürlich gibt es in „Super Mario Galaxy“ auch gewohnte Synthesizer-Musik. Das Orchester hat das Spiel musikalisch aber noch vielfältiger gemacht – und das sollte nun bei Nintendo Schule machen. Auch „Super Mario Galaxy 2“ (2010) und „Zelda: Skyward Sword“ (2011) machten extensiven Gebrauch von Orchestermusik, wobei die Entscheidung bei Letzterem erst recht spät im Entwicklungsprozess gefallen ist. Weitere Nintendo-Musik-Highlights dieser Zeit sind „Super Smash Bros. Brawl“ (2008) mit Hunderten von Originalstücken aus über 25 Jahren Nintendo-Videospielmusik und Arrangements aus der Feder aller japanischen Spielekomponisten mit Rang und Namen sowie „Xenoblade Chronicles“ (2010) als (nicht nur) musikalisches JRPG-Meisterwerk.

Die genannten Spiele der Wii-Generation stellen gewiss die Krönung der bisherigen Geschichte von Nintendos Videospielmusik dar, was sicher nicht zufällig damit korreliert, dass der Konzern damals musikalischen Fortschritt bei gleichzeitigem Beharren auf die eigene Tradition hervorbrachte. Nintendo war sich seines musikalischen Erbes immer mehr bewusst und zelebrierte dieses umfänglich bis hin zu – im Kontext der damals salonfähig werdenden Retro-Bewegung – einer Rehabilitierung von 8-Bit-Musikelementen, wie sie prominent etwa 2006 in der Hauptmelodie von „New Super Mario Bros.“ zu hören sind. 2008 erfüllten sich Nintendos Komponisten sogar einen großen Wunsch und reichten in „Wii Music“ den Taktstock an die Spieler weiter.

Eines von vielen musikalischen Highlights aus „Mario Kart 8“ ist die Musik der Strecke „Mute City“. Auch hierzu hat Nintendo ein faszinierendes Aufnahmevideo veröffentlicht, das die Zusammenarbeit von E-Gitarre und Saxophon in diesem Stück veranschaulicht.

Wii U: Mit Jazz und Rock auf dem Höhepunkt

Auf der Wii U behielt Nintendo alle bisherigen musikalischen Errungenschaften bei, erhöhte die Vielfalt aber noch weiter. Nachdem in „Super Mario Galaxy 2“ zwei Stücke von einer Bigband eingespielt worden waren, sollte Live-Jazzmusik für das nächste Heimkonsolen-„Mario“ ganz in den Mittelpunkt gerückt werden. „Super Mario 3D World“ (2013) bot mit Jazz-, Orchester-, Synthesizer- und ersten Anleihen an Rockmusik sowie diversen Remixes aus mehreren älteren „Mario“-Spielen wohl Nintendos bis dato vielseitigsten Soundtrack.

Wie unspektakulär angesichts dessen eine Beschränkung auf künstlich erzeugte Klänge anmutet, zeigt im Vergleich der Vorgänger „Super Mario 3D Land“ (3DS, 2011). Man muss aber dazusagen, dass die Qualität eines Soundtracks auch stark von der Klangqualität der verwendeten Samples abhängt – das zeigt etwa „Fire Emblem: Awakening“ (3DS, 2013), dessen Musik einem Orchester sehr ähnlich klingt, tatsächlich aber synthetisch erzeugt worden ist. Ebenfalls von überzeugender künstlerischer wie klanglicher Qualität, obwohl rein computergeneriert, ist die Musik von „Zelda: A Link Between Worlds“ (3DS, 2013) aus der Feder von Ryo Nagamatsu, der zu „Super Mario Galaxy 2“ bereits fulminante Orchesterstücke beigesteuert hatte.

Wo wir gerade beim 3DS sind, darf natürlich „Kid Icarus: Uprising“ (2013) nicht unerwähnt bleiben, das den wohl eindrucksvollsten und umfangreichsten Orchester-Soundtrack bietet, der je über die kleinen 3DS-Lautsprecher erschallte. Weder auf dem 3DS erschienen noch mit Orchestermusik versehen, aber musikalisch ebenfalls über alle Zweifel erhaben ist „Donkey Kong Country: Tropical Freeze“, mit dessen Soundtrack Rare-Musik-Altmeister David Wise nach mehreren ruhigeren Jahren einen modernen Klassiker schuf.

Jazz und „Mario Kart“, das scheint gut zusammenzupassen, und so wurde 2014 „Mario Kart 8“ – der Leser verzeihe die vielen inhaltlichen Superlative – zu einem musikalischen Meisterwerk, das Nintendo in den nächsten fünf Jahren nicht zu überbieten vermochte. Nirgendwo treffen alle Entwicklungslinien zu einem derart lebendigen und abwechslungsreichen und doch kohärenten Soundtrack zusammen wie hier. Mit der intensiven Einbindung von E-Gitarren setzt das Rennspiel zugleich für Nintendo neue musikalische Akzente. Diese mündeten 2015 in „Splatoon“, dessen Rock-Soundtrack ebenso erfrischend ist wie sein Shooter-Gameplay. Darüber hinaus sind zu erwähnen „Super Smash Bros. für Nintendo 3DS und Wii U“, gleichsam ein weiteres Best-of und Who-is-Who der Videospielmusik, sowie der Soundtrack von „Xenoblade Chronicles X“ aus der Feder von Anime-Komponist Hiroyuki Sawano.

https://www.youtube.com/watch?v=9QK7vpYgRKQ

Zu „Jump Up, Super Star!“ aus „Super Mario Odyssey“ hat Nintendo Ende 2017 sogar ein eigenes Musikvideo veröffentlicht. Song und Video wurden rasch ein riesiger Hit.

Switch: Zurückhaltende Vielfalt

Angesichts dieser Entwicklung – wobei der Begriff „Entwicklung“ hier keineswegs das Narrativ „von primitiver 8-Bit- zu cineastischer Orchestermusik“ bedienen soll, das selbst primitiven Charakters ist – muss die aktuelle Epoche in der Geschichte der Nintendo-Videospielmusik irritieren. Bereits das Hauptmenü der Switch ist das einzige einer Nintendo-Konsole, das ganz ohne musikalische Untermalung daherkommt. Ähnlich still ist auch der Titelbildschirm des Launch-Blockbusters „Zelda: Breath of the Wild“ (2017). Natürlich gibt es in Links Open-World-Epos richtige Musik auf die Ohren, durchaus auch einige Orchesterstücke. Doch der Großteil des Spiels kommt hinsichtlich der Musik eher minimalistisch daher. Die riesige Spielwelt verzichtet bis auf gelegentliches Klavier-Geklimper größtenteils auf Hintergrundmusik.

Auch „Super Mario Odyssey“ (2017) kennt ganze Gebiete ohne richtige Hintergrundmusik – das hat es so in der Geschichte der Nintendo-Videospielmusik seit den frühen 8-Bit-Spielen nicht gegeben. Ansonsten kommt der „Mario“-Hüpfer zwar mit gewohnt fröhlichen, eingängigen und abwechslungsreichen Stücken daher – mit „Jump Up, Super Star!“ gibt es sogar erstmals in einem Nintendo-EAD-Spiel ein gesungenes Lied –, insgesamt kann der Soundtrack aber nicht an die Höhen der vorherigen drei 3D-„Marios“ für Heimkonsolen anknüpfen.

Der Mut zu kompletter Stille in Nintendos jüngsten Flaggschiff-Titeln ist natürlich nur als bewusste Stilentscheidung verständlich und erhöht zusammen mit Nintendos erstem richtigen Spielesong die musikalische Vielfalt noch weiter. „Splatoon 2“ (2018) baut derweil weiter auf dem jugendlichen Band-Sound seines Vorgängers auf, während Monolith Soft in „Xenoblade Chronicles 2“ (2017) einmal mehr Ohrenschmaus an Ohrenschmaus bietet. Die jüngsten Musik-Highlights stellen „Super Smash Bros. Ultimate“ von Ende 2018, das wieder den Titel der umfangreichsten Videospielmusik-Anthologie für sich beanspruchen kann, sowie „Fire Emblem: Three Houses“ von Mitte 2019 dar.

2011 eröffnete Nintendo die eigene Pressekonferenz zur E3-Spielemesse gleich mit einem ganzen Orchester, das ein exklusives „Zelda“-Medley vorführte. Parallel zu „Skyward Sword“ veröffentlichte Nintendo dann eine ganze „Zelda“-Orchester-CD. Diese wiederum stieß auf so positive Resonanz, dass daraus die mehrjährige Konzerttour „The Legend of Zelda: Symphony of the Goddesses“ wurde.

Fazit: Musik im Spiel – Spiel in der Musik

Unterm Strich kann jede Epoche in unserer kleinen Geschichte der Nintendo-Videospielmusik, die wir hier parallel zu den jeweiligen Konsolengenerationen systematisiert haben, durch einen eigenen Klang und viele herausragende Soundtracks und umso mehr erinnerungswürdige Einzelstücke glänzen. Wenn Nintendo auch aufgrund der technischen Entwicklung wenigstens in den ersten zwei Jahrzehnten den gleichen Bedingungen unterlag wie der Rest der Videospielindustrie, bildeten die Komponisten und Musiker des Spieleherstellers doch einen ganz eigenen Stil aus, der sich insbesondere dadurch auszeichnet, dass er sich auf das Wesen von Videospielmusik besinnt und nicht einfach generisch Filmmusik imitiert.

Während Musik im Spiel also seit jeher ein wichtiges Anliegen für Nintendo ist, bringen die Japaner bevorzugt auch Spiel in die Musik – etwa in Form der spielbaren Musikinstrumente diverser „Zelda“-Teile. Da war „Wii Music“, auch wenn es viel Kritik über sich ergehen lassen musste, nur ein konsequenter Schritt. Unzählige unvergessliche Soundtracks hat der Konzern im Laufe der Jahrzehnte hervorgebracht, die Einfluss auf das gesamte Image des Mediums Videospiel genommen haben und mit denen Millionen von Spielern aufgewachsen sind und besondere Erinnerungen verbinden. Und diese Geschichte ist noch nicht zu Ende. In diesem Sinne: Play it loud!


Da Nintendo normalerweise keine Noten zu seiner Spielemusik veröffentlicht, ist es gar nicht so einfach, diese musikalisch genau nachzuvollziehen geschweige denn nachzuspielen. Die erste Anlaufstelle für Noten zu Musik aus Nintendo-Spielen ist NinSheetMusic, wo musikalische Fans bereits über 4000 Stücke transkribiert haben. Wer auf der Suche nach offiziell veröffentlichten Spielesoundtracks ist, wird bei VGMdb fündig.

Welches sind eure Nintendo-Lieblingssountracks und mit welchen Stücken verbindet ihr besondere Erinnerungen? Welche Ära der Videospielmusik-Geschichte ist euer Favorit?

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Bisher gibt es zehn Kommentare

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  • Avatar von Tobias
    Tobias 11.03.2020, 21:48
    Zitat Zitat von Minato Beitrag anzeigen
    Wie immer ein super Report! Man bemerkt einfach deine Freude am Schreiben beim Lesen so sehr. Ich freue mich auch immer wieder über deine Anekdoten oder Kommentare zu deinen Artikeln.
    Vielen Dank für die tolle Arbeit, behalte es bitte bei!

    Ps: Jetzt hast du mich heiß gemacht: Vielleicht kannst du mal ein Video posten, in dem du Orgel spielst bzw. eine Sounddatei, in der man das hört
    Vielen Dank!

    Schick gerne mal ne PN mit deiner Mailadresse, dann kann ich dir die Tage was zukommen lassen.

    Zitat Zitat von Tiago Beitrag anzeigen
    und dancing mad, was womöglich sogar etwas in der Richtung sein könnte, was du suchst.

    https://www.youtube.com/watch?v=JbXVNKtmWnc
    Das geht auf jeden Fall in die Richtung, kannte ich bislang noch gar nicht. Danke dafür!
  • Avatar von Minato
    Minato 10.03.2020, 17:21
    Wie immer ein super Report! Man bemerkt einfach deine Freude am Schreiben beim Lesen so sehr. Ich freue mich auch immer wieder über deine Anekdoten oder Kommentare zu deinen Artikeln.
    Vielen Dank für die tolle Arbeit, behalte es bitte bei!

    Ps: Jetzt hast du mich heiß gemacht: Vielleicht kannst du mal ein Video posten, in dem du Orgel spielst bzw. eine Sounddatei, in der man das hört
  • Avatar von Tiago
    Tiago 05.03.2020, 16:52
    Zitat Zitat von Tobias Beitrag anzeigen
    Außer vielleicht in Sachen der musikalischen Vorlieben, denn mit SNES-Musik bin ich nie so richtig warm geworden und präferiere eindeutig 8-Bit-Musik (von NES wie Game Boy). Kann aber auch einfach daran liegen, dass ich 8-Bit-Spielen meist auch einfach mehr abgewinnen kann als 16-Bit-Spielen.
    Bei mir spielt da sicherlich auch eine ganz besondere Nostalgie mit rein. Die SNES ist DIE Konsole meiner früheren Kindheit (neben dem Game Boy) und hat daher einfach einen besonderen Platz in meinem Herzen. Aber auch außerhalb der Musik finde ich, dass viele Nintendo-Ideen erst mit der Super Nintendo so richtig schön aufgeblüht sind.

    Da magst du Recht haben. Ich würde mit den Parallelen aber noch weitergehen: Bei der Orgel hat man anders als beim Klavier ja durchgehende Töne, eher geringe Möglichkeiten zur Lautstärkeregulierung und sowas ähnliches wie Register hat 8-Bit-Musik ja auch. Sicher ist 8-Bit-Musik nicht unbedingt von der Orgel inspiriert, aber meiner Meinung nach passt sie zu diesem Instrument wie zu keinem anderen. Wird mal Zeit, dass ich ein paar der Klassiker für die Orgel lerne

    Übrigens hab ich auch mal gesucht, ob ich irgendwelche besonderen Orgel-Tracks finde, aber bin kaum fündig geworden... das hier ist noch aufgepoppt:

    https://www.youtube.com/watch?v=XawAqOTqqrU

    und dancing mad, was womöglich sogar etwas in der Richtung sein könnte, was du suchst.

    https://www.youtube.com/watch?v=JbXVNKtmWnc
  • Avatar von Tobias
    Tobias 04.03.2020, 22:28
    Tiago, vielen Dank für deinen ausführlichen Beitrag. Sehr interessant, und ich stimme dir in den meisten Punkten zu. Außer vielleicht in Sachen der musikalischen Vorlieben, denn mit SNES-Musik bin ich nie so richtig warm geworden und präferiere eindeutig 8-Bit-Musik (von NES wie Game Boy). Kann aber auch einfach daran liegen, dass ich 8-Bit-Spielen meist auch einfach mehr abgewinnen kann als 16-Bit-Spielen. Du könntest mir nicht vielleicht mal deine Arbeit zukommen lassen? Alles, was mit Geschichte und Technik von Videospielmusik zu tun hat (und so seeeehr viel gibt's dazu leider gar nicht) lese ich immer sehr gerne mit großem Interesse!

    Zitat Zitat von Tiago Beitrag anzeigen
    Ich sehe die Parallelen, aber das Konzept von Lead-, Begleit- und Bassstimme, bzw. der verschiedene Klangfarben ist nicht exklusiv der Orgel zuzuordnen. Das behauptest du so zwar auch nicht, jedoch glaube ich, dass du als Organist da unter Umständen etwas "vorbelastet" bist und daher die Parallelen erkennst.
    Da magst du Recht haben. Ich würde mit den Parallelen aber noch weitergehen: Bei der Orgel hat man anders als beim Klavier ja durchgehende Töne, eher geringe Möglichkeiten zur Lautstärkeregulierung und sowas ähnliches wie Register hat 8-Bit-Musik ja auch. Sicher ist 8-Bit-Musik nicht unbedingt von der Orgel inspiriert, aber meiner Meinung nach passt sie zu diesem Instrument wie zu keinem anderen. Wird mal Zeit, dass ich ein paar der Klassiker für die Orgel lerne

    Zitat Zitat von Chrischii Beitrag anzeigen
    Meistens wird Orgelmusik bei Bosskämpfen / Endbossen in JRPGs genommen.
    Das mag sein, aber was mir jetzt spontan in den Sinn kommt, ist einfach dieser generische Orgelklang, der wenig mit der wirklichen musikalischen Bandbreite des Instruments zu tun hat. Bin aber gerne für Gegenbeispiele offen! Baten Kaitos hatte da ganz Interessantes:



    Mein persönliches Nintendo-Musik-Highlight bleibt übrigens (natürlich neben Donkey Kong Country: Tropical Freeze) Mario Kart 8. Hauptsächlich wegen der Musik kann ich's kaum erwarten, wann endlich mal ein Mario Kart 9 kommt. Hoffentlich nicht erst für den Switch-Nachfolger …
  • Avatar von Tiago
    Tiago 04.03.2020, 13:39
    Hallo Tobias, schöner Artikel! Habe damals ja meine Bachelorarbeit ebenfalls über Videospielmusik geschrieben und mich daher ein wenig ins Thema eingelesen. Wirklich spannend, was man dort zum Teil so entdeckt.

    Noch ein paar Gedanken dazu:

    Auch Famicom-Spiele der zweiten Genration ab 1984 wie „Devil World“, „Excitebike“ oder „Ice Climber“ waren musikalisch noch sehr simpel gestrickt. Wo es überhaupt eine Hintergrundmusik und nicht nur durchgehende Toneffekte gab, da war diese unspektakulär und kurz.
    Zumindest beim Ice Climbers-Blues muss ich widersprechen:

    https://www.youtube.com/watch?v=ay3yw6Xa24Q

    Der ist schon ziemlich cool und nicht allzu schlicht. Wobei man allerdings auch einräumen muss, dass dieser quasi in Dauerschleife läuft. ^^'

    Die Grundstruktur der ersten drei Kanäle erinnert zumindest ein wenig an jene einer Orgel, an der der Organist mit den Pedalen gleichsam als dritte Stimme Basstöne spielt. Auch die Möglichkeit verschiedener Klangfarben erinnert an die Register einer Orgel
    Ich sehe die Parallelen, aber das Konzept von Lead-, Begleit- und Bassstimme, bzw. der verschiedene Klangfarben ist nicht exklusiv der Orgel zuzuordnen. Das behauptest du so zwar auch nicht, jedoch glaube ich, dass du als Organist da unter Umständen etwas "vorbelastet" bist und daher die Parallelen erkennst.

    Die Musik des NES als späterer Videospielmusik unterlegen einzustufen, wie es sehr häufig geschieht, wird der Sache nicht gerecht. Vielmehr handelt es sich um eine genuine Musikform mit eigenem künstlerischen Wert.
    Sicherlich richtig, wenngleich die Komplexität definitiv eine andere ist. Viel spannender an früher Videospielmusik finde ich aber das hier:

    Auf dem NES stehen für Musik und Soundeffekte ja nur fünf Kanäle auf einmal zur Verfügung, sodass höchstens fünf Töne gleichzeitig möglich sind [...] Wegen dieser ihrer Beschränkungen ist 8-Bit-Musik auf ausdrucksstarke, eingängige Melodien angewiesen. Das Paradoxon, dass Einschränkungen künstlerische Kreativität oft beflügeln, trifft gerade hier zu.
    Videospielmusik war immer auch eine technische Herausforderung, die schon mit der PlayStation 1 nahezu ausgelöscht wurde. Das wirklich großartige an früher Videospielmusik ist, mit welch simplen Mitteln man es trotzdem geschafft hat, Ausdrucksstarke Melodien und Atmosphären zu erzeugen, wobei mir persönlich das NES da noch eine Spur ZU eingeschränkt ist und sich die Komponisten erst mit der Super Nintendo richtig einfinden. Die mit ganz großem Abstand beeindruckendste Leistung ist der Soundtrack von Donkey Kong Country. Das Ding so auf dem SNES zum Laufen zu bringen war ein gefühltes Ding der Unmöglichkeit.

    Was (du zwar erwähnt hast,)ich hier aber nochmal betonen möchte ist, dass die fünf Kanäle tatsächlich auch die Soundeffekte zuständig waren. Sprich: Jeder Sprung-Sound, jedes Piepsen einer Münze oder sonstwas musste im Zweifel auf Kosten der Musik zu hören sein. Deshalb wirkt es manchmal so, als hätten NES-Spiele kleine Soundaussetzer.

    mit den nur zwei Melodiestimmen lassen sich keine vollständigen Akkorde bilden, was zum rauen Klangcharakter beiträgt.
    Für die tongeschlechtsspezifische Terz reichen ja immerhin schon zwei Töne und den Basston gibts ja auch noch. Zumal man Tonarten ja auch sukzessiv klarmachen kann und nicht auf simultanen Klang angewiesen ist.

    Statt Dreieck- und Viereckwellen sowie Rauschen steht eine riesige Anzahl „feinerer“ Klänge zur Verfügung, sodass der typische, mit dem Begriff „MIDI“ assoziierte Toncharakter entsteht. [...] Freilich ist nicht zu leugnen, dass die MIDI-Musik rein klanglich weitaus angenehmer für die Ohren ist.
    Auch wenn du das hier recht differenziert schilderst, nochmal zur Klarheit: Midi ist kein "Klang" per Sé, sondern ein Übertragungsprotokoll für Steuersignale. Im Grunde wird damit nur übertragen wann und inwiefern ein Ton abgespielt werden soll, nicht aber wie der Ton selbst klingt. Das einfachste Beispiel ist wohl mit einem Keyboard zu erklären: Stellt euch vor ihr speichert eine bestimmte Tastenreihenfolge ein. Die gedrückten Tasten sind immer die selben, jedoch kann man verschiedene Sounds und Instrumente einstellen. So, bzw. so ähnlich, funktioniert Midi.


    Der große Nachteil dieser Entwicklung war, dass Spielemusik immer weniger von ihrer Melodie lebte und ihre Einprägsamkeit einbüßte.
    Bis heute meine mit Abstand größte Kritik an aktueller Videospielmusik!

    Oft wird gefragt, welchen Einfluss Nintendos Wahl des Mediums auf die Grafik und die Beziehung zu den Drittherstellern hatte – aber auch Musik und Sound auf dem N64 sind dadurch geprägt worden!
    Das ist tatsächlich ein gewaltiger Aspekt der PS1 gewesen, denn die konnte tatsächlich Tonqualität auf CD-Niveau abspielen. Das war bis dato völlig neu. Die Faszination dessen zeigt sich zum Beispiel an Ridge Racer: Das Spiel ließ sich komplett in den Arbeitsspeicher laden, sodass beim Spielen eigene CDs eingelegt werden konnten. Das Spiel besaß nur eine Rennstrecke und war damals trotz allem ziemlich faszinierend.

    Obwohl die Synthesizer-Klänge der GameCube-Zeit besser zum Medium Videospiel passen als cineastische Orchestermusik, ist diese Phase doch musikalisch eine der schwächsten der Nintendo-Musikgeschichte. Ob „Super Mario Sunshine“, „Zelda: The Wind Waker“ oder „Mario Kart: Double Dash!!“ – die Soundtracks dieser Spiele sind zweifelsohne alles andere als schlecht, ragen innerhalb ihrer jeweiligen Reihen aber auch nicht heraus. Größtenteils handelt es sich um klassische Spielemusik in einem modernen Gewande.
    The Wind Waker halte ich hier für ein recht gewagtes Beispiel. Ich mag den Soundtrack auch innerhalb der Zelda-Reihe ganz gerne und würde diesen auch deutlich (!!) stärker einschätzen, als den eher schwachen Soundtrack von Majoras Mask, der bis auf ein oder zwei Stücke eher unspektakulär ist.

    Darüber hinaus würde ich "klassische Videospielmusik in modernem Gewande" nicht als Qualitätsmerkmal werten: Ich persönlich mag es tatsächlich ganz gern, dass Wind Waker noch ein paar "oldschoolig" markante Themen hat und gerade bei Super Mario Sunshine ist doch das - fast Super Mario World-esque - Piazza Delfino-Theme DAS Thema, das in Erinnerung bleibt!

    Doch dann erschien 2007 „Super Mario Galaxy“, dessen Soundtrack zu einem großen Teil von einem Orchester eingespielt wurde. Das war für Nintendo keine leichte Entscheidung, denn neben den kreativen Bedenken, die wir vorhin schon kurz angerissen haben, standen auch die hohen Kosten für ein Orchester im Raum.
    Ich halte diese "kreativen Bedenken" - damals wie heute - für ein sehr, sehr schwaches Argument seitens Nintendo.

    Die genannten Spiele der Wii-Generation stellen gewiss die Krönung der bisherigen Geschichte von Nintendos Videospielmusik dar, was sicher nicht zufällig damit korreliert, dass der Konzern damals musikalischen Fortschritt bei gleichzeitigem Beharren auf die eigene Tradition hervorbrachte.
    Mario Galaxy ist wirklich ein recht schönes Beispiel, aber für mich ist die markanteste, vielseitigste und interessanteste Phase tatsächlich eher die Super Nintendo-Zeit. Viele Nachfolger zehren ja bis heute von den schönen Melodien von damals.


    Die späteren Spielejahre überfliegst du mir ein wenig zu rasch, zu pauschalisierend und ein wenig zu sehr in Superlative verliebt. Hier kommt sicherlich auch deine persönliche Begeisterung sehr zum Vorschein - mir persönlich fehlen da dann doch ein wenig die Belege und der Blick aufs Detail, wenn du sagst, dass Soundtrack XY mit zu den besten der Reihe gehört oder "dass Monolith Soft in „Xenoblade Chronicles 2“ (2017) einmal mehr Ohrenschmaus an Ohrenschmaus bietet." Da hättere ich mir eine präzisere Argumentation gewünscht. Das ist aber wohl sicherlich dem Format geschuldet. Über viele der genannten Thesen lassen sich sicherlich ganze Aufsätze schreiben.

    Dennoch: Schöner Artikel, den ich gerne und aufmerksam gelesen hab!
  • Avatar von Mr. Murdock
    Mr. Murdock 04.03.2020, 13:33
    Sehr interessanter Bericht, wie im positiven Sinne von Tobias gewohnt!

    Nebenbei, elektronische Musikinstrumente, vor Allem Synthesizer, die besonders beliebt sind, wurden fast alle in Japan kreiert und hergestellt. Ansonsten fällt mir zur Begleitmusik der NES-Spiele auch noch ein, daß die besonders ab 1990/1991 alle technischen Möglichkeiten nicht nur in der Graphik und im Spielspaß, sondern besonders bemerkenswert in der Begleitmusik sowie bestmöglich ausgereizt wurden.

    Ob Nintendo-Begleitmusik mit den Jahren nicht mehr so zeitgemäß sein soll, bin ich mir nicht sicher. Nur bei F-Zero war ich ab dem Gamecube z.B. enttäuscht, daß da kein Heavy Metal, sondern Techno musiziert wird, was meiner Meinung nach viel eher bei Wipeout paßt, wo allerdings wiederum kein Rock hingehört.
  • Avatar von Chrischii
    Chrischii 04.03.2020, 11:42
    Zitat Zitat von Tobias Beitrag anzeigen
    Wieder einmal hat mir dieser Artikel enorm viel Freude beim Verfassen bereitet. Da ich – neben klassischer Musik und besonders Kirchenmusik – ein riesiger Fan von Videospielmusik bin, brannte mir dieser Text schon viele Monate in den Fingern (so wie auch fast alle anderen „Inside Nintendo“-Themen)! Meine Begeisterung habe ich einfach mal darin ausgelassen, dass ich etwas ausführlicher schreibe. Sehr angenehm war dabei neben dem für mich so wichtigen Thema der Umstand, dass erstmals seit mehreren Jahren überhaupt keine Recherche nötig war. Ich habe den Text innerhalb kürzester Zeit zu Papier gebracht und war dann ganz erschrocken über die Länge, aber es hat echt Spaß gemacht (das sollte jetzt deutlich geworden sein, nehme ich an ).

    Übrigens ist dasjenige Musikinstrument, das in Videospielmusik am sträflichsten vernachlässigt wird, die Orgel. Gegen eine große Kirchen- oder Konzertorgel in den Händen eines fähigen Organisten kommt in Sachen Ausdrucksvielfalt und Klangbandbreite kein anderes Instrument heran. Obwohl (oder gerade weil) ich selber Organist bin, staune ich bei Orgelkonzerten immer wieder aufs Neue. Mir fallen aber so gut wie keine Beispiele aus der Videospielmusik ein, in denen eine Orgel wirklich sinnvoll verwendet wird. Ein Spiel nur mit Orgelmusik wäre mal musikalisch etwas richtig Besonderes!
    Meistens wird Orgelmusik bei Bosskämpfen / Endbossen in JRPGs genommen.
  • Avatar von Claw
    Claw 02.03.2020, 22:02
    Ein super Artikel, der mich ebenfalls in Erinnerungen schwelgen lässt, hierbei insbesondere erwähnt seien die Soundtracks der Zelda OoT und Majora‘s Mask, sowie Mario 64. Aber auch die älteren Titel wie Super Mario World oder die komplette Donkey Kong Reihe auf dem SNES haben ihren musikalischen Eindruck fest in mich hineingebrannt.
    Danke für diesen Artikel, Tobias.
  • Avatar von Martilunya
    Martilunya 01.03.2020, 10:44
    Wie immer, großartiger Content!
  • Avatar von Tobias
    Tobias 01.03.2020, 08:23
    Wieder einmal hat mir dieser Artikel enorm viel Freude beim Verfassen bereitet. Da ich – neben klassischer Musik und besonders Kirchenmusik – ein riesiger Fan von Videospielmusik bin, brannte mir dieser Text schon viele Monate in den Fingern (so wie auch fast alle anderen „Inside Nintendo“-Themen)! Meine Begeisterung habe ich einfach mal darin ausgelassen, dass ich etwas ausführlicher schreibe. Sehr angenehm war dabei neben dem für mich so wichtigen Thema der Umstand, dass erstmals seit mehreren Jahren überhaupt keine Recherche nötig war. Ich habe den Text innerhalb kürzester Zeit zu Papier gebracht und war dann ganz erschrocken über die Länge, aber es hat echt Spaß gemacht (das sollte jetzt deutlich geworden sein, nehme ich an ).

    Übrigens ist dasjenige Musikinstrument, das in Videospielmusik am sträflichsten vernachlässigt wird, die Orgel. Gegen eine große Kirchen- oder Konzertorgel in den Händen eines fähigen Organisten kommt in Sachen Ausdrucksvielfalt und Klangbandbreite kein anderes Instrument heran. Obwohl (oder gerade weil) ich selber Organist bin, staune ich bei Orgelkonzerten immer wieder aufs Neue. Mir fallen aber so gut wie keine Beispiele aus der Videospielmusik ein, in denen eine Orgel wirklich sinnvoll verwendet wird. Ein Spiel nur mit Orgelmusik wäre mal musikalisch etwas richtig Besonderes!