Inside Nintendo 151: Die 3DS-Reportage, Teil 1: 3D ohne Brille

In gewaltige Fußstapfen hatte der Nintendo 3DS zu treten – in jene des mit Abstand erfolgreichsten Handheld-Systems aller Zeiten. Die Entstehung des Mobilgeräts mit brillenlosem 3D-Effekt begann in einer Zeit, in der sich Nintendo dank DS und Wii auf einer unerhörten Erfolgswelle befand. Als der DS-Nachfolger dann Anfang 2011 auf einen stark gewandelten Markt traf, in dem der japanische Spielehersteller unaufhörlich wieder an Bedeutung verlor, lasteten die Erwartungen auf den Schultern des kleinen Handhelds nur umso gewaltiger.

Diesem Hintergrund und auch dem Smartphone-Boom zum Trotz, mag der 3DS selbst jetzt, acht Jahre nach Release, immer noch nicht so richtig das Feld räumen – Nintendos besten Handheld-Konsolen ist oft eine lange Lebensdauer beschieden. Da dennoch langsam aber sicher ein Ende in Sicht ist und bei vielen Spielern der 3DS als Handheld faktisch schon lange durch die hybride Nintendo Switch ersetzt worden ist, wagen wir einen Blick zurück und erzählen die ganze faszinierende Geschichte hinter Nintendos 3D-Konsole.

(Bildquelle)

Eine 25 Jahre alte Idee

Was einmal das zentrale Feature eines neuen Nintendo-Handhelds werden sollte, ist eigentlich eines jener Konzepte, mit dem der Videospielkonzern schon seit äußerst langer Zeit experimentiert hat. Um die Geschichte hinter dem 3DS richtig verstehen zu können, muss man also die Geschichte hinter der 3D-Funktion kennen. Und diese begann sogar bereits einige Jahre vor dem berüchtigten Virtual Boy. Denn schon 1987 erschien exklusiv in Japan für das Famicom Disk System eine 3D-Brille, das Famicom 3D System. Nintendo selbst veröffentlichte nur ein einziges damit kompatibles Spiel, „Famicom Grand Prix II: 3D Hot Rally“. Das Japan-exklusive Rennspiel ist übrigens das erste Projekt, an dem Entwickler-Legende Shigeru Miyamoto und der spätere Nintendo-Präsident Satoru Iwata gemeinsam gearbeitet haben.

Vielleicht hat diese erste Kooperation in den beiden später führenden Nintendo-Köpfen den Wunsch nach einer breiteren Einbindung von 3D-Darstellung in einem Videospiel gefestigt. Wie dem auch sei, Miyamoto und Iwata waren damit nicht allein, denn auch der damalige Konzernchef Hiroshi Yamauchi war ein großer Verfechter des 3D-Konzepts. Auch wenn das Famicom 3D System alles andere als erfolgreich war – daher trat es nie den Weg in den Westen an –, hat Nintendo die dahinterstehende Idee mit großem Interesse weiterverfolgt. So bestand in den 1990er Jahren ein internes Team, das sich mit der Idee einer 3D-Brille weiter beschäftigte.

Der gescheiterte Urahn

Zwar war Miyamoto Mitglied jenes Teams und verfolgte damals mit starkem Interesse das Thema der Virtuellen Realität, jedoch hatte er kaum seine Hände im Spiel, als Nintendo zu dieser Zeit seine erste 3D-Konsole entwickelte: Den Virtual Boy. Das unter der Ägide des Game-Boy-Vaters Gunpei Yokoi entstandene Gerät kam 1995 in Japan und Nordamerika auf den Markt. Miyamoto hingegen wirkte eng an der Entstehung des N64 mit, das ebenfalls 3D-Grafik umzusetzen vermochte, aber auf ganz andere Art und Weise. Die vom Virtual Boy generierten Grafiken dagegen waren nicht einfach dreidimensional berechnet, sie erzeugten wirklich einen räumlichen Tiefeneffekt – dies aber um einen hohen Preis: Nur schwarz-rote Pixelgrafik war möglich, außerdem musste das nicht gerade portable Gerät mittels eines Ständers unbequem vor die Augen positioniert werden.

Die eigentliche raffinierte und durchaus nicht uninteressante Technik hinter dem Virtual Boy konnte leider nichts daran ändern, dass das Gerät praktisch zum Scheitern verurteilt war. Für die ganze Story dahinter sei verwiesen auf „Inside Nintendo 77“. Miyamoto war der Grund für den kläglichen Misserfolg des Virtual Boy klar: „Für mich war Virtual Boy sowieso mehr ein Spaßapparat. […] Ich dachte mir, dass Leute, die immer auf der Suche nach neuer Unterhaltungstechnik sind oder etwas mehr Geld erübrigen können, dieses Gerät kaufen würden, auch wenn es ein bisschen teurer ist. Leider behandelte die Welt die Einführung, als sei es ein Nachfolger des Systems Game Boy.“

Miyamoto hätte den Virtual Boy als Spielzeug vermarktet, vielleicht als Erweiterung von Nintendos früher Spielzeug-Sparte, und ihn erst dann, wenn er zu einem Erfolg geworden wäre, zu einer Spieleplattform ausgebaut. Damals aber gehörte Miyamoto noch nicht zu den Topmanagern des Konzerns und hatte daher nicht das Sagen. Geschichte lässt sich jedoch nicht ändern, und so wäre es nachvollziehbar gewesen, hätte Nintendo die Idee mit dem räumlichen 3D-Effekt zu den Akten gelegt. Doch trotz des Debakels mit dem Virtual Boy war die 3D-Idee für den Konzern nicht tabu, vielmehr hat Big N im Geheimen weiter daran getüftelt.

Links: Zeitgenössische Werbung für das Famicom 3D System; Mitte: die 3D-Brille für das Famicom (Bildquelle); rechts: der Virtual Boy, Nintendos ebenso wichtiges wie erfolgloses 3D-Experiment (Bildquelle).

Experimente mit GameCube und GBA SP

Ein Schritt dieser Tüfteleien war es, dass der GameCube von Haus aus mit einer Kompatibilität für 3D-Fernseher ausgestattet wurde. Dazu entstand sogar eine 3D-Version des Launchspiels „Luigi's Mansion“. „Wir haben versucht, das Nintendo GameCube-System mit einem kleinen, nicht mal vier Zoll großen [3D-]LCD-Bildschirm auszustatten“, erklärte Spieleproduzent Hideki Konno, der eine Schlüsselrolle bei der Entstehung des 3DS innehatte. Zur Marktreife gelangte das Projekt jedoch nie, und publik geworden ist das Ganze erst Jahre später. Die erforderliche Display-Technik für brillenlosen 3D-Genuss war nämlich noch viel zu kostspielig: Damals habe es laut Konno geheißen, „dass der Bildschirm womöglich noch teurer als die Konsole werden könnte“.

Etwas später experimentierte Nintendo dann mit einem autostereoskopischen 3D-Bildschirm für den Game Boy Advance SP. „[Um] Bilder ohne Spezialbrille dreidimensional abzubilden, wurden die Bilder für das rechte und das linke Auge einzeln abgebildet und abgespielt“, erläuterte Iwata die Technik dahinter. Wie genau das ging, ist der Aussage nicht eindeutig zu entnehmen, jedenfalls funktionierte die Methode damals nicht in zufriedenstellender Weise, wie Iwata fortfuhr: „Dazu benötigt man eine hohe Auflösung und Präzisionstechnik. Dies konnten wir zu diesem Zeitpunkt nicht in ausreichender Qualität abbilden, weshalb der Stereoeffekt recht unscharf war.“ Daher gelangte auch der 3D-Bildschirm für den GBA SP niemals zur Marktreife.

„Wie wäre es mit 3D?“

Nach all diesen gescheiterten Projekten war langsam wohl doch die Luft raus. Miyamoto gestand ein: „Wenn ich es mir recht überlege, haben wir unsere 3D-Bemühungen nach der Veröffentlichung von Nintendo DS und Wii etwas beiseite geschoben.“ Doch wie es so häufig bei Nintendo ist, werden vorerst gescheiterte Ideen bei dem Spielekonzern nie für immer verworfen; wenn die Technik weit genug fortgeschritten und der Markt reif dafür ist, holt Nintendo sie stattdessen wieder hervor. So geschah es auch im Falle des 3D-Features, und zwar gegen Anfang 2009, als Nintendo in der Planungsphase für den späteren Nintendo 3DS steckte. „Als wir […] alle möglichen Technologien in Betracht zogen, sagte einer der Entwickler: ‚Wie wäre es mit 3D?‘“, erinnerte sich Iwata zurück.

Bei einer genaueren Erwägung dieser Idee zeigte sich, dass die Technologie in Bezug auf Rechenleistung und Flüssigkristalltechnik inzwischen bereit dafür war. Die damalige Technik ermöglichte es endlich in für Nintendo zufriedenstellender Weise, für jedes Auge ein eigenes Bild zu generieren und anzuzeigen. Ein Handheld war dabei die ideale Plattform für die Idee, schließlich liefert Nintendo bei einem Handheld jedem Spieler auch direkt das Display mit. Bei einer Heimkonsole hätte die Umsetzung dieser Idee hingegen eine teure Peripherie erfordert, wie man es mit dem GameCube erfahren hatte.

Erst 2011 wurde bekannt, dass ein 3D-Bildschirm für den GameCube geplant gewesen war. Dabei war dieser schon 2002 für die Öffentlichkeit zu sehen, wie Iwata verriet: „Wir haben diesen LCD-Bildschirm als Referenz-Ausstellungsstück 2002 auf der E3 gezeigt, die 3D-Funktionalität jedoch geheim gehalten.“ So erhielt der kleine Monitor (Bildquelle) praktisch keine Aufmerksamkeit. „Nichts daran hat darauf hingewiesen, dass der Bildschirm eine stereoskopische 3D-Funktion hätte“, schrieb ein Internetnutzer, der die Peripherie selbst auf der E3 2002 gesehen hatte.

Nintendos anfängliches Sträuben

Die Technik und der Markt waren bereit für massentaugliche 3D-Bildschirme, und zur gleichen Zeit befand sich ein neues Handheld-Projekt in seinen frühen Phasen. Somit erwies sich die Zeit Anfang 2009 für Nintendo als ideal, um der 3D-Idee eine neue Chance zu geben. Es verwundert allerdings kaum, dass dies angesichts der bisherigen Geschichte, zu der mit dem Virtual Boy Nintendos erfolgloseste Konsole überhaupt gehört, für große Skepsis gesorgt und so auf großen internen Widerstand gestoßen ist.

Selbst Iwata, der als Konzernchef das letzte Wort zu treffen hatte, war zu Beginn nicht gerade ein Befürworter und berief sich, als er sich im Nachhinein dafür rechtfertigte, auf „gewisse Grenzen“, auf die Nintendo bei den früheren 3D-Produkten gestoßen sei. „Daher hatte ich verschiedene Bedenken“, führte Iwata aus, „angefangen bei der relativ vagen Sorge, ob 3D überhaupt Erfolg haben könnte, bis hin zu konkreten Gedanken darüber, dass 3D die Spieler vielleicht anfangs überraschen könnte, sie dessen aber bald überdrüssig werden könnten.“

„Und ich glaube, es gab viele, die sich da auch nicht so sicher waren“, ergänzte Iwata. Immerhin bestand Nintendos Handheld-Team, das Research & Engineering Department, auch aus Mitarbeitern, die schon am Virtual Boy und den späteren 3D-Experimenten beteiligt gewesen waren und die daher nicht gerade erpicht auf eine Wiederholung dieser Debakel waren. So sagte Kenichi Sugino, der einschließlich des Virtual Boy an fast allen Nintendo-Handhelds mitgewirkt hat: „In dem Moment, als ich von der 3D-Idee erfuhr, sträubte sich etwas in mir. Ich sagte sogar: ‚Nein, kommt, wir lassen das.‘“

Der Umschwung

Wie es gute Ideen gibt, die in der Ausführung nicht funktionieren, so gibt es auch solche Einfälle, die in der Theorie schlecht klingen, in der Praxis dann aber zu überzeugen vermögen. Daher konnte Nintendo die 3D-Idee nicht einfach ablehnen, ohne sie nicht wenigstens noch einmal ausprobiert zu haben. Daher ließ die Handheld-Abteilung den Prototyp eines 3D-Bildschirms mit der anvisierten Technik und Auflösung erstellen. „Und als wir uns diesen ansahen, waren wir sofort Feuer und Flamme und sagten: ‚Kommt, wir machen das!‘“, so Iwata. „Da war ich mir sicher, dass der Zeitpunkt [für 3D] gekommen war. Und ich glaube, fast jeder war der gleichen Ansicht.“

Einen wichtigen Beitrag zu diesem Umschwung hat Hideki Konno geleistet. Der Produzent der „Mario Kart“-Reihe ließ nämlich eigens eine – leider nie veröffentlichte – 3D-Version von „Mario Kart Wii“ entwickeln, mit der er auch die skeptischeren Hardwaredesigner vom 3D-Feature überzeugen konnte. Da Konno auch Produzent von „Luigi's Mansion“ war, für das damals ja ebenfalls eine 3D-Version erstellt worden war, wird ihm die 3D-Idee ohnehin sehr am Herzen gelegen haben. Vielleicht ist das der Grund dafür, dass Konno später den Posten des Hardwareproduzenten des 3DS erhielt – eine eigentlich ungewöhnliche Aufgabe für einen Spieleproduzenten.

Wichtige Köpfe hinter dem 3DS im „Iwata fragt“-Interview, v.l.n.r.: Ryuji Umezu verantwortete die im 3DS werkelnde Technik; Kenichi Sugino war für das Design zuständig und leitet die entsprechende Abteilung bei Nintendo; der eigentlich für die „Mario Kart“- und „Nintendogs“-Reihen bekannte Hideki Konno fungierte als Hardwareproduzent; Satoru Iwata hatte als damaliger Nintendo-Präsident das letzte Wort und stets ein Auge auf das Projekt; Shigeru Miyamoto, der bei fast allem bei Nintendo seine Finger im Spiel hat, wirkte ebenfalls intensiv am 3DS mit.

Welche Idee war zuerst: 3D oder DS-Nachfolger?

Was sich Anfang 2009 in Nintendos Handheld-Tüftellaboren ereignet hat und diesen Umschwung hervorgerufen hat, können wir leider nicht im Detail rekonstruieren. Jedenfalls stand als Resultat fest, dass der nächste Handheld einen Bildschirm haben werde, der 3D ohne Brille ermöglichen sollte. Nun mag die Tatsache, dass die Geschichte hinter dem 3D-Feature den Auftakt unserer großen 3DS-Reportage bildet, den Eindruck erzeugen, dass 3D der Ausgangspunkt für die Entstehung des 3DS gewesen war. Dieser Eindruck trügt jedoch. Vielmehr hat Nintendo das Konzept ja nur darum aufgegriffen, weil damals bereits ein neues Handheld-Projekt in der Mache war.

„Dieses Projekt begann nicht mit dem Konzept von 3D ohne Brille“, erklärte Iwata 2010 in einem Video-Interview. „Der eigentliche Ausgangspunkt war es, zu diskutieren, welche Art Hardware wir nach dem Nintendo DS veröffentlichen sollen und welche Art Hardware mehr leisten kann, als was der Nintendo DS hat leisten können.“ Die Ursprünge des 3DS als Nachfolgekonsole des Nintendo DS reichen also viel weiter zurück als bis zur Entscheidung, das 3D-Feature zu einem zentralen Teil des Systems zu machen. Das 3D-Konzept sollte dann die Idee sein, die dem Projekt für den DS-Nachfolger ein deutliches Profil verlieh.

Erste Überlegungen noch vor DS-Veröffentlichung

Was können wir dann über die frühen Überlegungen zum DS-Nachfolger aus jener Zeit, bevor die Entscheidung zum 3D-Bildschirm gefallen war, sagen? Die technischen Grundlagen für eine neue Nintendo-Konsole werden meist deutlich vor den konkreten Funktionen festgelegt. Im Falle des 3DS begannen die Arbeiten an der Zusammenstellung der einzelnen Rechenkomponenten, am sogenannten System-on-a-Chip-Design (SoC-Design), sogar schon vor der Veröffentlichung des Vorgängersystems, also ungefähr sieben Jahre vor der Markteinführung des finalen 3DS. Zuständig war dafür ein Hardwaredesigner namens Ryuji Umezu, der schon seit dem Game Boy Color das Chipdesign der Nintendo-Handhelds verantwortet.

„In Wahrheit war ich mit dem SoC-Design schon fertig, als der Nintendo DS herauskam“, sagte Umezu. Natürlich standen da noch nicht die endgültigen technischen Spezifikationen für den finalen 3DS fest, aber zur langfristigen Planung neuer Hardwareprojekte ist es nicht ungewöhnlich, sich so früh um erste Entwürfe zu kümmern. Umezu hatte zu Beginn besonders die Grafik damaliger Heimkonsolen im Blick. „Auch wenn es sich um ein Handheld-System handelte, wollte ich, dass die Graphiken so weit wie möglich [denen] einer Heimkonsole entsprachen.“ Dabei waren Umezu natürlich durch die Notwendigkeit, den Akkuverbrauch möglichst gering zu halten, enge Grenzen gesetzt.

Links: Ein Blick auf das Innere des 3DS, das Motherboard. Rechts: Der 3DS in seine Bestandteile zerlegt. Ob sich das alles wohl wieder zusammenbasteln lässt? Wir können das zwar nicht, wohl aber die Bastler von iFixit, von denen diese Bilder stammen.

Ein langfristiges Projekt

In diesen frühesten Phasen des späteren 3DS-Projekts ging Umezu aber noch nicht von einem weiteren Handheld mit zwei Bildschirmen aus. Denn da damals der DS erst kurz vor der Veröffentlichung stand, war völlig unklar, ob Nintendo auch langfristig auf zwei Bildschirme setzen werde. Dies stand erst fest, als der DSi in der Mache war, eine Revision des alten DS-Modells, die aber nicht als Nachfolgegerät gilt. Die Planungen für das Chipdesign, das später tatsächlich im 3DS verwendet wurde, begannen daher erst in der zweiten Hälfte 2007.

Mit anderen Worten: Gegen 2004 begannen die allgemeinen technischen Überlegungen für einen DS-Nachfolger, die konkrete Entstehung des 3DS startete aber erst 2007. So kann Umezu sagen: „Zu der Zeit fing ich an, mir über ein frühes Stadium des Nintendo 3DS Gedanken zu machen.“ Wir sehen: Das Zeitfenster für ein Hardwareprojekt ist sehr breit. Die konkreten Ursprünge liegen daher meist im Dunkeln, bis irgendwann mehrere bis dato unklare Ideen zu einem Projekt vereinigt werden.

So hatte es auch bei DS und Wii einige Zeit gedauert, bis aus mehreren eigenständigen Ideen die konkreten Spezifikationen für eine neue Konsole zusammengesetzt worden sind. Noch weniger als in den entsprechenden „Inside Nintendo“-Reportagen zu jenen Konsolen können wir hier diesen Prozess für den 3DS nachvollziehen, einfach weil uns (noch) keine Quellen dafür zur Verfügung stehen. Klar ist jedenfalls, dass an den technischen Grundlagen für den 3DS – wie ja schon geschrieben – konkret seit 2007 gearbeitet wurde. Die 3D-Funktion kam erst 2009 ins Spiel, und bis Nintendo die Gestaltung des Gehäuses anging, verstrich noch viel weitere Zeit.

Innereien einer Spielekonsole

Für welche Rechenkomponenten hat sich Umezu schließlich bei der Planung des SoC-Designs für den 3DS entschieden? Da Nintendo hier meist nur wenige Angaben veröffentlicht, lassen sich nur wenige konkrete Zahlen benennen. Als Hauptprozessor fungiert die Dual-Core-CPU ARM11, von der ein Prozessorkern für Spiele und der andere für Hintergrundanwendungen reserviert ist. Dadurch hat man während des Spielens jederzeit Zugriff auf das Home-Menü und manche Systemfunktionen. Zusätzlich ist ein ARM9-Prozessor integriert, um die Abwärtskompatibilität zu DS-Spielen zu ermöglichen. Der Grafikprozessor des 3DS stammt von einem Tokyoter Unternehmen namens Digital Media Professionals und der Arbeitsspeicher umfasst 128 Megabyte, von denen 32 für das System reserviert sind.

Für die meisten Spieler dürften Angaben zu den Bildschirmen interessanter sein. Der untere Bildschirm ist ein resistiver Touchscreen mit einer Auflösung von 320×240 Pixeln. Der obere Bildschirm des 3DS hat eine faktische Auflösung von 400×240 Pixeln und bietet einen autostereoskopischen 3D-Effekt, durch den die dargestellten Grafiken räumlich wirken. Damit räumliches Sehen möglich ist, muss jedes Auge ein eigenes Bild wahrnehmen, was beim Betrachten realer dreidimensionaler Objekte kein Problem ist. Einen räumlichen Eindruck auf einer zweidimensionalen Fläche wie einem Bildschirm zu erzeugen, ist hingegen schwieriger. In der einfachsten Form erfolgt dies durch 3D-Brillen. Bei der im 3DS genutzten Technik sind hingegen keine solchen Hilfsmittel erforderlich. Das verdient eine nähere Erläuterung.

Ein künstlicher 3D-Effekt ohne Brille funktioniert übrigens auch ganz ohne technische Hilfsmittel, nämlich in sogenannten Stereo-Bildern wie diesem hier, die es schon lange vor 3D-Bildschirmen gab. Lässt man die Bilder durch den Kreuzblick, also durch Schielen, einander überschneiden, entsteht ein beeindruckender dreidimensionaler Eindruck.

Technik mit Tiefe

Im 3D-Modus berechnet der 3DS je zwei Bilder gleichzeitig, die dem gewünschten räumlichen Effekt entsprechend leicht zueinander versetzt sind. Diese werden durch sogenannte Parallaxenbarrieren – winzige Linsen, die Licht in eine bestimmte Richtung lenken – so aufgeteilt, dass das Licht von jedem Bild nur in das entsprechende Auge gelangt. Dadurch ist weder Schielen noch eine Brille nötig. Der große Nachteil an diesem Verfahren besteht darin, dass sich der Kopf des Nutzers in einer bestimmten, festen Position relativ zum Bildschirm befinden muss. Weicht man zu sehr von dieser ab, gelangen die Bilder nicht mehr richtig in die Augen und überschneiden sich; der 3D-Effekt verschwindet.

Außerdem kann nur genau ein Nutzer den 3D-Effekt richtig wahrnehmen – doch ein Handheld-System wird ja ohnehin in der Regel nur von einem Spieler verwendet. Weitere Nachteile betreffen Rechen- und Akkuleistung: Da im 3D-Modus zwei Bilder gleichzeitig berechnet und dargestellt werden müssen, bedeutet dies eine deutliche Erhöhung der Ansprüche an die Ressourcen des 3DS. In der physiologischen Natur des künstlichen 3D-Effekts liegt es zudem, dass ihn einige Leute nicht gut vertragen, zudem sind manche Menschen gar nicht zu räumlichem Sehen fähig. Daher war es für Nintendo selbstverständlich, die 3D-Funktion als völlig optional zu gestalten, sie sollte sich jederzeit nach Belieben ein- und ausschalten lassen können.

Dem nicht genug, hat Nintendo sogar einen Regler eingebaut, mit dem sich jederzeit die räumliche Tiefe der 3D-Grafiken stufenlos justieren lässt. „Sofort als die Idee aufkam, entwarf ein Programmierer einen Prototyp in Form von gewöhnlichen Lautstärkereglern“, erzählte Iwata. „Da dieser gut ankam, wurde er zu einem Bestandteil des Produkts.“ Obgleich jederzeit abschaltbar, wurde der 3D-Effekt doch zum zentralen Feature des 3DS erkoren, wie sich ja schon in der Benennung des Handhelds widerspiegelt. Aber bis das erste massentaugliche Mobilgerät mit 3D ohne Brille auf den Markt kommen konnte, stand Nintendo noch viel Arbeit bevor.


Der Beginn der Geschichte hinter dem 3DS war in erster Linie die Geschichte hinter dem autostereoskopischen 3D-Effekt. Dieser sollte das werden, was der Touchscreen für den DS und die Bewegungssteuerung für die Wii war, stellte also die grundlegende Neuerung im Systemkonzept dar. Doch das Konzept ist nur der erste Schritt in der Entstehung einer Konsole. Im zweiten Teil unserer 3DS-Reportage werden wir einen Blick darauf werfen, wie das Gehäuse des 3DS entstanden ist und die bis dahin erdachten Konzepte physisch umgesetzt wurden.

Quellen: „Iwata fragt: Nintendo 3DS, Teil 1: So ist der Nintendo 3DS entstanden“ und „Teil 2: Nintendo 3DS Hardware-Konzept“, 2011.

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Bisher gibt es drei Kommentare

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  • Avatar von virus34
    virus34 01.03.2019, 19:10
    Dankeschön für den tollen Bericht.
  • Avatar von Olliko
    Olliko 24.02.2019, 13:09
    Danke. Wie immer schön geschrieben. Freue mich immer auf Neues.
  • Avatar von Tobias
    Tobias 24.02.2019, 09:49
    Nach der Pause geht Inside Nintendo jetzt wieder regelmäßig weiter. Viel Spaß beim Lesen!