Inside Nintendo 70: Was Game Boy-Schöpfer Gunpei Yokoi für Nintendo bedeutet (Teil 2)

Das Triforce existiert wirklich. Ohne die heilige Dreifaltigkeit dreier Männer wären weder das heutige Nintendo und noch die heutige Videospielindustrie denkbar. Die drei Glieder des Triforce stehen für Weisheit, Mut und Kraft. Dem entsprechen in der Nintendo-Hierarchie der weise Konzern-Chef Hiroshi Yamauchi, der mutige Forschungs- und Entwicklungsleiter Gunpei Yokoi und der mächtige Chefproduzent Shigeru Miyamoto.

Der erste Teil unseres Berichtes zu Gunpei Yokoi endete mit dem Game Boy. In Teil 2 geht es weiter mit Yokoi als Spieleentwickler, dem gefloppten Virtual Boy, Yokois tragischem Tod und seinem nachhaltigen Einfluss auf Nintendo. Viel Spaß beim Lesen!

Auf diesem Foto lächelt uns ein junger Gunpei Yokoi am Anfang seiner Karriere entgegen.

Gunpei Yokoi ist nicht der Metroid-Schöpfer

Ein weit verbreitetes Missverständnis ist, dass Gunpei Yokoi engagierter Spieleentwickler war und Serien wie „Metroid“, „Kid Icarus“ oder „Super Mario Land“ schuf. Diese Annahme rührt daher, dass Yokoi in den Credits dieser Hittitel als Produzent aufgeführt wird. An der Gestaltung dieser Spiele wirkte der Game Boy-Guru jedoch so gut wie gar nicht mit. Die wahren Schöpfer der genannten Spiele sind weitaus weniger bekannt – die Namen der „Metroid“-Erfinder etwa lauten Hiroji Kyotake und Hirofumi Matsuoka. Weil die genannten Spiele innerhalb der R&D1-Abteilung entstanden, war Yokoi als Abteilungsleiter automatisch als Produzent involviert.

Yokoi war weniger Spieleentwickler als vielmehr Ingenieur. Darum befasste er sich in erster Linie mit Spielzeug und Konsolen. Zu den wenigen Titeln, bei deren Gestaltung Yokoi tatsächlich seine Finger im Spiel hatte, zählen zahlreiche Game & Watch-Teile wie „Donkey Kong“, „Mario Bros.“ und „Dr. Mario“. Die beiden zuletzt genannten Arcade-Spiele erdachte Yokoi gemeinsam mit Shigeru Miyamoto.

Einschränkungen erzeugen Freiheit

Yokoi war ein starker Verfechter der „Weniger ist Mehr“-Mentalität. Er war der paradoxen Ansicht, dass enge Grenzen, die durch Technik gesetzt werden, die Kreativität eines talentierten Spieleentwicklers nicht einschränken, sondern sie erst richtig beflügeln. Kein Wunder, dass Yokoi so dachte, denn als Chef hinter den Projekten Game & Watch und Game Boy musste er oft genug mit kruder Technik umgehen. Seine Karriere-Philosophie „Querdenkerei mit bewährter Technik“ galt ihm also nicht nur für Spielzeuge und Technik, sondern auch für Videospiele.

Doch die Spieleindustrie um Yokoi herum verfolgte genau das Gegenteil. Sie lechzte nach mehr, lotete die Grenzen der Technik aus und ermöglichte immer größere Spiele. Der Forschungs- und Entwicklungschef beäugte diesen Trend kritisch, er sah ihn sogar als Bedrohung an. Der große Erfolg des bereits zu seiner Veröffentlichung veralteten Game Boy gab dem konservativen Querdenker dabei Recht.


Gunpei Yokoi mit Shigeru Miyamoto. Während Miyamoto mit dem N64 neue Maßstäbe setzte, konzentrierte sich sein alter Mentor auf ein ganz anderes Projekt.

Gegen den Strom

Dieser Trend machte auch vor Nintendo nicht Halt. Während ein anderes Nintendo-Team hart am Supercomputer-artigen Projekt Ultra 64 arbeitete, begann Yokoi deswegen die Entwicklung einer neuen Konsole, die nicht durch hochmoderne Grafik, sondern durch eine bahnbrechende neue Idee überzeugen sollte. Diesen Schritt rechtfertigte er wie folgt:

Im Videospielmarkt gibt es immer eine einfache Lösung, wenn man keine guten Ideen hat. Das ist, was die auf Rechenleistung und Grafik konzentrierte Konkurrenz macht. Aber dann würde es keine Unternehmen wie Nintendo mehr geben, die sich auf die Spiele an sich fokussieren. Irgendwann würden jene gewinnen, die gut mit Grafik umgehen können, während für Nintendo kein Platz mehr übrig bliebe. Darum habe ich den Virtual Boy erschaffen – ich wollte etwas kreieren, das uns zurückbringt zu dem, was Videospiele ausmacht.


Das Zitat (von uns frei übersetzt nach der englischen Übersetzung von Inoue, S. 140) entstammt übrigens der Pseudo-Autobiographie „Yokoi Gunpei Game House“, tatsächlich eine Reihe von Interviews mit Yokoi. Leider kam das sicher sehr lesenswerte Buch nur in niedriger Auflage auf den Markt und wurde nie übersetzt.

1995 erschien also der Virtual Boy. Dieser Pseudo-Nachfolger des Game Boy – ein nicht wirklich mobiler Handheld mit kruden, autostereoskopischen 3D-Grafiken in schwarz-rot – entsprach Yokois zentralen Philosophien, kam auf dem Markt aber gar nicht an. Dem Virtual Boy gelang die zweifelhafte Leistung, als Yokois größter Flop und Nintendos erfolgloseste Spielekonsole in die Videospiel-Annalen einzugehen.

Und er hatte doch Recht

Der Virtual Boy mag eine große Fehlkalkulation gewesen zu sein, mit dem dahinterstehenden Denken lag Yokoi im langfristigen Kontext jedoch goldrichtig. Als erster Nintendo-Mitarbeiter sah er nämlich eine Krise auf die Spielebranche zukommen. Das Technologie-Wettrüsten, bei dem der eigentliche Spielspaß auf der Strecke bleibt, würde die Zukunft des Marktes besiegeln, wenn keine Lösung gefunden würde. Jahre später sollte sich diese Vorahnung erfüllen. Nintendo würde mit DS und Wii erfolgreich dem Trend entgegensteuern; die Technik in den Hintergrund, neue spaßige Konzepte in den Vordergrund stellen.


Der berühmt-berüchtigte Virtual Boy war Yokois letztes Produkt nach dreißig Jahren Nintendo. (Bildquelle)

Der Unzertrennlichen Wege trennen sich

Leider sollte Yokoi das alles nicht mehr miterleben. Doch der Reihe nach. Nach fast drei Jahrzehnten stieg der langjährige Chefingenieur im August 1996 aus dem Unternehmen aus. Weil er Nintendo so lange treu geblieben war, eine wichtige Stellung inne hatte und bis auf das jüngste Projekt stets Erfolg geerntet hatte, entstand rasch die Annahme, der Japaner habe das Unternehmen wegen des Misserfolges des Virtual Boy verlassen (müssen).

Das stimmt aber so nicht, denn dem R&D1-Mitarbeiter Yoshihiro Taki zufolge hatte Yokoi seit Langem vorgehabt, Nintendo im Alter von 50 Jahren zu verlassen. Sein Rücktritt vom Konzern erfolgte damit sogar vier Jahre später als geplant.

Doch warum überhaupt dem Arbeitgeber nach so einer Erfolgskarriere den Rücken kehren? Nun, wenn wir uns zurückerinnern, dann hat Yokoi etwa seinen Liebestester aus ziemlich persönlichen Gründen konstruiert. Yokoi war ein Querdenker, ein Tüftler, der gern experimentierte. Mit wachsenden Erfolgen wuchs auch seine Verantwortung, sodass er immer weiter eingeengt wurde. Man kann sich vorstellen, dass Yokoi diesem Zwang entrinnen wollte.

Yokoi macht sich selbständig

Direkt nachdem er Nintendo verlassen hatte, gründete Yokoi in Kyoto das Spielzeugunternehmen Koto Laboratory. Nach der Herstellung Tamagotchi-artiger Gerätchen begann Yokois kleines Unternehmen, in Kooperation mit Bandai, einen neuen Handheld zu entwickeln, den WonderSwan. Die Konsole kam 1999 auf den Markt, konnte gegen die Konkurrenz aus dem Hause Nintendo aber nicht ankommen.

Die Leitung von R&D1 übernahm nach Yokois Rücktritt der langjährige Mitarbeiter Takehiro Izushi. Einst die größte und wichtigste Nintendo-Abteilung, verlor R&D1 immer weiter an Angestellten wie auch an Bedeutung und wurde infolge der Konzernumstrukturierung 2004 aufgelöst.


Das Grab des Gunpei Yokoi. Auf dem Grabstein sind seine größten Erfindungen aufgelistet: 1968 Ultra Machine, 1973 Laser Clay, 1980 Tenbillion (hierzulande als Teufelstonne bekannt), 1980 Game & Watch, 1989 Game Boy (Bildquelle)

Der tragische Tod des Gunpei Yokoi

Yokoi erlebte die Veröffentlichung des WonderSwan leider nicht mehr mit. Denn etwa ein Jahr nach der Gründung von Koto verstarb er auf tragische Weise. Am 4. Oktober 1997 war Yokoi mit dem Nintendo-Angestellten Etsuo Kiso auf einer geschäftlichen Autofahrt unterwegs und wurde auf der Hokuriku-Autobahn in einen Auffahrunfall verwickelt. Als die beiden zur Inspektion des Schadens ihr Fahrzeug verließen, wurden sie von einem weiteren Wagen angefahren. Während Yokois Mitfahrer Knochenbrüche erlitt, erlag Yokoi selbst wenig später in einem Krankenhaus in Komatsu
seinen schweren Verletzungen. Um ihn trauerten seine ehemaligen Kollegen bei Nintendo, die ganze Videospielergemeinschaft und nicht zuletzt seine Frau Yoko.

Nach Yokois Tod wurde dessen früherer Mitarbeiter Yoshihiro Taki der neue Präsident von Koto. Das erste WonderSwan-Spiel trägt Yokoi zu Ehren den Namen „Gunpey“. Koto existiert noch heute, doch es ist bloß ein winziger Teil von Gunpei Yokois riesigem Lebenswerk.

Er ebnete Nintendo die Straßen

Gunpei Yokois frühere Spielzeug-Erfindungen ermöglichten Nintendo überhaupt erst die Transformation vom Spielkarten- zum welterfolgreichen Videospielkonzern. Dann erfand der Tüftler Game & Watch, das Steuerkreuz und den Game Boy – drei unschätzbar wegweisende Erfindungen. Und nicht zuletzt hat Gunpei Yokoi, wie der Journalist Osamu Inoue so schön formuliert, Nintendos Unternehmens-DNA geprägt wie kein anderer Mitarbeiter.

Denn Yokois Design-Philosophie und seine Erkenntnis, dass gute Technik allein keinen Erfolg ausmacht, hat wie schon erwähnt Nintendo bis in die Gegenwart hinein geprägt. Als erster Forschungs- und Entwicklungschef hat Yokoi, der Jünger des Hiroshi Yamauchi, sein Wissen an Nintendo-Größen wie Shigeru Miyamoto, Masayuki Uemura, Genyo Takeda oder Satoru Okada weitergegeben. Mit Ausnahme von Miyamoto müssen euch diese Namen jetzt nichts sagen – es handelt sich um jene Nintendo-Abteilungsleiter, die für fast die gesamte Bandbreite an Nintendo-Produkten verantwortlich waren.

Der Nintendo-Stammvater

Yokoi vererbte sein Wissen also an die nachfolgende Generation Nintendo-Chefentwickler. Diese wiederum hat die angeeignete Yokoi-Nintendo-DNA unter ihren eigenen Teammitglieder weiter verbreitet. So ist Yokois Denken im heutigen Nintendo fest verankert. Wenn der aktuelle Konzernchef Satoru Iwata also innovative querdenkerische, aber auch fragwürdige zurückgeblieben wirkende Produkte und Ideen auf den Markt bringt, dann macht er das, weil Gunpei Yokoi ein innovationsfreudiger Querdenker, aber auch ein ziemlich konservativer Manager war.

So kommt es, dass jedes einzelne Nintendo-Produkt ein Stück Gunpei Yokoi in sich trägt. Hinzu kommen die expliziteren Leistungen des zu früh verstorbenen Tüftlers, die Nintendo und den Videospielmarkt zu dem machten, was sie heute sind – was für ein Lebenslauf! Nicht umsonst zählen wir Gunpei Yokoi zusammen mit Hiroshi Yamauchi und Shigeru Miyamoto zum Nintendo-Triforce.

Die Hauptquellen für beide Teile dieser Reportage: Osamu Inoue: Nintendo Magic: Winning the Videogame Wars, 2010, S. 121–145, David Sheff: Game Over, 1993, S. 21 ff.


In unserer jeden zweiten Sonntag erscheinenden Rubrik „Inside Nintendo“ berichten wir über die Geschichten hinter Spielen, Serien, Konsolen, Studios und Personen rund um Nintendo. Eine Übersicht aller bislang veröffentlichten Ausgaben ist unter diesem Link zu finden.

Weiterführende Links: Forum-Thread

Bisher gibt es sechs Kommentare

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  • Avatar von Anonym_220427
    Anonym_220427 16.07.2015, 22:16
    Den Virtual Boy könnte ich auch mal wieder auspacken, und ne Runde Tennis und Waterworld zocken.
  • Avatar von Garo
    Garo 13.07.2015, 10:11
    Er war ein echt großartiger Mann und ein bisschen verstehe ich jetzt auch, warum Nintendo technisch "hinterherhinkt", auch wenn ich es nicht als gut einschätze.

    Wie immer ein fantastischer Bericht, Tobi. Können wir übernächstes Wochenende was zu Iwata erwarten?
  • Avatar von Mc_Rib
    Mc_Rib 13.07.2015, 00:35
    Zitat Zitat von Minato Beitrag anzeigen
    Auf dem Friedhofsbild ist einfach mal ein Triforce?!
    Das "Triforce"Symbol ist wesentlich aelter als Zelda und ist z.B auf Enoshima sehr oft zu sehen da es ein Familienwappen war/ist.
  • Avatar von Scr@t81
    Scr@t81 12.07.2015, 22:27
    Genial. Vielen dank für den Artikel. Das Triforce ist auch mal der burner
  • Avatar von Minato
    Minato 12.07.2015, 18:55
    Auf dem Friedhofsbild ist einfach mal ein Triforce?!
  • Avatar von Civer
    Civer 12.07.2015, 18:40
    Sprachlos, echt klasse geschrieben und einfach tolle Hintergrund Informationen.

    Danke NO für diese tollen Beiträge von euch