Inside Nintendo 69: Was Game Boy-Schöpfer Gunpei Yokoi für Nintendo bedeutet (Teil 1)

Das Triforce existiert wirklich. Ohne die heilige Dreifaltigkeit dreier Männer wären weder das heutige Nintendo, noch die heutige Videospielindustrie denkbar. Die drei Glieder des Triforce stehen für Weisheit, Mut und Kraft. Dem entsprechen in der Nintendo-Hierarchie der weise Konzern-Chef Hiroshi Yamauchi, der mutige Forschungs- und Entwicklungsleiter Gunpei Yokoi und der mächtige Chefproduzent Shigeru Miyamoto.

Zwei Glieder des Nintendo-Triforce – Yamauchi und Miyamoto – haben wir bereits je einen „Inside Nintendo“-Bericht gewidmet. Nun ist Gunpei Yokoi an der Reihe. Als Erfinder vieler kreativer Spielzeuge sowie der Game & Watch-Spiele und des Game Boy leistete er einen Großteil der Arbeit, die Nintendo den Weg zur globalen Marktführerschaft ebnen sollte. Auch abseits seiner Erfindungen ist Yokois Karriere sehr interessant, denn später verließ er Nintendo, gründete ein eigenes Unternehmen und starb kurz darauf infolge eines Autounfalls. Beginnen wir aber nun mit der steil aufsteigenden Karriere des Gunpei Yokoi.


Manchmal wird Yokois Vorname mit einem „m“ geschrieben. „Gumpei“ als auch „Gunpei“ sind beides korrekte Transkriptionen des japanischen Namen ??. Die „n“-Variante ist jedoch die geläufigere.

Letzter Ausweg Nintendo

Obwohl Nintendo 1965 bereits auf über sieben Dekaden Geschichte zurückblicken konnte, stand dem Familienunternehmen seine größte Umwandlungsphase noch bevor. Der Traditionshersteller japanischer Hanafuda-Spielkarten hatte in den 1950er Jahren mit der Produktion westlicher Karten begonnen. In den folgenden Jahren diversifizierte Nintendo sein Angebot immer weiter und avancierte so langsam aber sicher zum Spielzeug-Fabrikanten. (Ausführlicheres dazu in einem eigenen Bericht.)

In dieser Zeit tritt dann ein junger Mann namens Gunpei Yokoi auf. Nachdem er 1964 an der Doshisha-Universität ein Studium der Elektrotechnik abgeschlossen hatte, wollte er bei einem großen Elektronikunternehmen anheuern. Allerdings nahm niemand den am 10. September 1941 geborenen Sohn eines Pharma-Unternehmenschefs an. Schließlich bewarb sich Yokoi bei Nintendo – quasi als eine Verzweiflungstat, denn er wollte unbedingt etwas mit Elektronik machen, Nintendo war damals aber noch kein Elektronikunternehmen. Bloß wegen des Heimvorteils bewarb er sich bei Nintendo, denn der Konzern ist in Yokois Geburtsort Kyoto beheimatet.

Wartungstechniker und Hobbytüftler

Die Verzweiflungstat erwies sich als zielführend, denn das mitten in einer Umwandlung befindliche Nintendo nahm Yokoi tatsächlich an. Der damals 24-Jährige begann 1965 seine Arbeit bei Nintendo. Er soll der erste Nintendo-Mitarbeiter mit einer Ausbildung im Elektronikbereich gewesen sein. Mangels anderer Einsatzmöglichkeiten beschäftigte Nintendo den Tatendränger als (einzigen) Wartungstechniker für die Maschinen, mit denen Nintendo seine Spielkarten herstellte.

Wir können nur erahnen, dass der junge Yokoi sich sein Berufsleben so nicht vorgestellt hatte. Andererseits war dies auch bloß die erste Stufe auf seiner Karriereleiter. In seiner Freizeit bastelte der technikbegeisterte und pfiffige Mann daher fleißig für sich und konstruierte unter anderem ein Spielzeug, das aus kreuzweise angeordneten Plastikstreben bestand und durch Zusammendrücken verlängert werden konnte. Mithilfe eines am Ende angebrachten Griffes konnte man dank dieses Spielzeuges entfernte Objekte greifen.


Die Ultra-Hand war Yokois erste Erfindung für Nintendo – und ein direkter Erfolg. (Bildquelle)

Erfolg über Nacht

Eines Tages, er arbeitete seit wenigen Monaten bei Nintendo, wurde Yokoi in das Büro des Unternehmenspräsidenten Hiroshi Yamauchi zitiert. Yamauchi erklärte, eine Spielzeugabteilung gründen zu wollen, in die er Yokoi versetzen werde. Er trug dem Wartungsingenieur auf, ein erfolgreiches Spielzeug für die kommende Weihnachtssaison zu erfinden. Kurz darauf stellte Yokoi sein selbst gebasteltes Greifarm-Spielzeug vor. Yamauchi war sofort überzeugt. Yokois Freizeit-Bastelei kam 1966 unter dem Namen Ultra-Hand auf den Markt. Über eine Millionen verkaufte Einheiten bedeuteten für Nintendo den unmittelbaren Durchbruch in der Spielzeug-Branche.

Als Leiter der Spielzeug-Abteilung erfand Yokoi als nächstes die Ultra Machine und das Ultra Scope. 1969 folgte der Love Tester, das erste Nintendo-Produkt mit Elektrotechnik. Diese Erfindung zeigt Yokoi als wahren Playboy, denn von dem Liebestester erhoffte er sich laut eigener Aussage vor allem, selbst mit jungen Frauen Händchen zu halten. Das Gerät soll nämlich die Liebe zwischen einem Paar messen können, indem dieses Händchen hält.

Ganz so absurd, wie es klingt, war der Liebestester jedoch nicht, wenn man Yokois Gedankengang folgt. Seine Idee nämlich war, dass ein verliebtes Paar bei einem vermeintlichen Liebestest leichter nervös wird und an den Händen zu schwitzen beginnt, wodurch der elektrische Widerstand geringer ist. Ob Humbug oder nicht – sein persönliches Ziel hat Yokoi mit seinem Liebestester erreicht, „doch irgendwann wollte ich natürlich mehr als bloß Händchen halten“, meinte der Japaner lachend.

Yokois Markenzeichen: Lateral Thinking With Seasoned Technology

Innerhalb weniger Jahre war Yokoi also vom einfachen Wartungsangestellten zum Leiter der neuen Forschungs- und Entwicklungsabteilung aufgestiegen. Schon damals war die zentrale Philosophie hinter seinem Erfolg deutlich: „Lateral Thinking With Seasoned Technology“, zu deutsch etwa „Querdenkerei mit bewährter Technik“. Darunter verstand Yokoi, alte und darum allgegenwärtige und günstig herzustellende Komponenten in kreativer, neuartiger Weise zu nutzen. Die zentralen Bauteile des Liebestesters etwa, nämlich Spannungsmessgeräte, waren schon damals äußerst günstig zu haben. Einzig Yokois Idee machte aus der alten Technik ein neues, interessantes Produkt.

Nach dem Liebestester beschäftigte sich Yokoi weiter mit elektrischen Bauteilen. Sein nächster großer Durchbruch entstand, nachdem ihm der Sharp-Angestellte Masayuki Uemura die Solarzellen-Technologie seines eigenen Unternehmens schmackhaft machen wollte. Yokoi setzte die lichtsensiblen Sensoren in Schieß-Spielzeugen ein. Mit einer Pistole, die einen kurzen Lichtstrahl aussendet. Auf das Ziel geschossen, erzeugt die dort angebrachte Solarzelle einen elektrischen Impuls, der einen Mechanismus aktiviert. Ein getroffener Spielzeug-Sheriff kann dadurch etwa umfallen, eine angeschossene Plastik-Flasche auseinanderbrechen oder ein Miniatur-Haus einstürzen. Zusammen mit Uemura, der inzwischen auch bei Nintendo arbeitete, entwickelte Yokoi zahlreiche Spielzeuge rund um dieses Laserschießsystem. Ein weiterer großer Erfolg – und ein weiteres Beispiel für Querdenkerei mit bewährter Technik.

(Bildquelle)

Game & Watch, Steuerkreuz und Game Boy

Darüber hinaus erfand Yokoi in den 1970er Jahren auch viele weitere Spielzeuge. Ende der Dekade entwickelte R&D1 erste Arcade-Automaten – Nintendo wandte sich dem aufkeimenden Videospielmarkt zu. Einen wichtigen Beitrag dazu leistete Yokoi mit einer weiteren Erfindung, nämlich den Game & Watch-Geräten. Für diese kleinen mobilen Videospiel-Geräte machte sich Yokoi die mittlerweile günstig zu erstehende Technik hinter Taschenrechnern zu Nutze. Währenddessen vollbrachte Yokoi eine weitere für die Industrie wegweisende Leistung, indem er das Steuerkreuz erfand.

Nintendos Heimkonsolen-Projekte waren nie das Metier von Yokois Abteilung, sodass R&D1 und deren Leiter während des Aufstiegs des Nintendo Entertainment Systems an Bedeutung für das Unternehmen verloren. Das interne Blatt wendete sich, als 1989 der von Yokoi gemeinsam mit seiner rechten Hand Satoru Okada entwickelte Game Boy auf den Markt kam. Mit weit über 100 Millionen Verkäufen wurde der Game Boy zu Gunpei Yokois größter Lebensleistung.

Welch Welterfolg! Doch damit ist die Geschichte von Gunpei Yokoi und seiner Bedeutung für Nintendo noch lange nicht zu Ende erzählt. Um euch nicht mit Informationen zu erschlagen, beschäftigen wir uns mit dem garantiert nicht minder spannenden Rest dieser Historie erst im zweiten Teil unserer großen „Inside Nintendo“-Reportage zu Gunpei Yokoi.

Die Hauptquellen für beide Teile dieser Reportage: Osamu Inoue: Nintendo Magic: Winning the Videogame Wars, 2010, S. 121–145, David Sheff: Game Over, 1993, S. 21 ff.


In unserer jeden zweiten Sonntag erscheinenden Rubrik „Inside Nintendo“ berichten wir über die Geschichten hinter Spielen, Serien, Konsolen, Studios und Personen rund um Nintendo. Eine Übersicht aller bislang veröffentlichten Ausgaben ist unter diesem Link zu finden.

Weiterführende Links: Forum-Thread

Bisher gibt es drei Kommentare

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  • Avatar von Anonym_220427
    Anonym_220427 29.06.2015, 20:39
    Schade das er später über den Virtualboy gestolpert ist.
  • Avatar von Minato
    Minato 28.06.2015, 16:09
    Kann den zweiten Teil kaum erwarten
  • Avatar von SasukeTheRipper
    SasukeTheRipper 28.06.2015, 14:47
    Der Love Tester
    Gut geschrieben, ich freue mich schon auf den zweiten Teil