Inside Nintendo 197: Der Vater der Nintendo-Heimkonsolen: Masayuki Uemura (1943–2021)

Ohne ihn würde es Nintendo und die Videospielindustrie, wie wir sie heute kennen, nicht geben: Masayuki Uemura spielte in den 1970er-Jahren eine wichtige Rolle bei den ersten Schritten des damaligen Spielzeugunternehmens im Bereich der elektronischen Unterhaltungsgeräte; später entstanden unter seiner Ägide das Nintendo Entertainment System (NES) und das Super Nintendo Entertainment System (SNES), die über Jahre hinweg in der Spieleindustrie den Ton angaben. 2004 verließ der verdienstvolle Branchenveteran Nintendo, blieb der Videospielwelt aber weiterhin mit Engagement verbunden. Im Dezember 2021 ist Uemura nun im Alter von 78 Jahren verstorben.

Masayuki Uemura mit seiner bedeutendsten Leistung: dem Famicom, dem japanischen Äquivalent der 8-Bit-Legende Nintendo Entertainment System (NES).

Ein begeisterter Elektro-Tüftler

Masayuki Uemura wuchs in eher bescheidenen Verhältnissen auf, geprägt vom Zweiten Weltkrieg und seinen Folgen. Bald nach seiner Geburt am 20. Juni 1943 in Tokyo sah sich die Familie dazu gezwungen, in das sicherere Kyoto umzuziehen. „Sein Vater verkaufte Kimonos, musste aber ums Überleben kämpfen; später eröffnete er einen Plattenladen in Osaka“, berichtete Journalist David Sheff. In dieser entbehrungsreichen Zeit musste der kleine Masayuki seine Spielsachen selber basteln und war auf viel Fantasie angewiesen. Dabei tat sich seine große Begabung hervor: Aus Einzelteilen, die er auf Schrottplätzen fand, baute er Elektrogeräte wie ein Radio und ein ferngesteuertes Modellflugzeug. „Also träumte ich davon, ein Ingenieur zu werden“, erinnerte er sich zurück.

Nach Abschluss seines Studiums der Elektrotechnik am Chiba Institute of Technology im April 1967 erhielt Uemura eine Anstellung beim japanischen Elektronikkonzern Sharp. Hier verkaufte er Solarzellenbatterien an verschiedene Konzerne – unter anderem an ein traditionsreiches Kartenspielunternehmen mit Sitz in Kyoto. Zu diesem Zeitpunkt konnte Uemura unmöglich ahnen, dass es zu einem großen Teil sein Verdienst sein sollte, dass dieses Unternehmen gut 20 Jahre später Weltmarktführer einer neu aufgekommenen Industrie sein würde.

Von Sharp nach Nintendo

Nintendo begann damals seine Fühler in verschiedene Bereiche der Spielwarenindustrie auszustrecken. Nachdem das Unternehmen mit dem von Gunpei Yokoi erfundenen Love Tester, der die Liebe zwischen einem Paar „messen“ konnte, einen Hit gelandet hatte, befand man sich gerade auf der Suche nach der nächsten großen Idee, als Uemura bei Yokoi vorstellig wurde. Letzterer war von den Solarzellen, die der Sharp-Vertreter ihm vorstellte, sofort begeistert. Gemeinsam entwickelten die beiden Ingenieure die Idee zu einem innovativen Spielzeug auf der Grundlage von Sharps Technologie: eine Art Schießspiel, bei dem die Pistole einen Lichtimpuls sendet, der von einer Sollarzelle aufgenommen wird und so dafür sorgt, dass beispielsweise ein „getroffener“ Dosenstapel umstürzt oder eine „erschossene“ Cowboy-Figur zusammensackt.

Die Idee stammte von Sharp; Yokoi konstruierte den ersten Prototyp. „Er brauchte dafür nur eine Woche“, berichtete Uemura Jahrzehnte später in einem Interview. „Er war so schnell; er war ein erstaunlicher Typ.“ Unter dem Namen „Beam Gun“ kamen die Lightgun-Spielzeuge 1970 auf den japanischen Markt. Der Erfolg war so groß, dass Nintendo den Ideengeber Uemura von Sharp abwarb. Etwas bescheidener wirkt die Geschichte aus Uemuras eigenem Munde: Nintendo habe die Unternehmensstrategie stärker auf elektronische Spielzeuge ausgerichtet, deshalb „benötigten sie Elektroingenieure, und darum baten sie mich beizutreten.“

So wurde der 27-jährige Uemura im Januar 1971 offiziell Mitarbeiter von Nintendo. „Damals galt Nintendo als Spielzeugunternehmen, und als ich das Jobangebot erhielt, stellte ich mir vor, dass ich Geld verdienen und einen interessanten Beruf ausüben würde – neue Dinge erfinden“, erzählte er 2017. „Doch als ich in diese Karriere eintrat, fand ich heraus, dass es wirklich schwierig war, Geld zu verdienen und interessante Dinge zu erfinden!“ Auch der Wechsel in das eher abgeschiedene Kyoto war eine große Umstellung für ihn: „Als ich für Sharp arbeitete, unternahm ich viele Dienstreisen nach Tokyo. Doch als ich anfing, für Nintendo zu arbeiten, hörte das komplett auf.“

Verpackungsabbildung von „Custom Gunman“, einem 1976 veröffentlichten Spielzeug aus Nintendos Beam-Gun-Reihe. Zahlreiche Bilder sowie eine ausführliche Erläuterung dieser Light-Gun-Spielzeuge, mit denen Uemura Nintendo in den 1970er-Jahren erste Verdienste leistete, finden sich auf dem Blog beforemario.com (Bildquelle).

Jede Krise ist auch eine Chance

Folgt man seinen Erinnerungen, so war Uemura maßgeblich dafür verantwortlich, Nintendo für die bevorstehende Elektronik-Ära zukunftssicher zu machen. „Ich koordinierte das Personal, da ich der einzige war, der Elektrik und alles, was damit zusammenhängt, verstand. Daher musste ich Unternehmen und Partner finden, mit denen wir arbeiten sollten.“ Mit einem der Neuzugänge aus dieser Expansionswelle, Genyo Takeda, der Nintendos Geschichte später ebenfalls stark prägen sollte, brachte Uemura die Idee hinter Nintendo Beam Gun auf die nächste Ebene. Das Ergebnis waren Schießanlagen, die der Konzern ab 1973 unter dem Namen „Laser Clay Shooting System“ in alten japanischen Bowlinghallen betrieb.

Diesem zunächst überaus florierenden Unternehmenszweig schob jedoch sehr bald die Ölkrise einen Riegel vor. Dies stürzte Nintendo in eine große Krise, die letztlich der Ausgangspunkt dafür war, dass man auf den aufkommenden Trend erster Arcade-Videospielautomaten aufsprang. Nach ersten Produkten wie der elektromechanischen Pferderenn-Simulation „EVR Race“ von 1975 wagte sich das Unternehmen an die Entwicklung eines Videospielgeräts für den Heimbetrieb. Mit diesem maßgeblichen Projekt wurde niemand anderes als Uemura betraut.

Nintendos erste Spielekonsolen

Uemura leitete eine Kooperation mit Mitsubishi in die Wege, aus der 1977 Nintendos allererste Spielekonsolen „Color TV-Game 6“ und „Color TV-Game 15“ hervorgingen. Obwohl es sich um schlichte Pong-Klone handelte, wie sie damals für die erste Spielekonsolen-Generation typisch waren – das größte Alleinstellungsmerkmal war die Farbbildausgabe –, avancierten diese heute fast vergessenen, unter Sammlern aber umso mehr begehrten Geräte rasch zu Verkaufsschlagern.

In den folgenden Jahren erschienen, ebenfalls ausschließlich in Japan, zwei weitere Konsolen der Reihe: das Rennspiel „Color TV-Game Racing 112“ sowie der „Breakout“-Klon „Color TV-Game Block Kuzushi“. Die Gehäuse dieser beiden Produkte wurden von einem gewissen Shigeru Miyamoto gestaltet, der damals frisch bei Nintendo angestellt worden war – und mit dem das spätere Quartett der legendären Forschungs- und Entwicklungschefs Yokoi, Uemura, Takeda und Miyamoto, die Nintendos Geschicke in den 1980er- und 1990er-Jahren prägen sollten, komplettiert war.

Drei Geräte aus der Reihe der ersten Nintendo-Konsolen, veröffentlicht Ende der 1970er-Jahre und entstanden unter der Leitung von Masayuki Uemura: Color TV-Game 6, Color TV-Game 15 und Color TV-Game Block Kuzushi (Bilderquelle: Wikimedia Commons).

Die großen Vier

Zunächst gab es innerhalb von Nintendo nur eine Forschungs- und Entwicklungsabteilung (Research & Development; kurz R&D; siehe dazu die Übersicht in „Inside Nintendo 79: Nintendos Entwicklungsabteilungen im Wandel der Zeit“), geleitet von Gunpei Yokoi. 1979 wurde Uemura als Leiter des neugegründeten R&D2 eingesetzt. Ob er dabei zum Chef einer bereits bestehenden Abteilung befördert oder aber R&D2 von Anfang an um ihn herum aufgebaut wurde, ist nicht bekannt. In den folgenden Jahren kamen jedenfalls R&D3 (Genyo Takeda) sowie R&D4 (Shigeru Miyamoto), unter dem Namen „Entertainment Analysis & Development“ (EAD) später weltberühmt, hinzu. Diese Struktur mit vier R&D-Abteilungen blieb im Kern bis 2004 bestehen.

Journalist David Sheff hat einst wirkmächtig das Gerücht gestreut, dass die einzelnen R&D-Abteilungen mit ihren jeweiligen Leitern gegeneinander um die Gunst des Nintendo-Präsidenten Hiroshi Yamauchi gekämpft hätten. Uemura selber zeichnete jedoch ein ganz anderes Bild: „Es gab R&D1 und 2 gar nicht wirklich! Es waren nur Yokoi und Uemura. Es gab keinerlei Rivalität!“ Yokoi bezeichnete er dabei als seinen Senpai. Erst Yamauchi habe die Einteilung mit R&D1 und 2 und damit durchaus auch eine gewisse Rivalität forciert, aber: „Das war symbolisch, was für jedes Unternehmen wichtig ist“, so Uemura.

Die Zeit vor dem großen Durchbruch

Das überteuerte und erfolglose „Computer TV-Game“, eine Adaption des Brettspiels „Othello“, läutete 1980 das Ende der Color-TV-Game-Serie ein. Im Rückblick lässt sich sagen, dass diese eher kurzlebige Produktreihe einem unvergleichbar größeren und langfristigeren Erfolg den Weg ebnete, denn aus diesen fünf frühen Konsolen lernte Nintendo Wegweisendes: „An diesem Punkt fingen Nintendo und ich an, die Technologie hinter dem Verbinden eines Spielesystems mit dem Fernseher und dem Anzeigen von Bildern zu verstehen“, erläuterte Uemura. „Zum ersten Mal fassten wir die Idee, einen Fernseher für etwas anderes als Fernsehen zu verwenden. Das war nicht wirklich eine Vorstellung, die Leute damals in Japan von einer technologischen und unternehmerischen Perspektive aus hatten.“

Bevor Uemura aber mit einer Heimkonsole der (über-)nächsten Generation sollte auftrumpfen können, versank er einige Monate lang innerhalb von Nintendo beinahe in der Bedeutungslosigkeit. Denn der Niedergang von Color TV-Game fiel mit dem Aufstieg neuer Produkte der anderen R&D-Abteilungen zusammen: 1980 feierte Gunpei Yokoi mit Game & Watch, einer Reihe tragbarer LCD-Konsolen, Nintendos bis dahin größten Erfolg, den im folgenden Jahr Shigeru Miyamoto mit seinem Arcade-Überraschungshit „Donkey Kong“ sogar noch zu überbieten vermochte.

„Die Game & Watches verkauften sich wie warme Semmeln“, so Uemura. „Es war überraschend. Ich war mit meiner Weisheit am Ende, und die Leute verließen mein Team, um mit Mr. Yokois Team zu arbeiten […]. Schlussendlich blieben mir in meinem Team nur noch drei Leute übrig!“ Doch schon oftmals folgte in der Geschichte von Nintendo auf eine ernüchternde Tiefphase eine unvorhersehbare Blütezeit, und dies sollte sich auch an diesem Punkt in Uemuras Karriere bestätigen. Denn es geschah just in dieser Flautephase, dass Uemura von Nintendo-Boss Yamauchi höchstpersönlich den Auftrag zur Entwicklung einer neuen Heimkonsole erhielt.

Masayuki Uemura in seinen frühen Vierzigern auf einem Foto einer japanischen Zeitung von 1985.

Die Geburt des Famicom

„Er rief mich immer an, nachdem er ein paar Drinks hatte, also dachte ich mir nicht viel dabei“, erinnerte sich Uemura an jenes Telefonat mit Yamauchi von 1981 zurück, auf welches das Famicom-Projekt zurückgeht. „Ich sagte nur ‚Na klar, Chef!‘ und legte auf. Erst am nächsten Morgen, als er nüchtern zu mir kam […], wurde mir bewusst, dass er es ernst meinte.“ Die nächsten zwei Jahre waren für Uemura die arbeitsreichsten, aber auch die wohl ausschlaggebendsten seines Lebens. Noch in seinen späten Jahren sprach er gerne und ausführlich über jene Zeit, in der unter seiner Leitung Nintendos legendäre 8-Bit-Konsole entstand (ausführlich dazu in „Inside Nintendo 63–64“).

Nicht nur die Erfahrungen mit der Entwicklung der Color-TV-Game-Reihe erwiesen sich als unverzichtbar für das Projekt, sondern auch Uemuras persönliche Kontakte. Nintendo ging nämlich eine Kooperation mit einem Unternehmen namens Ricoh ein, dessen Chefingenieur Hiromitsu Yagi zuvor bei Mitsubishi gearbeitet und dort an den Color-TV-Game-Geräten mitgewirkt hatte. „Gewissermaßen konnte ich diese Beziehung, die ich mit meinem alten Lehrer hatte, wieder entfachen“, formulierte Uemura. Spielejournalist Jeremy Parish mutmaßte sogar, dass es allein Uemuras Kontakte gewesen sein könnten, die Ricoh das aus damaliger Sicht kaum abschätzbare Risiko der Zusammenarbeit mit Nintendo an einem solch großen Projekt eingingen ließen.

Uemuras wichtigste Lebensleistung – und ein ihm unerklärliches Mysterium

Als das fertige Produkt in Japan Mitte 1983 unter dem Namen Famicom auf den Markt kam, ging es tatsächlich wie geschnitten Brot über die Ladentheken. In einem Interview danach gefragt, ob ihn das überrascht habe, erwiderte Uemura: „Ich hatte keine Zeit, überrascht zu sein! Als es richtig abhob, war ich ganz darauf konzentriert, das NES für den amerikanischen Markt sowie das Famicom Disk System zu machen.“ Neben diesen Folgeprojekten sorgten auch technische Kinderkrankheiten dafür, dass sich Uemura nicht etwa zufrieden zurücklehnen konnte: „Nachdem das Famicom in den Handel kam, kämpfte ich plötzlich an allen Fronten gegen eingeklemmte Knöpfe, abgefallene Kabel und leere Fernsehbildschirme!“

Eine äußerlich umgestaltete Version des Geräts wurde unter dem Namen Nintendo Entertainment System (NES) von 1985 bis 1987 in den restlichen Märkten der Videospielindustrie eingeführt. Die sich anschließende beispiellose Erfolgsgeschichte mit am Ende über 60 Millionen abgesetzten Einheiten weltweit ist wohlbekannt. Für Uemura war es die größte Leistung seiner Karriere, doch in Interviews erweckte er nicht nur einen äußerst bodenständigen und bescheidenen Eindruck, er betonte sogar fortwährend, dass ihm der Erfolg des Famicom/NES ein unerklärliches Mysterium gewesen sei. Mitunter beliebte er seine Gesprächspartner zu fragen, ob diese sich den langfristigen Erfolg der Konsole wirklich erklären könnten. 2013 äußerte er gar, dass dies „der gewaltigste Gegner meines Lebens ist, denn niemand kann wirklich herausfinden, warum genau diese Hardware sich so gut verkaufte.“

Fotos von Uemura aus der SNES-Zeit. Links: Vorstellung eines SNES-Prototyps im Dezember 1988 (Bildquelle: chrismcovell.com); Mitte: auf einer Pressekonferenz rund um das SNES im Juli 1989 (Bildquelle: chrismcovell.com); rechts: in einer französischen Dokumentation von 1994, die auf YouTube hochgeladen worden ist (Uemura im Video ab 2:43; bei der eingeblendeten Angabe „Pressesprecher von Nintendo“ handelt es sich um einen redaktionellen Fehler).

Das SNES – nur mehr vom Gleichen?

Für Uemura selber änderte sich mit jener Glanzleistung damals beruflich überraschend wenig. „Wir sind eben in Kyoto“, sagte er einmal schmunzelnd. „Nun, mein Gehalt wurde erhöht. […] Die Kehrseite war, dass mein Job viel schwieriger wurde.“ Nicht nur war er verantwortlich für die Entwicklung von Erweiterungen wie dem schon erwähnten Famicom Disk System oder einem ebenfalls Japan-exklusiven Netzwerkadapter, später oblag ihm auch die Aufgabe, ein 16-Bit-Gerät zu entwickeln, das die bisherige Erfolgsgeschichte fortführen sollte.

„Innerhalb von Nintendo gab es viele abweichende Meinungen und Unterhaltungen“, fasste Uemura die Diskussionen im Vorfeld des SNES-Projekts zusammen. „Es gab Leute, die sagten: ‚Alles muss super sein!‘, während andere Leute darauf hinwiesen, dass es letztlich auf die Qualität der Software ankomme, warum also nicht einfach zwei Famicoms zusammenpacken und es gut sein lassen?“ Letztlich beschritt man folgenden Weg: „Das Äußere wird wie das Famicom aussehen, aber das Innere wird super sein“, so Uemura.

War der Erfolg des NES für Uemura eine Überraschung, so stellte jener des Super Famicom/SNES, das ab 1990 die einzelnen Weltregionen eroberte und schlussendlich knapp 50 Millionen Verkäufe erreichte, für ihn fast schon eine Widersinnigkeit dar. Er habe Zweifel gehabt, so erläuterte er in einem Interview von 2000, ob allein bessere Grafiken die breite Masse vom Kauf einer neuen Konsole würden überzeugen können. Mit ungewohnt scharfen Worten – damals war er ja immer noch als ranghoher Manager für Nintendo tätig – formulierte er: „Aber ich lag sehr falsch: Die Oberflächlichkeit der Welt kann ziemlich hart sein. Alle sprangen sofort vom Famicom zum Super Famicom. Alles für ein hübsches Aussehen, wie man sagt. Wir hatten einfach einer alten Idee Lippenstift aufgetragen, aber es wurde auf allen Veranstaltungen hoch gelobt.“

Fernab des Rampenlichts

Ob man aus dem genannten Zitat so etwas wie eine persönliche Distanzierung Uemuras von dem Projekt herauslesen darf, ist unklar. Jedenfalls war er als Leiter der zuständigen Abteilung letztverantwortlich für das SNES. Sein R&D2-Team, das einer Angabe des Journalisten David Sheff zufolge um 1993 etwa 65 Mitarbeitende umfasste, hatte sich inzwischen als Entwicklungsstätte der stationären Nintendo-Konsolen fest etabliert. Vereinzelt war Uemuras Abteilung aber auch an der Entstehung von Videospielen beteiligt, neben frühen Arcade-Titeln sowie Portierungen auf das NES unter anderem am SNES-Actionspiel „Marvelous: Mohitotsu no Takarajima“, dem Debüt das späteren „Zelda“-Produzenten Eiji Aonuma.

Uemura selber war und blieb zeitlebens ausschließlich Hardwareexperte und Manager. Ganz im Gegensatz zu seinen Abteilungsleiter-Kollegen Yokoi, Takeda und natürlich Miyamoto war er an der eigentlichen Entwicklung von Videospielen nie beteiligt. Vielleicht ist darin der Grund für den eigenartigen Umstand zu suchen, dass Uemura deutlich weniger bekannt als ist Yokoi und Miyamoto, obwohl er doch eigentlich für Nintendos wichtigste Projekte zuständig war. Hardwareentwickler stehen nun einmal weit weniger im Rampenlicht der öffentlichen Bekanntheit als Spieledesigner.

Uemura 2010 im „Iwata fragt“-Interview zum 25. Jahrestag von „Super Mario Bros.“, wo er zusammen mit dem langjährigen Unternehmenssprecher Hiroshi Imanishi, einer weiteren wenig bekannten Nintendo-Legende, von seinen Eindrücken der NES-Zeit erzählte.

Uemuras letzte Jahre bei Nintendo

Nach Abschluss des Super-Famicom-/SNES-Projekts arbeiteten Uemura und R&D2 an einer Erweiterung, die jedoch wie auch schon das Famicom Disk System dem japanischen Markt vorenthalten blieb: das Satellaview, das per Satellit ausgestrahlte Spiele empfangen konnte. Als dieses Kuriosum 1995 erschien, war bereits seit geraumer Zeit eine neue große Heimkonsole aus dem Hause Nintendo in der Mache gewesen – für die jedoch diesmal nicht Uemuras Abteilung verantwortlich zeichnete: Genyo Takeda und R&D3 waren es, die zusammen mit dem US-Unternehmen Silicon Graphics das N64 konstruierten und mit ihm neue technische Maßstäbe setzen sollten. Still und heimlich wurde die Zuständigkeit für den Heimkonsolen-Bereich also von R&D2 auf R&D3 übertragen; ein Grund dafür ist bis heute nicht bekannt.

Uemura und R&D2 verloren mit dieser Maßnahme innerhalb von Nintendo stark an Bedeutung. Einige der Hardwareingenieure verließen das Team, um die neue Abteilung Special-Planning & Development zu gründen, bei der unter anderem kleine Konsolen und Zubehör wie Pokémon Mini oder der eReader entstanden. Mit diesen Produkten hatte Uemura jedoch nichts zu tun. Die verbleibende R&D2-Abteilung programmierte Game-Boy-(Advance-)Spiele wie „Super Mario Bros. Deluxe“ oder „Super Mario Advance“, bei denen Uemura im Abspann als Produzent genannt wird. Eine ähnliche Aufspaltung in Soft- und Hardwareteam vollzog sich zur gleichen Zeit übrigens auch bei R&D1. Mit dieser Abteilung wurde R&D2 2004 zusammengelegt und somit de facto als eigenständiges Team aufgelöst.

Vom Nintendo-Manager zum Universitäts-Professor

Zu diesem Zeitpunkt verließ Uemura Nintendo, nachdem er dem Konzern 33 Jahre lang treu gedient und sich dabei als unschätzbar wertvoll erwiesen hatte. Dies bedeutete aber keineswegs das Ende seiner aktiven Zeit in der Welt der Videospiele, denn im April 2004 wurde er Professor an der Ritsumeikan-Universität in Kyoto, an der er fortan zu Videospielen forschte und lehrte. Zusätzlich wurde er 2011 Direktor des neugegründeten Center for Game Studies an der Ritsumeikan-Universität. Zusammen mit zwei Professoren-Kollegen brachte er 2013 ein Buch über die Entstehung des Famicom im Kontext der damaligen Spielebranche heraus, das aber nur auf Japanisch erhältlich ist und wegen der Sprachbarriere bislang in westlichen Medien nicht rezipiert wurde.

Neben seiner akademischen Beschäftigung mit Videospielen fungierte Uemura seit 2004 als Berater für Nintendo. Noch an der Konzeptphase der späteren Nintendo Switch wirkte er beratend mit, wie er bestätigte, wobei er keine näheren Details nennen durfte. 2010 hatte Uemura auch einen Auftritt in der beliebten Interviewreihe „Iwata fragt“. Er erzählte unter anderem aus seiner Forschung, wie er Studierende den NES-Klassiker „Super Mario Bros.“ spielen ließ: „Wenn man ihre strahlenden Gesichter sieht, hat man den Eindruck, dass das Spiel wirklich ein besonderes Geheimnis haben muss.“ Auch nachdem er 2016 offiziell seine Beratertätigkeit für Nintendo beendete, wurde er eigenen Angaben zufolge weiterhin von Nintendo-Mitarbeitenden hin und wieder um Rat ersucht.

Videoaufzeichnung des Vortrags, den Uemura am 15. Oktober 2015 im NYU Game Center über die Geschichte hinter dem NES hielt. Ähnlich referierte er im Februar 2020 auch beim britischen National Videogame Museum.

Späte Ehrungen und der Fortgang einer Legende

In dieser Zeit wurden Uemura auch öffentliche Ehrungen zuteil. 2016 erhielt der Videospiel-Professor den Special Achievement Award des Japan Media Arts Festival, 2017 die Ehrendoktorwürde von der slowakischen Universität St. Cyril und Methodius in Trnava und 2020 den Kyoto City Arts Promotion Award. Einer breiteren Öffentlichkeit leider immer noch kaum bekannt, trat er im höheren Alter doch hin und wieder auf Veranstaltungen auf und gab gerne Interviews. „Uemura war zum Zeitpunkt unseres Interviews 75 Jahre alt“, schrieb etwa Autor Matt Alt, „wirkte aber viel jünger. Ein Vorteil eines Lebens, das damit verbracht wurde, Spielzeuge für die Welt zu erschaffen?“

Nachdem er im März 2021 seine Ämter als Professor und Institutsdirektor an der Ritsumeikan-Universität niedergelegt hatte, gab die Universität Ende des Jahres bekannt, dass Uemura am 6. Dezember 2021 im Alter von 78 Jahren in Akita City verstorben sei. Eine Todesursache ist nicht bekanntgegeben worden. Mit Uemuras Tod ist nach Größen wie Gunpei Yokoi, Hiroshi Yamauchi und Ralph H. Baer eine weitere jener Gründerlegenden, ohne die die Videospielindustrie heute ganz anders aussehen würde, von uns gegangen. Die Freude, die seine Konsolen der Welt bringen, wirkt aber bis heute nach. „Ich würde es […] gerne mit ansehen, wie die Leute in 25 Jahren – obwohl ich dann nicht mehr leben werde – oder gar 100 Jahren ‚Super Mario‘ genießen“, so Uemura 2010 im „Iwata fragt“-Interview. „Es ist ein Jammer, dass ich das nicht erleben werde …“

Quellen: David Sheff: Game Over, 1993, S. 23–42; Interview mit Masayuki Uemura in Used Games, 2000, englischsprachige Übersetzung bei shmuplations.com; „Iwata fragt: Super Mario Bros. 25. Jahrestag, Teil 2: NES & Mario“, Nintendo, 2010; Kevin Gifford: „The Famicom’s creator reflects on 30 years of 8-bit bliss“, Polygon, 10. Juli 2013; Zdenko Mago: „The ‚Father‘ of the Nintendo Entertainment System in Slovakia for the First Time. Interview with Masayuki Uemura“, in: Acta Ludologica 1/1 (2018), S. 52–54; Jeremy Parish: „NES Creator Masayuki Uemura on the Birth of Nintendo’s First Console“, USgamer, 11. Dezember 2018; Martin Robinson: „The man who made the NES“, Eurogamer, 15. März 2020; Matt Alt: „The Designer of the NES Dishes the Dirt on Nintendo’s Early Days“, Kotaku, 7. Juli 2020; „Mitteilung über den Tod von Professor Masayuki Uemura“ (Japanisch), Ritsumeikan Center for Game Studies, 9. Dezember 2021.

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