Inside Nintendo 187: Die spektakulärsten Entdeckungen des Nintendo-Gigaleaks 2020 (Teil 2)

Ein massiver Leak, der hinsichtlich seines Umfangs in der Videospielindustrie seinesgleichen sucht, der sogenannte Gigaleak, hat 2020 für Aufsehen in der Nintendo-Welt gesorgt. Die interessantesten der schier unzähligen Funde stellen wir in dieser Reportagereihe vor. Diesmal geht es unter anderem um Überreste einer Game-Boy-Portierung des „Zelda“-Klassikers „A Link to the Past“, einen bemerkenswerten Prototyp zum späteren „Yoshi’s Island“, geschichtsträchtige Polygon-Versuche zur „The Legend of Zelda“-Reihe sowie eine Frau als Protagonistin im „Star Fox“-Universum.

Ein Platzhalter für die Spielfiguren aus „Super Mario Kart“ in einem Kart (links) und einem Hovercraft (Mitte) – es dürfte sich mit um die frühesten für das Spiel erstellten Grafiken handeln! Rechts sehen wir, wie dies im Prototyp von 1991 hätte aussehen können. Mehr dazu ist in diesem Video zu sehen. Vom Prototyp sind nur Programmcodes, aber keine Grafiken erhalten; diese Rekonstruktionen beruhen auf andernorts gefundenen Grafiken.

Nicht nur Karts und ohne Mario: die wahren Ursprünge von Mario Kart

Mit „Super Mario Kart“ debütierte 1992 eine von Nintendos erfolgreichsten Spielereihen. Ursprünglich jedoch hatte das SNES-Spiel herzlich wenig mit Maskottchen Mario zu tun, denn an des Klempners statt nahmen generische Figuren in den Karts Platz. Da diese sich optisch nicht voneinander unterschieden, ließen sie sich im Spielgeschehen nicht auseinanderhalten. Damit die Figuren besser zu identifizieren sind, holten die Entwickler daher schließlich Mario und seine Freunde ins Boot.

Soweit, so bekannt. Im Rahmen des Gigaleaks sind nun massenweise Materialien aus der Entwicklung des Spiels ans Tageslicht gelangt. Darunter befinden sich auch Grafiken für just jene ursprünglichen Fahrer. Zu sehen ist eine unbekannte Figur mit einem großen Helm, die in einem Gefährt sitzt. Es handelt sich um einen einzigartigen Einblick in die früheste experimentelle Entwicklungsphase von „Super Mario Kart“. Oben links im Bild sieht der fahrbare Untersatz schon sehr nach „Mario Kart“ aus – doch was hat es mit jenem im mittleren Bild auf sich?

Darüber gibt ein ebenfalls geleakter spielbarer Prototyp Auskunft, dessen Bestandteile auf April bis Juli 1991 datieren. Es handelt sich um eine ziemlich frühe Testversion, denn es gibt hier noch keine Items, keine Kollisionserkennung, keine KI, kein Driften und so weiter. Ziel dieses Prototyps war es anscheinend zunächst einmal, die Grundlagen eines Rennspiels für zwei Spieler zu erarbeiten. Dies stellt den Abschluss jener Entwicklungsphase dar, in der die Macher ihr ursprüngliches Konzept eines „F-Zero“ für zwei Spieler zu einem seichteren Kartspiel mit kleineren Strecken änderten. Ausführlich nachlesen könnt ihr diese Geschichte in einem „Inside Nintendo“-Bericht von Anfang 2018.

Dieser frühe Prototyp von 1991 gibt Einblick in ein zuvor nicht bekanntes Detail, denn neben dem normalen Rennmodus mit Karts gibt hier einen Modus für Hovercrafts. In Puncto Steuerung und Fahrgefühl unterscheiden sich diese massiv von den Karts. Leider sind nur Grafiken für die generischen Figuren in den Hovercrafts erhalten. Die frühesten datierbaren Mario-Grafiken aus den Gigaleak-Funden stammen zwar vom 10. Juli 1991, zeigen den Klempner jedoch nicht in einem Hovercraft. Eventuell war die Idee dieser Vehikel also bereits verworfen worden, als das Spiel ins Pilzkönigreich umgesiedelt wurde.

Daneben sind noch weitere, deutlich spätere spielbare Fassungen aufgetaucht, sodass wir in ganz verschiedene Phasen der Entstehung von „Super Mario Kart“ Einblick erhalten. Der hier vorgestellte Prototyp von Frühjahr/Sommer 1991 ermöglicht aber einen einmaligen Blick in jene frühe experimentelle Entwicklungsphase, in der die konzeptionellen Grundlagen für die bis heute als König der Funracer bewährte „Mario Kart“-Reihe austariert wurden, und ist darum besonders wertvoll.

Ursprünglich sollte „The Legend of Zelda: Link’s Awakening“ eine Game-Boy-Portierung des Vorgängers „A Link to the Past“ werden. Die Oberwelt aus dieser frühen Entwicklungsphase ist nun in einem Leak aufgetaucht.

A Link to the Past für den Game Boy

Eine große Leistung auf einem kleinen Bildschirm: „The Legend of Zelda: Link’s Awakening“ übertrug 1993 das Spielprinzip des Serienklassikers „A Link to the Past“ meisterhaft auf den technisch stark limitierten Game Boy. Das ungewöhnliche „Zelda“-Spiel ging aus einer Art Hobbyprojekt hervor; das Entwicklerteam wollte einfach ein wenig mit dem Game Boy experimentieren, für den es bis dahin noch kein einziges Spiel produziert hatte. Bald wurde daraus ein richtiges Entwicklungsprojekt – und in seinen frühesten Phasen sollte es sogar eine 8-Bit-Portierung von „A Link to the Past“ werden.

Das war bereits länger bekannt. Dem Gigaleak verdanken wir nun bislang unbekannte Materialien aus der Entwicklung von „Link’s Awakening“ – darunter eine sehr frühe Spielwelt. Dabei handelt es sich um die Spielwelt von „A Link to the Past“, die mehr oder weniger direkt mit den Game-Boy-Grafiken des späteren „Link’s Awakening“ umgesetzt wurde! Auch weitere sehr frühe Sprites sind erhalten, die sehr am optischen Stil von „A Link to the Past“ angelehnt sind; sie stammen von November und Dezember 1992 – nur wenige Wochen nach Veröffentlichung des SNES-Titels. Wir haben es hier also mit unmittelbaren Überresten aus jener frühesten experimentellen Entwicklungsphase zu tun, zu der das Projekt noch als Game-Boy-Portierung des Vorgängers geplant war.

Hier zum Vergleich die Oberwelt von „A Link to the Past“ sowie die des finalen „Link’s Awakening“. Weitere frühere Stadien der Entstehung der Weltkarte finden sich in der „Inside Nintendo“-Reportage zu „Link’s Awakening“.

Mit der Zeit wurde aus dem Projekt ein neues, eigenständiges „Zelda“-Spiel, doch die großen Einflüsse von „A Link to the Past“ sind auch im fertigen Spiel noch deutlich spürbar. Das in der Mitte der Spielwelt befindliche Schloss, das Gebirge im Norden, das im Westen angesiedelte Dorf mit großem Wald im Norden – all das weist darauf hin, dass die Spielwelt von „Link’s Awakening“ ursprünglich identisch zu jener des Vorgängers war und erst sukzessive an Eigenständigkeit gewann. Genaueren Einblick in diesen Prozess geben auch sehr frühe Screenshots aus dem Spiel, die schon vor dem Leak die Entstehung der Weltkarte veranschaulichten. Nun haben wir das Anfangsstadium dieses Designprozesses im Original vorliegen.

Drei Screenshots aus dem Prototyp „Super Donkey“. Die optischen Ähnlichkeiten zu „Yoshi’s Island“ sind für das geschulte Auge unübersehbar. Oben im Bildschirm wird eine Art Levelkarte (links) sowie eine Anzeige zum Kontrollieren der Sprunghöhe (rechts) eingeblendet.

Ein geheimnisvoller Prototyp: Super Donkey

Nintendo ist bekannt dafür, bei der Entwicklung neuer Spiele ausgesprochen experimentierfreudig zu sein und intensiv an Prototypen zu arbeiten. Gute Beispiele sind etwa die seltsame Technikdemo „Super Mario 128“ oder der erste Prototyp zu „Splatoon“, in dem man Tofublöcke steuerte. Der absolute Großteil der Prototypen, mit denen Nintendo neue Spielkonzepte ausprobiert, erblickt niemals das Licht der Welt. Ein bislang unbekannter ist nun nach fast 30 Jahren aufgetaucht.

„Super Donkey“ ist der Name eines frühen Prototyps für ein SNES-Spiel, der mit „Super Mario World 2: Yoshi’s Island“ zusammenhängt. Es handelt sich um ein Jump’n’Run, in dem man die Rolle einer unbekannten Spielfigur übernimmt, die wie ein Pilot aussieht und manche Fans an Stanley aus „Donkey Kong 3“ erinnerte. Größere Ähnlichkeit besteht zu einer noch obskureren Figur der Nintendo-Geschichte: Zum Piloten Mr. You, seines Zeichens Protagonist aus „Sky Skipper“, einem kaum bekannten und lange Zeit verschollenen Nintendo-Arcadespiel von 1981.

Das Spielprinzip von „Super Donkey“ ist einzigartig und aus keinem veröffentlichten Nintendo-Spiel bekannt. Wie hoch die Spielfigur springt, wird durch eine Leiste bestimmt, die sich per Knopfdruck aufladen lässt. Ist die Leiste ganz gefüllt, kann die Spielfigur sogar kurzzeitig fliegen. Dies ermöglicht ein sehr flexibles Bewegungsrepertoire, das sich wegen des ständigen Aufladens aber als etwas umständlich erweist. Darüber hinaus kann die Spielfigur an Ranken klettern, an bestimmten Punkten zwischen Vorder- und Hintergrund des Levels wechseln, vermittels eines Items Projektile verschießen, von unten durch bestimmte Plattformen hindurch springen und sich an sie hängen.

Bei der geleakten Fassung von „Super Donkey“ handelt es sich um einen sehr frühen Projektstatus, denn es gibt noch keinen Ton, nur wenige Level und viele Programmierfehler. Neben einer Fassung mit vier Leveln und einem ausgearbeiteten Bosskampf ist auch eine ältere Version mit bloß zwei Leveln, die überwiegend zu Testzwecken gedient zu haben scheinen, erhalten. Die Daten des Spiels stammen vom Zeitraum Juli bis Oktober 1991, womit es sich bei „Super Donkey“ um ein recht frühes SNES-Spiel handelt.

Ein kleines Detail aus „Super Donkey“ hat für besondere Aufmerksamkeit gesorgt: Nach einer Stampfattacke erscheinen kleine Staubwölkchen mit Gesicht. Allem Anschein nach hat Nintendo diese kleine Idee Jahrzehnte später für die Stampfattacke mit dem Gumba-Schuh in „Super Mario Maker 2“ aus den Archiven hervorgeholt. Dieses Beispiel zeigt, wie Nintendo manchmal selbst kleinste Ideen irgendwann wiederbelebt.

Vieles an diesem Prototyp wirft Fragen auf. Der Titel weist darauf hin, dass er als ein „Donkey Kong“-Spiel geplant gewesen sein könnte, und tatsächlich befinden sich in den Spieldaten auch Grafiken für einen Gorilla, der wie die bekannte Nintendo-Figur aussieht. Plante Nintendo intern ein neues „Donkey Kong“-Spiel zu entwickeln, bis schließlich das britische Studio Rare mit „Donkey Kong Country“ vorpreschte? Doch im Prototyp selber taucht der Gorilla gar nicht auf. Die Frage nach der Identität der Spielfigur haben wir schon oben erörtert; noch komplizierter wird dies dadurch, dass alternative Grafiken gefunden wurden, die verdächtig nach Nintendo-Maskottchen Mario aussehen. Der namenlose Pilot dürfte demnach nur ein Platzhalter gewesen sein.

Die gesamte optische Aufmachung erinnert aber an ein ganz anderes Nintendo-Spiel, nämlich an „Super Mario World 2: Yoshi’s Island“. Auch wenn das Spielprinzip des Prototyps kaum etwas mit dem SNES-Klassiker von 1995 gemein hat, sind einige später wiederverwendete Grafikelemente doch ein deutliches Indiz für einen Zusammenhang. Da sich ferner die Daten zu „Super Donkey“ in einem Ordner von Shigefumi Hino befinden, seines Zeichens einer der leitenden Entwickler hinter „Yoshi’s Island“, wird davon ausgegangen, dass wir es bei „Super Donkey“ mit einem sehr, sehr frühen Prototyp des späteren „Yoshi’s Island“ zu tun haben. Dies wäre ein weiteres Beispiel dafür, wie sehr sich bei Nintendo erste Prototypen von späteren Veröffentlichungen unterscheiden können.

Eine genauere Einordnung von „Super Donkey“ ermöglicht eine Interviewaussage von 2017. Damals erzählte Shigefumi Hino, wie er nach der Fertigstellung von „Super Mario World“ fieberhaft mit neuen Konzepten experimentiert habe, von denen jedoch keines überzeugen konnte, bis er schließlich die Idee zu „Yoshi’s Island“ hatte. Es sieht ganz danach aus, als sei „Super Donkey“ eines jener Experimente nach Fertigstellung von „Super Mario World“ gewesen; dazu würde auch die Datierung des Prototyps gegen Herbst 1991 sehr gut passen. So gewährt die Entdeckung einen interessanten Einblick in Nintendos Konzeptphase, stellt aber noch manch offene Frage, die ohne entsprechende Entwickleraussagen nicht geklärt werden kann.

Die geleakten Daten aus der frühen SNES-Ära umfassen einige Sprites, die Link aus der Seitenansicht darstellen. Zu „A Link to the Past“ gehören sie nicht, da es in diesem Spiel eine entsprechende Perspektive nicht gibt. Was also hat es mit diesen Grafiken auf sich? Es gibt dazu zwar eine Theorie, doch diese kann kaum überzeugen, sodass die Frage offen bleiben muss.

Das Mysterium der 16-Bit-Sprites von Link

Was unveröffentlichte SNES-Spiele angeht, so schienen weitere Überraschungen auf entdeckungsfreudige Hacker zu warten. Es wurden Sprites gefunden, die Link aus der Seitenperspektive und in recht cartoonhafter Optik darstellen. Sie datieren auf Ende Oktober/Anfang November 1990 und Juli 1991. Dass es sich um Material aus der Entwicklung von „A Link to the Past“ handelt, ist eher unwahrscheinlich, denn dieses wird ja aus der Vogelperspektive gespielt. Außerdem befand es sich Ende 1990 schon nicht mehr im frühen Entwicklungsstadium, in dem noch mit solchen abweichenden Konzepten gerechnet werden könnte. Weitere „Zelda“-Spiele sind jedoch für das SNES nicht erschienen. Was also hat es mit diesen Sprites auf sich?

Spekulationen zufolge steht dieser Fund in Zusammenhang mit einer unveröffentlichten 16-Bit-Neuauflage von „Zelda II: The Adventure of Link“ für das SNES-Add-on Satellaview. Dafür würde insbesondere die Seitenperspektive sprechen, die in jenem zweiten „Zelda“-Spiel in Städten, Dungeons und Kämpfen genutzt wird. Dies wäre eine sensationelle Entdeckung und ein einmaliger Blick auf ein verschollenes Spiel. Der Haken daran ist jedoch, dass es für die Existenz dieses Projekts keine sicheren Beweise gibt (ausführlich dazu in „Inside Nintendo 129: Das Schwarze Schaf: Die Entwicklung von Zelda II: The Adventure of Link“).

Wenn die Funde isoliert kaum Anhaltspunkte für ihre Einordnung aufweisen, so muss der Kontext herangezogen werden. Aufgespürt wurden die Link-Sprites in einem Ordner von Shigefumi Hino, in dem sich auch die Daten des oben behandelten „Super Donkey“ fanden. Heißt das nun, dass in „Super Donkey“ ursprünglich Link die Spielfigur sein sollte? Auch das halten wir für wenig wahrscheinlich. Am ehesten bezeugen diese Sprites das, was wir schon bei „Super Donkey“ festgehalten hatten, dass nämlich Hino nach Abschluss der Arbeiten an „Super Mario World“ mit verschiedenen Ideen experimentiert hat, von denen sich keine durchsetzen konnte. Dazu passt, dass im besagten Ordner auch cartoonartige Sprites von Mario und Donkey Kong im Sidescrolling-Stil enthalten sind, die aus ungefähr demselben Zeitraum stammen wie jene von Link und ihnen stilistisch ähneln.

Wenn unsere Vermutung zutreffend sein sollte, dann handelt es sich bei den Link-Sprites lediglich um Konzeptstudien von Shigefumi Hino und nicht um Hinweise auf verworfene „Zelda“-Projekte. Interessanterweise hat Hino später als Grafiker an „Link’s Awakening“ mitgewirkt – das einzige „Zelda“-Spiel mit seiner Beteiligung. Auch hier finden sich 2D-Sidescrolling-Abschnitte. Gehen diese eventuell auf Hinos Versuche von 1990/1991 zurück?

Dies sind vermutlich die ältesten 3D-Grafiken, die je für Link aus der „The Legend of Zelda“-Reihe angefertigt wurden. Die Polygonmodelle sind wahrscheinlich Überbleibsel einer nie fertiggestellten Neuauflage von „Zelda II: The Adventure of Link“ für das SNES.

Relikt einer verschollenen Legende: ein früher Polygon-Link

Es wurden noch mehr Grafikelemente aus dem Umfeld der „The Legend of Zelda“-Reihe und des SNES entdeckt, die ebenfalls viele Fragen aufgeben. Diesmal handelt es sich um frühe und rudimentäre 3D-Modelle. Bereits einige Jahre vor dem Marktstart des N64 experimentierte Nintendo mit dreidimensionaler Polygongrafik auf seiner 16-Bit-Konsole. Möglich machte es der Super-FX-Chip, der besonders eindrücklich 1993 in „Starwing“, dem ersten Teil der „Star Fox“-Reihe, Verwendung fand. Darüber hinaus stellte Nintendo weitere Versuche mit 3D-Grafik auf dem SNES an, die jedoch weitestgehend nie die heiligen Hallen der Forschungs- und Entwicklungsabteilungen des Konzerns verließen – zumindest bis der Gigaleak genau hier entsprechende Daten abzapfen konnte.

Die Bilder oberhalb dieser Zeilen zeigen Polygon-Modelle für den Super-FX-Chip, die Link darstellen, den Helden aus Nintendos „The Legend of Zelda“-Reihe. Ein Modell ist äußerst rudimentär gehalten und ruft uns dadurch heute ins Gedächtnis, wie limitiert 3D-Grafik auf dem SNES wirklich war, während das zweite Modell bereits deutlich mehr Details aufweist. Es gelang Hackern sogar, diese Modelle und ihre Animationen in „Starwing“ einzubinden. Die Dateien datieren auf Juli 1994 und befinden sich in einem Ordner von Yoshiaki Koizumi, der maßgeblich zu Nintendos Einstieg in die Ära der 3D-Grafik beigetragen hat und in leitenden Positionen an der Entwicklung von „Super Mario 64“ und „Zelda: Ocarina of Time“ beteiligt war.

Anscheinend haben wir hier mehr vor uns als mehr oder weniger zufällige Tests, wie Nintendos bekannte Figuren in früher Polygon-Grafik aussehen könnten, auch wenn allein das schon interessant genug wäre. Wahrscheinlich handelt es sich um Überbleibsel jener nie veröffentlichten Polygon-Neuauflage von „Zelda II: The Adventure of Link“, von deren Existenz wir bislang ausschließlich aus einem Interview wissen. Demnach hatte Koizumi zu Zeiten des SNES zusammen mit Shigeru Miyamoto an einer 3D-Neuauflage des zweiten „Zelda“-Spiels gearbeitet, die durch den Super-FX-Chip ermöglicht werden sollte. Der Schwertkampf sollte eine wichtige Rolle einnehmen, was großen Einfluss auf das spätere „Ocarina of Time“ ausübte. Über frühe konzeptionelle und experimentelle Phasen gelangte das Projekt, über das ansonsten nichts bekannt ist, jedoch vermutlich nie hinaus.

Zum Vergleich: So sah Link zu seinem ersten öffentlichen Auftritt als 3D-Modell auf dem N64 aus, in einer sehr frühen Tech-Demo zum späteren „Ocarina of Time“ von Ende 1995. Drei Jahre später im veröffentlichten Spiel war Links Optik wiederum deutlich weiter fortgeschritten.

Eine eindeutige Bestätigung, dass diese frühen Polygon-Modelle tatsächlich zu jenem „Zelda II“-Remake gehören, gibt es zwar nicht, doch der Fund fügt sich mit seiner Verbindung zu Koizumi perfekt in das wenige ein, das wir über dieses ominöse Projekt wissen. Es handelt sich also um einen Einblick nicht nur in Nintendos frühe 3D-Grafik-Geschichte, sondern auch in einen direkten Vorläufer von „Ocarina of Time“, einem der einflussreichsten 3D-Spiele aller Zeiten.

Eventuell hat das anstehende N64, das ganz auf Polygongrafik spezialisiert war, das Ende dieses Projekts besiegelt. Wenige Wochen nach der Erstellung dieser Modelle, im Herbst 1994, begann denn auch die Entwicklung von „Super Mario 64“. Apropos: Dass der N64-Starttitel auf einen Polygon-Prototyp für das SNES und den Super-FX-Chip zurückgehe, wie oft behauptet wird, beruht auf einer Fehlinterpretation, denn ein vermeintliches „Super Mario FX“ hat es nie gegeben. Auch im Gigaleak wurden keine entsprechenden Materialien aufgespürt, obwohl durchaus noch weitere bislang unbekannte 3D-Modelle für den Super-FX-Chip enthalten waren.

In einem frühen Stadium der Entwicklung von „Star Fox 2“ war ein Mensch als eine der möglichen Spielfiguren vorgesehen, wie diese Grafiken beweisen, und zwar eine Frau. Wer dies als wenigstens kleinen Fortschritt hin zu einer angemesseneren Repräsentation von Frauen in Videospielen in den 1990er-Jahren begrüßt, den müssen wir jedoch mit einer eher weniger rühmlichen Entdeckung aus dem Gigaleak konfrontieren: Einige interne E-Mails von „Star Fox“-Entwickler Argonaut Games aus der damaligen Zeit enthielten sexistische und frauenfeindliche Inhalte.

Eine menschliche Frau als Spielfigur in Star Fox 2

„Star Fox 2“ hat eine sehr bewegte Geschichte hinter sich: Obwohl die Fortsetzung des Weltraum-Shooters praktisch fertiggestellt war, ließ Nintendo das Spiel 1995 einstampfen. In den folgenden Jahren tauchten verschiedene Spielfassungen durch Leaks im Internet auf, bis „Star Fox 2“ 2017 im Rahmen des Nintendo Classic Mini: Super Nintendo Entertainment System mit über zwei Jahrzehnten Verspätung doch noch offiziell veröffentlicht wurde. Über die Entstehung dieses unglücklichen Exemplars der Nintendo-Geschichte waren wir schon vorher gut informiert (siehe „Inside Nintendo 128: Besser spät als nie – die ganze Geschichte hinter Star Fox 2“), der Gigaleak hat nun aber weitere Prototypen aus der Entwicklung des Spiels zutage gefördert.

Eine der spannendsten Entdeckungen stammt aus einer sehr frühen Fassung des Spiels von Mai 1994. Inmitten der Grafiken für die Spielfiguren finden wir neben Fox, Falco, Peppy, Slippy und einem Schaf – einem Vorläufer von Hündin Fay aus der finalen Fassung – eine Gestalt, die so gar nicht in das uns bekannte „Star Fox“-Universum hineinpasst, nämlich eine menschliche Frau. Anscheinend hatte diese unbekannte Dame eine dunkle Hautfarbe. Eine schwarze Frau als Protagonistin in einem Nintendo-Spiel wäre in den 1990er-Jahren eine kleine Sensation gewesen, immerhin muss sich Nintendo selbst heute noch Vorwürfe anhören, die menschliche Vielfalt in seinen Spielfiguren nicht angemessen zu repräsentieren.

Leider haben wir keinerlei Anhaltspunkt, um mehr über die Frau in „Star Fox 2“ zu sagen. Als Entwickler Dylan Cuthbert auf Twitter mit dieser Entdeckung konfrontiert wurde, antwortete er, dass er sich nicht mehr daran erinnern könne, da es sich um eine sehr frühe und experimentelle Entwicklungsphase gehandelt habe. Da die Frau in Prototypen des Spiels von April 1994 noch nicht und in einer späteren Fassung von August 1994 nicht mehr enthalten war, war sie offenkundig nur kurzzeitig geplanter Bestandteil der „Star Fox“-Crew. Letztlich muss gesagt werden, dass eine menschliche Spielfigur wohl kaum in das Spiel gepasst hätte – gerade darum aber erweist sich dieser Fund als ein weiterer faszinierender Blick in eine alternative Vergangenheit.


Mit unserer Reise durch den Nintendo-Gigaleak von 2020 haben wir nun die SNES-Ära hinter uns gelassen. Diese war, was spektakuläre Entdeckungen anbelangt, wohl von allen Nintendo-Epochen am ergiebigsten; das aber bedeutet keineswegs, dass aus späteren Zeiten nichts Interessantes ans Tageslicht befördert worden wäre. Im folgenden dritten Teil wird es weitergehen mit Funden aus Nintendos N64-Spielen.

Weiterführende Links: Forum-Thread
Weitere Infos im Hub

Inside Nintendo

Hinter den Kulissen von Nintendo

Bisher gibt es einen Kommentar

Du bist nicht angemeldet. Logge dich ein oder registriere dich, um kommentieren zu können.