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Earthbound (VC)

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EarthBound

19 Jahre. So lange mussten die europäischen Fans warten, um (legal) in den Genuss des SNES-JRPGs „EarthBound“ zu gelangen. So kam es, dass die meisten Spieler hierzulande mit Ness, dem Protagonisten des Spiels, in „Super Smash Bros. Brawl“ gar nichts anfangen konnten. Doch der Schein trügt: Eine hartnäckige Fan-Base, auch hier in Europa, hat jahrelang um eine offizielle Wiederveröffentlichung seitens Nintendo gedrängt. Mitte 2013 ging dieser lange Zeit unerfüllbar scheinende Wunsch endlich in Erfüllung – „EarthBound“ erschien weltweit für die Wii U-Virtual Console. Was also ist es, das die Fans so sehr am Spiel begeistert? Dieser Frage werden wir in diesem Review auf den Grund gehen.

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Das übliche? Denkste!

Ein mysteriöser, junger Waise erwacht in einer mittelalterlichen Fantasy-Welt ohne Gedächtnis. Im Laufe des Spiels freundet er sich mit zahlreichen Verbündeten an – darunter ein Magier und eine junge Frau, die knapper kaum bekleidet sein könnte – und kämpft als Auserwählter gegen ein übermächtiges, böses Imperium. Das ist zumindest das Klischee des typischen japanischen Rollenspiels. „EarthBound“ ist da ganz anders. Zunächst einmal ist der Protagonist Ness ein kleiner, wirklich normaler Junge, der zusammen mit seinen Eltern ein natürliches Leben in einer herkömmlichen amerikanischen Kleinstadt gegen Ende des 20. Jahrhunderts führt. Ein derartiges Setting ist für ein RPG ziemlich ungewohnt, doch hier hören die Eigenarten noch längst nicht auf. Ness' erste Gegner etwa sind nicht fiese Monster, sondern Krähen und umherstreunende Hunde.

„EarthBound“ hält sich vom Konzept her ziemlich stark an sein realistisches Setting. So heilt sich Ness nicht etwa durch magische Tränke, sondern durch den Verzehr von Burgern, Fritten und Co. Er bezahlt nicht mit Münzen, die er finden muss, sondern mit dem Taschengeld, das ihm sein Vater auf sein Konto überweist. Dieser ist das ganze Spiel über übrigens nur via Telefon erreichbar und speichert nach einem Anruf euren Spielstand.

Im Laufe des Spiels wird Ness einige Städte bereisen, einige davon – etwa seine Heimatstadt Onett – sind nach englischen Zahlwörtern benannt. Hier gibt es Geschäfte, befahrene Straßen, Busse, Hotels … „EarthBound“ bietet tatsächlich ein durch und durch an die echte Welt angelehntes Szenario.

Viel Humor und Schräges

Die eigentliche Story, die „EarthBound“ erzählt, fällt da schon klischeebeladener aus. So macht sich der kleine Junge Ness allein auf zu einer großen, weiten Reise, als Buzz-Buzz, ein fliegenartiges Alien aus der Zukunft, ihm aufträgt, gegen den Invasor Giygas zu kämpfen, der in der Zukunft die Welt erobern wird. Dazu muss Ness acht auf der ganzen Welt verstreute Heiligtümer aufsuchen. Magische Kräfte, Zombies, Zeitreisen und weitere ausgelutschte Elemente finden sich in der Handlung wieder. Dies bietet einen ziemlich deutlichen Kontrast zum erfrischenden Szenario des Spiels und lässt „EarthBound“ teils wie eine Parodie des gesamten RPG-Genres erscheinen.

Die gesamte Handlung des Spiels ist jedoch eine ziemlich spannende, mit Plot Twists und rührenden, aber auch beängstigenden Momenten gefüllte. Weitaus brillanter noch ist aber die Art und Weise, in der sich das Spiel selbst und seine Charaktere präsentieren. „EarthBound“ strotzt nämlich nur so vor lustigen Scherzen sowie Wortspielen und auch popkulturellen Referenzen und Anspielungen. Es ist eines der Spiele, die von einer besonders guten Übersetzung leben. Glücklicherweise können wir bestätigen, dass die englische Übersetzung von „EarthBound“ auch ausgesprochen gut gelungen ist. Doch leider gibt es das Spiel ausschließlich in englischer Sprache, und wer dieser nicht ausreichend mächtig ist, dem wird ein großer Teil des Charmes leider verwehrt bleiben.

„EarthBound“ ist ziemlich schräg geschrieben, aber da ein Videospiel nicht nur aus Handlung, sondern auch aus dem Spielen selber besteht, erwartet man nun auch, dass es unkonventionelle Spielkonzepte bietet. Und das tut „EarthBound“ auch. Viel wollen wir an dieser Stelle gar nicht vorwegnehmen – aber auf eurer Reise werdet ihr euch anrülpsende und -kotzende Gegner, ein abnormes, von Geschöpfen namens „Mr. Saturn“ besiedeltes Dorf sowie eine verrückte Stadt, in der „Nein“ „Ja“ und umgekehrt bedeutet, erleben. Und das war nur eine ganz kleine Auswahl.

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Ein waschechtes RPG

Wenn ihr jetzt denkt, dass „EarthBound“ ein wirklich verrücktes Spiel ist, dann haben wir euch das ganze ja ganz gut nahe gebracht. Doch denkt dadurch nicht, „EarthBound“ könne keine ernste und emotionale Handlung erzählen oder sei aufgrund seines Grafikstils nur etwas für Kinder. Dem ist nicht so: Es handelt sich um ein waschechtes RPG, mit dem ihr gut und gerne 30 Stunden verbringen werdet. Auch das Kampfsystem von „EarthBound“ ist einzigartig. Zunächst einmal sind die Gegner auf der Oberwelt sichtbar und ihr könnt ihnen ausweichen, es gibt also keine Zufallskämpfe. Greift ihr einen Gegner von hinten an, könnt ihr zwei Runden in Folge ohne Gegenwehr attackieren. Sind die Gegner weitaus schwächer, müsst ihr sie gar nicht erst bekämpfen, da sie automatisch besiegt werden. Das eigentliche Kampfsystem ist da etwas konventioneller und bietet rundenbasierte Kämpfe. Hauptsächlich werdet ihr zwar mit Waffen wie Baseball-Schlägern und Jojos angreifen, Magie in Form von Psycho-Attacken gibt es aber trotzdem. Eine weitere Besonderheit: Eure Kraftpunkte (KP) werden nach gegnerischen Angriffen erst abgezählt. Dies gibt Zeit, auf besonders starke gegnerische Angriffe durch Heilvorgänge zu reagieren. Auch dieses Element wurde von viel zu wenigen späteren RPGs übernommen.

Im Laufe des Spiels wird Ness drei Verbündete sammeln, die ihr übrigens am Anfang des Spiels frei benennen dürft. Es handelt sich dabei um das Mädchen Paula, das junge Genie Jeff sowie den asiatischen Prinzen Poo. Natürlich wird im Spiel die Freundschaft zwischen den Charakteren von großer Wichtigkeit sein. Erfreulich ist ferner, dass jeder Charakter besondere Fähigkeiten besitzt. So können Ness und Poo heilen und teleportieren, Paula kann zudem beten, Jeff kann defekte Waffen reparieren und den Gegner ausspionieren und Poo die Eigenschaften des Gegners kopieren.

Der Schwierigkeitsgrad ist unserer Einschätzung nach verhältnismäßig einfach, wobei es durchaus einige anspruchsvolle und auch nervige Stellen gibt. Sehr löblich ist, dass man im Spiel Tipps käuflich erwerben kann, falls man nicht weiß, was man als nächstes machen soll. Jedoch gibt es trotzdem einige Situationen, in denen es vorkommen kann, dass man einige Zeit lang nicht weiterkommen wird. Langeweile jedenfalls kommt nie auf – abgesehen von der extrem unterhaltsamen Art und Weise des Spiels glänzt „EarthBound“ auch durch ein sehr großes Abwechslungsreichtum.

Starbesetzung

An dieser Stelle möchten wir kurz noch die Entwicklung des Spiels beleuchten. Dass „EarthBound“ sich so ungewohnt spielt und eine derart eigenwillige Handlung erzählt, hat nämlich einen Grund. Und zwar ist der Hauptverantwortliche hinter dem Titel gar kein Spieleentwickler. Es war der bekannte japanische Werbetexter, Dichter, Synchronsprecher und Blogger Shigesato Itoi (* 1948), der die Entwicklung der „Mother“-Reihe leitete, zu der auch „EarthBound“ zählt. Bei dem Spiel handelt es sich um eine Kooperation zwischen Itois eigenem Unternehmen Ape, Nintendo sowie dem Nintendo-Studio HAL Laboratory.

Leider hat die Tatsache, dass Itoi kein wirklicher Spieledesigner ist, zu einer sehr schwierigen Entwicklungsphase geführt. Die Entwicklung von „EarthBound“ dauerte einige Jahre lang an und näherte sich mehrmals dem potenziellen Untergang. Doch Itoi war nicht der einzige bekannte Mitwirkende. So war einer der Produzenten und der Hauptprogrammierer niemand Geringeres als Satoru Iwata, der heutige Nintendo-Präsident. Außerdem war Nintendo-Legende Shigeru Miyamoto als Supervisor involviert und Hirokazu Tanaka, einer der beiden Komponisten, ist durch seine grandiosen Soundtracks vieler früher Nintendo-Spiele bekannt.

Finanziell war „EarthBound“ leider ein Misserfolg. Einerseits lag dies sicherlich am eigenwilligen Grafikstil, der schnell den Eindruck eines uninteressanten Kinder-Spiels erweckt, und andererseits an der Vermarktung – „This game stinks!“ ist halt kein sehr geeigneter Slogan. Zumindest ist das Spiel, anders als die anderen „Mother“-Teile, auch in Amerika erschienen und dank einer sehr treuen Fan-Base können wir Europäer nun auch in dessen Genuss gelangen.

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Grafik und Ton

Wie schon mehrfach erwähnt, bietet „EarthBound“ einen comicartigen Grafikstil. Dieser ist eher simpel und zweckmäßig umgesetzt, was aber nicht bedeutet, dass er keine dichte Atmosphäre erzeugen kann. Das Geschehen wird aus der dritten Person in einer schrägen, isometrischen Perspektive dargestellt. Die einzelnen Gebiete unterscheiden sich von ihrer Grafik her deutlich. Auch die Sprites für die Figuren sind gelungen. In Kämpfen wird das Geschehen äußerst stilisiert dargestellt. Hier ist nämlich nur der Gegner sichtbar. Bei Attacken kommen nur Grafikeffekte, nicht aber Animationen zum Einsatz. Schick sind dafür die Kampfhintergründe, die sich bewegende Muster darstellen.

Wenn bereits ein paar Gegner auf der Oberwelt zu sehen sind, fängt das Spiel leider bereits stark zu ruckeln an, obwohl die Grafik gar nicht so anspruchsvoll ist. Abgesehen davon läuft „EarthBound“ aber meist flüssig. Aufgrund der verzerrten Perspektive kann es jedoch manchmal zu leichten Problemen beim Laufen durch die Oberwelt kommen.

Die Musik von „EarthBound“ ist überaus gelungen und sowohl umfang- als auch abwechslungsreich. Jede Stadt ist mit einer eigenen, sehr eingängigen Melodie unterlegt. Besonders lobenswert ist, dass es eine Vielzahl an Kampf-Themes gibt, sodass auch hier für Abwechslung gesorgt ist. Vorherrschend ist hier, eher ungewöhnlich für ein RPG, das Jazz-Genre. Doch wir können versprechen, dass auch 8-Bit- (!) und Metal-Freunde auf ihre Kosten kommen werden. Auf alle Fälle trägt die Musik sehr stark zur gelungenen Atmosphäre des Spiels bei und schöpft den Sound des SNES voll aus.

Weiterführende Links: Forum-Thread

Fazit & Wertung

Witzig, unkonventionell, verrückt – wer vom Einheitsbrei gelangweilt ist und stattdessen Spiele, auf die diese Eigenschaften zutreffen, bevorzugt, der wird um „EarthBound“ auf kurz oder lang kaum herumkommen. Das Spiel strotzt bis zum letzten vor Charme, Witz und bisweilen auch Verrücktheit. Was Letztgenanntes betrifft, brilliert das Spiel dadurch, sich selbst ständig zu überbieten. Da auch das Kampfsystem überzeugt, der Umfang sowie die Abwechslung stimmen und Musik und Grafik absolut solide sind, ist „EarthBound“ wahrlich ein Meisterwerk, das selbst heute, nach knapp 20 Jahren kein bisschen seines Charmes verloren hat.

Bisher gibt es drei Kommentare

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  • Avatar von mithos630
    mithos630 24.11.2013, 20:41
    Earthbound ist eines der besten RPGs. Ich kann es jedem nur empfehlen.
  • Avatar von Garo
    Garo 24.11.2013, 18:02
    Fantastischer Test zu einem genialen Spiel!
  • Avatar von lavars
    lavars 24.11.2013, 02:32
    ihr habt euch verschrieben da stehr garnicht10/10?