Heute erscheint mit „Chase: Cold Case Investigations – Distant Memories“ ein eigentlich unscheinbares Spiel im eShop, das dennoch viele Herzen höher schlagen lässt. Das Spiel wurde vorweg nur geringfügig beworben. Als Visual Novel schlägt es sowieso in eine Kerbe, die von vielen Spielern aufgrund des hohen Textanteils sowieso kaum als echtes Spiel wahrgenommen wird. Dabei steckt hinter „Chase: Cold Case Investigations – Distant Memories“ ein Team von Entwicklern, das auf dem Nintendo DS innerhalb kurzer Zeit einige der besten Spiele des Handheld überhaupt ablieferte.
Das letzte Fenster schließt sich
Die Rede ist von dem Entwicklerstudio CiNG, welches am meisten für „Hotel Dusk: Room 215“ und „Little Kings Story“ bekannt sein dürfte. Allerdings zeichnete sich das Entwicklerstudio auch für den weniger bekannten „Hotel Dusk“-Nachfolger „Last Window“ und die beiden „Another Code“-Spiele verantwortlich. Mit gerade einmal 29 Mitarbeitern war CiNG ein vergleichsweise kleines Entwicklerstudio, genoss aber das Privileg, in direkter Kooperation mit Nintendo zu arbeiten. Das Wörtchen „war“ deswegen, weil CiNG am 1. März 2010 Insolvenz anmelden musste. Zu diesem Zeitpunkt hatten sie mit „Last Window: The Secret of Cape West“ gerade ihr letztes Spiel in Japan veröffentlicht. Als eine Ironie des Schicksals schloss sich mit diesem Spiel auch schon bald für CiNG das letzte Fenster.
Da CiNG die „Another Code“- und „Hotel Dusk“-Reihe in Zusammenarbeit mit Nintendo entwickelte, kamen wir immerhin noch im September desselben Jahres in den Genuss von „Last Window“. Zu diesem Zeitpunkt war CiNG schon mehrere Monate Geschichte und die Mitarbeiter in allerlei Richtungen verteilt.
„Hotel Dusk“ und „Another Code“ – zwei Aushängeschilder von CiNG
Wie ein interaktiver Roman
Die Adventure-Spiele von CiNG standen für vielerlei Dinge. Allem voran aber für emotional berührend erzählte Geschichten, tiefe Einblicke in die Gefühlswelten der Charaktere und nicht zuletzt die innovative Einbindung der Spielhardware. „Hotel Dusk: Room 215“ erhielt unter anderem deswegen so viel Aufmerksamkeit, weil man den Nintendo DS nicht wie üblich in beiden Händen hielt und das Spielgeschehen mit den Knöpfen steuerte. Stattdessen musste man den DS hochkant halten und ausschließlich mit dem Touchpen bedienen. In dieser Perspektive entstand der Eindruck, dass man ein Buch in der Hand halten würde. Aufgrund des hohen Text-Anteils von „Hotel Dusk“ gab es tatsächlich Augenblicke, in denen man ähnlich tief in der Geschichte versank, als würde man die gedruckten Seiten eines Romans in den Händen halten.
„Another Code: Two Memories“ hingegen erschien schon drei Monate nach dem Europa-Launch des Nintendo DS und wusste wie kein anderes Spiel zu diesem Zeitpunkt, die vielen Möglichkeiten des Nintendo DS auszureizen. Angefangen bei Touchpen-Einlagen, bei denen beispielsweise mittels Bleistift und Zettel eine durchgedrückte Nachricht entschlüsseln musste. Das Mikrofon nutzte man hingegen, um verstaubte Gegenstände frei zu pusten, und den Standby-Modus des zugeklappten DS, um einen Stempel auf einem Blatt Papier zu hinterlassen. Zumal der Nintendo DS selbst unter dem Namen DAS ein zentraler Spielgegenstand war. Eine geniale Idee, die mit der Wii-Fernbedienung im Nachfolger „Another Code: R“ leider nicht mehr so fruchtete. Trotzdem: CiNG war meisterhaft darin seine Geschichte auf innovative und interaktive Art und Weise zu erzählen.
Hauptcharakter Ashley mit dem „DAS“
Der Spieler und die Geschichte
CiNG sorgte mit seinen Spielen in Japan sogar für eine kleine Renaissance der Adventure-Spiele. Der Touchscreen des Nintendo DS eignete sich einfach perfekt für klassische Point & Click-Rätsel. Außerdem wurden die Geschichten in Kapiteln erzählt, was die Spiele nicht nur der Erzählweise eines Romans annäherte, sondern sich ideal für kurze Spieleinlagen unterwegs erwies. Die verantwortliche Autorin von „Another Code“ Rika Suzuki verriet einst in einem Interview, dass sie besonders stolz darauf sei, dass es in japanischen Videospielläden wieder eine Ecke für Adventure-Spiele gebe. Ein Erfolg, an dem sich CiNG mit einem großen Anteil beteiligt sah. Als Erfolgsformel für die Spiele von CiNG sah sie, dass man keine besonderen Fähigkeiten oder Erfahrungen für die Spiele benötige. Egal welches Alter oder welches Geschlecht: Es gebe nur den Spieler und die Geschichte.
Und dennoch: Am 1. März meldete CiNG mit einer Schuldenhöhe von etwa zwei Millionen Euro Insolvenz an. Die vergebliche Hoffnung der Fans, dass Nintendo dem Studio unter die Arme greifen und somit „Hotel Dusk“ und „Another Code“ eine Zukunft schenken würde, blieb unerfüllt. Auch wenn den wenigsten der Name CiNG etwas sagen dürfte, weckt man mit den Namen „Hotel Dusk“ oder „Another Code“ dennoch bei vielen eine Reaktion aus.
Im Winde verweht
Wo die einzelnen Entwickler letztendlich alle unterkamen, lässt sich nur schwierig nachvollziehen. Dafür rückte das Studio niemals weit genug in den Fokus der breiten Aufmerksamkeit. Die Autorin und Game Designerin Taisuke Kanasaki gründete allerdings bereits vor der Insolvenz von CiNG die Firma Bellwood Inc. und veröffentlichte dort gemeinsam mit anderen Ex-Kollegen verschiedene Online-Novels. 2014 äußerte sie zwar in einem Interview Interesse darin, die Geschichte von Kyle Hyde aus „Hotel Dusk“ fortzusetzen, wies aber darauf hin, dass die Rechte an der Reihe bei Nintendo liegen.
So etwas wie ein Comeback: Chase: „Cold Case Investigations“
Ein anderer Teil des ehemaligen CiNG-Teams versammelte sich hingegen um Taisuke Kanasaki, der mittlerweile bei Arc System Works arbeitet und bei „Another Code“ und „Hotel Dusk“ unter anderem als Director und Character Animation Supervisor fungierte. Dies ist auch der Grund, weshalb man beim ersten Blick auf „Chase: Cold Case Investigations – Distant Memories“ direkt an den Privatermittler Kyle Hyde zurückdenken muss.
Auch wenn man „Chase: Cold Case Investigations“ wohl seine niedrigen Entwicklungskosten und das Fehlen der Autorin Taisuke Kanasaki anmerken soll, können Fans zumindest etwas von dem Gefühl der alten CiNG-Spiele wieder erleben.
Bisher gibt es sechs Kommentare
Es ist wirklich schade, dass es das Studio nicht mehr gibt und man entsprechend wenig auf nachfolgende Spiele hoffen kann. Aber schön, dass "Chase: Cold Case Investigations" unter diesen Umständen noch zustande gekommen ist.