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Kid Icarus: Uprising

Inside Nintendo 61: Die mystische Geschichte der Kid Icarus-Reihe

Nintendo kann extrem viele Spieleserien sein Eigen nennen. Neben weltbekannten Marken, wie „Super Mario“, „The Legend of Zelda“ oder „Donkey Kong“, zählen dazu natürlich auch viele weniger bekannte Reihen. Nintendos Nischenserien zeichnen sich größtenteils durch eine sehr unstete Historie aus. Doch einen besonderen Platz in Nintendos C-Klasse-Reihen nimmt die „Kid Icarus“-Serie ein. Denn obwohl in rund drei Jahrzehnten gerade einmal drei Teile erschienen sind, ist „Kid Icarus“ überraschend beliebt. Knapp drei Jahre ist es nun her, dass „Kid Icarus: Uprising“ auf den Markt gekommen ist, und wir werfen einen Blick auf die überaus unstete Geschichte der Serie.

In letzter Sekunde

Im heutigen Zeitalter sind Videospiele in der Regel Monate vor ihrer Markteinführung fertiggestellt. Nicht so bei „Kid Icarus“: Da es sich um ein Spiel für das diskettenbetriebene Famicom Disk System handelt, konnte es sehr schnell produziert werden. Und trotzdem ist es unglaublich, wie viel Zeit zwischen Ende der Entwicklung und der Veröffentlichung lag. Nur drei Tage, bevor das Spiel am 19. Dezember 1986 auf den Markt kam, beendeten die Entwickler ihre Arbeiten.

Die Entwicklung von „Kid Icarus“ war ein einziges Chaos. Doch der Reihe nach.

Forever alone

„Kid Icarus“ ist das Werk von Toru Osawa. Der 1985 angestellte Nintendo-Mitarbeiter wollte unbedingt sein eigenes Spiel entwickeln. Nintendo erfüllte ihm diesen Wunsch, doch dabei stand er zunächst ganz allein dar. Übrigens, nicht nur bei seinem Erstlingswerk war Osawa zunächst das einzige Mitglied des Entwicklerteams: Ein Jahrzehnt später war er allein das Fundament, aus dem später das legendäre „Ocarina of Time“ entspringen sollte (mehr zur Entwicklung jenes Spiels in einem früheren Bericht).

Zurück zu Osawas Erstlingswerk. Osawa erdachte das Spielkonzept, zeichnete die Grafiken, gestaltete die Levels. Seine Pläne übergab er zur technischen Umsetzung einem externen Unternehmen. Parallel zur Entwicklung seines ersten Spiels steckte der damals erst 22-Jährige bereits in den Vorbereitungen für seine Hochzeit. Er wollte nach Abschluss des Projektes heiraten. Doch da sich dieser immer weiter hinausschob, fand die Eheschließung schließlich einfach zwischendurch im Sommer 1986 statt.

Verheiratete Mitarbeiter in Osawas Alter waren damals eine absolute Ausnahme bei Nintendo. Daher gab es für Osawa keine Schonfrist: Drei Tage wollte er sich nach seiner Hochzeit frei nehmen, doch schon nach zwei Tagen orderten ihn seine Vorgesetzten wieder zurück zu „Kid Icarus“. Osawa und seine Frau mussten auf die Flitterwochen verzichten.

links: „Kid Icarus“-Schöpfer Toru Osawa; 2.v.r.: Spieldesigner Yoshio Sakamoto; rechts: Co-Designer und Wario-Schöpfer Hiroji Kiyotake; Foto von 2004 (Bildquelle)

Unterstützung naht

Osawas Spiel musste bis Ende 1986 fertig sein, doch allein hätte er dies nie geschafft. Daher stießen im August 1986 die Entwickler hinter „Metroid“ zum One-Man-Team hinzu - natürlich erst, nachdem sie von ihrem wohlverdienten Urlaub zurückgekehrt waren. Die „Metroid“-Schöpfer Gunpei Yokoi und Satoru Okada übernahmen fortan die Projektleitung. Auch der für die „Metroid“-Reihe mitverantwortliche Yoshio Sakamoto trug viel zum Design von „Kid Icarus“ bei.

So kommt es, dass „Kid Icarus“ auf der Engine von „Metroid“ basiert. Auch den Soundtrack beider Spiele verfasste die gleiche Person, nämlich Hirokazu Tanaka. Und trotz der Unterstützung des „Metroid“-Teams merkt man deutlich, dass das Spiel in Wahrheit das Werk eines Neulings ist, denn Osawas Unerfahrenheit drückt sich im hohen, bisweilen unfairen Schwierigkeitsgrad des Spiels aus.

Harte Bedingungen für das Team

Für das gesamte Entwicklerteam war die Zeit alles andere als einfach. Sakamoto erzählte später in einem Interview, dass nicht wenige Arbeitstage so lange liefen, dass das Team in den Büros nächtigen musste. Da das Entwicklungsgebäude zu dieser Jahreszeit nachts nicht beheizt wurde, bastelte sich das Team Betten aus Kartons und deckte sich mit Vorhängen zu. „Es war furchtbar kalt“, erinnerte sich Sakamoto.

Den schlechten Arbeitsbedingungen und dem hohen Druck zum Trotz: Die Entwickler hatten definitiv Spaß bei ihrer Arbeit und erlaubten sich so ihre Späße. Einer der Gegner des Spiels, Specknose, wurde beispielsweise inspiriert durch - Hirokazu Tanakas nach Ansicht des Teams überproportional großes Riechorgan!

Das eine inspirierte das andere: Komponist Hirokazu Tanaka und der Gegner Specknose (Bildquelle)

Moderat erfolgreich

Wenige Wochen nach seiner knappen Veröffentlichung in Japan erschien bereits eine Fassung von „Kid Icarus“ für das NES in Europa. Der nordamerikanische Markt durfte ab Mitte 1987 ran. Obwohl qualitativ nicht an die Brillanz eines „Super Mario Bros.“ heranreichend, konnte das Spiel als Mischung der Konzepte von „Metroid“ und „The Legend of Zelda“, angesiedelt in einer wenig ernsten Welt der griechischen Mythologie, überzeugen.

Mit gut zwei Millionen Verkäufen war „Kid Icarus“ gewiss kein gewaltiger Erfolg. Erfolglos war es aber auch nicht gerade. Als daher wenige Jahre später Umsetzungen der beliebtesten Nintendo-Serien für den Game Boy erschienen, folgte auch eine mobile Fortsetzung von „Kid Icarus“.

Die obskure Fortsetzung

„Kid Icarus: Von Mythen und Monstern“ erschien in Nordamerika im November 1991 für den Game Boy – zufälligerweise zur gleichen Zeit wie „The Return of Samus“, die Fortsetzung der Schwesterserie „Metroid“. Auch „Von Mythen und Monstern“ läuft übrigens auf der gleichen Engine wie „Metroid 2“.

In Europa kam „Von Mythen und Monstern“ 1992 heraus. Seinem Heimatmarkt Japan ließ Nintendo das Spiel jedoch vorenthalten - warum, ist völlig unklar. An den Verkaufszahlen kann es jedenfalls nicht gelegen haben, denn die Hälfte aller Verkäufe von „Kid Icarus“ entfielen auf den japanischen Markt.

Zu „Von Mythen und Monstern“ ist generell nur sehr wenig bekannt. Da das Spiel im Gegensatz zu seinem Vorgänger keinen Abspann aufweist, wissen wir nicht einmal genau, wer hinter der Entwicklung steckte. Vermutet wird, dass für die Projektleitung wieder die Abteilung Nintendo Research & Development 1 verantwortlich war.

Schattenentwickler

Es wird noch mysteriöser: Mit der eigentlichen Entwicklung von „Kid Icarus II“ war offenbar ein externes Unternehmen namens Tose betraut. „Offenbar“, weil Tose ein sogenannter Schattenentwickler ist. Das heißt, dass das Studio Aufträge für andere Entwickler ausführt und dabei nicht öffentlich mit seinen Produkten in Verbindung gebracht wird. Tose ist der größte aller Schattenentwickler und ist heimlich für die eigentliche Entwicklung hunderter (!) Videospiele zuständig gewesen. Quasi alle großen Spieler der Industrie haben sich bereits bei Tose bedient: EA, Capcom, Sega, Sony und viele mehr – eben auch Nintendo.

Nur ein einziges Teammitglied hinter „Kid Icarus II“ konnte eindeutig identifiziert werden: Programmierer Hideyo Kawaguchi von Tose. Toru Osawa war vermutlich nicht beteiligt, da er Director des 1992 veröffentlichten Japan-exklusiven Game Boy-RPGs „For the Frog the Bell Tolls“ war. Und wer den Soundtrack von „Kid Icarus II“ schrieb - ebenfalls unbekannt.

Von der Bildfläche verschwunden

Danach verschwand „Kid Icarus“ endgültig in der Versenkung. In Japan erschien 2004 im Rahmen der „Famicom Mini“-Reihe eine Portierung des ersten Teils für den Game Boy Advance, das war's aber auch - immerhin ist hier der zweite Teil nie herausgekommen.

2008 kamen Gerüchte um ein drittes „Kid Icarus“-Spiel für die Wii auf. Entwickelt werde es, wie es damals hieß, vom deutschen Studio Factor 5, bekannt unter anderem für die drei „Star Wars: Rogue Squadron“-Spiele für N64/GameCube. IGN-Redakteur Matt Casamassina berichtete, dass Nintendos Chefproduzent Shigeru Miyamoto verdächtig lächelte, als er auf ein mögliches „Kid Icarus“-Spiel für Wii angesprochen wurde.

Die sich auf unveröffentlichte Spiele konzentrierende Website Unseen64 bestätigte das Ganze und veröffentlichte Material aus einem Prototyp des Spiels, den das Studio 2007 ohne Nintendos Genehmigung entwickelt habe. Weitere Informationen zu dem Projekt gibt es leider nicht. Von offizieller Seite wurde es nie bestätigt, und da Factor 5 seit 2010 geschlossen ist, dürfen wir annehmen, dass das Projekt endgültig gestorben ist.

Pit im Prototyp von „Kid Icarus Wii“ von Factor 5, 2007

Wie der Phönix aus der Asche

2008 starb also der lang ersehnte „Kid Icarus“-Neustart. Und doch: 2008 nahm das lang ersehnte „Kid Icarus“-Reboot seinen Anfang.

Denn Mitte 2008 begannen die Arbeiten an einem Projekt, aus dem ein neues „Kid Icarus“-Spiel werden sollte, jedoch völlig unabhängig vom Wii-Prototyp aus dem Hause Factor 5. Das neue Spiel rief der „Super Smash Bros.“-Schöpfer Masahiro Sakurai ins Leben, nachdem ihn sein Freund und Nintendo-Präsident Satoru Iwata um einen neuen Titel für den 3DS gebeten hatte.

Sakurai dachte sich rasch ein Railshooter-Konzept für sein Spiel aus, immerhin eines der ersten in der Entwicklung befindlichen Projekte für das erst drei Jahre später erschienene 3D-Handheld. Zunächst sollte es eine neue Reihe werden. Dann sollte es „Star Fox“ werden. Schließlich legte sich Sakurai jedoch auf die inzwischen quasi tote Serie „Kid Icarus“ fest, der er zuvor durch „Super Smash Bros. Brawl“ wieder zu größerer Bekanntheit verholfen hatte.

Wie einst Toru Osawa

Wer sich mit der Entwicklung dem im März 2012 für 3DS erschienenen „Kid Icarus: Uprising“ befasst, wird sich teilweise arg an jene des NES-Spiels erinnert fühlen. Denn zunächst war Sakurai alleine. Erst allmählich wurde ein Studio aufgebaut und ein Team zusammengesetzt.

Die Bedingungen in dem frühen Gebäude des neuen Studios Project Sora waren schlecht. Nicht nur gab es noch keine Entwicklertools für den 3DS, sodass das Projekt zunächst für Wii und PC entwickelt wurde – auch die physischen Bedingungen für das junge Team waren mangelhaft, wie über 20 Jahre zuvor für Osawas Team. „Das Fensterglas war hauchdünn und Zugwind wich hindurch“, erinnerte sich Sakurai.

Zur Entwicklung von „Kid Icarus: Uprising“ ist sehr viel bekannt. So viel, dass wir hier aus Platzgründen bei der Zusammenfassung verbleiben und auf einen früheren Bericht von uns eigens zu diesem Thema verweisen: Inside Nintendo 2: Die Entwicklung von Kid Icarus: Uprising – kein stetiger Aufstieg? (1. Dezember 2012).

Das Ende von „Kid Icarus“?

Als drastisches Reboot einer C-Klasse-Serie aus längst vergangenen Tagen hat sich „Uprising“ echt gut verkauft. Es konnte sich über eine Million Mal absetzen. Besonders der Humor des Spiels überzeugte, doch die Steuerung musste sich bisweilen Kritik gefallen lassen. Außerdem könnte das Spielkonzept sich kaum stärker von seinen Vorgängern unterscheiden.

Und trotzdem sieht es um die Zukunft von „Kid Icarus“ wieder ausgesprochen düster aus. Sakurai äußerte, keinerlei Intentionen zu hegen, einen Nachfolger zu entwickeln. Mit den „Smash Bros.“-Spielen ist der vielbeschäftigte Japaner ohnehin genug ausgelastet. „Vielleicht wird jemand außer mir in 25 weiteren Jahren ein neues Kid Icarus machen“, ließ er verlauten und spielte damit auf die für den japanischen Markt 25-jährige Wartezeit nach einem Nachfolger an. Überdies schloss Project Sora, das eigens für „Uprising“ gegründete Studio, Mitte 2012 auch wieder seine Pforten.

Der Entwickler des jüngsten Teils ist nicht gewillt, einen Nachfolger zu produzieren, und die Teams hinter den beiden ersten Spielen existieren nicht mehr. Somit gibt es kein Studio, das für ein neues „Kid Icarus“ in Frage kommt. Ein vierter Teil ist für uns daher absolut nicht vorhersehbar.

Fazit

Das war also die seltsame Geschichte der „Kid Icarus“-Serie. Für eine beliebte Nintendo-Reihe klingt das im Schnelldurchgang wahrhaftig außergewöhnlich: Alles startete mit einem One-Man-Team und schlechten Arbeitsbedingungen. Es folgte fünf Jahre später ein unter Outsourcing-Umständen von Unbekannten entwickeltes Sequel, das obskurer nicht sein könnte und in Japan gar nicht erst erschien. 15 Jahre später scheiterte ein dritter Teil für die Wii. Zugleich nahm wieder ein One-Man-Team unter schlechten Bedingungen die Arbeit auf und es kam nach vier Jahren Entwicklung der ein Vierteljahrhundert lang sehnlichst erwünschte Nachfolger. Und jetzt befindet sich die Reihe anscheinend wieder in dem Zustand, in dem sie zuvor war: Dem Vergessen nahe.

Weiterführende Links: Forum-Thread

Bisher gibt es fünf Kommentare

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  • Avatar von SasukeTheRipper
    SasukeTheRipper 08.03.2015, 21:31
    Der Prototyp für die Wii sieht ja richtig kacke aus Ich bin froh, dass Pit so aussieht, wie er aussieht. Kid Icarus: Uprising ist für mich eines der besten Games auf dem 3DS, ich bin ein richtiger Fan des Spiels. Ich hoffe, dass Nintendo bald mal einen neuen Teil für den 3DS (oder meinetwegen auch für den Nachfolger des 3DS) ankündigt.
  • Avatar von virus34
    virus34 08.03.2015, 21:12
    Wieder ein sehr toller Bericht, dafür liebe ich diese Seite, auch wenn diese Serie irgendwie komplett an mir vorbei gegangen ist. Habe zwar auf dem 3DS irgendein Kid Icarus umsonst bekommen, konnte aber damit nichts anfangen, hat sich irgendwie blöd gespielt.
  • Avatar von rowdy007
    rowdy007 08.03.2015, 18:53
    Ich fand Kid Icarus als Kind auf dem NES ziemlich faszinierend. Toller Bericht! Hoffentlich bringt Nintendo mal ein neues Kid Icarus Adventure aus.
  • Avatar von schurik
    schurik 08.03.2015, 18:18
    Ich finds Klasse mal wieder was von Kid Icarus zu sehen.

    Eines meiner Absoluten Top Franchises neben Zelda.
    Hab alle 3 Spiele gespielt... schon als Kind angefangen mit dem NES.

    Absolut Göttlich. Und ich liebe den Humor vom neusten Teil.
    Nintendo soll Ruhig mal mehr davon machen.
  • Avatar von Minato
    Minato 08.03.2015, 13:04
    Wirklich unglaublich wie Nintendo mit dieser tollen Reihe umgeht. Ich kannte das Spiel nicht, als ich meinen 3DS damals hatte, war jedoch von den Trailern total begeistert. Abgesehen von der Steuerung (schade, dass im Nachhinein nicht wenigstens ein Support für den C-Stick kam bzw. Circle Pad Pro) ist es für mich bis heute das Überraschungsspiel schlechthin gewesen und eines der besten Spiele für Nintendos Handeld. Einfach mal wieder ein total frisches Spiel gewesen mit tollem Humor und Gameplay.