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Earthbound (VC)

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Inside Nintendo 89: Die EarthBound-Historie – Teil 4: Vergangenheit und Zukunft der Reihe

Für unsere drei Reportagen zu den „Mother“-Spielen haben wir gefühlt Kilometer an Interviewtexten ausgewertet. Denn Serienschöpfer Shigesato Itoi und seine Kollegen haben im Laufe der Jahre in unzähligen Interviews fleißig aus dem Nähkästchen geplaudert. Dass wir diese größtenteils auf Japanisch geführten Interviews überhaupt lesen konnten, verdanken wir der engagierten Fangemeinde, die quasi alle Infos über die Reihe sammelt, übersetzt und zugänglich macht.

In jenen Reportagen wurde deutlich, dass die Geschichte von „EarthBound“ eine einzige Tragödie ist. Warum ist dem so? Wie steht es um eine mögliche Lokalisierung von „Mother 3“? Und wie sieht es mit der Zukunft der Reihe aus? Ist ein „Mother 4“ im Bereich des Möglichen?

Eine einzige Tragödie

Alle drei Teile standen im Laufe ihrer Entwicklung kurz vor der Einstellung – Shigeru Miyamoto hatte dem Werbetexter Shigesato Itoi für dessen Spielidee zunächst eine Absage erteilt, Teil 2 wäre ohne die Hilfe von Satoru Iwata wohl nie vollendet worden und „Mother 3“ war nach über sechs Jahren Arbeit und drei Plattformwechseln zunächst sogar tatsächlich eingestellt worden. Auch die Lokalisierungsgeschichte aller drei Spiele ist von Schwierigkeiten geplagt – von einer unveröffentlichten Lokalisierung über einen Misserfolg in Amerika bis hin zu „Mother 3“, für dessen Lokalisierung sich die Fans seit nunmehr zehn Jahren einsetzen.

Eine derart von Krisen und Problemen heimgesuchte Geschichte kann kaum eine andere Spielereihe aufweisen. Besonders tragisch daran ist, dass „Mother“ nicht etwa eine x-beliebige verzichtbare Serie ist. Im Gegenteil, in Japan galt sie sogar als dritte große JRPG-Serie neben „Dragon Quest“ und „Final Fantasy“, und in unseren Gefilden wird sie nicht zuletzt aufgrund ihrer zugleich absurd-komischen und surreal-düsteren Atmosphäre als zeitlose Koryphäe des Genres gehandelt.

Neue Spielideen und stetige Qualitätszunahme

In der „Mother“-Reihe ist zudem eine stetige Zunahme der Qualität zu beobachten. So wirkt der für das antike Famicom veröffentlichte erste Teil „Mother“, bei uns „EarthBound Beginnings“, auf den ersten Blick noch wie ein öder „Dragon Quest“-Klon. Der absurd hohe Schwierigkeitsgrad, das umständliche und undurchschaubare Spielsystem sowie die technischen Limitationen lassen das Spiel heute sehr veraltet aussehen. Schuld daran waren die engen Grenzen der 8-Bit-Konsole sowie die Unerfahrenheit des dahinterstehenden Entwicklerteams.

Die Spielwelten, das Skript und auch die Musik von „Mother“ hingegen glänzen noch heute. Bemerkenswert ist auch, wie das Spiel mit den damaligen Genre-Konventionen experimentierte. Sehr mutig für damalige Verhältnisse war der Wegfall der Zufallskämpfe. Denn alle Gegner sind auf der Weltkarte sichtbar – das wäre für die frühen „Dragon Quest“-Spiele noch ein No-Go gewesen.

Im Direktvergleich: „Mother“ (Famicom, 1989) und „EarthBound“ (SNES, 1994)

Weniger Mängel, mehr neue Ideen

Der Nachfolger „EarthBound“ hat alles Gute des Vorgängers übernommen und es noch verbessert, alles Schlechte wurde ausgemerzt. Viele Ideen und Themen des ersten Spiels haben die Entwickler direkt wieder aufgegriffen, was dafür sorgt, dass der zweite Teil etwas wie eine stark verbesserte Version von „Mother“ wirkt – oder umgekehrt, dass sich jenes wie eine Beta-Version von „EarthBound“ anfühlt. Die 16-Bit-Technik des SNES hat der Spielereihe gutgetan, auch wenn die grafische Leistung der Konsole hier bei Weitem nicht ausgereizt wurde.

Aus spielerischer Sicht brachte „EarthBound“ einige Neuerungen mit, die es stark von anderen Rollenspielen abgrenzen. Da wäre etwa die rollende KP-Anzeige, die taktische Vorteile im Kampf mit sich bringt. Oder die Tatsache, dass schwache Gegner die Spielfigur nicht angreifen, sondern vor ihr fliehen. Oder der Fakt, dass schwache Gegner in „EarthBound“ sofort und auf der Stelle besiegt werden. Die Entwickler haben also unnötige Elemente, die selbst in heutigen Rollenspielen noch stören, getilgt.

Die interessanten Spielkonzepte und ganz besonders Figuren, Handlung, Skript und Setting machen „EarthBound“ also selbst angesichts heutiger Verhältnisse zu einem Klassiker. Andererseits erscheinen das statische Kampfsystem und die umständliche, Menü-basierte Interaktion mit der Spielwelt geradezu archaisch. – Dieses Manko haben die Entwickler mit „Mother 3“ aus der Welt geschaffen.

Höhepunkt und würdiger Abschluss der Reihe

Da „Mother 3“ (noch?) nicht offiziell auf Englisch erhältlich ist und wir es deswegen natürlich noch nicht gespielt haben, beziehen wir uns jetzt auf die Eindrücke von Dritten. Demnach kommt dieses Spiel noch einmal verfeinerter daher als der ohnehin schon gelungene Vorgänger. Dank eines Rhythmus-basierten Kampfsystems sind Konfrontationen mit Gegnern dynamischer und angenehmer zu spielen, der Spieler kann jetzt unmittelbar mit NPCs und der Umgebung interagieren, der Soundtrack ist mit 250 Stücken gewaltig und die Handlung soll jene ihrer Vorgänger noch einmal weit in den Schatten stellen – und besonders zum Schluss sehr emotional werden. Als für den Game Boy Advance veröffentlichter Titel ähnelt „Mother 3“ seinem Vorgänger grafisch stark.

Angesichts dessen ist es einerseits sehr erfreulich, dass „Mother 3“ trotz aller Wirren und Widrigkeiten auf den Markt gekommen ist. Andererseits wird die bis heute nicht erfolgte Veröffentlichung im Westen dadurch noch tragischer. Die große Fangemeinde gibt natürlich die Hoffnung nicht auf – sie hat sogar selbst eine Übersetzung angefertigt, die Nintendo sogar zur Veröffentlichung angeboten wurde. Tatsache ist, dass Nintendo die Beliebtheit der Reihe im Westen lange Zeit schlicht und ergreifend ignoriert oder übersehen hat. Der damalige Flop des SNES-Teils in Amerika scheint ein Trauma hinterlassen zu haben.

Die Fans geben die Hoffnung nicht auf

Nintendos Ansichten scheinen sich mittlerweile gewandelt zu haben. Denn 2013 erschien „EarthBound“ für die Wii-U-Virtual-Console, womit das Spiel in Europa sein Debüt feierte. Dadurch erlebte die Reihe auch außerhalb der eingefleischten Fangemeinde eine wahre Renaissance. In Folge der hohen eShop-Verkäufe – „EarthBound“ belegte für viele Wochen die obersten Plätze der Charts – wurde zwei Jahre später für die Wii U der Vorgänger herausgebracht. Somit wurde die seinerzeit unveröffentlichte englischsprachige Version des ersten Serienteils nach 25 Jahren als „EarthBound Beginnings“ im Westen eingeführt.

Auch wenn jenes Spiel eher etwas für hartgesottene Fans ist, war diese Maßnahme doch ein sehr starkes Zeichen. Immerhin hat kaum jemand damit gerechnet, dass Nintendo das alte offizielle ROM, das ja schon seit Jahren im Netz kursiert, noch selbst herausbringen würde. Das war eine deutliche Botschaft an die Fans, dass Nintendo um die Beliebtheit der Reihe gerade im Westen weiß – diesen Fakt haben Reggie Fils-Aime und Satoru Iwata selbst auch in Interviews bestätigt. Viele Fans kauften „EarthBound Beginnings“ einzig, um Nintendo ihre Unterstützung zu demonstrieren, in der Hoffnung, der dritte Teil werde auch noch einmal offiziell lokalisiert werden. Hinzu kommt natürlich die nach wie vor prominente Präsenz von „EarthBound“ in den „Smash Bros.“-Spielen.

Nintendo veräppelt die Fans

Die unerschöpfliche Hoffnung der Fans griff Nintendo auf der E3 2014 vor einem breiten Publikum sehr selbstbewusst auf. Im Video verbrennt Reggie einen Fan, der nach „Mother 3“ fragt. Nach dieser – hoffentlich in guter Absicht vorgenommenen – Provokation scheint es nur eine Frage der Zeit, bis Nintendo dem Wunsch wirklich nachkommt. Und Ende 2015 wurde „Mother 3“ immerhin schon im japanischen Wii-U-eShop wiederveröffentlicht, wo somit jetzt die ganze Reihe erhältlich ist.

Bis heute ist aber nichts Offizielles zu einer Lokalisierung von „Mother 3“ bekannt. Im Gegensatz zum ersten Teil, der ja bereits fertig übersetzt vorlag, wäre diese Maßnahme für Nintendo immerhin viel aufwändiger und teurer. Man muss auch bedenken, dass die Lokalisierung eines „Mother“-Spiels aufgrund des Umfangs und der sorgfältig verfassten japanischen Texte kein einfaches Unterfangen ist. Die Frage aus Nintendos Sicht ist und bleibt, ob die zu erwartenden Verkäufe diesen Aufwand rechtfertigen würden. Immerhin haben viele Fans „Mother 3“ bereits auf, ähm, semi-legalem Wege erhalten. Mehr als hoffen können die Fans momentan also nicht, aber Reggie hat oft genug betont, dass Nintendo durchaus zuhöre. Im Februar 2016 machten Gerüchte aus verlässlichen Quellen die Runde, wonach Nintendo tatsächlich an einer Lokalisierung von „Mother 3“ arbeite (wir berichteten). Sollten die Gerüchte stimmen – was wir hoffen und sogar durchaus erwarten –, wird die entsprechende Ankündigung spätestens auf der diesjährigen E3 vorgenommen werden.

„Komm schon Reggie, gib uns 'Mother 3'!“ – „Wie wäre es stattdessen hiermit?“ – Reggie gibt den Fans das, was sie verdient haben. Oder auch nicht.
(Hier das ganze Video)

Itoi-san, gib uns „Mother 4“!

Statt also in die Vergangenheit zu blicken, wie sieht es für die Zukunft aus? – Wir nehmen die traurige Tatsache gleich vorweg und verraten, dass ein vierter „Mother“-Teil mutmaßlich nie erscheinen wird. Denn Shigesato Itoi hat seit der Veröffentlichung von „Mother 3“ vor zehn Jahren in unzähligen Interviews klar und deutlich erklärt, dass er die Spieleentwicklung als ein abgeschlossenes Kapitel betrachte. „Ich bin froh, dass Spiele nicht mein Job sind. Wären sie es, dann hätte ich vermutlich [„Mother“] 4 und sogar 5 gemacht“, sagte Itoi erst im letzten November. Auch privat konsumiere er kaum noch Videospiele.

Das klingt ganz anders als noch vor 20 Jahren, als er parallel zu „Mother 3“ drei weitere Spieleprojekte verfolgte – von denen aber bloß eins herauskam, eine nach ihm benannte Angelsimulation. Der verschwundene Enthusiasmus lässt erahnen, welchen Einfluss die desaströse Produktionsphase von Teil 3 auf ihren Schöpfer ausgeübt haben muss.

Blogs und Tagesplaner statt Videospiele

Angesichts der großen Mühen, die alle drei Spiele von ihm abverlangten, ist es also nachvollziehbar, dass sich Itoi das Ganze nicht noch ein viertes Mal antun möchte. Zumal er darauf auch nicht angewiesen ist, denn er ist ja gar kein Spieleentwickler. Das erste „Mother“-Spiel war ihm eine wirkliche Herzensangelegenheit, doch es gehörte einfach nicht zu seinem Berufsfeld. Seine 25-jährige Karriere als Spieleschöpfer war nicht mehr als ein Nebenprojekt – wenn auch eines, in das er Herzblut und Engagement steckte.

In seinem Heimatland ist Itoi für viele andere Dinge bekannt – als einflussreicher Werbetexter, als Autor, als Schauspieler oder Synchronsprecher im Studio-Ghibli-Klassiker „Mein Nachbar Totoro“. Heutzutage liegt sein Fokus auf seinem 1998 ins Leben gerufenen Blog „Hobo Nikkan Itoi Shinbun” (zu Deutsch etwa: „Fast-tägliche Itoi-News“), das im ganzen Land bekannt ist. Außerdem hat er ein eigenes Design-Unternehmen, Hobonichi, dessen erfolgreichstes Produkt ein Tagesplaner ist, der selbst über die japanischen Landesgrenzen hinaus sehr beliebt ist.

Itoi ist nicht nur irgendein Promi – er hat Einfluss auf die japanische Gesellschaft ausgeübt und tut das nach wie vor. Seine Videospiele, so hoch deren Reputation auch sein mag, sind nicht bedeutender als der Rest seines Wirkens.

Shigesato Itoi im Gespräch mit seinen Freunden, Kollegen und „Mother“-Produzenten Shigeru Miyamoto und Satoru Iwata, 2011 (Bildquelle: Iwata fragt)

Ohne Itoi keine Fortsetzung

Darum wird Itoi keinen vierten Teil entwickeln, obwohl er ganz genau weiß, wie sehr sich die Fans dies wünschen. Zumindest hat er sich um die Wiederveröffentlichung der drei Spiele gekümmert. Was die Zukunft der Reihe betrifft, so müsste diese aber ohne ihn auskommen. Interessant ist, dass zumindest in gewisser Hinsicht die „Pokémon“-Reihe „EarthBound“ fortsetzt. Neben zahlreichen spielerischen Ähnlichkeiten betrifft dies besonders den unternehmerischen Aspekt. Itois Unternehmen Ape, das die ersten zwei „EarthBound“-Titel entwickelte, ist in Nintendos „Pokémon“-Tochter Creatures Inc. aufgegangen. Deren heutiger Präsident ist „EarthBound“-Komponist Hirokazu Tanaka. Außerdem ist Itois damaliger Mitarbeiter Tsunekazu Ishihara heute Präsident von The Pokémon Company.

Zurück zu einem potenziellen vierten Teil der Reihe. Ohne Itois Direktion und Handlung wäre ein solches kein echtes „Mother“. denn Itoi als Director war die einzige Konstante in dieser Spielreihe, die für jeden Teil ein neues Entwicklerteam hatte – dieser Umstand erklärt vielleicht auch die massiven Probleme während der Arbeiten. Neben Itoi gab es zwar zwei weitere Säulen der Serie, doch können auch diese keinen vierten Teil entwickeln: Produzent und Programmierer Satoru Iwata, dem die Reihe genau so sehr am Herzen lag, weilt nicht mehr unter den Lebenden, und Produzent und Supervisor Shigeru Miyamoto hat nur wenig Begeisterung für Rollenspiele übrig, zumal Nintendos interne Spieleabteilung nicht gerade für storylastige RPGs bekannt ist.

„Mother 3“ wird also gewiss der Abschluss der Reihe bleiben. Aber was für einer es ist – zumindest hat sich die Serie äußerst würdevoll verabschiedet. Bleibt zu hoffen, dass dieser Abschied auch uns bald endlich erreichen wird.

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Bisher gibt es zwei Kommentare

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  • Avatar von mithos630
    mithos630 03.04.2016, 21:58
    Ich freue mich schon of Earthbound Endings/Finale/2 oder wie es auch immer heißen wird.
  • Avatar von Neino
    Neino 03.04.2016, 21:02
    Echt schade um die Reihe. Ein Mother 4 hätte den selben Wert wie ein Shenmue 3.
    Hoffen wir mal auf ein Wunder