Was passiert, wenn die Welt, die man kennt, bald nicht mehr existiert? Was würdet ihr tun, wenn ihr die Chance hättet, Erinnerungen einzufangen, um sie der Nachwelt zu hinterlassen? Diese Fragen stellt sich „Season: a letter to the future“, indem es seine Protagonistin auf eine Reise mit dem Fahrrad schickt. Es wird emotional – leider aber nicht perfekt.

Eine einzigartige Welt

Die junge Estelle lebt in einem Dorf, dessen Einwohner in den Bergen verweilen und behütet aufwachsen. Als eine der Bewohnerinnen eine Vision hat, in der das Ende der aktuellen Season angekündigt wird, steht Estelle aber vor einer Aufgabe, die sie sich selbst aufbürdet: Sie will die Welt erkunden und einfangen, damit die Erinnerungen an die aktuelle Season nicht verloren gehen. Deshalb zieht sie mit einem Fahrrad, einem Notizbuch und einem Pendant los, das ihre Mutter aus Erinnerungen erstellt hat, damit sie beschützt bleibt.

Bereits zum Anfang der Handlung wird deutlich gemacht, dass die Welt des Spieles unserer nur auf den ersten Blick ähnelt. Bereits bei der Herstellung des Pendants geht es übernatürlich zu, ebenso bei der Geschichte der Stadt. Diese wurde gegründet, um eine neuartige Krankheit zu heilen. All das verdeutlicht, dass es magische Elemente gibt, die aber schlichtweg als Teil der Natur, und weniger als Fantasy-Erzählung genutzt werden. Deshalb ist die Aufbruchsstimmung für Spieler*innen auch so motivierend, denn nach der ausführlichen Einleitung, in der vor allem Estelles Charakter im Vordergrund steht, geht es ebenso abenteuerlich weiter. Man möchte unbedingt sehen, was die geheimnisvolle Welt zu bieten hat

Intensive Entspannung

Die Erkundung der Welt kann glücklicherweise mit dem Aufbruchsgefühl mithalten, und das liegt an den wunderschönen Kulissen. Egal ob an riesigen Maschinen vorbei oder mitten in der Natur, „Season“ ist in jeder Sekunde ein Augenschmaus, in den man sich regelrecht verliebt. Das funktioniert auch aufgrund des Tempos so gut, denn Estelle ist mit dem Fahrrad nicht zu schnell, aber auch nicht zu langsam unterwegs. Zum Beschleunigen müssen die Trigger abwechselnd gedrückt werden, was aufgrund des Widerstandes durchaus die Finger beansprucht. Doch genau deshalb fühlt sich die Reise authentisch an: Wenn Berge erklommen werden müssen, ist die Entspannung am Ziel ebenso befriedigend, wie die nachfolgende Abfahrt. Auch das haptische Feedback, das den jeweiligen Untergrund simuliert und manchmal sogar kleine Melodien und selbst Dialoge erzeugt – wir konnten unseren Ohren nicht glauben – machen das Spiel einzigartig. Da lassen sich kleine grafische Glitches bei Szenenübergängen durchaus verzeihen, ebenso wie leichte Einbrüche in der Bildrate.

Estelle kann jederzeit auch anhalten und vom Fahrrad steigen, um die Welt zu erkunden. Anfangs geschieht das noch an sehr offensichtlichen Orten, wobei sogar diese meist optional sind. Man sollte so viel wie möglich erkunden, denn viele der Fragen werden nicht etwa auf dem Hauptpfad verraten, sondern durch Briefe und Erinnerungsstücke, die von Bewohner*innen zurückgelassen wurden. Am besten funktioniert das Prinzip im großen Tal, wo einem dann auch die Freiheit gegeben wird, alle wichtigen Ortschaften in einer selbstbestimmten Reihenfolge zu entdecken. Zudem darf man jederzeit Fotos knipsen, die dann auch im Journal festgehalten werden, wenn man dies denn möchte. Und wer sein Mikrofon rausholt, darf sogar Gesprächen aus der Vergangenheit lauschen.

Gute Seelen

Zugegeben: Allzu vielen Charakteren begegnet man auf der Reise nicht, weshalb wir an dieser Stelle nichts vorwegnehmen wollen. Allerdings trifft man auf Leute, deren Alltag sich um das Ende der aktuellen Season dreht. Einige wollen voller Euphorie in die nächste starten, obwohl noch gar nicht bekannt ist, was diese ausmachen wird. Andere denken hingegen wehmütig daran, ob die vergangene Season überhaupt einen Zweck erfüllt hat. Die Gespräche, die daraus entstehen, sind stets tiefgründig und wahnsinnig interessant, denn sie erfüllen die beinahe verlassene Welt mit Leben und reagieren sogar auf das, was Estelle erlebt hat. Dass sich dabei keine Lippen bewegen, lässt sich hinnehmen, denn die Animationen passen zum optischen Stil. 

Immer wieder gibt es auch kleine Entscheidungen, die man treffen muss. Leider sind das lediglich Momentaufnahmen, die keine große Bedeutung haben, und nur an einer Stelle kann ein Ereignis tatsächlich beeinflusst werden. Das passt zur Protagonistin: Sie will die Welt nicht verändern, sondern lediglich protokollieren, was mit ihr geschehen ist. Deshalb passt es auch, dass das Gameplay lediglich daraus besteht, mit Objekten zu interagieren, Briefe zu lesen und sich zu unterhalten. Wir erkunden die Welt gemeinsam mit Estelle, und werden an diversen Stellen ebenso emotional.

Wie ein starker Auftakt

Leider hat das Spiel ein gigantisches Problem, das sich auch auf die Handlung auswirkt: Es ist wahnsinnig kurz. Wer nur der Hauptgeschichte folgen will, dürfte nach zwei bis drei Stunden das Finale sehen. Möchte man wirklich alles sehen, darf man noch zwei weitere draufrechnen, und das sollte man auch, denn in den optionalen Arealen befinden sich die interessantesten Informationen. Doch selbst dann hat man nicht das Gefühl, gerade die Welt erkundet zu haben oder eine lange Reise hinter sich zu haben: Würde man zurück zum Startdort reisen, würde das nur wenige Minuten dauern. Das gesamte Ende funktioniert aber nur als Abschluss einer kleinen Odyssee, die hier nicht stattgefunden hat.

Das bedeutet nicht, dass die emotionale Wirkung nicht doch stattfindet. Die vorhandenen Orte sind schlichtweg so interessant, dass man mehr sehen möchte. Der Epilog startet an dem Punkt, an dem man glaubt, den ersten Akt beendet zu haben, was schlichtweg eine enorme Enttäuschung ist. Wir hätten gerne noch mehr verlassene Ruinen gesehen, übernatürliche Begegnungen gehabt und uns mit ebenso verrückten wie charmanten Charakteren unterhalten. Auch die Andeutungen auf die Zukunft von Estelle sind interessant, doch mehr wird daraus nicht.