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Super Mario 64

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Inside Nintendo 194: Super Mario 64 – ein Klassiker wird 25, Teil 3: Eine neue Dimension

Nicht das Philosophieren über das Wesen von „Super Mario“ – so lassen sich die bisherigen zwei Teile unserer Reportage resümieren – war ausschlaggebend für den revolutionär neuartigen Charakter von „Super Mario 64“, sondern die Begeisterung von Shigeru Miyamoto und seinem Team über die damals völlig neue 3D-Welt und die durch sie eröffneten Möglichkeiten. Doch nicht nur die Entwickler mussten den Umgang mit dieser buchstäblich neuen Dimension erst lernen, sondern auch die Spielerinnen und Spieler. Für die meisten von ihnen war „Super Mario 64“ der erste Ausflug in die virtuelle dritte Dimension; wie sich dieser Sprung damals angefühlt haben muss, lässt sich heute nur allenfalls erahnen. Seinen ersten öffentlichen Auftritt feierte „Super Mario 64“ im November 1995.

Bilder der Schlossumgebung aus einem am 22. November 1995 eingereichten Ultra-64-Patent. Es ist das früheste Bildmaterial zu „Super Mario 64“, denn die Bilder müssen einige Zeit vor der Shoshinkai 1995 entstanden sein. Entdeckt wurden sie erst im November 2018. Der wohl größte Unterschied im Vergleich zur finalen Version: Die Umgebung hinter dem Schloss ist hier auch betretbar; anscheinend wurde daraus später der separate, abgegrenzte Hofgarten.

Ein erster Vorgeschmack

Das früheste bekannte Bildmaterial zum N64-Klassiker stammt jedoch nicht aus jener berühmten Fassung des Spiels von der damals veranstalteten Shoshinkai beziehungsweise Nintendo Space World. Ein ungefähr zur Zeit der Spielemesse eingereichtes Patent zum N64 enthält unter anderem mehrere Screenshots aus einer älteren Fassung des Spiels. Es handelt sich zwar nicht mehr um die frühen, experimentellen Projektphasen – aus diesen sind bis heute keine Bilder durchgesickert –, doch die schwarz-weiß-Bilder in niedriger Auflösung zeigen immerhin eine Version von Peachs Schlossgarten, die älter als die auf der Shoshinkai vorgeführte zu sein scheint.

Wie damals wohl der Rest des Spiels aussah? Wer weiß, vielleicht zeigten die Patent-Screenshots ja nur deshalb allein das Schlossgebiet, weil damals einfach noch nicht mehr fertiggestellt war, weil Peachs Schlossgarten womöglich nicht nur für Spielende, sondern auch für das Entwicklerteam eine 3D-Spielwiese darstellte?

„Das beste Videospiel der Geschichte“

Bereits seit August 1993 machte Nintendos 64-Bit-Konsole zunächst unter dem Codenamen „Project Reality“ ihre Runden in der Spielepresse, doch selbst zwei Jahre später hatten Spielerinnen und Spieler das Gerät noch nicht zu Gesicht bekommen. Dies änderte sich am 22. November 1995, als das N64 – dieser Name war zunächst nur für Japan vorgesehen; im Rest der Welt sollte die Konsole „Ultra 64“ heißen – offiziell enthüllt wurde. Die technischen Daten waren bereits zuvor bekannt, doch „was fehlte, um die Hardware zu definieren“, so schrieb damals die Nintendo Power, „war ein Spiel, […] das die Konkurrenz im dunklen Zeitalter der 32-Bit-Architektur zurücklassen würde. Dieses Spiel erwies sich als die größte Überraschung in Nintendos Geschichte und als bestgehütetes Geheimnis.“ Es sei zwar das Gerücht umgegangen, dass Shigeru Miyamoto ein neues „Mario“-Spiel entwickle, doch habe außerhalb von Nintendo niemand Näheres darüber gewusst.

Vielleicht war es gerade infolge dieser Erwartungshaltung, dass Nintendo nur wenige Tage vor der Space World den ursprünglichen Plan von zehn spielbaren Software-Demos aufgab, um stattdessen alles auf „Super Mario 64“ zu setzen. Gewiss, mit „Kirby Bowl 64“ gab es auch eine zweite Demo, doch dieses Spiel stieß nicht wirklich auf Interesse, wurde später abgebrochen und erschien erst 2003 als „Kirby Air Ride“ für Nintendo GameCube.

De facto konnte „Super Mario 64“ dadurch auf der Space World 1995 in noch hellerem Lichte erstrahlen. „Ich mag jetzt prahlen“, sagte Hiroshi Yamauchi in seiner Ansprache, „aber wenn dieses Spiel fertig ist, könnte es das beste Videospiel der Geschichte sein.“ Mit dieser selbstbewussten Aussage stellte der damalige Nintendo-Präsident erneut sein visionäres Gespür unter Beweis. In ganz ähnlichem Duktus schrieb die Zeitschrift Edge damals, dass „Super Mario 64“ mit seinem Gameplay und Grafikdesign dazu prädestiniert sei, neue Meilensteine zu setzen. Darum sei das Spiel im Kontext der „unerforschten Wildnis“ der 3D-Spiele „der Beginn eines völlig neuen Buchs, nicht einfach ein zusätzliches Kapitel der fortschreitenden 16-Bit-Geschichte.“

Sammlung von Videomaterial zu „Super Mario 64“, das im Rahmen der Space World 1995 veröffentlicht worden ist. Die Benutzeroberfläche, Soundeffekte und insbesondere Marios Stimme unterscheiden sich deutlich vom fertigen Spiel, wohingegen die gezeigten Umgebungen in den folgenden Monaten nur noch kleinere Überarbeitungen erfuhren. Die meisten der Musikstücke waren anscheinend auch bereits so gut wie fertiggestellt; die Hauptmusik wird als Platzhalter noch etwa für die Schneewelten verwendet.

Eine weltbewegende Weltpremiere

In Kreisen faszinierter Fans besteht reges Interesse an der Space-World-1995-Fassung von „Super Mario 64“, die wir nur aus Screenshots und Videomaterial kennen. Einige Grafikelemente sehen etwas anders aus, die Benutzeroberfläche weist Unterschiede auf und verfügt über eine abschaltbare Minikarte, Mario wird durch generische Platzhalter aus einer Sounddatenbank vertont und die Powersterne sind unmittelbar in den Leveln zugänglich, ohne dass zuvor Rätsel absolviert werden müssen. Die fünf in der Demo spielbaren Welten weisen jedoch kaum Differenzen zum fertigen Spiel auf – dabei hat das Team, wenn unsere bislang zusammengetragenen Angaben über den Entwicklungsablauf kombiniert werden, erst kurz vor der Messe überhaupt mit der Erstellung der Spielwelten begonnen.

Co-Director Takashi Tezuka verriet damals in einem Interview, dass das Spiel als Ganzes etwa zur Hälfte fertiggestellt sei, während die Erstellung der Spielwelten erst zu etwa 20 Prozent abgeschlossen sei. „Derzeit haben wir 32 Kurse, aber die finale Version könnte mehr umfassen – vielleicht 40 Kurse“, wurde er darüber hinaus zitiert. Daraus wurden jedoch letztlich nur 15 Hauptwelten, wenn kleinere Bonuslevel und die Oberwelt nicht mitgezählt werden. Leichte Änderungen wurden wohl auch an der Steuerung vorgenommen, jedoch ist das genaue Ausmaß nicht bekannt – später äußerte das Team jedenfalls in einem Interview, dass manche Probespielende auf der Space World die Steuerung als wackelig und rutschig beschrieben hätten.

Auf den Spuren der Space-World-Fassung

Unmittelbare Einblicke in die Entwicklungsarbeiten erlauben uns Entdeckungen in den Dateien des Spiels sowie besonders im 2020 geleakten Quellcode. Zu den im finalen Spiel nicht genutzten Materialien zählen zahlreiche Animationen für Mario, ein Blizzard-Wettereffekt, Codefragmente aus dem ursprünglich geplanten Zweispielermodus, ein Trampolin, der Gegner Blargg aus „Super Mario World“ sowie ein Yoshi-Ei – passend zur Aussage, dass dem grünen Dinosaurier zunächst eine größere Rolle im Spiel zugedacht war. Der Gigaleak brachte dann nicht nur Überreste von Luigis Modell zum Vorschein, sondern auch zwei neue, zuvor gänzlich unbekannte Gegner: ein Grashüpfer sowie ein kugelförmiger Roboter namens Motosman, der Mario hätte greifen und werfen sollen – eine Idee, die durch zwei andere Gegnertypen in der finalen Fassung doch noch verwirklicht wurde.

Vor allem aber sind zahlreiche frühere Versionen von Modellen und Texturen aufgetaucht, die auch in Material der 1995er-Fassung des Spiels zu sehen waren, darunter ein Mario-Modell, das leichte Differenzen an Kopf und Haaren aufweist. Die frühesten datierbaren Funde reichen nicht weiter zurück als bis Juni 1995. Daraus wird ersichtlich, dass nach der langen Konzept- und Experimentierphase der Großteil der Space-World-1995-Version innerhalb weniger Monate zusammengestellt worden ist. Erwähnung verdienen außerdem die mehreren ungenutzten Level, die aufgespürt werden konnten. Dabei handelt es sich neben einer Reihe an Testleveln um eine an ein Schloss erinnernde Umgebung, die bereits kurz auf Videomaterial von 1995 zu sehen war, sowie um einen zuvor unbekannten, großen und verwinkelten Innenraum. Von den zahlreichen verworfenen Leveln oder zumindest Level-Ideen, die sich aus Tezukas oben zitierter Aussage ergeben, ist demnach bislang nur ein Bruchteil bekannt.

Die ersten beiden Bilder stammen aus der Space-World-1995-Version von „Super Mario 64“ und zeigen, dass Sterne und Münzen damals noch nicht durch 3D-Modelle, sondern durch ressourcensparende 2D-Sprites dargestellt wurden. Die entsprechenden Grafikdaten sind durch den Nintendo-Gigaleak 2020 im Original ans Tageslicht gelangt (zu sehen auf „The Cutting Room Floor“). Rechts sehen wir die Gigaleak-Neuentdeckung Motosman.

Auf in eine neue Klangwelt

Nicht nur durch sein neuartiges Spielprinzip und die irgendwie magischen Welten hat „Super Mario 64“ bleibenden Eindruck auf Spielerinnen und Spieler hinterlassen, auch die „Mario“-typisch ohrwurmverdächtige Musik trug einen großen Teil dazu bei. Komponiert wurde der Soundtrack wie auch bei den früheren „Super Mario“-Spielen von Koji Kondo. Für ihn gab es diesmal zwei prägende Faktoren: Die neuartigen 3D-Umgebungen erforderten, „die Soundgestaltung drastisch [zu] verändern“, während das N64 eine für Kondo bis dahin nicht gekannte Klangqualität ermöglichte. „Ich konnte die Sounds fast so erzeugen, wie man sie auf normalen Musik-CDs hört“, sagte er. „Es war etwas kompliziert, die Daten zu erstellen, aber Bass war einfach Bass, und Schlagzeug war einfach Schlagzeug. Man konnte die Musik so komponieren wie mit richtigen Instrumenten.“

Da der mit dem N64 eingeläutete Abschied von 8-Bit- oder 16-Bit-Musik einen großen Wendepunkt in der Geschichte der Nintendo-Videospielmusik darstellt, wäre es interessant, mehr von Kondo über seine Arbeit an „Super Mario 64“ zu erfahren. Leider hat er sich nie ausführlicher dazu geäußert. Jedenfalls hat Kondo wie schon bei „Super Mario World“ basierend auf dem neuen Hauptthema – diesmal ein beschwingtes Jazzstück – vielfältige Arrangements für die verschiedenen Levelthematiken geschrieben. Dass die meisten Stücke aus dem Spiel ein gemeinsames Thema teilen, wird jedoch erst bei genauerem Hinhören deutlich. Außerdem bearbeitete Kondo einige seiner berühmten älteren Melodien, etwa die „Mario“-Hauptmusik für den Titelbildschirm. Dass in Peachs Schlossgarten keine Hintergrundmusik ertönt, ist für ein damaliges Nintendo-Spiel sehr ungewöhnlich; vielleicht sollte dies einem tieferen Eintauchen in diese freie und realitätsnahe Startwelt zuträglich sein.

Eine Stimme für Nintendos Gesicht

Nicht nur der Soundtrack, die gesamte Tongestaltung betrat mit den 3D-Umgebungen sowie der leistungsfähigeren Hardware auf zweierlei Weise Neuland. „Beim N64 hat sich viel verändert, z.B. auch wie ich an die Sound-Effekte herangegangen bin“, sagte Kondo. „In der 3D-Umgebung hat das alte Sprung-Geräusch einfach nicht mehr gepasst. Also habe ich ein Geräusch für den Absprung und ein Geräusch für die Landung genutzt.“ Ein Großteil der im Spiel vernehmbaren Klänge wurde dabei aus Sounddatenbanken übernommen; dieses Vorgehen ist im Film-, Serien- und Spielebereich alles andere als unüblich. Und noch eine markante Änderung wurde durch das realistischere Spielprinzip nötig sowie durch die Technik möglich: Mario erhielt eine Stimme.

Charles Martinet hatte dem Nintendo-Klempner auf Spielemessen bereits seit 1992 seine Stimme und sogar seine Mimik geliehen – möglich machte es das System „Mario in Real Time“. Auch sein Spieledebüt war „Super Mario 64“ nicht – bereits zuvor hatte Martinet ihn im PC-Lernspiel „Mario Teaches Typing“ vertont –, wohl aber hörte nun erstmals ein breiteres Publikum Marios Stimme, auch wenn diese sich wie auch heute noch auf kurze Ausrufe und Schreie beschränkte. Die Aufnahmen scheinen recht kurzfristig angefertigt worden zu sein, denn bei der Erstvorstellung waren wie erwähnt noch Platzhalter verwendet worden, während in der etwas später veröffentlichten amerikanischen Version zusätzliche Samples für Mario und sogar auch für Peach zu hören sind.

Links: Nintendo-Präsident Hiroshi Yamauchi probiert „Super Mario 64“ aus. Das hartnäckige Gerücht, dass der legendäre Unternehmenschef nie selber Hand an die Spiele seines Konzerns angelegt habe, muss damit als widerlegt gelten. Rechts: Zwei Entwickler spielen die Space-World-1995-Version von „Super Mario 64“ – im Vordergrund Takashi Tezuka; der neben ihm sitzende Mann könnte eventuell Yoshiaki Koizumi sein.

Schlussspurt fürs Schlüsselspiel

Mehrfach wurde die Markteinführung des N64 und damit auch jene des Starttitels „Super Mario 64“ verschoben – oder eher umgekehrt? „Jeder bei Nintendo erkannte das Spiel als Meisterwerk an; das einzige Problem war, dass Miyamoto zu lange brauchte, es zu erstellen. Laut Hiroshi Imanishi [damaliger Unternehmenssprecher; Anm. d. Red.] […] wurde die Veröffentlichung des N64 verschoben, bis Miyamoto mit ‚Super Mario 64‘ zufrieden war. Die Verzögerung wäre sogar noch größer gewesen, aber schließlich sagte [Hiroshi] Yamauchi zu Miyamoto, dass das Spiel gut genug sei.“

So gibt Videospielhistoriker Steven L. Kent das bekannte Gerücht wieder, und tatsächlich: Erst für Ende 1995 geplant, wurde dann auf der Space World 1995 als Erscheinungszeitraum für Konsole und Spiel April 1996 genannt, woraus schließlich in Japan Ende Juni wurde. Wenn die Erstellung der eigentlichen Spielinhalte erst gegen Mitte 1995 richtig Fahrt aufnahm, war eine Veröffentlichung des Spiels zu Jahresende völlig unrealistisch. Doch war dies wirklich der einzige Grund für die mehrfachen Verschiebungen des N64? Giles Goddard hat dieses Gerücht jedenfalls aus- und nachdrücklich dementiert.

Über die finalen Entwicklungsphasen wusste der Programmierer Folgendes zu berichten: „Ich glaube, es wurde viel Panik geschoben. Aber es war immer noch sehr organisiert; viele Leute haben sehr hart gearbeitet. Ganz am Ende war es, glaube ich, ziemlich entspannt – nicht viele Programmierfehler, das Spielprinzip war rechtzeitig ausgetüftelt worden.“ Nichtsdestotrotz seien schlussendlich zwei Programmierer derart ausgebrannt gewesen, dass sie schworen, keine Spiele mehr zu entwickeln. Ein Blick in eine Credit-Datenbank zeigt, dass Programmierer Hajime Yajima in der Tat sein Handwerk aufgab, denn nur noch im Abspann von „Mario Kart 64“ war er aufgeführt worden.

Startschuss im Schlossgarten

Nachdem die Arbeiten am 20. Mai 1996 offiziell abgeschlossen werden konnten, kam „Super Mario 64“ zusammen mit dem N64 einen Monat später in Japan auf den Markt. Ein Dokument aus dem Gigaleak erwähnt eine zweite und eine dritte Version des Spiels, in der Entwicklung befindlich vom 15. bis zum 29. Juli. Aller Wahrscheinlichkeit nach handelt es sich dabei um die nordamerikanischen und europäischen Fassungen, für die mehrere in der Zwischenzeit entdeckte Programmierfehler behoben und wie bereits erwähnt weitere Sprachsamples von Mario und Peach hinzugefügt wurden. In Nordamerika erschienen Spiel und Konsole am 30. September 1996; die für Herbst geplante Europa-Veröffentlichung wurde jedoch abgeblasen und fand erst am 1. April 1997 statt.

Bis dahin waren immerhin auch mehrere N64-Titel erhältlich, wohingegen der Japan-Launch de facto von „Super Mario 64“ als einem von nur drei parallel veröffentlichten Spielen getragen wurde. Im Herbst 1996 äußerte Miyamoto in einem Interview seinen Wunsch, die etwas erweiterte englische Fassung beispielsweise zum einjährigen Jubiläum auch noch nach Japan zu bringen. Was der „Mario“-Meister aber damals noch als unrealistisch einstufte, wurde im Juli 1997 mit der sogenannten „Shindo Pak Taio“-Version, nun auch mit Unterstützung des Rumble Pak, doch noch Wirklichkeit. In dieser Fassung fand der Klassiker übrigens Eingang in die Sammlung „Super Mario 3D All-Stars“ von 2020.

Eine frühere Version des Logos von der E3 1996 (links) im Vergleich zu jener des fertigen Spiels. Die charakteristische Form des Schriftzugs war übrigens offenbar schon deutlich früher fertiggestellt, denn im Startbildschirm von der Space World 1995, der nur geringfügige Unterscheide zur finalen Fassung aufweist, war sie auch bereits so zu sehen.

Das Geheimnis der fast verlorenen Disk-Version

Damals war noch eine weitere Umsetzung des Spiels geplant, die jedoch nie auf den Markt kam. Erscheinen sollte sie für das 64DD, ein oftmals verschobenes, ausschließlich in Japan veröffentlichtes und schließlich erfolgloses Disk-Zusatzlaufwerk für die 64-Bit-Konsole. Auf der Space World 1996 vorgeführt, diente die Disk-Fassung von „Super Mario 64“ wohl hauptsächlich zur Veranschaulichung, dass sich Modulspiele ohne Abstriche und vor allem ohne verlängerte Ladezeiten auf das langsamere, aber günstigere Medium übertragen ließen. Die speziellen Funktionen des 64DD wie die Echtzeituhr oder die beschreibbaren Speichermedien nutzte die Portierung jedoch nicht.

Da es anscheinend keine neuen Funktionen gab, ist es wohl kein großer Verlust, dass die Disk-Version nie erschienen ist. Eventuell war eine kommerzielle Veröffentlichung auch nie geplant und es handelte sich eher um eine Art Tech-Demo – die Quellen schweigen darüber leider. 2014 jedoch ist ein Sammler in den Besitz dieses Prototyps gelangt. Von ihm veröffentlichte Videos zeigen, dass der interaktive Mario-Kopf am Beginn fehlt und die Musik etwas besser zu klingen scheint, ansonsten aber offenbar alles beim Alten geblieben ist. Auftretende Abstürze werfen die Frage auf, ob das erhaltene Exemplar physisch beschädigt ist oder aber der Prototyp nie sauber zu Ende programmiert wurde.

Ein einflussreicher Erfolg – und dennoch nicht genug?

„Super Mario 64“ konnte zu seiner Markteinführung Spielerinnen und Spieler wie auch die Fachpresse gleichermaßen für sich gewinnen. Die Spielezeitschrift Edge verlieh – zum allerersten Mal seit ihrem Bestehen, wohlgemerkt – die Bestnote, und die deutschsprachige Nintendo-Zeitschrift N-Zone schrieb zum Test in ihrer ersten Ausgabe: „Kein anderes Spiel wird die Videospiele-Zukunft so beeinflussen wie ‚Super Mario 64‘. Die phantastische, derzeit so nur auf dem Nintendo 64 mögliche 3D-Grafik, das geniale Leveldesign und die schier unendliche Ideenvielfalt setzen Maßstäbe, an denen die Entwicklerkonkurrenz lange zu knabbern haben wird.“ (wieder abgedruckt in N-Zone 11/2020, S. 82–83)

Auch Nintendos mutige Entscheidung, den N64-Marktstart so sehr auf das bewährte Maskottchen zu fokussieren, erwies sich als richtig, denn etwa die N-Zone urteilte, dass das „sensationelle[] 3D-Jump&Run […] fast ganz alleine als Kaufgrund für das Nintendo 64 ausreicht.“ Letztlich sollte das N64 zwar aus kommerzieller Sicht deutlich hinter Nintendos früheren Konsolen zurückbleiben und so nicht verhindern können, dass der Konzern seine Marktführerschaft an Konkurrent Sony und die PlayStation verlor, doch dafür ist ein komplexes Gemengelage an Gründen zu veranschlagen.

Auch wenn „Super Mario 64“ infolge der überschaubareren Hardwarebasis nicht an die Verkaufszahlen mancher seiner Vorgänger heranreichen konnte, war es für sich genommen und im Kontext der damaligen Spielebranche ein gewaltiger Erfolg. Mit über elf Millionen abgesetzten Exemplaren auf dem gesamten Globus ergatterte es den Titel des meistverkauften N64-Spiels. Präzisere offizielle Verkaufszahlen stehen aber leider nicht zur Verfügung.

Zwei Screenshots aus dem PlayStation-Spiel „Jumping Flash!“ von 1995, einem 3D-Jump’n’Run aus der Zeit vor „Super Mario 64“. Links die normale Ansicht, rechts die Ansicht während eines Sprungs. Auch wenn massive Unterschiede zu „Super Mario 64“ bestehen, gibt es doch eine große Gemeinsamkeit: In beiden Spielen nimmt der Schatten der Spielfigur eine eminent wichtige Rolle zur Erleichterung von Sprüngen im 3D-Raum ein.

Die dritte Revolution des Jump’n’Run-Genres

„Jeder Entwickler von 3D-Spielen, der sagt, er habe nichts von ‚Mario‘ oder ‚Zelda‘ geliehen – von den Nintendo-64-Spielen –, lügt“, antwortete Dan Houser, Mitgründer des „Grand Theft Auto“-Studios Rockstar Games, einmal in einem Interview auf die Frage nach Inspirationsquellen und Vorbildern. Damit brachte er zum Ausdruck, dass die beiden Nintendo-Eigenproduktionen von 1996 beziehungsweise 1998 zum Gutteil die Blaupause aller nachfolgenden 3D-Spiele erarbeitet und definiert haben. Selbst Grundstrukturen heutiger Open-World-Abenteuer lassen sich in den frei erkundbaren, nonlinearen Welten von „Super Mario 64“ wiederfinden.

Noch evidenter ist der Einfluss des Spiels auf das Jump’n’Run-Genre. Nach den ebenfalls von Miyamoto entwickelten Spielen „Donkey Kong“ (1981) und „Super Mario Bros.“ (1985) war es die dritte große Revolution. Was wir letztes Jahr in einer Reportage zum NES-Klassiker festgehalten haben, gilt dabei auch für seinen Erben „Super Mario 64“: Es war keineswegs das erste seiner Art, hat aber aufkommende Trends in einem so überzeugenden Grundkonzept vereinigt, dass ein neuer Referenzpunkt für künftige Generationen an Entwicklern geschaffen war.

Als erstes 3D-Jump’n’Run gilt der im April 1995 für PlayStation veröffentlichte Titel „Jumping Flash!“, in dem man aus der First-Person-Perspektive den Roboterhasen Robbit steuert. Da die Kamera bei Sprüngen den Boden und den Schatten der Spielfigur in den Blick nimmt, funktioniert das Konzept zwar besser, als es zunächst klingt. „Super Mario 64“ ermöglichte dann aber dank Third-Person-Perspektive, absoluter Bewegungsfreiheit per Analogstick und freier Kamerasteuerung in Kombination mit jenen Qualitäten, für die die „Super Mario“-Spiele seit über einem Jahrzehnt bekannt waren, ein wesentlich flüssigeres, intuitiveres und überzeugenderes Spielgefühl.


„Super Mario 64“ mag bis heute nur wenig von seinem Charme verloren haben, doch wie gut das Spiel wirklich gealtert ist, darüber kann man durchaus geteilter Meinung sein (siehe etwa die sehr ausgeglichene Retro-Rückschau in N-Zone 09/2020, S. 76–83). Jedenfalls sind seit seinem Erscheinen 25 Jahre vergangen – zum Vergleich: Die Anfänge der Videospielindustrie lagen 1996 ihrerseits erst knappe 25 Jahre zurück! In die ein Vierteljahrhundert währende Geschichte des Klassikers fallen unter anderem Nintendos Bemühungen um einen Nachfolger, die Neuauflage für den DS und die bis heute unerfüllten Hoffnungen auf ein zeitgemäßes Remake. All diesen Themen wenden wir uns im vierten Teil unserer Reportage zu.

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