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Metroid Dread

Inside Nintendo 191: Vom Mythos zur Realität: Die Geschichte von Metroid Dread 2005–2021

Eine der größten Überraschungen der diesjährigen E3 war zweifelsohne die Ankündigung von „Metroid Dread“. Spektakulär war diese Enthüllung nicht nur, weil es sich um den offiziellen fünften Teil der Hauptreihe – die „Metroid Prime“-Spiele bilden eine Nebengeschichte – sowie um das erste neue 2D-„Metroid“ seit 19 Jahren handelt, sondern weil „Metroid Dread“ bereits seit 2005 Dauergast in der Gerüchteküche war. Dass das Spiel nach all den Jahren endlich Wirklichkeit wird, erfreut nicht nur Fans, sondern auch Yoshio Sakamoto, einen der federführenden Köpfe hinter der Reihe. Anlässlich der kurz bevorstehenden Veröffentlichung lassen wir die lange Geschichte hinter „Metroid Dread“ Revue passieren.

Bei den Recherchen für diesen Artikel konnten wir die im Mai 2005 aufgetauchte Liste leider nicht mehr in den Tiefen des Internets aufspüren, sodass dieser Ausgangspunkt der über 15-jährigen Geschichte von „Metroid Dread“ seltsam unzugänglich bleibt. Ohne den Leak wäre von dem Spiel jedenfalls all die Jahre über nie die Rede gewesen, und es ist fraglich, ob Nintendo und Sakamoto so das Durchhaltevermögen gehabt hätten, die Idee doch noch zu verwirklichen.

E3 2005: geleakt aber nicht angekündigt

Alles begann im Mai 2005, kurz vor der E3. Traditionell pflegen unmittelbar vor dieser als Weihnachten der Videospielwelt geltenden Spielemesse zahlreiche Leaks aufzutauchen, die die anstehenden Ankündigungen vorwegzunehmen beanspruchen. Was Wirklichkeit und was Trug ist, lässt sich häufig erst im Nachhinein feststellen. Im Mai 2005 nun gelangte die Spielewebsite IGN an eine Liste, die einige jener DS-Titel nannte, die Nintendo in Zukunft vorzustellen gedachte. Alle diese Spiele wurden in der Tat nicht wenig später auch angekündigt, darunter „Mario & Luigi: Partners in Time“, womit die Authentizität des geleakten Dokuments im Rückblick bestätigt war. Nur von einem dieser Titel fehlte auf der E3 und auch in den folgenden Wochen jede Spur: „Metroid Dread“.

Fans gingen davon aus, dass es sich bei diesem auf der geleakten Liste genannten Spiel um ein traditionelles 2D-„Metroid“ für den DS handle und somit um einen Nachfolger des GBA-Spiels „Metroid Fusion“. Abgesehen von der bloßen Erwähnung auf jener internen Nintendo-Liste und der darauf basierenden, große Wellen schlagenden Berichterstattung, insbesondere in der Zeitschrift Game Informer, gab es jedoch keinerlei Informationen zu „Metroid Dread“. Auch Nintendo selbst äußerte sich 2005 nicht bezüglich des Spiels. Ein Nutzer des Game-Informer-Forums behauptete, dass selbst manche Mitarbeitende von Nintendo of America überrascht gewesen seien, dass auf der E3 nicht wenigstens ein Video zu „Metroid Dread“ gezeigt worden war.

2005 bis 2007: Spekulationen und Gerüchte, Nintendo schweigt

Die Gerüchteküche begann jedenfalls fleißig zu brodeln. Im November 2005 machte die Meldung die Runde, dass „Metroid Dread“ eingestellt worden sei – doch ob es dafür eine wirkliche Grundlage gab oder es sich bloß um Spekulationen infolge der offenkundig ausbleibenden Ankündigung handelte, ist unbekannt. Jedenfalls tauchten auch danach noch hin und wieder angebliche Neuigkeiten rund um das mysteriöse Spiel auf, die jedoch eines gemeinsam hatten: Sie stammten nicht unmittelbar von Nintendo und stellten somit keine wirklich wasserdichten Informationen dar. Das Official Nintendo Magazine etwa gab im Februar 2006 an, dass „Metroid Dread“ wahrscheinlich im November 2006 herauskommen werde – nur um in der folgenden Ausgabe nur noch unspezifisch das Jahr 2006 zu nennen.

Der Großteil der Fans ging damals noch optimistisch davon aus, dass „Metroid Dread“ ganz einfach erst zu einem späteren Zeitpunkt angekündigt werde. Da das Spiel ja auf einem wenn auch geleakten, so doch offiziellen Dokument von Nintendo Erwähnung gefunden hatte, musste es immerhin auch existieren. Aber auch die E3 2006 verging, ohne dass Nintendo „Metroid Dread“ enthüllte geschweige denn nur seine Existenz bestätigte. Ähnlich verstrich auch die erste Jahreshälfte 2007: Den vielen Spekulationen und Mutmaßungen stand ein beständiges Schweigen seitens des „Mario“-Konzerns gegenüber. Mit jedem neuen Monat ohne ein offizielles Wort wurde die Angelegenheit immer nebulöser.

Ein Screenshot aus „Metroid Prime 3: Corruption“. Ein fiktiver Logbucheintrag hatte die Spekulationen rund um „Metroid Dread“ stark befeuert. In einem Interview darauf angesprochen, stritten die Entwickler von den Retro Studios entschieden ab, dass es sich dabei um eine bewusste Aktion gehandelt habe – doch gerade dadurch entsteht der Eindruck, dass mehr dahinter gesteckt haben könnte.

2007: Erwähnung in Metroid Prime 3 – Zufall oder zu viel verraten?

Im August 2007 goss Nintendo schließlich selber neues Öl in das zu erlöschen drohende Feuer und die große Frage war, ob dies bewusst erfolgte oder nicht. Worum ging es? Im Wii-Spiel „Metroid Prime 3: Corruption“ entdeckten Fans in einem Logbuch der Weltraumpiraten eine Botschaft, die ein gewisses „Metroid project ‚Dread‘“ erwähnte, welches die Endstadien erreiche. Diese Notiz hat damals für große Aufmerksamkeit gesorgt, schien es sich doch um ein Easter Egg zu handeln, mit dem Nintendo offiziell endlich die Existenz von „Metroid Dread“ bestätigt hatte. Jedoch fand sich in „Metroid Prime 3“ direkt in der Nähe auch die Botschaft, dass die Ergebnisse des Experiments nicht erfolgreich gewesen seien.

Es ist zwar offenkundig, dass sich diese Angaben zumindest in erster Linie auf die Spielwelt bezogen. Doch manche Fans meinten damals daraus schließen zu können, dass „Metroid Dread“ abgebrochen worden sei. Was aber steckte wirklich dahinter – war es ein Easter-Egg mit Insider-Informationen, ein kleiner, anspielungsreicher Scherz oder nur ein Zufall? Ein Nintendo-Pressevertreter dementierte damals jedenfalls auf Anfrage, dass der Konzern ein 2D-„Metroid“ entwickle. Game Director Mark Pacini von den Retro Studios klärte die Sache schließlich in einem Interview auf. Er sprach von einem „kompletten Zufall“ („complete and utter coincidence“) und beteuerte, dass das Entwicklerteam sich beim Verfassen des Logbucheintrags im Spiel nichts gedacht habe und über „keine Information über die [‚Metroid‘-]Handheld-Spiele“ verfüge.

Videospieljournalist Chris Kohler meldete damals jedoch Zweifel an, ob diese Aussage wirklich der Wahrheit entsprach. Ihm zufolge wäre es überzeugend gewesen, hätten die Entwickler von einem Scherz gesprochen, doch ein „kompletter Zufall“ sei als Erklärung kaum überzeugend. Ob also mehr hinter der Sache steckte oder nicht: In der japanischen Fassung von „Metroid Prime 3“, die erst im März 2008 auf den Markt kam, wurde die für Furore sorgende Passage ersetzt.

2009: endlich bestätigt: Metroid Dread war Realität

Je mehr Zeit verstrich, ohne dass „Metroid Dread“ enthüllt oder auch nur bestätigt wurde, desto mehr breitete sich die Sphäre des Nebulösen und Geheimnisvollen um das Spiel. Als daher auf der E3 2009 „Metroid: Other M“ angekündigt wurde, konnten sich Journalisten in Interviews mit Yoshio Sakamoto die Frage nach „Metroid Dread“ nicht verkneifen. In diesem Kontext bestätigte der „Metroid“-Produzent erstmals offiziell die Existenz des Projekts. Er gab in Interviews mit IGN und Kotaku zu verstehen, dass „Metroid Dread“ real gewesen sei, als Idee wenigstens in seinem Kopf noch lebendig sei und vielleicht irgendwann noch auftauchen werde. Nach dieser Erklärung lenkte Sakamoto die Aufmerksamkeit gleich wieder auf „Other M“ und betonte, dass dies ein ganz anderes Spiel sei als „Metroid Dread“.

Der langjährige Nintendo-Mitarbeiter Yoshio Sakamoto hat die „Metroid“-Reihe zwar nicht selber erfunden, aber seit ihren Anfängen an ihr mitgewirkt und seit „Super Metroid“ auch mehrfach im Regiestuhl gesessen. „Metroid Dread“ war ihm über viele Jahre hinweg ein Herzensanliegen.

2010: vage Andeutungen über die Zukunft

Ausführlicher äußerte sich Sakamoto in einem Interview im März 2010. „Es ist immer schwierig, wenn Leute ‚Metroid Dread‘ zur Sprache bringen“, sagte er gegenüber IGN-Redakteur Craig Harris, einer der Hauptquellen für das Gemunkel aus den vorherigen Jahren. „Alles, was die Leute über das Spiel gehört haben, sind Gerüchte. Wir hatten nie eine offizielle Ankündigung auf der E3 oder so etwas. Ich glaube, dass einmal ein paar Informationen geleakt sind, aber jetzt wissen wir nicht wirklich, wie wir über das Projekt sprechen sollen.“ Er wünsche sich, den Gerüchten ein Ende machen zu können – aber nicht etwa, weil das Projekt unwiderruflich verloren oder aufgegeben sei, wie er andeutete: „Bitte geduldet euch also noch etwas länger.“

Ähnlich vage Auskünfte erteilte Sakamoto im September 2010 im Interview mit GamesTM: „Dass ein solches Projekt [‚Metroid Dread‘; Anm. d. Red.] in der Vergangenheit existiert hat, kann ich nicht leugnen, aber ich kann nicht sagen, ob ich mich als nächstes damit beschäftigen werde oder nicht.“ Er wolle das Geheimnis um das Spiel weiter aufrecht erhalten und am liebsten die Situation ganz zurücksetzen und komplett von vorne beginnen.

„Metroid Dread“ hat wirklich einmal existiert, und hinter verschlossenen Türen ging irgendetwas mit dem Projekt vor sich, worüber Sakamoto aber anscheinend unzufrieden war – so viel lässt sich aus diesen Interviewaussagen von 2009 und 2010 herauslesen. Sakamoto schien die Spielidee, worum auch immer es sich dabei handeln mochte, mit großem Engagement zu verfechten und gerne noch zur Umsetzung bringen zu wollen.

Nachträgliche Informationen zum Stand von Metroid Dread um 2008

Was genau hinter den Kulissen geschah, wusste damals natürlich niemand. Nähere Informationen gelangten 2015 durch Recherchen des Videospieljournalisten Liam Robertson ans Tageslicht. Im Rahmen von Nachforschungen zu Nintendos nordamerikanischem Studio Nintendo Software Technology (NST), das neben der „Mario vs. Donkey Kong“-Reihe insbesondere für das DS-Spiel „Metroid Prime: Hunters“ bekannt ist, konnte Robertson enthüllen, dass um 2008 ein Prototyp für „Metroid Dread“ für den DS in Arbeit gewesen war.

Das Spiel habe eine Fortsetzung von „Metroid Fusion“ werden sollen und diesem überaus ähnlich gesehen. „Es sah buchstäblich aus wie eine Portierung von ‚Fusion‘ auf den DS“, wurde ein anonymer NST-Mitarbeitender zitiert. Den Untertitel „Dread“ habe das Projekt zu diesem Zeitpunkt jedoch nicht mehr getragen. Robertson berichtete weiter, dass sich das eigentliche Spielprinzip auf dem oberen Bildschirm abgespielt habe, während auf dem unteren die Karte eingeblendet worden sei. Die Handlung des Spiels habe bereits größtenteils festgestanden. Dazu passt, dass Craig Harris von IGN bereits 2010 behauptet hatte, die Story von „Metroid Dread“ einmal gesehen zu haben, auch wenn er sich nicht mehr an Details erinnern könne.

Screenshot aus „Project H.A.M.M.E.R.“, einem unveröffentlichten Wii-Spiel, das für Konflikte zwischen Entwickler Nintendo Software Technology (NST) und dem japanischen Mutterkonzern gesorgt hatte. Seither hat das Studio nur noch kleinere Titel hervorgebracht, etwa mehrere „Mario vs. Donkey Kong“-Teile sowie Portierungen wie „Super Mario 3D World + Bowser’s Fury“.

Nintendos Mühen verlaufen im Sand

Auch wenn Robertson durch Gespräche mit Mitarbeitenden von Nintendo Software Technology an diese Informationen gelangt ist, war es nicht dieses Studio, das hinter der Entwicklung des damaligen „Metroid Dread“-Prototyps steckte. NST habe den um 2008 intern bei Nintendo in Japan erarbeiteten Prototyp auf der E3 2009 hinter verschlossenen Türen vorgeführt bekommen und sei wohl zunächst für die Ausarbeitung vorgesehen gewesen. Das Hin und Her um das Wii-Beat-’em-up „Project H.A.M.M.E.R.“, das damals in Entwicklung war, aufgrund interner Schwierigkeiten aber abgebrochen werden musste, scheint jedoch dafür gesorgt zu haben, dass dem Studio der Auftrag entzogen wurde.

Zusammengefasst ergibt sich folgendes Zwischenfazit: Um 2009 bemühte sich Nintendo um ein Voranbringen des Projekts „Metroid Dread“, das sich seit 2005 wenigstens gedanklich in der Produktion befunden hatte. Doch auch diesmal kam anscheinend kein Ergebnis zustande; eine offizielle Enthüllung blieb weiterhin aus. Auch die NST-Mitarbeitenden, mit denen Robertson in Kontakt stand, hatten keine wirkliche Erklärung dafür parat. Was genau zu diesem Zeitpunkt hinter den Kulissen vor sich ging, bleibt also ziemlich unklar: Fand Nintendo einfach kein Team, das den Prototyp ausarbeiten konnte? Oder wurde zwar ein Studio gefunden, hat dieses das Spiel aber nicht zu Nintendos Zufriedenheit fortführen können?

2010 bis 2017: eine düstere Zeit

Intern muss es für die „Metroid“-Reihe eine schwierige Zeit gewesen sein, und auch aus Perspektive der Fans brach nun eine düstere Phase an. 2010 erschien für Wii das 3D-Actionspiel „Metroid: Other M“, entwickelt vom „Ninja Gaiden“- und „Dead or Alive“-Studio Team Ninja, das in der Fangemeinde nur auf wenig Gegenliebe stieß. Daraufhin wurde es um die Reihe sehr still. Abgesehen von dem 3DS-Spin-off „Federation Force“ von 2016, das nicht als adäquater Ersatz für einen vollwertigen neuen Teil wahrgenommen wurde, gab es erst auf der E3 2017 neue große Meldungen. Damals wurde neben „Metroid Prime 4“, das bis zum heutigen Tage seiner großen Enthüllung geschweige denn Fertigstellung harrt, ein zweites neues Spiel der Reihe angekündigt: „Metroid: Samus Returns“.

Noch im selben Jahr für Nintendo 3DS auf den Markt gebracht, handelt es sich bei diesem Titel um eine Neuauflage des zweiten Teils der Reihe, des Game-Boy-Spiels „Metroid: Return of Samus“ (zur Entstehungsgeschichte verweisen wir auf „Inside Nintendo 146: Die Geschichte eines Comebacks – die Entstehung von Metroid: Samus Returns“). In Interviews erklärte Sakamoto damals, dass er schon seit mehreren Jahren die Idee gehabt habe, das zweite „Metroid“-Spiel für den 3DS neuaufzulegen, doch habe für die Umsetzung der Idee kein Entwicklerteam zur Verfügung gestanden. Später sei er auf das spanische Studio MercurySteam aufmerksam gemacht worden, das ihn durch einen intern programmierten „Metroid“-Prototyp überzeugen konnte.

Ein Screenshot aus „Metroid: Samus Returns“ für Nintendo 3DS.

Sakamotos heimlicher Hintergedanke

So fand Sakamoto damals ein Entwicklerstudio zur Umsetzung seiner „Metroid“-Remake-Idee. Die Entwicklerinnen und Entwickler von MercurySteam kannten sich dank der drei „Castlevania: Lords of Shadow“-Spiele bereits bestens im Metroidvania-Subgenre aus. In Interviews hob Sakamoto hervor, wie sehr das Team auch die Vision der „Metroid“-Reihe verstanden habe. „Samus Returns“ erhielt gute Kritiken und verkaufte sich für ein „Metroid“-Spiel ganz gut, sodass unter Fans die vorsichtige Hoffnung aufkam, dass der Titel eine neue Blütephase der Reihe einläuten könne. Doch schon damals hatte Sakamoto viel größere Pläne mit MercurySteam, als er in Interviews bekanntgeben konnte und wollte.

Der bereits erwähnte Prototyp, vermittels dessen MercurySteam die Aufmerksamkeit von Nintendo und Sakamoto hatte erhalten können, war, wie es der Zufall will, eine Art Neuauflage von „Metroid Fusion“ gewesen. „Der eigentliche Grund, warum ich mich mit MercurySteam traf“, erklärte Sakamoto später entsprechend, „war die Hoffnung, dass das Team meine Konzepte für ‚Metroid Dread‘ würde verwirklichen können.“ Ob von Anfang an feststand, dass das spanische Studio nach dem Remake das neue Spiel entwickeln solle, oder ob entsprechende Vereinbarungen erst nach dem erfolgreichen Fertigstellen von „Samus Returns“ getroffen wurden, ist zwar nicht bekannt. Nach der Veröffentlichung des Spiels jedenfalls machte Sakamoto Andeutungen, dass als nächstes ein gänzlich neuer Teil der Reihe entstehen könne.

2021: Ein offenes Geheimnis und doch eine Überraschung

Hätte man Sakamotos über einen Zeitraum von etwa zehn Jahren getätigte Aussagen und Andeutungen rund um „Metroid Dread“ und später „Metroid: Samus Returns“ aufmerksam zwischen den Zeilen gelesen und miteinander kombiniert, dann hätte die Ankündigung auf der E3 2021 eigentlich keine Überraschung mehr sein dürfen. Mit dem privilegierten Wissensstand der Rückblickenden wagen wir sogar zu behaupten, dass es de facto jahrelang ein offenes Geheimnis war, dass Sakamoto seine Idee für „Metroid Dread“ unbedingt noch verwirklichen wollte. Nicht nur das: 2017 hatte er ja sogar anklingen lassen, dass er längere Zeit nach einem geeigneten Entwicklerteam für 2D-„Metroid“-Spiele gesucht habe und schließlich mit MercurySteam fündig geworden sei. Und dennoch war die Hoffnung auf einen Neustart für „Metroid Dread“ in Fankreisen überraschend wenig lebendig.

Warum auch immer die Zeichen der Zeit nicht richtig erkannt worden waren – umso größer war jedenfalls der Überraschungseffekt auf der E3 2021. In der Nintendo-Direct-Ausstrahlung gab Shinya Takahashi von Nintendo zunächst bekannt, dass man zu „Metroid Prime 4“ immer noch kein Material zeigen könne. „Doch heute möchte ich Ihnen einen weiteren Neuzugang in der ‚Metroid‘-Reihe vorstellen“, sagte Takahashi weiter. Im folgenden Trailer war zunächst knapp drei Sekunden lang Serienheldin Samus zu sehen. Darauf erschien die schlichte Einblendung „METROID 5“. Es folgten Videosequenzen und Gameplay-Abschnitte, die bereits programmatisch das Konzept des Spiels vorstellten, bevor der Schriftzug „METROID DREAD“ aufprangte. Wer auch immer bei Nintendo diesen Trailer erstellt hat – er oder sie kannte die Erwartungshaltung der Fans genau. Es war die größte Überraschung des Nintendo-Jahres 2021.

Vielen jüngeren „Metroid“- und Nintendo-Fans musste im Nachhinein erst einmal erklärt werden, warum die Ankündigung von „Metroid Dread“ so viel sensationeller war, als es ein brandneues „Metroid“-Spiel ohnehin bereits war: Sie kannten die Reihe primär über die „Metroid Fusion“-Spiele und waren zu jung, um die Gerüchte und Meldungen von 2005 an mitbekommen zu haben.

Der wahre Grund für die holprige Historie

Im sich anschließenden Treehouse-Livestream stellte Yoshio Sakamoto unmittelbar klar, dass der Name des neuen Spiels kein Zufall war, sondern dass es sich tatsächlich um eine Wiederbelebung des abgebrochenen DS-Projekts aus früheren Jahren handelt. Das Konzept zum Spiel sei in der Tat bereits 15 Jahre alt. Zwei Mal habe sich Nintendo an die Umsetzung gewagt, doch beide Male habe das Projekt abgebrochen werden müssen. Sakamoto erklärte dies damit, dass die damalige Technik noch nicht zur Realisierung des Konzepts bereit gewesen sei. Damit bezog er sich wohl auf die E.M.M.I.s, die tödlichen und unbarmherzigen Roboter-Gegner, die Samus auf Schritt und Tritt verfolgen und auf schwächerer Hardware nicht überzeugend genug programmiert werden konnten.

In der Berichterstattung zu „Metroid Dread“ wurde diese Aussage unkritisch übernommen, wo doch ihr PR-Charakter offenkundig ist. Wir tippen eher darauf, dass ein zentraler Grund für das zweimalige Scheitern des Projekts darin bestand, dass es schlicht kein entsprechendes Entwicklerteam für Nintendo gegeben hat. Nicht umsonst befanden sich die Japaner um 2009, wie wir dank der Recherchen von Liam Robertson wissen, auf der Suche nach einem Studio für die Umsetzung; nicht umsonst war die Kooperation mit MercurySteam ausschlaggebend für die Entwicklung neuer 2D-„Metroid“-Spiele.

Zu bedenken ist, dass Sakamoto neben den 2D-Teilen der Reihe an weniger arbeitsaufwändigen Spielen wie „WarioWare“, „Rhythm Heaven“ und „Tomodachi Life“ beteiligt war – für die „Metroid Prime“-Spiele zeichnete indes mit Kensuke Tanabe ein anderer Nintendo-Produzent verantwortlich. Größere Titel hat das von Sakamoto geleitete Entwicklerteam Software Planning & Development 1 (seit 2015 Entertainment Planning & Development 7) nicht hervorgebracht. Als Abteilungsleiter hätte sich Sakamoto, wenn es nur nach seinen eigenen Wünschen gegangen wäre, wohl jederzeit wieder an „Metroid Dread“ wagen können. Dass er es erst in Kooperation mit einem sich bewährenden externen Studio tat, ist ein deutliches Zeichen dafür, dass er innerhalb seiner Abteilung nicht das erforderliche Know-How gegeben sah.

Angetrieben von Furcht

Dabei handelt es sich jedoch nur um unsere eigenen Vermutungen. Unser Kenntnisstand über den Entstehungsprozess von „Metroid Dread“ ist ziemlich lückenhaft, und auch über die Phase seit dem Neustart bei MercurySteam wurde bislang nur wenig verraten. Eines der wenigen preisgegebenen Details ist, dass Sakamotos Rolle bei der Produktion eine ähnliche war wie schon bei der Entwicklung von „Samus Returns“. Täglich habe er in Kontakt mit MercurySteam gestanden, das so eng mit Nintendo zusammengearbeitet habe, dass die Unternehmen gleichsam ein Herz und eine Seele geworden seien. „Ich schätze also, ich war ein Produzent“, so Sakamoto, „aber ich war auch an der kreativen Seite beteiligt.“

Seit den ersten Gerüchten von 2005 bis hin zur Ankündigung 2021 zieht sich ein roter Faden durch die Meldungen rund um das Spiel, nämlich der Untertitel „Dread“. Er steht für das Kernkonzept, das Sakamoto für dieses sein Herzensprojekt vorgesehen hatte: „Es geht darum, dass Samus auf Furcht trifft, sich dieser Furcht aber stellt, sie bekämpft und sie besiegt.“ Als Inspiration dafür nannte Sakamoto den Vorgänger „Metroid Fusion“, präziser ausgedrückt die spannungsgeladenen, actionreichen Szenen, in denen Samus auf den beängstigenden Antagonisten SA-X trifft.

Erfreuliche Aussichten am Ende eines steinigen Weges

Da Sakamoto im Laufe der Jahre immer wieder vage, sich jedoch im Rückblick gut zusammenfügende Hinweise gegeben hat, sollten „Metroid“-Fans seinen aktuellen Andeutungen mehr Aufmerksamkeit schenken. Zur Ankündigung hieß es bereits, dass „Dread“ den Storyfaden der „Metroid“-Hauptreihe abschließen werde. Doch in einem Interview machte Sakamoto recht unmissverständlich klar, dass dies nicht das Ende der Hauptreihe bedeute, ja dass sogar schon gewisse Planungen unternommen würden, wobei er sich aller Wahrscheinlichkeit nach nicht auf „Metroid Prime 4“ bezog.

„Niemand möchte, dass die ‚Metroid‘-Serie endet, und wir wissen das“, äußerte er. „Wir selber möchten nicht, dass sie endet; wir möchten nur, dass die Leute wissen, dass da eine Art neue Episode wartend in Arbeit ist [there is some kind of new episode that is waiting in the works]. Und wir möchten, dass Sie sich darauf freuen, was wir als nächstes damit machen, aber für den Moment gibt es noch keine Einzelheiten.“

Mit diesen zuversichtlich stimmenden Aussagen im Hinterkopf können sich „Metroid“-Fans ab dem 8. Oktober 2021 ein Urteil darüber verschaffen, ob „Metroid Dread“ den Erwartungen an das fünfte Spiel der bedeutenden Hauptreihe zu entsprechen vermag. Der für die Fans ebenso wie für Sakamoto lange und steinige Weg ist nun jedenfalls nach über 15 Jahren unverhoffterweise doch noch zu einem guten Abschluss gelangt. Damit geht ein weiteres spannendes Kapitel der Geschichte von Nintendo zu Ende – doch dieses Ende hält viel Potenzial für die Zukunft bereit und ist vielleicht vielmehr ein Anfang.

Aus Gründen der besseren Nachvollziehbarkeit sind die Quellen der einzelnen Aussagen an den jeweiligen Stellen verlinkt. Darüber hinaus wurde als Quelle herangezogen: Kat Bailey: „Inside Metroid Dread's Development With Producer Yoshio Sakamoto“, IGN, 17. Juni 2021.

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Bisher gibt es zwei Kommentare

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  • Avatar von Neino
    Neino 03.10.2021, 22:01
    Vielen Dank für den Report, war sehr spannend die Entstehungsgeschichte von Dread nochmal ausführlich zu lesen!
    Macht die Vorfreude auf das Spiel noch gewaltiger ^^
  • Avatar von Jannik @derofa.de
    Jannik @derofa.de 03.10.2021, 14:33
    Erneut ein äußerst interessanter Report. Vielen Dank dafür. In naher Zukunft werde ich mal den ersten Metroid-Teil nachholen. Da klafft bei mir eine Bildungslücke :-). Generell habe ich immer das Gefühl, dass es eine außergewöhnliche Spielereihe ist. Meine Verbindung zu Samus ist, dass sie mein Hauptcharakter bei Smash Bros. seit N64 Zeiten ist. Damals als kleiner Spross dachte ich sie wäre männlich und fand einfach sie sah mit Fox am coolsten aus :-D.