Als „The World Ends with You” herauskam, wurde der Titel vom Großteil der Spielerschaft ignoriert. Dabei bot das außergewöhnliche Rollenspiel ein Kampfsystem, für das tatsächlich beide Bildschirme des Nintendo DS notwendig waren. In den Jahren darauf folgten diverse Portierungen, doch für PlayStation-Konsolen sind keine davon erschienen. Deshalb war die Überraschung groß, als der lang ersehnte Nachfolger auch für PlayStation 4 angekündigt wurde. All das wird aber schnell nebensächlich, denn sobald man sich in der Welt von „NEO: The World Ends with You“ verliert, gibt es kein Entkommen mehr.

Neues Spiel, neue Regeln

Die Geschichte startet nicht etwa mit Neku, sondern mit Protagonist Rindo Kanade und seinem besten Freund Tosai Furesawa. Die beiden kommen bei einem Unfall ums Leben, und finden sich fortan im Underground wieder – eine Art Parallelwelt, in der Todesgötter, genannt Reaper oder Shinigami, das Sagen haben. Kenner des Vorgängers dürften sich direkt heimisch fühlen, denn das Duo befindet sich im Reaper’s Game. An sieben Tagen müssen die Verstorbenen diverse Aufgaben erledigen und Monster namens Noise bekämpfen, um ins Land der Lebenden zurückzukehren. Das Grundkonzept ist klassisch gehalten, es gibt aber einen gewaltigen Unterschied.

Während zuvor die Spieler in Duos kämpften, und auch kooperieren konnten, gilt nun die Team-Regel. Jeder Spieler muss sich einer Gruppe anschließen oder selbst eine gründen, um die Aufgaben zu lösen. Dadurch stehen die Spielergruppen in Konkurrenz zueinander und sabotieren sich gerne, um mehr Punkte zu erhalten, als die Gegner. Die Sieger dürfen nämlich das Spiel verlassen, doch wer sich am Ende der Woche auf dem letzten Platz befindet, wird gelöscht. Rindo und Tosai vergrößern ihre Truppe schnell um die Otaku Nagi Usui sowie den aus dem Vorgänger bekannten Sho Minamimoto, dessen mathematische Logik auch hier wieder dominiert. Doch natürlich geschehen zahlreiche unerwartete Dinge, und im Laufe des Spieles erkennen die neuen Helden, was wirklich vor sich geht.

Another New Day

Bevor es zur Bewertung der Handlung geht, muss man sich bewusst werden, wer die Zielgruppe ist. Es ist tatsächlich möglich, „NEO“ auch ohne Vorwissen zu spielen, denn Spielende erleben die Handlung aus der Perspektive von Charakteren, die ebenfalls ohne Vorwissen in die brutale Welt geworfen werden. Deshalb werden einige wichtige Ereignisse aufs Neue erklärt, während auch bekannte Figuren ausführliche Einführungen erhalten.

Dennoch würden wir jedem empfehlen, den ersten Teil nachzuholen. Hier handelt es sich definitiv nicht um einen eigenständigen Titel, sondern um einen waschechten Nachfolger, der regelmäßig auf die Ereignisse des Vorgängers Bezug nimmt. Nicht nur zahlreiche bekannte Charaktere feiern eine Rückkehr, auch deren Hintergründe entfalten sich erst wirklich, wenn man sie schon kennt. Am besten wird zur Nintendo Switch-Version gegriffen, denn die dort enthaltene Bonus-Episode schafft den direkten Übergang zu „NEO“ und erklärt, wieso einige Charaktere überhaupt wieder vorkommen können.

Teamwork ist alles

Obwohl sich das Spiel, wie bereits der Vorgänger, eine Menge Zeit nimmt, um richtig in Fahrt zu kommen und im Stundentakt bedeutsame Wendungen aufzutischen, kommt niemals Langeweile auf. Das beginnt mit der Charakterdynamik: Während Neku sich vor anderen stets verschlossen hat und durch die Zusammenarbeit mit seinen Partnern lernte, Beziehungen zu anderen Menschen aufzubauen, ist Rindo deutlich offener. Da er das Spiel zusammen mit seinem besten Freund betritt, fühlt er sich nicht wirklich verloren und zeigt sogar Enthusiasmus und Humor, wobei Tosai deutlich extrovertierter und naiver ist. Nagi und Sho machen das verrückte Quartett perfekt und sorgen dafür, dass die unzähligen kleinen Dialoge stets unterhaltsam bleiben und für Schmunzler sorgen. Spielende werden sehr schnell mit dem Team warm, doch auch die anderen Gruppen sind herrlich überzeichnet, inklusive der neuen Reaper, die sich weitaus stärker in die Haupthandlung einbinden als ihre Vorgänger und deshalb auch stärkere Persönlichkeiten haben.

Wirklich faszinierend sind dabei die Kombinationen, die zustande kommen. Rindo versucht immer einen kühlen Kopf zu bewahren, möchte sich aber sogar mit Kontrahenten gut verstehen, während Tosai gar nicht aufhören kann, permanent zu reden. Vor allem die anderen Gruppenleiter stechen heraus und machen jede Begegnung zu einem Fest, sodass man gerne vergisst, dass es ums Überleben geht. Kein Dialog ist es wert, weggedrückt zu werden, egal ob in der Hauptmission, oder den zahlreichen Nebenmissionen, die kleinere, teils miteinander verbundene Geschichten erzählen.

Das Schicksal Tokyos

Natürlich ist „NEO: The World Ends with You” kein reines Comedy-Spiel, schließlich dreht sich alles um den Tod, auch wenn viele Momente deutlich hoffnungsvoller sind, als Kenner der Reihe erwarten würden. Es sind aber die sehr persönlichen und emotionalen Momente, die einen an den Bildschirm fesseln. Das Spiel erwartet aber vom Spieler, sich erst in der neuen Welt zurechtzufinden und sich an die Charaktere zu gewöhnen, bevor es zur Sache geht und das große Ganze in kleinen Schritten enthüllt wird. Wer die Trailer gesichtet hat weiß nämlich bereits, dass drei Schlüsselfiguren, über die man nicht allzu viel weiß, auftauchen werden.

Gibt man dem Spiel diese Zeit – und das ist nicht schwer, da auch die Momente abseits davon erstklassig gestaltet wurden – wird man wahrlich belohnt. Natürlich wollen wir nichts spoilern, aber wer Angst hatte, dass „NEO“ eher wie ein Spin-Off, als wie eine echte Fortsetzung gestaltet wurde, liegt glücklicherweise falsch. „A New Day“ legt für alle Ereignisse die Bausteine, doch auch wer die Episode nicht gespielt hat, erhält hier die entsprechenden Informationen nachgeliefert. Fans wissen, dass man „The World Ends with You“ besonders dann genießen kann, wenn man auf verworrene, manchmal etwas unnötig komplexe Geschichten steht - nicht umsonst ist Tetsuya Nomura als Creative Producer erneut dabei.

Neue Dimensionen

Während die Handlung neue Wege geht und das Konzept des Reaper’s Game erweitert, wurde das Kampfsystem vollständig neugestaltet. Das beginnt schon bei der Perspektive, denn diesmal geht es in 3D-Arenen, die dank des gewählten Artstils und der knalligen Farben ebenso stilvoll daherkommen, wie im Vorgänger. Erneut müssen Pins gesammelt und ausgerüstet werden, die die zahlreichen Angriffe auslösen. Diesmal ist jeder Pin aber mit einem Knopf des Controllers verbunden, und jeder Charakter kann nur einen ausrüsten. Somit kann man bis zu vier Stück im Kampf nutzen, da man die vier Helden gleichzeitig steuert. Direkt bewegen lässt sich dabei nur derjenige, dessen Angriff man aktiv nutzt, wobei theoretisch auch alle vier davon gleichzeitig gedrückt werden können. Das hört sich auf dem Papier etwas überladen an, doch in den Kämpfen funktioniert das System wunderbar dynamisch und sehr schnell. Manchmal gibt es keinen spielerischen Unterschied dazu, als ob man einen Helden steuern würde, häufig lassen sich die erweiterten taktischen Möglichkeiten aber effektiv nutzen.

Hinzu kommt eine Groove-Leiste, die dadurch gefüllt wird, dass man im richtigen Moment einen anderen Charakter angreifen lässt. Das ist auch bitterlich nötig, denn jeder Angriff leert sich ziemlich schnell und muss dann automatisch regeneriert werden, sodass reines Buttonmashing dazu führt, dass man häufig nur ausweichen, nicht aber direkt angreifen kann. Das ist besonders dann ärgerlich, wenn ein Charakter gefangen wird und dann nicht direkt durch einen Gegenangriff befreit werden kann. Ist aber die Groove-Leiste gefüllt, erhalten die Helden einen Bonus und führen einen besonders starken Angriff aus, der einige Kämpfe direkt beenden kann. Obwohl all das schnell verstanden ist, erweitern sich die Systeme im späteren Verlauf, und da es einen riesigen Haufen an Pins gibt, die aufgelevelt und teilweise weiterentwickelt werden können, kommt ständig Abwechslung auf. Alleine herauszufinden, welche Kombinationen besonders effektiv sind, ändert die Kampfdynamik regelmäßig.

Von Monstern und Menschen

Häufig geht es gegen Noise, die Hauptgegner der Reihe. Dabei handelt es sich um von Tieren inspirierte Wesen, die in vielfältigen Kombinationen durchaus kniffelige Kämpfe bieten. Neu sind dagegen Kämpfe gegen andere Spieler, die überaus häufig vorkommen und manchmal sogar die Tagesaufgabe darstellen. Leider kommt hier nicht allzu viel Bewegung auf, und gerade die Bosskämpfe gegen menschliche Feinde sind etwas zu lang geraten. Repetitive Kämpfe gehören zu vielen Rollenspielen dazu, hier wünscht man sich aber stets, gegen weitere Noise zu kämpfen.

Leicht und knallhart zugleich

Wer viele und seltene Pins sammeln möchte, darf während des Abenteuers zahlreiche Optionen ändern. Am offensichtlichsten ist da der Schwierigkeitsgrad, der sich jederzeit ändern lässt und Auswirkungen auf die Belohnungen hat. Zusätzlich lässt sich auch das Level der Truppe senken, was einen Multiplikator steigen lässt und ebenfalls für mehr Pins sorgt. Dadurch wird der Grind, sollte man wirklich alles wollen, besonders angenehm, auch wenn einige der Kämpfe perfekte Koordination verlangen.

Noch mehr Boni, inklusive Lebensleisten für Gegner sowie den höchsten Schwierigkeitsgrad, gibt es über das Social-System. Beendet man Nebenquests für bestimmte Charaktere und gibt anschließend Punkte im entsprechenden Menü aus, lassen sich besonders wertvolle Boni freischalten, die man definitiv nicht missen sollte. Es lohnt sich also, sich Zeit für Nebenmissionen zu lassen, anstatt nur durch die Hauptgeschichte zu rasen. Dennoch ist es jederzeit möglich, vorherige Tage zu wiederholen, weshalb keine Nebenquest verpassbar ist.

Das neue alte Shibuya

Ansonsten geht es durch das Shibuya, das Fans bereits kennen, natürlich mit leicht veränderten Kulissen, da nun alles in 3D gestaltet wurde. Die Tagesaufgaben sind recht kreativ gestaltet, verlangen aber meist, bestimmte Orte anhand von Hinweisen aufzufinden oder bestimmte Gegner zu besiegen. Das ist unterhaltsam, spielerisch aber keine Herausforderung. Spannender sind da schon die speziellen Fähigkeiten der Protagonisten – die wir an dieser Stelle aber ebenfalls nicht verraten wollen. So lassen sich aber lebende Personen beeinflussen und sogar Ereignisse verändern, und auch wenn hier keine große spielerische Freiheit gegeben ist, macht es Spaß, die daraus resultierenden Situationen zu erleben.

Natürlich verdient man Geld, das ausgegeben werden will. Das geht zum Beispiel in Shops, die Kleidungsstücke und Pins verkaufen. Die Kleidung verbessert Statuswerte und gibt manchmal sogar Boni, wenn der Stil-Wert der Charaktere hoch genug ist. Wer seine Werte permanent erhöhen will, darf in Restaurants essen, aber nur, bis die Helden satt sind. Der Hunger kehrt erst nach einigen Kämpfen wieder, sodass sie sich gleich doppelt stärken lassen. Genau das ist so wunderbar an „NEO“: Alle Spielsysteme sind miteinander verbunden, ergeben aber auch im Zusammenhang der Welt stets einen Sinn.

Etwas für die Augen, alles für die Ohren

Optisch sollte kein Spielender eine Granate erwarten, dennoch ist der bunte Cell Shading-Look überaus ansprechend. Auch die surrealen Elemente, zum Beispiel wenn sich Gebäude scheinbar biegen, ist ein Augenschmaus, auch wenn man sich erst daran gewöhnen muss. Die Charaktermodelle sind erstklassig geraten, und die gezeichneten Bilder in den Dialogen könnten besser nicht sein, auch dank einiger Design-Überraschungen. Lediglich die Kantenglättung dürfte schöner sein, doch das lässt sich verschmerzen, auch weil die Augen von den knalligen Farben abgelenkt werden. Was die Ladezeiten und die Bildrate von 60 angeht gibt es absolut nichts zu beanstanden, lediglich die Kamera verfängt sich in den Kämpfen gelegentlich.

Kommen wir nun zum wichtigsten: Der Soundtrack. „The World Ends with You“ gehört zu den besten Soundtracks aller Zeiten, und es ist mir eine Ehre zu behaupten, dass die Fortsetzung eine Schippe drauf setzt. Jeder neue Song löst einen Ohrwurm aus und gehört in jede Playlist – es ist ein Segen, dass Takeharu Ishimoto zurückgekehrt ist, obwohl er Square Enix verlassen hat. Hinzu kommen neue Versionen der Klassiker, sodass das Fanherz regelrecht explodiert. Perfekt macht das Paket die Synchronisation, die sowohl in englischer als auch in japanischer Sprache nicht besser sein könnte.