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Super Mario Bros. (VC)

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Inside Nintendo 179: Die Geschichte von Super Mario Bros., Teil 3: Das Spiel wird zum Leben erweckt

In den bisherigen Ausgaben unserer großen „Inside Nintendo“-Reportage anlässlich des 35. Jubiläums des 8-Bit-Meilensteins „Super Mario Bros.“ haben wir uns mit der Konzeptfindung und der Entstehung zentraler Spielelemente wie Level und Grafiken des Klassikers befasst. Doch Leben eingehaucht bekommt ein Videospiel erst mit der konkreten Umsetzung und dem Zusammenfügen der einzelnen Bestandteile, wobei auch die akustische Komponente einen nicht zu unterschätzenden Aspekt darstellt. Musik und Toneffekte von „Super Mario Bros.“ zählen zu den bekanntesten der gesamten Videospielkultur, und so möchten wir nun mit deren Entstehung einsetzen.

Dieses Artwork ziert die europäischen NES-Module von „Super Mario Bros.“ Oft wird behauptet, dass Mario auf diesem Bild kurz davor stehe zu sterben, da er ja in Lava hineinfalle. Da es sich jedoch nur um eine etwas wahllose Zusammenstellung von Pixelgrafiken handelt – im Spiel kann Mario ja auch keine Feuerbälle vor einen Block schießen –, trifft die Behauptung eher nicht zu. Miyamoto selbst hat sie außerdem dementiert.

Mehr als Piepsen und Düdeln

So etwas wie Videospielmusik hat sich Anfang der 1980er-Jahre erst langsam etabliert (mehr zum Thema erfahrt ihr in „Inside Nintendo 169: Wo die Musik spielt: Eine kleine Geschichte der Nintendo-Videospielmusik“). Allmählich rekrutierten Spieleunternehmen in dieser Zeit spezialisierte Komponisten. „Super Mario Bros.“-Komponist Koji Kondo war zwar nicht Nintendos erster Tontechniker, wohl aber einer der ersten, die nicht Programmierer, sondern tatsächlich studierte Musiker waren. 1984 fing er offiziell bei der jungen Abteilung Research & Development 4 an. Seine 8-Bit-Musik für das Puzzlespiel „Devil World“ war ausschlaggebend dafür, dass Shigeru Miyamoto und Takashi Tezuka ihn auch als Komponisten für ihr neues ambitioniertes Spieleprojekt einsetzten.

Die 8-Bit-Architektur der frühen Konsolen setzte Kondo wie allen frühen Spielekomponisten enge Grenzen. Auf dem Famicom und Nintendo Entertainment System (NES) etwa können nur vier Tonkanäle gleichzeitig erklingen: Zwei Stimmen für die Melodie und eine für den Bass sowie ein Rauschkanal. Damit lassen sich aber keine klassischen Dreiton-Akkorde generieren. Kondo hatte dank seiner ersten Erfahrung mit dem Komponieren für das NES jedoch eine Möglichkeit ausgetüftelt, wie er dennoch „reichhaltige“ Klänge aus der Konsole herauskitzeln konnte. Diese Technik wandte er in „Super Mario Bros.“ erstmals an.

Nicht mehr nur zweite Geige

In der damaligen Zeit spielten Musik und Ton bei der Videospielentwicklung noch eine stark untergeordnete Rolle. Wenn es überhaupt einen eigenen Komponisten gab, so begann dieser seine Arbeit meist erst sehr spät im Entstehungsprozess des jeweiligen Spiels. Nicht so bei „Super Mario Bros.“, wo Kondo schon sehr früh involviert war. Außerdem haben die Programmierer hier von Anfang an die durch den Ton anfallende CPU-Auslastung einkalkuliert – da das NES nämlich keinen separaten Soundchip hat, erfolgt die Klangerzeugung über den Prozessor. Zu diesem Zweck wurden Sounds aus „Excitebike“ als Platzhalter verwendet.

Bereits in den Projektspezifikationen von Februar 1985 hatte sich Miyamoto über die Musik seines Magnum Opus Gedanken gemacht. „Die Notizen zur Hauptmelodie besagen: ‚Oberirdisch, im Western-Stil, Schlagwerk und eine Art Peitschenknall‘“, zitierte der frühere Nintendo-Präsident Satoru Iwata aus dem Dokument. „Das hört sich aber nicht nach dem an, was am Ende tatsächlich dabei herauskam! Allerdings steht hier auch, dass das oberirdische Thema lustig sein soll; das trifft ja zu.“ Diese ersten Vorgaben sahen außerdem eine düstere Musik für die Untergrund- und für die Unterwasser-Abschnitte „blubbernde Klänge“ vor.

Dieses Foto zeigt Koji Kondo 1990 in seinem Musikstudio (Bildquelle).

Die Suche nach einer bewegenden Musik

Die Hauptmusik von „Super Mario Bros.“ ist das berühmteste Werk aus Kondos Karriere – sie war aber nicht seine erste Komposition für das Spiel. „Normalerweise versuche ich, das Hauptthema für ein Spiel als erstes zu schreiben“, erklärte er. „Bei ‚Super Mario Bros.‘ aber hatte ich wirklich Schwierigkeiten damit, und das erste Stück, das ich tatsächlich fertiggestellt habe, war das Wasserlevel-Thema.“ Anders als üblich hatte Kondo für dieses Stück sehr schnell eine Idee: „Ein Walzer wäre der richtige Klang für einen Unterwasser-Level, dachte ich.“

Über die Entstehung der Hauptmelodie, mit der er sich so schwer getan hatte, hat Kondo oft in Interviews gesprochen. Es muss früh im Entwicklungsprozess des Spiels gewesen sein, als ihm die Entwickler zeigten, wie Mario durch ein offenes Grasfeld rannte. „Super Mario Bros.“ war von Anfang an als ein dynamisches und athletisches Spiel mit einer großen und lebendigen Spielwelt geplant – diesen Eindruck wollte Kondo auch mit seiner Musik einfangen. „Ich wollte etwas Helles und Fröhliches machen“, sagte Kondo, was ihn in Richtung des Latin-Genres bewegte.

Was wir nie zu Ohren bekamen

Der erste Entwurf für die Hauptmusik kam aber alles andere als gut an: „Es passte überhaupt nicht“, urteilte Kondo im Rückblick. „Das Stück missfiel allen, außerdem war es auch nicht sehr interessant.“ Für die Beantwortung der Frage, wie diese unerhörte und ungehörte frühe Version des Stücks wohl geklungen haben mag, sind wir auf sprachliche Beschreibungen angewiesen, die zumindest einen groben Eindruck vermitteln können. Kondo beschrieb seinen ersten Entwurf als „sehr lockere, luftige Musik“ und charakterisierte die Melodie als weich und herzerwärmend, sorgenlos und entspannt.

Obwohl dieses Stück zwar auf Kondos frühen Eindrücken zu „Super Mario Bros.“ basierte, erwies es sich einfach nicht als angemessen. „Als ich das Stück zum eigentlichen Spiel abspielen ließ, passte es überhaupt nicht zu dessen Tempo oder Rhythmus!“, so der Komponist. „Ich habe dann versucht, ein Swing-Gefühl hinzuzufügen, aber viele Leute haben mir gesagt, dadurch klinge die Melodie seltsam“.

Es ist immer faszinierend, wenn bekannte Komponisten ihre eigenen Stücke selbst interpretieren. Kondo hat zu unterschiedlichen Anlässen sein „Super Mario Bros.“-Hauptthema auf dem Klavier zum Besten gegeben. Dieses Video wurde von Nintendo 2015 im Umfeld von „Super Mario Maker“ veröffentlicht.

Die finale Hauptmusik

Für seinen zweiten Versuch legte der Komponist selbst Hand an einen frühen Prototypen an, sodass er sich einen eigenen Eindruck von Marios Bewegungen machen konnte. Dabei wurde ihm klar, dass das Stück „peppiger und actionhafter“ sein müsse und einen „energischeren Rhythmus“ benötige. Während er sich die Melodie anscheinend überwiegend neu ausgedacht hat, übernahm er mehrere Elemente aus der früheren Version, sodass er in manchen Interviews sagen konnte, die ursprüngliche Fassung lediglich überarbeitet zu haben. Neben der lockeren Grundstimmung, die offenkundig beibehalten worden ist, hat Kondo „diesen kleinen Hi-Hat-Beat als Basis“ übernommen sowie „etwas wie eine Triole“.

„Nachdem ich dies und das ausprobiert habe, kam ich auf die Idee einer Cha-Cha-Cha-Melodie“, sagte Kondo. Auf den aus der ersten Fassung übernommenen Beat legte er eine passende Akkordfolge, auf deren Grundlage er dann mehrere Melodievariationen erstellte. Daraus wählte er schließlich die beste Version aus. „Es entstand ein Groove, der zum Loslaufen eingeladen hat, also habe ich es so gelassen“, so Kondo. Diese zweite Fassung hat demnach ohne weitere Änderungen Eingang in das Spiel gefunden.

Der Klang eines Sprungs

Kondos finale Komposition ist ohne Frage eines der musikalischen Highlights der frühen 8-Bit-Spiele. Das Stück hat eine Beliebtheit und Verbreitung erlangt, wie es für die Musik eines Videospiels bis dahin unvorstellbar gewesen ist. Ebenso sind die Soundeffekte aus „Super Mario Bros.“ zu so etwas wie einer Chiffre für Videospiele des 8-Bit-Zeitalters geworden. „Ich wollte einen Klang erschaffen, den niemand zuvor je gehört hatte, der die Fähigkeiten des Famicom ausnutzt, und vielleicht etwas Lustiges“, erklärte Kondo.

Um dies zu erreichen, musste er viel ausprobieren. Dabei stand er in ständigem und engem Kontakt mit Miyamoto, der allem Anschein nach auf die Toneffekte besonders großen Wert legte. „Ich meine mich zu erinnern, dass der Regisseur mich bat, ein Geräusch für Marios Sprung zu machen“, erzählte Kondo. „Ich erinnere mich, etwas gesagt zu haben wie ‚aber Ihre Füße machen doch kein besonderes Geräusch, wenn Sie springen!‘“ In einem anderen Interview lachte Kondo: „Ich war wahrscheinlich eine totale Nervensäge, weil ich einfach nicht einsehen wollte, dass man einen Klang für Sprünge brauchte.“

Dies ist der Anfang der „Super Mario Bros.“-Hauptmusik nach einem Notensatz von ninsheetmusic.org.

Der Sound einer Generation

Vom Toneffekt beim Einsammeln einer Münze über das Sprunggeräusch, das bei Super Mario tiefer klingt als beim kleinen Mario, bis hin zum Klang des Betretens einer Röhre, der übrigens auch Marios Schrumpfen nach einem Gegnerkontakt vertont: Diese berühmten Sounds sind in das kulturelle Gedächtnis der Videospielwelt eingegangen. Nicht ganz so bedeutsam, aber auch unzählige Male im „Super Mario“-Universum wieder aufgegriffen wurden das kurze, düstere Untergrund-Stück sowie die beflügelnde Musik, die Marios unbesiegbaren Stern-Zustand begleitet.

Daneben gibt es noch die bereits erwähnte Unterwasser-Musik, ein Musikstück für Bowsers Schlösser sowie kurze Melodien am Ende eines Levels, einer Welt und des Spiels. Zu jenem letzten Stück, das zur Rettung von Prinzessin Toadstool erklingt, hat Kondo eine weitere Anekdote preisgegeben. „Ursprünglich hatte es eine AABA-Struktur, aber wir hatten nicht genug Speicher“. Daher musste Kondo den B-Teil streichen, sodass im fertigen Spiel der A-Teil immer wiederholt wird. Die vollständige Version des Stücks konnte Kondo etwa ein Jahr später im japanischen „Super Mario Bros. 2“ einbauen.

Platzsparende Programmierung

Mit der Speicherknappheit haben wir ein Thema angesprochen, das „Super Mario Bros.“ stark seinen Stempel aufgedrückt hat. Da das gesamte Spiel, also Programmcode, Leveldaten, Grafikelemente und Musik, auf dem damals bloß 40 Kilobyte umfassenden Spielmodul Platz finden mussten, kam es für die Entwickler auf jeden einzelnen Byte an. Solche engen technischen Begrenzungen kann man sich heute kaum noch vorstellen, damals aber sahen sich alle Spieleentwickler damit konfrontiert – was sich für deren Kreativität oftmals weniger als Einschränkung denn als Herausforderung entpuppte.

Miyamoto, Tezuka und ihre Programmierer Toshihiko Nakago und Kazuaki Morita waren also darauf bedacht, in möglichst wenig Bytes möglichst viele Inhalte unterzubekommen. Dazu waren sie auf simple, aber wirkungsvolle Kniffe angewiesen; beispielsweise verwendeten sie kurzerhand ein und dasselbe Grafikelement nur mit anderer Farbe für Gras und Wolken. Dass dies vielen Spielern nicht aufgefallen ist, zeugt von der Genialität dieses Tricks. Außerdem wurden Items und Gegner bevorzugt symmetrisch gestaltet, sodass in den Spieldaten nur eine Hälfte der jeweiligen Grafik abgespeichert werden muss, die das Spiel dann vermittels Spiegelung vervollständigen kann. „Der Vorteil liegt auf der Hand“, erklärte Nakago. „Sie konnten ein Objekt benutzen, das zweimal so groß war wie die Anzahl der Bytes, die dafür erforderlich war.“

Ein weiteres Beispiel für einen Speicherplatz-sparenden Umgang mit Assets: Die Spitze der großen Schlösser, die jeweils zum vierten Level einer Welt führen, ist einfach die Grafik einer kleinen Burg, wie zu den übrigen Leveln führt.

Pilzbefall

Ein weiteres Beispiel gab Miyamoto. „Ich kann mich erinnern, dass wir überlegt hatten, eine unserer Figuren hinauf- und hinabfliegen zu lassen, aber wir hatten nicht genug Speicher für eine neue Figur. Wir fragten uns, was wir tun könnten, bis uns eine Idee einfiel: ‚Warum versuchen wir’s nicht mit Flügeln an den Schildkröten!‘“ Aus dieser Speicherplatz-Einsparungsmaßnahme entstanden also die Parakoopas. Die regulären Schildkröten-Gegner, deren Name übrigens an ein koreanisches Gericht angelehnt ist, waren ursprünglich sogar als Hauptgegner des Spiels angedacht. Testspieler kritisierten jedoch, dass die Koopas direkt am Spielbeginn noch eine zu schwierige Hürde darstellten.

Daher dachten sich die Entwickler eine neue, einfachere Gegnerart aus – dies ist die Geburtsstunde des auf dem Shiitake-Pilz basierenden Gumba, des wohl wichtigsten Gegners der „Super Mario“-Reihe. Das Spiel befand sich zu diesem Zeitpunkt bereits in einem so fortgeschrittenen Stadium, dass die Entwickler keinen Speicher mehr für eine richtige Animation übrig hatten. Auch dies wurde auf elegante Art gelöst: Der Gumba erhielt nur eine einzige Sprite, die jedoch leicht geneigt ist. Das Spiel spiegelt nun ständig ein und dieselbe Sprite, sodass der Eindruck einer rudimentären Laufanimation entsteht.

Luft nach oben

In einem Interview sprachen die Entwickler von „Super Mario Bros.“ darüber, wie sie den vorhandenen Speicherplatz auf dem Modul tatsächlich bis zum letzten Byte ausgefüllt haben. Das heißt aber nicht, dass die Programmierung hundertprozentig effizient und fehlerfrei erfolgt wäre. Im Spielcode konnten nämlich ein paar ungenutzte Spielelemente gefunden werden. Dazu zählen ein Game-Over-Sound mit anderer Instrumentierung sowie eine „Hurry Up!“-Version des kurzen Stücks, das die Sequenz begleitet, in der Mario eine Röhre am Levelbeginn betritt, wo die Zeit aber gar nicht ablaufen kann.

Außerdem wurden in den Programmdaten ungenutzte Varianten des Feuerbalken-Hindernisses aufgespürt sowie ein nicht fertiggestelltes, wohl aber funktionsfähiges Objekt, an dem Mario hinaufklettern kann. Darüber hinaus gibt es einige Hinweise darauf, dass die Anordnung der einzelnen Level im Laufe der Entwicklung geändert worden ist. Sicher kann man davon ausgehen, dass Level auch stark verändert oder sogar verworfen worden sind; bislang aber sind im Spielcode keine Relikte früherer oder verworfener Level gefunden worden. Genau das wird mitunter in Verbindung mit dem sogenannten Minus-World-Glitch behauptet, auf den wir später noch eingehen werden, ist aber nicht richtig.

Auf dieser Zusammenstellung sehen wir alle Figuren-Sprites aus „Super Mario Bros.“ (Quelle: mariouniverse.com). Für sämtliche Grafikelemente – also auch Items, Blöcke, Levelelemente und so weiter – standen den Entwicklern nur 256 Sprites mit je 8×8 Pixeln zur Verfügung. Innerhalb dieser engen Grenzen arbeitete das Team mit zahlreichen Tricks. „Es hat damals Spaß gemacht, sich solche Ideen einfallen zu lassen.“, sagte Tezuka.

Programmier-Pannen und Weltrekord-Wahnsinn

Eine interessante Beobachtung im Spielcode betrifft die Stachi-Eier, die der Gegner Lakitu in manchen Leveln vom Himmel herabwirft. Eigentlich soll das Wurfverhalten komplexer und mit realistischerer Physik erfolgen, sodass Lakitu die Eier gezielt auf Mario wirft und diese etwa von Blöcken und Mauern abprallen. Stattdessen aber schmeißt Lakitu die Stachis in einer geraden Linie zu Boden. Dies liegt an einem scheinbaren Fehler im Programmcode – „scheinbar“ deswegen, weil schwierig zu entscheiden ist, ob diese Änderung nicht doch bewusst vorgenommen worden ist, um das Spiel etwas einfacher zu machen. Dass hingegen die realistischere Wurfphysik etwa in „Super Mario Maker“ Verwendung findet, spricht eher für einen Fehler.

Sicher ist jedenfalls, dass eine ganze Reihe weiterer kleiner Programmierfehler in „Super Mario Bros.“ bekannt ist. Das liegt weniger an einer vermeintlich schlampigen Programmierung als vielmehr daran, dass das Spiel infolge seiner großen Beliebtheit besonders oft und gründlich auf Herz und Nieren geprüft worden ist. Insbesondere die Speedrun-Szene profitiert davon stark. Der Weltrekord für das schnellste Durchspielen von „Super Mario Bros.“ ist hart umkämpft; die aktuelle Bestzeit eines menschlichen Spielers beträgt exakt 4:55,646 Minuten. Die Speedrun-Szene kämpft um jeden einzelnen Frame; wer sich mit „Super Mario Bros.“-Speedruns beschäftigt, wird zugleich tiefe Einblicke in die Programmierung des Spiels gewinnen.

Des einen Freud, des anderen Leid

Einer der bekanntesten und als erstes entdeckten Programmierfehler in „Super Mario Bros.“ ist der 1UP-Trick. Wenn der Spieler auf mehrere Gegner am Stück springt und so eine Sprungkette aufbaut, belohnt ihn das Spiel zunächst mit immer höheren Punkten und schließlich mit Extraversuchen. Durch geschicktes Springen auf einen Koopa, der sich auf einer Block-Pyramide befindet, lässt sich eine beliebig lange Sprungkette ausführen, durch die der Spieler innerhalb kürzester Zeit enorm viele Extraversuche erhält.

Der 1UP-Trick mag insbesondere für damalige Spieler eine sehr hilfreiche Entdeckung gewesen sein. Was aber eine solche unbeabsichtigte Funktion für die Entwickler bedeutet, erklärte Programmierer Kazuaki Morita einmal in einem umfangreichen Statement: „Das Projekt hat mir einen richtigen Schrecken eingejagt; das hat mich die Bedeutung eines fehlerlosen Programmcodes gelehrt. […] Ich erinnere mich, wie wir zum ersten Mal von diesem Cheat gehört haben. Wir haben einen Anruf von irgendeinem Kind bekommen, und Mr. Miyamoto und ich dachten beide, dass der Anruf ein Streich wäre, dass so etwas unmöglich sei! Die Programmierung war perfekt … oder etwa nicht? Nun, wir haben überprüft, dass der Cheat funktioniert. Glücklicherweise hatte der 1UP-Trick großen PR-Wert, als er sich herumsprach; denn ich war sehr nervös, was alles hätte passieren könnte!“

Was Programmierer Morita wohl zu einem Video wie diesem sagen würde? Durch massives Ausnutzen aller Eigenarten des Programmcodes, angefangen bei der teils ungenauen Kollisionsabfrage, und natürlich unglaublich präzises Spielen sind Speedruns wie dieser hier möglich. Dahinter steckt eine regelrechte Wissenschaft, die der Rekordhalter selbst in diesem Video im Detail erklärt.

Grenzerfahrung der Negativität: Die Minus-Welt

Miyamoto hatte hingegen einmal behauptet, das Spiel sei bewusst so programmiert worden, dass etwas wie der 1UP-Trick möglich wäre. Diese positive Haltung wahrte er auch gegenüber einem weiteren bekannten, diesmal aber schwerwiegenderen Programmierfehler aus „Super Mario Bros.“, dem Minus-World-Glitch. „Das ist ein Bug, ja“, gab Miyamoto zu, „aber es ist ja nicht so, als würde er das Spiel abstürzen lassen, also ist es auch eine Art Feature!“ Der Fehler besteht darin, dass der Spieler am Ende von Level 1-2 mittels eines sehr präzisen Hüpfmanövers durch die Wand springen und dann die Warp-Röhren betreten kann, ohne dass diese korrekt geladen worden sind.

Dies führt dazu, dass das Spiel falsche Leveldaten einliest und den Spieler in einen Level mit der Bezeichnung „ -1“ führt. Dieser Unterwasserlevel ähnelt stark dem Level 7-2, kann allerdings nicht abgeschlossen werden, da die Röhre am Ende wieder nur an den Beginn des Abschnitts zurückführt. Was zunächst einmal wenig spektakulär wirken mag, hat bei seiner ersten Entdeckung angesichts einer Videospielszene im „Mario“-Fieber eine gewaltige Aufmerksamkeit erhalten. Daher zählt der Minus-World-Glitch, obgleich seine Auswirkungen nur moderater Natur sind, zu den bedeutendsten und bekanntesten Programmierfehlern der Videospielindustrie. In späteren Neuauflagen von „Super Mario Bros.“ hat Nintendo den Fehler behoben, in den Virtual-Console-Versionen ist er aber weiterhin enthalten.

In der Version des Spiels für das Famicom Disk System sieht Level „ -1“ übrigens ganz anders aus; dort handelt es sich um einen Oberwelt-Level, den Mario schwimmend durchquert und von dem aus er sogar in Welt „ -2“ und „ -3“ gelangen kann. Darüber hinaus gibt es sogar eine Möglichkeit, auf Originalhardware bis zu 256 Glitchlevel zu betreten. All dies aber sind, ebenso wie die berühmte Minus-Welt, keine versteckten Geheimlevel. Stattdessen wird das Spiel infolge eines Fehlers dazu gebracht, Teile seines eigenen Programmcodes als Leveldaten zu interpretieren, was in willkürlich zusammengewürfelten, aber oft dennoch halbwegs spielbaren Levels resultiert.

Eine Reise jenseits der Grenzen des Raums

In seiner oben zitierten Äußerung getreu dem Motto „it’s no bug, it’s a feature!“ hat Miyamoto durchaus recht, dass der Minus-World-Glitch im Spiel keinen schweren Schaden anrichtet – ganz anders als viele andere Programmierfehler gerade in 8-Bit-Spielen (siehe dazu „Inside Nintendo 92: Missingno. und Co. – die Glitches der ersten Pokémon-Generation“). Die dritte Ausgabe der Nintendo Power hatte amerikanische Spieler sogar ganz offiziell in dieses ungeplante Geheimnis eingeweiht. Überhaupt wohnt dem Ausloten dieses Fehlers ohne Zweifel etwas von dem inne, was Miyamoto grundsätzlich mit „Super Mario Bros.“ und „The Legend of Zelda“ erreichen wollte und was diesen Spielen damals ihr besonderes Etwas verlieh: Das Gefühl, eine mit Geheimnissen nur so gespickte Welt zu erforschen.

Diesem Gefühl diente auch die Konzeption der bereits erwähnten Warp-Zonen, die dem Spieler erlauben, einen Teil des Spiels zu überspringen und im Nu in spätere Welten zu gelangen. In einer Zeit, da sich Spielstände nicht speichern ließen und man ständig vom Game-Over-Bildschirm beglückt wurde und wieder ganz von vorne anfangen musste, bedeutete dies eine sehr große Erleichterung. Entsprechend gut sind die Zugänge zu den Warp-Zonen verborgen. In Welt 1-2 etwa muss der Spieler dafür die vermeintlichen Grenzen der Spielwelt überschreiten, sodass Mario am oberen Bildschirmrand, wo Informationen wie Punktestand oder verbleibende Zeit eingeblendet werden, entlangläuft. Allein das wirkt schon wie Mogeln – nur dass es von den Entwicklern genau so vorgesehen war!

Diese Konzeptskizze, die 1992 in der Broschüre „Mario Mania“ veröffentlichte wurde, ist die Grundlage der verbreiteten Behauptung, dass der süße Dinosaurier Yoshi ursprünglich schon für „Super Mario Bros.“ geplant gewesen war. Es steht zwar fest, dass die Idee für Yoshi tatsächlich während der NES-Ära aufkam und erst später in „Super Mario World“ (1990) umgesetzt werden konnte. Die Datierung dieser Zeichnung ist aber unklar, da die Entwickler sehr widersprüchliche Angaben gemacht haben (mehr Details dazu in „Inside Nintendo 144“). Yoshi ist jedenfalls wohl kein verworfenes Element aus „Super Mario Bros.“

Die Entstehungsgeschichte von „Super Mario Bros.“ ist überwiegend abgehandelt. Damit allein würden wir dem Spiel aber kaum wirklich gerecht werden. Warum es als so einflussreicher Meilenstein der Videospielgeschichte gilt und wie es dazu und zu seinem großen Erfolg überhaupt kommen konnte – diesen Fragen widmen wir uns im folgenden vierten Teil der Reportage.


Quellen für Inhalt und Zitate: Interview mit Koji Kondo im japanischen Lösungsbuch zu „Super Mario World“, 1991, englische Übersetzung bei shmuplations.com; Interview mit Koji Kondo und Kazumi Totaka, Nintendo Online, 2001, englische Übersetzung bei shmuplations.com; Interview mit Koji Kondo, Game Maestro Vol. 3, 2001, englische Übersetzung bei shmuplations.com; „Iwata fragt: New Super Mario Bros. Wii“, Teil 1, „3: Auf dem Heimweg vom Büro sah ich ein Rohr“, Teil 2, „5: Dieselbe Idee für Land und Himmel anwenden“, Nintendo, 2009; „Iwata fragt: Super Mario All-Stars“, Teil 1: „Super Mario History-Soundtrack-CD“, „4: Musik-Kommentar von Koji Kondo (1)“, Nintendo, 2010; „Iwata fragt: Super Mario Bros. 25. Jahrestag“, Teil 5: „Die ursprünglichen Entwickler von Super Mario“, „2: Auch die Neuen“, „5: Speichereinsparungsmaßnahmen“, Nintendo.de, 2010; The Cutting Room Floor. Zusätzliche Quellen und Verweise sind im Fließtext verlinkt.

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Bisher gibt es drei Kommentare

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  • Avatar von virus34
    virus34 24.09.2020, 16:40
    Ich war leider noch nie sehr musikalisch obwohl ich nachgewiesener Maßen ein absolutes Gehör habe, also Töne, Tonlage und bei mir zusätzlich auch Takte sofort erkennen kann ohne einen Referenzpunkt zu haben, kann mir aber schon vorstellen das es Spaß macht.
    Ansonsten was das Danke betrifft, ich finde du gibst dir immer unheimlich viel Mühe diese Texte zu verfassen und für mich ist es ein wunderbarer Ruhepol die Berichte zu genießen, da ist das Danke das Mindesteste. Ich hoffe es hat sich für dich auch gelohnt die Bücher rauszubringen die ich auch gerne gekauft habe.
  • Avatar von Tobias
    Tobias 21.09.2020, 10:33
    Vor ein paar Jahren habe ich mal ausprobiert, 8-Bit-Musik ein wenig nachzuspielen. Seltsamerweise hab ich mich aber nie an dem wohl berühmtesten 8-Bit-Stück überhaupt versucht; erst vor ein paar Wochen hab ich mir das mal angeschaut. Macht sehr viel Spaß, das Mario-Theme selbst zu spielen

    Zitat Zitat von virus34 Beitrag anzeigen
    Wow das ging aber diesmal schnell mit der Veröffentlichung. Vielen Dank auch wieder für den tollen Bericht.
    Bei mehrteiligen Berichten ist es ja eigentlich sinnvoller, die einzelnen Teile innerhalb eines kürzeren Zeitraums zu veröffentlichten. Der Rest der Reportage wird daher auch zeitnah folgen. An dieser Stelle auch ein großes Danke für deine Dank-Kommentare, die die Reihe schon lange begleiten – bereits seit 2014, glaube ich!
  • Avatar von virus34
    virus34 20.09.2020, 17:28
    Wow das ging aber diesmal schnell mit der Veröffentlichung. Vielen Dank auch wieder für den tollen Bericht.