Die langlebige „Need for Speed“-Reihe hat ihre goldenen Zeiten schon lange hinter sich gelassen. Zwar erscheinen immer wieder neue Teile, Begeisterung können diese aber nie auslösen. Vielmehr schaut man zur Konkurrenz, die auf der Überholspur lebt. Auch „Need for Speed Heat“ kann nicht an „Forza Horizon“ herankommen, stellt aber einen überraschenden Befreiungsschlag dar.

Von Sonnenstränden und bunten Nächten

„Need for Speed Heat“ entführt den Spieler nach Palm City, das vom Miami der 80er Jahre inspiriert wurde. Entsprechend gibt es eine dicht bebaute Stadt, Strände und Naturgebiete, wobei die Größe der Welt etwas kleiner ist, als man erwarten würde. Das ist glücklicherweise kein Problem, denn dadurch ist die Atmosphäre dichter und es gibt fast überall etwas zu sehen oder zu tun, anstatt durch leere Gegenden zu fahren. Die gibt es zwar auch, doch sie halten sich im Vergleich zu den Vorgängern stark in Grenzen.

Die wahre Pracht von Palm City entfaltet sich aber erst bei Nacht. Insbesondere mit Wettereffekten sieht die Neon-Beleuchtung großartig aus und lässt die Rennen regelrecht erstrahlen. Deshalb kann man es dem Titel verzeihen, dass die Welt tagsüber etwas blass aussieht. In Sachen Aktivitäten wird mit Werbetafeln, Sammelgegenständen und weiteren klassischen Elementen zwar nur Standardware geboten, diese unterhält dafür solide und sorgt dafür, dass man jeden Winkel der Karte abfahren möchte. Die unsichtbaren Wände halten sich in Grenzen, sodass die Fahrten auch freier sind, als in den vorherigen Ablegern.

Ein Tag, zwei Phasen

Die zentrale Mechanik ist das Wegfallen des dynamischen Tag- und Nacht-Zyklus. Das hat aber einen Grund, denn die Zeiten müssen manuell umgestellt werden, dafür ändert sich spielerisch sehr viel. Tagsüber gibt es nämlich legale Rennen, in denen der Spieler Geld verdient, um neue Teile für die Fahrzeuge zu kaufen. Nachts werden dann die illegalen Rennen ausgetragen, in denen auch die Polizei deutlich aktiver wird und somit für noch spannendere Matches sorgt. Die Gesetzeshüter sind zwar überaus aggressiv und tauchen manchmal aus dem Nichts auf, doch gerade diese Überraschungen mischen die Rennen stets auf.

Natürlich hat das alles auch einen Zweck: Nachts erhält der Spieler Reputationspunkte, mit denen sich dann wiederum bessere Modifikationen für die Fahrzeuge freischalten lassen. Dadurch entwickelt sich ein wunderbarer Zyklus, der beide Tagesphasen gleich wichtig macht. Man wechselt stets zwischen den Rennarten, und auch das Prinzip, einfach Geld anzuhäufen, um sich möglichst früh die besten Teile zu kaufen, funktioniert nicht mehr. Dadurch erreicht das Spiel ein nahezu perfektes Pacing, auch wenn einige Rennen leider zu leicht werden, da das Level der Gegner nicht mitskaliert.

Interessante Ergänzungen

Auch das Renngefühl kann diesmal wieder punkten. Der Mix aus realistischem Fahrverhalten und vollständig Arcade-lastiger Physik unterhält bestens und bedient eben auch die Spielerschaft, denen die meisten Genre-Vertreter zu anspruchsvoll geworden sind. Sich hinters Steuer zu setzen und in Höchstgeschwindigkeit über die Pisten zu rasen bleibt ein großer Spaß, auch wenn sich die Abwechslung in Grenzen hält, sobald man alle Rennarten ein paarmal gefahren ist.

In Sachen Steuerung gab es eine interessante Veränderung, die sich auch abstellen lässt. Zum Driften kann man nämlich nun auch R2 während der Fahrt kurz loslassen und dann wieder drücken, was sich im ersten Moment ungewohnt anfühlt. Interessanterweise sorgt diese Änderung für einen flüssigeren, deutlich zugänglicheren Ablauf, denn Gelegenheitsspieler können die Mechanik somit noch einfacher nutzen, während Profis auf die typische Handbremse setzen. Doch auch Nitro, Driftrennen und weitere Merkmale der Reihe sind mit an Bord, sodass nichts von dem fehlt, was man von „Need for Speed“ erwartet.

Kein Meilenstein

So positiv die Überraschungen auch sind, bei anderen Reihen würden die Worte weniger löblich ausfallen. Das liegt vor allem daran, dass „Need for Speed Heat“ endlich eine positive Entwicklung für die Reihe darstellt. Das Gesamtpaket stimmt, der Inhalt stellt zufrieden und die Rennen machen durchweg Spaß. Gleichzeitig gibt es nichts, was das Spiel herausstechen lässt. Hier wird lediglich das abgeliefert, was normalerweise vom Genre erwartet wird, und das in guter Form. Wer sich aber mehr erhofft, wird definitiv enttäuscht. Somit ist auch „Need for Speed Heat“ lediglich ein gutes Rennspiel, das vor allem davon profitiert, dass es ohne Konkurrenz erschienen ist. Diese bringt nämlich eine größere Vielfalt, mehr Abwechslung und noch spannendere Rennen mit.

Auch die Geschichte ist eine kleine Katastrophe, auch wenn sie sich stärker zurückhält als in diversen anderen Teilen. Der Krieg zwischen Rennfahrern und Polizisten wird derart überdramatisch inszeniert, dass man regelmäßig lachen muss, was im Angesicht der jeweiligen Szenen definitiv nicht beabsichtigt ist. Glücklicherweise beeinflussen sie das Gameplay nicht im Geringsten, und lassen sich leicht überspringen. Es bleibt ein ewiges Rätsel, wann die Entwickler endlich von der unpassenden Dramatik abweichen und einen Gang zurückschalten.

Der Tod der Lootboxen

Wer sich an die grausamen Lootboxen aus „Need for Speed Payback“ erinnert, darf sich beruhigen. Endlich ist es wieder möglich, sich genau die Teile zu kaufen, die man haben möchte, anstatt auf Glück angewiesen zu sein. Besser noch: gekaufte und montierte Teile können sogar zwischen den Autos übertragen werden, sodass man nahezu nichts doppelt kaufen muss. Selbst wer sich nur flüchtig mit den Fahrzeugen beschäftigt, kann schnell Verbesserungen vornehmen, während Profis sich typischerweise mit zahlreichen Feinheiten beschäftigen werden.

Eine Wucht?

Optisch kann allen voran das Gesamtpaket überzeugen. Während bei Tag die Farben etwas zu blass herüberkommen, und auch einige unschöne Texturen sichtbarer sind, entfallen all diese Kritikpunkte bei Nacht. Die Lichteffekte, gepaart mit Regen und dem großartigen Stil, sind eine wahre Augenweide, sodass man sich stets darauf freut, wenn es wieder in die illegalen Rennen geht. Da kann man die etwas unrealistischen Schadensmodelle verzeihen, die gerne detaillierter hätten sein können. Der Soundtrack ist zwar nicht bemerkenswert, dafür überzeugen die Soundeffekte umso mehr. Glücklicherweise sind im Test keine Bugs aufgetreten, selbst nach Aktivierung des Online-Modus.