2017 wurde „Erica“ offiziell angekündigt, nur um dann erneut von der Bildfläche zu verschwinden. Was genau mit dem Spiel geschehen ist, war lange Zeit unbekannt, doch während der gamescom veröffentlichte Sony überraschend das FMV-Spiel, in dem nun eine andere Hauptdarstellerin zu sehen ist, als im ersten Trailer. Ob das auf Produktionsschwierigkeiten hinweist, die der Qualität des Filmes schaden, oder von einer richtigen Entscheidung zeugen, haben wir für euch herausgefunden.

Mitten im Geschehen

Bei „Erica“ handelt es sich wahrlich um einen interaktiven Film. Während in Spielen von Telltale Games oder Supermassive Games ebenfalls Entscheidungen getroffen werden, um die Geschichte zu verändern, lässt sich Protagonistin Erica zu keinem Zeitpunkt steuern. Vielmehr wählt der Spieler schwebende Wörter aus, um in Dialogen zu antworten oder wählt an bestimmten Passagen aus, wohin die junge Frau gehen soll.

All das geschieht aber gar nicht über Knöpfe, sondern lediglich über das Touchfeld des DualShock Controllers. Das ist sehr ungewohnt, und macht präzises Auswählen schwierig. Überraschenderweise funktioniert das aber über die Spieldauer hinweg recht gut, auch weil der Spieler selbst in hektischen Momenten genug Zeit hat, um die richtige Stelle auszuwählen. Zudem müssen häufig Objekte geöffnet, gezogen oder geschoben werden, was durch das Wischen über das Touchfeld gut funktioniert. Das sieht manchmal holprig aus, da die Animationen sehr schnell ablaufen können, sorgt aber für ein wenig Abwechslung. Wer die optimale Steuerungsmethode möchte, sollte sich die passende App auf das Handy herunterladen, denn die funktioniert ebenso wie die Controller-Steuerung, durch den besseren Touchscreen laufen die Bewegungen aber flüssiger ab.

Die Sünden des Vaters

Ansonsten darf man sich vollständig auf die Geschichte konzentrieren, die sich ganz um Ericas tragische Vergangenheit dreht. Nach dem Tod ihrer Mutter wurde ihr Vater umgebracht, wobei der Killer Erica selbst verschonte. Einige Jahre später erhält sie ein mysteriöses Paket, dessen Inhalt sie nicht nur schockiert, sondern auch in den Fokus einer Mordermittlung rückt. Der Fall ist eng mit der Geschichte ihres Vaters verbunden, weshalb sie in die Delphi Anstalt gebracht wird, die ihr Vater gegründet hat. Der scheinbar sichere Ort entpuppt sich aber als zwielichtig, denn junge Frauen fangen plötzlich an, aus der Nase zu bluten und unter Anfällen zu leiden. Nach einigen Wendungen und schicksalhaften Begegnungen findet Erica die Wahrheit über ihre Familie heraus – zumindest, wenn der Spieler erfolgreich ist.

Fesselnde Darbietung

Die Geschichte ist überaus spannend geraten, denn sie verliert niemals ihren Fokus. Es geht stets um die mit Erica verbundenen Morde sowie die Handlungen ihres Vaters, und selbst scheinbar unwichtige Gespräche fügen sich wunderbar in das Gesamtbild ein. Glücklicherweise bleibt der Thriller auch bis zum Finale spannend, das durchaus etwas wirr sein kann. Darin liegt allerdings der Reiz, denn je nach Entscheidung können sich die Offenbarungen stark voneinander unterscheiden. Selbst diejenigen, die das glücklichste Ende sehen, werden nicht alles über die Ereignisse erfahren, weshalb ein zweiter Durchgang durchaus ansprechend ist. Es geht nicht nur um das Überleben der Charaktere, sondern die vollständige Enthüllung aller Geheimnisse.

Dabei hilft es enorm, dass die Charaktere interessant geraten ist. Obwohl der Film in weniger als zwei Stunden beendet ist, können einem die Figuren, mit denen man Zeit verbringt, regelrecht ans Herz wachsen. Dabei sind die Schauspieler durch die Bank weg gut gewählt, insbesondere die drei Mädchen, die sich hilflos in der Anstalt wiederfinden. Die Show stiehlt aber eindeutig Holly Earl in der Titelrolle, die sowohl verängstigt und still, als auch wütend und stark auftreten kann, je nachdem, wie es der Spieler entscheidet. Selbst ohne Worte kann sie durch ihre schiere Präsenz und Mimik für atmosphärische Szenen sorgen, bei denen der Spieler nicht wegschauen kann.

Handwerkskunst

Häufig wirken selbst gute FMV-Titel eher amateurhaft, schließlich müssen Szenen mehrfach gedreht werden, was die Produktionskosten in die Höhe schießt. „Erica“ wurde 45 Tage lang gedreht, während alleine die Vorbereitung drei Jahre gedauert hat. Dafür sind die Szenen aber meist filmreif, dank einer fantastischen Beleuchtung sowie perfekter Kameraführung. Die Szenen wirken dank tollen Shots in der Natur sowie traumhaften Bildern durch die Bank erstklassig, und nur einige wenige Aussetzer stören. Dazu gehört auch ein technischer Bug, durch den einige Sätze wiederholt wurden, wenn der Spieler Aktionen zu lange hinauszögert. Dafür ist die deutsche Synchronisation erstklassig geworden, ebenso wie der Soundtrack von Austin Wintory. Dank einer starken Soundabmischung halten sich die Musikstücke dezent im Hintergrund und übertönen nie die Dialoglautstärke – ständiges Anpassen ist demnach nicht notwendig.