Baba Is You (eShop)

In seinem für die Philosophie des Geistes wegweisenden Aufsatz „Wie ist es, eine Fledermaus zu sein?“ hat der US-amerikanische Philosoph Thomas Nagel 1974 argumentiert, dass wir keinerlei epistemischen Zugang zu den mentalen Zuständen einer Fledermaus haben, also nicht wissen können, wie es ist, ein anderes Lebewesen oder Ding als wir selbst zu sein. In „Baba Is You“ geht das dagegen ganz einfach: Wer wir in diesem Indie-Kleinod sind, wird durch eine Regel festgelegt, die wir frei verändern können – so wie auch sämtliche andere Regeln, die innerhalb eines Levels gelten. Dieser vielversprechende Ansatz, der Existenzphilosophen schlaflose Nächte bereiten könnte, resultiert in einem der kreativsten und forderndsten Puzzlespiele der letzten Jahre.

Sein oder Nichtsein

Es ist gar nicht so einfach, das einzigartige Spielprinzip von „Baba Is You“ verständlich zu beschreiben. Eine Handlung jedweder Art sucht man vergeblich. Warum wir – zumindest wenn die titelgebende Regel „Baba Is You“ besteht – das katzenartige Geschöpf Baba steuern, wird nicht erklärt und spielt auch keine Rolle. Wir haben es hier also mit einem Puzzlespiel zu tun, das sich auf das Nötigste beschränkt, nämlich auf sein kreatives Spielprinzip.

Aber wie funktioniert denn das Spiel nun? Jeder Level in „Baba Is You“ besteht im Prinzip aus zwei Elementen: Sprites, die Objekte verschiedenster Art darstellen, und Regelblöcke, die das Verhalten dieser Objekte festlegen. Die erste Faustregel in „Baba Is You“ lautet nämlich: Nichts ist so, wie es aussieht, es gibt keine festen Regeln! Weder sind wir notwendig Baba, noch halten Wände einen zwangsläufig auf, noch ist die Flagge automatisch der Zielpunkt. Nur wenn die entsprechenden Regeln zusammengesetzt sind, reagieren die Objekte entsprechend. Die Regelblöcke nun kann unsere Spielfigur verschieben. Lösen wir etwa die Regel „Wall Is Stop“ auf, indem wir einen der Blöcke ein Feld weiterschieben, halten uns Wände nicht mehr auf und wir können einfach zur Flagge weitergehen – sofern denn die Regel „Flag Is Win“ zusammengesetzt ist.

Anspruchsvolle Denkakrobatik

Nach den ersten Leveln, die ohne Tutorial oder erklärende Worte dieses Kernprinzip nahebringen, meint man „Baba Is You“ verstanden zu haben. Das aber ist ein Fehlschluss. Der junge Finne Arvi Teikari lotet sein Konzept nämlich bis zum Maximum aus. Ständig führt er neue Elemente und Regeln ein, die den Spieler zum Umdenken herausfordern. Wie ein Objekt dabei aussieht, ist, wie schon gesagt, völlig irrelevant, da es einzig auf die Regeln ankommt. Das erfordert Querdenkerei. So gut wie jeder Level verlangt vom Spieler kreatives Um-die-Ecke-Denken; regelmäßig wird alles, was man vom Spielkonzept meint verstanden zu haben, komplett umgekrempelt.

So zieht in „Baba Is You“ der Schwierigkeitsgrad rasch enorm an. Bald werden einem die Level mit ihren komplexen Regelverschränkungen absolut unlösbar vorkommen. Und doch gibt es immer – mindestens! – eine Lösung, die in der Regel auf einen einzigartigen Clou hinausläuft. Bei manchen Leveln kann es gut und gerne über eine halbe Stunde dauern, bis man die zündende Idee erhält, dann aber ist der Aha!-Moment umso größer.

Schnell ist man geneigt, zur Komplettlösung zu greifen, doch dies sollte man tunlichst vermeiden. Da meist eine Vielzahl an Leveln spielbar ist, verhindert ein Level, den man einfach nicht knacken kann, nicht zwingend den weiteren Spielfortschritt. Hier offenbart sich aber eine Schwäche von „Baba Is You“: Es gibt keinerlei Hilfen innerhalb des Spiels. Ob Hilfestellungen tatsächlich sinnvoll wären, darüber lässt sich durchaus diskutieren, doch häufig sorgt dies für Frust, wenn ein Level absolut unlösbar scheint, weil man einfach nicht in die richtige Richtung denkt.

Alles ist möglich!

Dennoch lohnt sich die Erfahrung ungemein, denn noch nach über 15 Spielstunden warten auf den Spieler völlig neue Regeln, die alles umwerfen. An dieser Stelle möchten wir davon gar nichts vorwegnehmen, um die Überraschung nicht zu verderben – aber der Spielende darf gewiss sein, unzählige Male von kreativen Konzepten überrascht zu werden. Da „Baba Is You“ ausschließlich englische Texte bietet, sind Grundkenntnisse zum Verständnis der Regeln natürlich unumgänglich, es geht aber ausschließlich um einzelne Vokabeln. Meist gilt es, das Funktionsmuster einer Regel ohnehin durch Ausprobieren herauszufinden.

Wie schon angeklungen, fällt der Spielumfang ziemlich groß aus und die Lernkurve steigt durch die Einführung neuer Regeln ständig an. Dadurch ist das Fortschritts- und Erfolgsgefühl zugleich sehr hoch. Und selbst bereits abgeschlossene Level lohnen einen erneuten Blick: Meist erfordert es nämlich auch beim zweiten Durchgang eines vermeintlich geknackten Levels viel Knobelei, um den eigenen Lösungsweg zu rekonstruieren. Übrigens arbeitet der Entwickler für die Zukunft an Bonus-Inhalten, darunter auch einem Leveleditor.

Angenehme Komfort-Funktionen

Die simple Steuerung funktioniert problemlos und bietet hervorragende Komfort-Funktionen, ohne die „Baba Is You“ auch ein äußerst unangenehmes Erlebnis wäre. Jederzeit kann man seine Aktionen und Schritte rückgängig machen, um so Fehler ausbügeln oder andere Möglichkeiten auszuprobieren. Denn in der Regel gilt es sehr viel zu experimentieren, bis man einen Level endlich absolviert hat. Außerdem kann jederzeit per Knopfdruck ein Level komplett von vorne begonnen werden, was komplett ohne Wartezeiten erfolgt. Dieser stets flüssige Spielablauf erhält die Motivation aufrecht.

Wohlfühlatmosphäre in einem sadistischen Spiel

Grafisch ist „Baba Is You“ sehr simpel aufgebaut, besteht es doch aus simplen 2D-Sprites vor einem schwarzen Hintergrund. Auch wenn der Grafikstil eines gewissen Charmes gewiss nicht entbehrt – der „Wobble“-Effekt, der sämtliche Grafikelemente leicht schaukeln lässt, hat uns nach wenigen Stunden ziemlich genervt. Glücklicherweise lässt er sich in den Einstellungen abschalten. Aus technischer Sicht gibt es nichts zu beanstanden. Auch wenn wir unzählige Male der Meinung waren, einen fehlerhaften Level vor uns zu haben, sind doch keinerlei Bugs aufgetreten – je nachdem, welche Regeln man zusammensetzt, kann es zu echt verrücktem Verhalten kommen, aber alles läuft stets so, wie vom Entwickler vorgesehen.

Besonders lobende Worte hat neben dem Spielkonzept und dem Leveldesign die Musik verdient, die Arvi Teikari wie auch den Rest seines Spiels im Alleingang erstellt hat. Es handelt sich um ziemlich ungewöhnliche Klänge, die aber auch nach mehreren Stunden in Dauerschleife nicht nervig werden, sondern zugleich interessant wie zurückhaltend klingen. Jede Welt bietet zudem eine andere Hintergrundmusik. Dadurch kreiert nicht zuletzt der Soundtrack eine angenehme Wohlfühlatmosphäre in einem Spiel, das den Verstand des Spielenden mehrfach an den Rande des Wahnsinns zu bringen droht.