Visual Novels sind ein durchaus beeindruckendes Genre. Obwohl die Spiele lediglich Geschichten erzählen und der Spieler meist den „Weiter“-Knopft drückt anstatt mit der Welt zu interagieren, können die besten Titel dermaßen fesseln, dass man die Zeit um einen herum vergisst. Eines der besten Beispiele für dieses Phänomen ist „Steins;Gate“, das wie eine Bombe einschlug. Hierzulande war das Spiel bislang lediglich für PlayStation Vita und PC erhältlich, nun schafft es das Abenteuer der zeitreisenden Otakus allerdings auch auf Nintendo Switch – und das gleich in der verbesserten Variante „Steins;Gate Elite“. Was sich hinter dem Remake verbirgt, wollen wir euch nun verraten.
Der große Hououin
Bevor wir auf die Neuerungen sowie die Präsentation eingehen, muss die Geschichte angeschnitten werden – schließlich kann das Paket noch so gut sein, wenn die Handlung eines Visual Novels nicht unterhält, braucht keiner dem Spiel Beachtung schenken. Die Spieler begleiten den Wissenschaftler Rintarou Okabe, der wohl die Checkliste für Otaku-Klischees abarbeiten möchte. Er redet sich ein, von einer Geheimorganisation gejagt zu werden, spricht mit sich selbst am Telefon und glaubt, das größte Genie seiner Generation zu sein. Eigentlich sehr unsympathisch – bis sich sein Alltag von die eine auf die andere Sekunde verändert. Nach einem Vortrag über Zeitreisen findet er eine berühmte Jungwissenschaftlerin tot auf – nur, um sie am folgenden Tag lebendig wiederzutreffen. Und auch der Vortrag soll niemals stattgefunden haben. All das stempelt er recht schnell ab, doch zusammen mit seinen Freunden entdeckt er, dass seine umgebaute Mikrowelle in der Tat dazu in der Lage ist, Nachrichten durch die Zeit zu schicken. Von da an nehmen die Ereignisse dramatischen Wendungen und alle Charaktere müssen ihre durchaus verrückte Komfortzone verlassen und sich einer Realität stellen, von der sie niemals hätten ahnen können.
Echtes Sci-Fi
Natürlich lebt das Spiel von seinen Charakteren. Doch was noch viel beeindruckender ist, ist die Komplexität des aufgebauten Universums. Natürlich steht alles im Zeichen von Zeitreisen, doch der Spieler wird regelmäßig mit wissenschaftlichen Theorien und Begriffen zugeworfen, die dank entsprechender Erklärungen nachvollziehbar bleiben. Die Macher wählen nicht den leichten Ausweg und erlauben Zeitreisen einfach, sie ergründen das Konzept dieses schier unmöglichen Unterfangens und untersuchen und beschreiben die Feinheiten so lange, bis der Spieler verstehen kann, wie die Charaktere überhaupt das erleben können, was auf sie zukommt. Wohl kaum ein anderes Spiel kann minutenlang über solche Themen sprechen und den Spieler vor die Bildschirme fesseln. Da das Konzept zudem im weiteren Verlauf stark erweitert wird, die Ereignisse allerdings nicht weniger nachvollziehbar dargestellt werden, erlebt der Leser eine dermaßen authentische Geschichte, wie sie kaum ein anderer Genre-Vertreter jemals aufgebaut hat.
So verrückt wie authentisch
All diese Themen können sich dank der wunderbaren Charaktere entfalten. Okabe selbst ist völlig desillusioniert, seine Charakterentwicklung jedoch sehr nuanciert. Die Macher nehmen sich die entsprechende Zeit, damit der Spieler nachvollziehen kann, wieso sich Okabes Wesen ändert und wie die Ereignisse, die viel zu überwältigend für ihn sind, seine gesamte Weltanschauung verändern. Seine Gedanken sind in Textform vorhanden, was massiv dazu beiträgt, dass man seine wahren Motivationen nachvollziehen kann. Dadurch wird der nahezu unsympathische Protagonist zu einem Helden, mit dem man durchweg mitfühlt. Die Qualität beschränkt sich allerdings nicht nur auf ihn, alle wichtigen Charaktere erhalten genug Zeit, um ihre Persönlichkeiten zu entfalten. Da wäre die junge Mayuri, die immer fröhlich ist, allerdings zu einem der wichtigsten Pfeiler der Geschichte wird. Oder Moeka, die Okabe zufällig trifft und lange Zeit über geheimnisvoll bleibt. Ohne Ausnahme wirkt jeder neue Charakter zuerst befremdlich, bevor der Spieler ihn genauer kennenlernt und nach einigen Stunden ins Herz geschlossen hat. Und gerade weil die Geschichte derart faszinierend und sympathisch ist, ist „Steins;Gate Elite“ ein derart zerstörerisches Erlebnis.
Interaktives Lesen
Wieso genau Okabe regelmäßig zur Zeitreise greifen muss, wird hier natürlich nicht verraten. Allerdings trägt der Held eine gigantische Last mit sich und muss regelmäßig Entscheidungen in Form von SMS treffen. Der Spieler kann, wenn er möchte, auf die zahlreichen Nachrichten antworten, viele davon sind sogar relativ belanglos. Einige der Antworten können allerdings den Verlauf der Geschichte beeinflussen, und diese Momente haben es in sich. Es geht mehr als nur einmal um Leben und Tod, und „richtige“ sowie „falsche“ Entscheidungen sucht man vergebens. Die Methode, wie der Spieler selbst in die Geschichte eingreifen kann, wurde perfekt umgesetzt, und auch die zusätzlichen Optionen im weiteren Spielverlauf sorgen dafür, dass man nicht nur ein animiertes Buch liest, sondern in die Ereignisse eingreift. All das führt zu verschiedenen Enden, die mitunter versöhnlich, allerdings auch vernichtend sein können. Wer den Nachfolger kennt weiß, welches Ende wohl das wahre ist.
Die neue Elite
Zusammenfassung: „Steins;Gate“ ist ein beeindruckendes Spiel – wie steht es dann um „Steins;Gate Elite“? Die Spiele sind in Sachen Geschichte bis auf kleine Feinheiten identisch. Wer das Abenteuer also schon kennt, wird nicht viel Neues erleben können. Der große Unterschied liegt allerdings in der Präsentation, denn während das Original auf Standbilder setze, nutzt das Remake so gut wie alle Szenen aus der Anime-Adaption. Deshalb bewegt sich in den Szenen sehr viel und eine Art Stop-Motion-Film entsteht, da der Spieler die Kontrolle darüber behält, wann weiter gesprochen wird. Das sieht im ersten Moment merkwürdig aus und bedarf einer Eingewöhnungszeit, schließlich laufen die Szenen viel langsamer ab als im Anime, und meist bewegt sich auch nur ein Charakter statt die gesamte Szene. Dieser im Genre neue Ansatz entpuppt sich allerdings als gigantische Stärke. Der Spieler liest nicht nur, was passiert, er sieht auch viel genauer, wie die Charaktere agieren. Okabes Gestik über die Animationen zu sehen vermittelt eine sehr viel aufregendere Energie, als wenn man nur die verschiedenen Bilder betrachten kann.
Trotz der Animationen wird nicht einfach nur die Serie abgespielt. Vielmehr werden die Szenen immer wieder pausiert und Standbilder verschmelzen mit den bewegten Bildern. Das war auch von Nöten, schließlich wird im Spiel nicht nur mehr gesprochen als im Anime, die inneren Monologe fehlten in der Serie, obwohl sie eine Menge Lesezeit für sich beanspruchen. Diese Art der Präsentation wird nicht allen gefallen, jedoch zeigt sie die Ereignisse deutlich eindrucksvoller, als das im Original möglich war. Komplett fehlerfrei geschieht das nicht, denn einige Bildfehler, vor allem, wenn man die Charaktere nicht aussprechen lässt, bevor man den Text weiterlaufen lässt, sind deutlich sichtbar. Das lässt sich glücklicherweise verzeihen, insbesondere, da es einen ganzen Haufen neuer Animationen gibt – schließlich adaptierte der Anime nur einen Handlungsstrang, sodass die Abzweigungen von Grund auf neu visualisiert werden mussten.
Englisch & Japanisch
Ansonsten wird genau das geboten, mit dem Kenner bereits vertraut sind. Das Glossar ist riesig und wenn ein Wort rot markiert ist, darf man einen Knopf drücken, um direkt eine Erläuterung zu erhalten – seien es Sprüche aus Serien oder wissenschaftliche Fakten, sowohl reale als auch fiktive. Das Menü lässt sich schnell abrufen, Ladezeiten gibt es während des Lesens keine.
Der große Kritikpunkte für deutsche Spieler wird definitiv die fehlende Lokalisierung sein. Die japanischen Sprecher könnten besser nicht sein, und die englische Übersetzung gehört ebenfalls zu den Genre-Königen. Wer die Sprache allerdings nicht beherrscht, dem wird das auch nichts bringen.
Bisher gibt es 14 Kommentare
Die dritte Info kenne ich aber. Das ist in einer Folge gerade passiert.
Du schaust auf Netflix oder? Da fehlt leider eine ganz entscheidende und extrem wichtige Folge in der man sieht, dass sie nicht nur
1. Rukako eine Nachricht an seine Mutter schreibt, dass die in der Schwangerschaft mehr Gemüse essen soll weil er dadurch zu einem Mädchen wird (auch dämlich aber das scheint wohl ein Aberglaube in Japan zu sein)
2. Moheka eine Nachricht schickt in der sie sich selber warnt ein anderes Handy zu kaufen
3. Feris eine Nachricht schickt, von der sie noch aber weder Empfänger noch Inhalt verrät.
das sind für den weiteren Verlauf extrem wichtige Infos, leider scheint aber bei Netflix niemand zu merken, dass sie da Scheiße gebaut haben. Das Gleiche passiert nochmal bei der vorletzten Folge, die fehlt auch auf Netflix.
2. Später erinnert sich nur Okarin an die Zeitmanipulationen, aber an die Banane, die plötzlich wieder an der Staude hängt, erinnern sich alle. Warum?
Bitte nicht drauf antworten, wenn es ein Major Spoiler ist. ^^‘
@Garo: In Filmen und Büchern gibt es aber nur eine festgelegte Geschichte. In VNs gibt es oft viele Routen mit verschiedenen Enden. Das ist schon ein Mehrwert, wie ich finde. Und mit viel Arbeit verbunden.
@Balki: Das 8-bit Adventure konnte ich leider im Testzeitraum nicht anspielen. Der Bonus soll aber ne recht kurze Spielzeit haben und keine Adaption des Hauptspieles sein, eher ein Mini-Sequel. Zudem kann man dort auch nicht speicher, man muss es also am Stück spielen. Absolut kein Vergleich mit Linear Bounded, aber dennoch eine nette kleine Dreingabe ^^
Kurze Frage: War das 8-Bit Adventure Teil des Review-Codes? Falls ja, ist es das gleiche Spiel nur eben im NES-Stil?
Hmm, da kommt mir ein Gedanke:
Wenn der Umfang eines Spiels nicht so hoch sein sollte, dafür aber der Rest (Qualität usw.) stimmt, halten viele 60 Euro für zu viel. Umgekehrt (Umfang hoch, Qualität dürftig) jedoch seltsamerweise nicht – siehe Skyrim.
@kingm
Die PC-Version bekommt den gleichen Inhalt wie die PS4-Version.