Inside Nintendo – Nachtrag: Chefentwickler verrät Neues zu Game & Watch, Game Boy und DS

Nur wenige Tage, nachdem wir in „Inside Nintendo 108“ die Entstehung des Nintendo DS unter die Lupe genommen haben, ist in der Ausgabe 163 der Retro Gamer ein sehr aufschlussreiches Interview mit Satoru Okada erschienen. Der Ingenieur hat in seinen vier Jahrzehnten bei Nintendo bis zur Pensionierung 2010 unter anderem in zentralen Rollen an sämtlichen Handhelds des Videospielkonzerns mitgewirkt. Im Interview plauderte der ehemalige Handheld-Chefentwickler munter aus dem Nähkästchen und verriet dabei bis dato unbekannte Informationen zur Entstehung von DS, Game Boy und Game & Watch, die wir euch nicht vorenthalten können!


Satoru Okada (Bildquelle)

Nintendo DS: Iris-Geheimnis gelüftet

Im oben angegebenen Bericht sind wir auf Iris gestoßen – das war ein geplanter Nachfolger des Game Boy Advance, der nie auf den Markt gekommen ist. „Ob diesbezüglich wohl irgendwann weitere Infos folgen werden?“, fragten wir vor einer Woche, und wer hätte gedacht, dass es bereits jetzt so weit ist. Laut Okada arbeiteten die Entwickler nach der Veröffentlichung des Game Boy Advance SP, der Anfang 2003 erschien, an einem neuen Gerät der Game-Boy-Familie – der Projektname lautete „Iris“. Benannt wurde das Projekt nicht, wie etwa unsere Leser in den Kommentaren vermutet hatten, nach der Regenbogenhaut im menschlichen Auge, sondern nach der Pflanzengattung der Schwertlilien, die ebenfalls als „Iris“ bezeichnet wird. Der Weg dahin ist jedoch etwas kompliziert: Das neue Gerät wäre nach Ur-Game Boy, Game Boy Color, GBA und GBA SP das fünfte Gerät der Familie gewesen. Der fünften Game-Boy-Generation sollte der Mai als fünfter Monat des Jahres entsprechen. Und im Hanafuda-Kartenspiel, dem sich Nintendo in den ersten Jahrzehnten seiner Existenz gewidmet hatte, wird der Mai durch eine Iris-Pflanze repräsentiert.

Viel mehr verriet Okada über Iris jedoch nicht. „Das Projekt bewegte sich gut voran, aber während der Entwicklung geschah etwas Unerwartetes“, erzählte er. Und zwar hatte der neue Nintendo-Präsident Satoru Iwata von seinem Vorgänger den Auftrag bekommen, einen Handheld mit zwei Bildschirmen entwickeln zu lassen. Dass Konzernlegende Hiroshi Yamauchi die ausschlaggebende Idee für den späteren Nintendo DS gegeben hat, war natürlich schon bekannt. Dass abgesehen von Yamauchi aber ursprünglich niemand die Idee gut fand, ist dagegen neu. „Jeder hasste diese Idee, sogar Iwata selbst. Wir fanden, dass es keinen Sinn ergibt. […] Mit modernen Bildschirmen hatte es keinen Zweck. Wir konnten die Größe unseres Bildschirmes frei wählen, warum also sollte er in zwei geteilt werden? Insbesondere wenn man bedenkt, dass man nicht auf beide Bildschirme gleichzeitig schauen kann. Darum haben wir seine [Yamauchis] Idee nicht verstanden.“

Dennoch wurde diese Idee dann anstelle von Iris umgesetzt und erschien nicht als weiteres Game-Boy-Gerät, sondern als völlig neuer Handheld: Eben der Nintendo DS. Auch wenn weitere Features wie insbesondere der Touchscreen ganz zentral für dessen Erfolg waren, so ist es doch gut, dass sich Yamauchis zunächst völlig unbeliebte Idee hat durchsetzen können.

Game Boy: Eigentlich Okadas Idee?

Nintendos ursprünglich 1989 veröffentlichter Erfolgshandheld wird häufig als alleinige Schöpfung der Nintendo-Legende Gunpei Yokoi bezeichnet. In unserer Reportage zur Entstehung des Game Boy haben wir im Mai 2015 aber festgestellt, dass Yokoi bei der Kreation des Brotkastens sehr eng mit Satoru Okada zusammengearbeitet hat: „Beim Game Boy war Yokoi für das Design zuständig, während sich sein Partner Okada um die Technik des Ganzen kümmerte.“

Was Okada jetzt im Interview mit Retro Gamer behauptet hat, stellt die Entstehungsgeschichte des Game Boy komplett auf den Kopf. Demnach war Okada der eigentliche Schöpfer des Game Boy, während Yokoi, der ursprünglich eine ganz andere Idee hatte, dem Projekt nur seine Zustimmung gab. Dass man den Game Boy bislang überwiegend Yokoi zuschrieb, mag damit zusammenhängen, dass die meisten Informationen zur Entstehung des Game Boy aus Yokois Autobiographie stammen. Freilich berichtet er dort auch von großen Problemen bei der Entwicklung und davon, dass das Projekt sogar mehrfach vor dem Aus stand. Was Okada nun erzählt, eröffnet noch einen ganz anderen Horizont – wobei natürlich auch hier das Problem besteht, dass seine Aussage nur eine einseitige Quelle ist.

„Der Game Boy, wie man ihn heute kennt, hat nichts mit dem zu tun, was Yokoi vor Augen schwebte“, sagte Okada. Demnach sollte der Game Boy ursprünglich eine direkte Fortsetzung des Game & Watch werden, also ein billiges Spielzeug ohne langfristiges Geschäftsmodell. Yokoi hatte dabei den antiken Microvision im Hinterkopf, der 1979 als erster Handheld mit austauschbaren Modulen auf den Markt gekommen war. Ebenso sollte auch Yokois neuer Handheld nur kurzlebig sein. „Er [Yokoi] interessierte sich nicht dafür, ob Dritthersteller dabei wären oder nicht. Außerdem wollte er nur ‚schnelle Spiele‘ – schnell abgeschlossen und schnell vergessen.“

Okada, der sich für die damalige Zeit als eher stur bezeichnete, hegte hingegen größere Ambitionen für den späteren Game Boy. Er dachte an etwas wie das Famicom-System, das sich langfristig halten und eine Vielzahl von Spielen ermöglichen sollte. Oft hat sich Okada mit seinem Chef Yokoi darum gestritten. „Schließlich gab er [Yokoi] nach und sagte mir wütend: ‚Okay, machen Sie doch, was Sie wollen!‘ Darauf fragte ich ihn: ‚Gut, aber geben Sie mir auch die volle Verantwortung?‘, und da er ‚Ja‘ sagte, wurde das Game-Boy-Projekt mein eigenes.“ So wurde der Game Boy eine richtige Spieleplattform mit Software von Drittherstellern und allem drum und dran, so wie Okada es gewollt hatte. Yokoi hätte demnach nur seine Zustimmung gegeben.

Nun ist aber zu bedenken, dass sich dies natürlich ganz am Anfang der Entstehung des Game Boy zugetragen hat. Über die Umsetzung des Konzeptes sprach Okada nicht weiter. So wissen wir jetzt zwar mehr darüber, woher und von wem das Konzept des Game Boy stammt, doch zur weiteren Entstehungsphase müssen wir weiterhin auf Informationen aus Okadas Autobiographie zurückgreifen, die wir in „Inside Nintendo 67“ verarbeitet haben.


Gunpei Yokoi war als Leiter der R&D1-Abteilung natürlich an der Entstehung des Game Boy beteiligt. Doch den neuen Informationen zufolge geht das Konzept hinter dem Erfolgshandheld nicht auf ihn, sondern auf Okada zurück.

Game & Watch: Von anderem Handheld-Urgestein beeinflusst

Über die Geschichte hinter Game & Watch, einer Reihe von LCD-Spielen aus dem Hause Nintendo, berichteten wir in „Inside Nintendo 60“. Darin schrieben wir unter anderem, dass Gunpei Yokoi die Idee für eine winzige, diskrete Spielekonsole bekam, als er während einer Zugfahrt sah, wie sich Geschäftsmänner an ihren Taschenrechnern die Zeit vertrieben. Das sagt so auch Okada, doch schränkt er auch hier Yokois Rolle bei der Konzeptfindung ein.

Okada berichtet, dass der bereits oben erwähnte Microvision-Handheld von Milton Bradley die entscheidende Inspiration für Game & Watch war. „Ich habe das Gerät gemocht und den ‚Breakout‘-Klon häufig gespielt. Aber wir haben nicht verstanden, warum das Gerät so groß sein musste! Also haben wir als erstes versucht, eine portable Konsole zu machen, die die Leute tatsächlich in ihren Taschen tragen konnten.“ Yokoi, Okada und die anderen Entwickler hatten zwar Interesse an austauschbaren Modulen, doch dann wären die Spiele wie beim Microvision in Hinblick auf Grafik und Spielmöglichkeiten extrem limitiert gewesen. „Darum sagten wir uns: ‚Warum nicht einfach ein Spiel pro Gerät, aber dafür zumindest mit guter Grafik?‘“

Erst da entschieden sich die Entwickler dafür, billige LCD-Bildschirme wie in einem Taschenrechner zu verwenden. Okada zufolge kannte sich Yokoi übrigens mit Elektrotechnik und Bildschirmen nicht sehr gut aus. Das mag durchaus zutreffen – Yokois maßgebliche Erfindungen vor dem Game & Watch waren ja völlig analoge Spielzeuge gewesen. Wie dem auch sei: „All dies führte zur Geburt von Game & Watch. Yokoi gestaltete die Spiele und ich war zuständig für den technischen Part, die Elektronik und sogar für das Programmieren der Spiele.“

Dass Okada schon beim Game-&-Watch-Projekt so wichtig mitwirkte, mag vorher bekannt gewesen sein – der Einfluss des Microvision auf Nintendos erste Handhelds jedoch definitiv nicht. Damit erstrahlt die Geschichte hinter den Game-&-Watch-Geräten wie auch hinter Game Boy und DS in einem etwas anderen Licht als bislang.


Microvision von Ende 1979 war der erste Handheld mit austauschbaren Modulen. Der Handheld-Urgestein war damals aber wenig erfolgreich. Deswegen und aufgrund technischer Anfälligkeiten gibt es heute nur noch wenige funktionstüchtige Exemplare. (Bildquelle)

Die angeführten Zitate von Satoru Okada stammen aus Retro Gamer, Ausgabe 163; Zugriff via Japanese Nintendo.

Weiterführende Links: Forum-Thread

Bisher gibt es fünf Kommentare

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  • Avatar von 1UP-Maschine
    1UP-Maschine 02.01.2017, 01:35
    Zitat Zitat von Tobias Beitrag anzeigen
    Bei diesem Video muss man übrigens sehr vorsichtig sein, der Dude behauptet sehr viele Halbwahrheiten.
    Ah ja, das ist gut zu wissen, danke dir.
  • Avatar von Tobias
    Tobias 01.01.2017, 12:28
    Zitat Zitat von 1UP-Maschine Beitrag anzeigen
    Frage/Themenvorschlag: Hast du dich eigentlich schon mal in Artikelform mit der Beziehung zwischen DMA Design bzw. Rockstar North und Nintendo auseinander gesetzt? Larry Bundy Jr hat vor kurzem in seinem Video "4 Times Miyamoto Was An Asshole" sehr intensiv drüber geredet, und hab nach einem entsprechenden Inside Nintendo von dir gesucht, aber keines gefunden.
    Bislang gab's nur was zu dem letztlich unveröffentlichten Kirby-Spiel, das DMA Design für das SNES entwickelt hatte: http://nintendo-online.de/3ds/artike...er-kirby-reihe. Bei diesem Video muss man übrigens sehr vorsichtig sein, der Dude behauptet sehr viele Halbwahrheiten.
  • Avatar von Minato
    Minato 31.12.2016, 14:58
    Es gibt viele Beispiele für Personen, denen so einiges zugeschrieben wird, es aber einfach nicht stimmt (als anderes Beispiel bei Nintendo sei Miyamoto genannt). Echt interessant, was nach Jahrzenten noch für Informationen ans Licht kommen.
  • Avatar von 1UP-Maschine
    1UP-Maschine 31.12.2016, 14:50
    Das ging aber schnell mit den neuen Informationen! Auf jeden Fall mal wieder wunderbar geschrieben.

    Frage/Themenvorschlag: Hast du dich eigentlich schon mal in Artikelform mit der Beziehung zwischen DMA Design bzw. Rockstar North und Nintendo auseinander gesetzt? Larry Bundy Jr hat vor kurzem in seinem Video "4 Times Miyamoto Was An Asshole" sehr intensiv drüber geredet, und hab nach einem entsprechenden Inside Nintendo von dir gesucht, aber keines gefunden.
  • Avatar von rowdy007
    rowdy007 31.12.2016, 11:34
    Ich bin immer davon ausgegangen, dass sie einen Gameboy Nachfolger in der Hinterhand hatten falls der Nintendo DS floppen sollte. Sie haben damals sehr stark betont, dass es sich beim DS um keinen GBA Nachfolger handelt sondern um ein eigenständiges System. Das sie Anfangs nicht vom Erfolg des DS überzeugt waren konnte man schon erkennen.