Bayonetta flucht und foltert, sie strippt und schießt: Ein ziemlich brutales Spiel ist „Bayonetta 2“. Besonders im Vergleich zu Marios bunter, heiler Hüpferei, der niedlichen „Animal Crossing“-Welt oder Kirbys kugeliger Knuffigkeit ist das Spiel harter Tobak, verhält sich geradezu antithetisch. Trotzdem erschien „Bayonetta 2“ als Wii U-Exklusivtitel. Mehr noch: Trotz der scheinbaren Gegensätzlichkeiten ist es sogar ein typisches Nintendo-Spiel!
Obgleich Bayonetta einer der wenigen weiblichen Hauptcharaktere der Spielebranche ist, handelt es sich bei der selbstbewussten Hexe zugleich auch um eine der charakterstärksten Figuren. Zwar ist ihre Sexualität stark überzeichnet, doch ihre beiden Spiele reduzieren Bayonetta nicht darauf. Stattdessen macht sich die immer adrett gekleidete Frau ihr Aussehen zu nutze, um ihre Weggefährten und Gegenspieler zu überlisten, zu dominieren und zu kontrollieren. Sie ist so mit sich selbst zufrieden, wie sie ist – darauf basiert ihr Auftreten und Verhalten, das an Selbst- wie auch an Stilsicherheit unübertreffbar ist. Damit kann Bayonetta sich gegen alles und alle durchsetzen, egal ob Männer oder Schurken, Dämonen oder Gottheiten.
Auch intern bei Nintendo entstandene Spiele strahlen Selbstbewusstsein aus. Aufgrund der üblicherweise bewusst wenig ausgeprägten Handlungen und Charaktere (mit Ausnahmen wie etwa Mario, der trotz seiner dicklichen, unbedeutenden Durchschnittserscheinung alle Gefahren auf sich nimmt und überwindet und somit Bayonetta Konkurrenz in Sachen Selbstsicherheit macht) trifft das bei Nintendo vielmehr auf die Spiele selbst zu. Das typische Nintendo-Spiel ist selbstsicher genug, um zu erkennen, dass Videospiele in erster Linie Spaß machen sollen; sie sollen eine Auszeit aus der mitunter grauen und langweiligen Realität ermöglichen. Warum also sollten Spiele realistisch sein wollen, grau und langweilig?
Genau deswegen bekennt das typische Nintendo-Spiel Mut zur Farbe, konzentriert sich auf ein möglichst spaßiges Spielkonzept, das einfach zu erlernen doch schwer zu meistern ist, und nimmt sich selbst nicht zu ernst. All dies gilt auch für „Bayonetta 2“: Jederzeit kommt das Spiel mit einem Augenzwinkern daher, es verpönt die Realität und bietet derart einzigartig übertriebene Action, wie nur Platinum Games sie umzusetzen vermag. Das Spielkonzept ist simpel gestrickt und schnell zu begreifen – mithilfe eines besonderen Steuerungsmodus kann man „Bayonetta 2“ sogar mit nur einer Hand spielen –, doch erfahreneren Spielern kann es auf Wunsch ein sehr komplexes und tiefgehendes, äußerst intensives und anspruchsvolles Spielerlebnis bieten. Auf niedrigstem Schwierigkeitsgrad kann jeder den Abspann erreichen, während die Jagd nach Platin-Trophäen auf höherem Schwierigkeitsgrad nur den härtesten und ausdauerndsten Spielern zu empfehlen ist.
Und auch „Bayonetta 2“ bekennt Mut zur Farbe; der Farbkontrast ist hochgedreht, die Spielwelt und ihre unzähligen Effekten strotzen vor Lebendigkeit. Dem gegenüber wirkt der erste Teil, der wie als Aufforderung zum Vergleich auf Wii U portiert und im Bundle mit Teil 2 veröffentlicht wurde, erschreckend grau und trist. Bei einer Gegenüberstellung der beiden Hexen-Abenteuer fällt auf, dass Platinum Games so einige Spieleentwicklungs-Philosophien von Nintendo übernommen hat. Zum einen wäre da eben die Grafik, zum anderen der Fokus auf das Gameplay. Der zweite Teil erzählt seine Handlung nämlich weniger ausführlich, es gibt nicht so viele ausschweifende Zwischensequenzen und die Erzählung wird pointierter und prägnanter präsentiert. Als interaktives Unterhaltungsmedium sollten Videospiele sich nicht zu sehr mit ihrer Handlung ablenken, so denkt Nintendo, und diesen Einfluss spürt man in „Bayonetta 2“.
Nintendo hat das Projekt finanziert, an seiner Entwicklung mitgewirkt und das Spiel schließlich veröffentlicht. Doch der Einfluss des japanischen Spieleriesen, den nicht wenige Serienfans äußerst skeptisch beäugt hatten, schadete „Bayonetta“ nicht, im Gegenteil. Denn zum einen meinen manche Spieler, dass trotz der niedrigeren Altersfreigabe durch die USK der Grad an Gewalt- und Nacktdarstellungen im zweiten Teil noch etwas höher ist als beim Vorgänger. Und zum anderen scheint der Fokus aufs Gameplay gut getan zu haben, denn „Bayonetta 2“ konnte einen etwas höheren Metascore als der erste Teil erreichen.
Die beiden „Bayonetta“-Spiele machen eben vieles richtig. Das Spielkonzept überzeugt und hebt sich ab, die spektakuläre Grafik läuft mit einer butterweichen Bildrate von bis zu 60 fps, die Steuerung ist punktgenau, Musik und Toneffekte sind stets stimmig. All diese Qualitäten erwarten die Fans auch von einem typischen Nintendo-Spiel. Platinum Games und Nintendo gehören zu den wenigen Spieleherstellern, die sich mit dem Ruf kleiden können, viele besonders auf Hochglanz polierte Spiele auf den Markt zu bringen. Und das Maß an Hochglanzpolitur, welches Platinum Games mit dem glanzvollen „Bayonetta 2“ unter Beweis stellt, kennen Nintendo-Fans sonst nur von, nun, Nintendo.
Schauen wir uns nun etwas genauer Spielprinzip und -Struktur von „Bayonetta 2“ an, denn beide Aspekte weisen in gewisser Weise Parallelen zu „Super Mario Galaxy“ auf, einem der brillantesten Nintendo-Spiele. „Galaxy“ glänzt durch grandiosen Abwechslungsreichtum. Ständig präsentiert uns das Spiel neue Ideen, die auf sein innovatives Gravitationskonzept aufbauen, wobei keine Idee länger als zwingend notwendig verweilt. Auch „Bayonetta 2“ geizt nicht mit Ideen, es setzt ebenfalls vorbildlich auf Abwechslung. Der reguläre Spielverlauf wird dabei aufgelockert durch spaßige, kurzweilige und Minispiel-artige Einschübe, etwa Shooter- oder Fahrzeug-Abschnitte. Auch diese Art der Auflockerung, die arg zur Abwechslung beiträgt, findet man in „Galaxy“. Darüber hinaus hat sich Platinum Games auch ganz konkret von „Galaxy“ inspirieren lassen, denn in die „Bayonetta“-Spiele fand das Konzept Eingang, der Gravitation zum Trotz über Sphären zu wandeln. Ferner erinnern die Tier-Transformationen Bayonettas vom Konzept her ein wenig an Marios weltbekannte Verwandlungskünste.
Mit „Galaxy“ hatten wir uns bereits im ersten Teil unserer „Analysiert“-Rubrik befasst. Wir stellten fest, dass das Entwicklerteam aufgrund der Weltraum-Thematik seiner Kreativität freien Lauf lassen konnte. Nun spielt „Bayonetta 2“ ja (großteils) auf der Erde, dennoch gilt jene Beobachtung auch für das Hexen-Action-Feuerwerk. Denn auch Platinum Games zog keine Grenzen für seine Ideen. So weit wie der Weltraum ist somit die Action dieses Spiels überzogen; immerhin handelt es sich hier um ein derart übertriebenes Spiel, dass jeder Zwischenboss wie der letzte Endgegner wirkt. Und dank der hohen Qualität, die man von einem Nintendo-Spiel erwarten darf und die Platinum Games mit Bravur erreichte, macht das Ganze dabei auch teuflisch viel Spaß.
„Bayonetta 2“ ist also wahrhaftig ein waschechtes Nintendo-Spiel. Auf den ersten Blick scheint es nicht in die Produktpalette des japanischen Produzenten zu passen, aber bei genauerer Betrachtung reiht es sich sogar sehr gut in jenes Schema ein. Die Unterschiede zum typischen USK-0-Spiel aus dem Hause Nintendo sind darauf zurückzuführen, dass sich „Bayonetta 2“ an eine viel kleinere Zielgruppe richtet. Für die feurig-leidenschaftliche Fangemeinde sind Spiele von Platinum Games immer purer Fanservice, doch da jene Gemeinde so klein ist, sind all jene Spiele zum wirtschaftlichen Flop prädestiniert. Aber das ist egal, solange sich ein Publisher wie Nintendo findet, dank dessen die Hexe wieder flucht und foltert, strippt und schießt.
Bisher gibt es 20 Kommentare
Spiele haben den gewissen Feinschliff, unzählige Secrets, Anspielungen auf Klassiker und den Focus auf eher Arcadiges / Klassisches Gameplay.
Schade, dass Balki den Artikel als einziger zu verstehen scheint.
Die Vergleiche sind weit hergeholt und ich find es irgendwie schon irgendwie "anmaßend", das ganze ein typisches Nintendospiel zu nennen, nur weil's der Publisher ist.
"Dank der hohen Qualität, die man von Nintendo erwarten darf" (weil Nintendo ja nie schlechte Spiele bringt), müsste "die man von Platinum erwarten darf" heißen, schließlich stammt von denen alles im Spiel. Gameplay, Design, Score, Visuals, Story, ALLES Platinum. Hier jetzt irgendwelche Parallelen zu Nintendospielen ziehen zu wollen finde ich unsinnig.
Wie ich ja bereits erklärt habe, trifft das auf Bayonetta 2 zu.
Vielleicht etwas sehr weit hergeholt, aber warum nicht. Interessanter Artikel, auch, wenn er meine Meinung nicht widerspiegelt. Eventuell hätte man es "Diskutiert:" statt "Analysiert:" nennen sollen.
Und zum Rest: Siehe meinen vorherigen Beitrag.
Im al Spaß beiseite. Als der erste Teil für 360 und PS3 angekündigt wurde, wurde es stark von Nintendo Fans gehatet, es wäre rein sexistisch, stumpfes Buttonsmashing, etc... Jetzt steht Nintendo auf der Packung und man sieht Parallelen zu Mario und es wäre typisch Nintendo. Ich könnte mir kein Spiel vorstellen das so wenig "Nintendo" in sich trägt wie Bayonetta. Und das ist auch gut so, mehr solcher Spiele hat Nintendo dringend nötig. Die Verkaufszahlen zu Bayonetta 2 bestätigen mich auch bisher in meiner Meinung, dass die Fans die Serie jetzt schönreden weils ein Nintendotitel ist, aber nicht zum Titel stehen, was für die Serie sehr schade ist.
Für mich waren PlatinumGames schon immer etwa wie Nintendo, nur ohne (übertriebene) Tutorials.
Punkte wie die Abwechslung von Galaxy oder die Gameplay Änderungen durch Tiertransformationen sind ganz bestimmt nicht auf Mario zurück zu führen.
Und überhaupt die Beschreibung am Anfang,was das Game zu einem typischen Nintendo Spiel ausmacht kann man auf so viele andere Titel, an denen Nintendo nicht mal ein Finger gerührt hat, ebenfalls behaupten.
Es ist toll geschrieben, wie immer, aber das trieft schon an Kitsch
Spielerisch fühlt es sich wie der erste Teil an - nur noch besser. Also wird auch hier Nintendo nicht viel beigesteuert haben. Dennoch gibt es klar Parallelen, die aber nicht durch die Kooperation mit Nintendo entstanden, sondern bereits früher vorhanden waren. PlatinumGames waren schon immer ein Begriff für (intensives) Gameplay, Humor, überzogener Action.
Ich persönlich kann viele Gedanken nachvollziehen und finde sie sehr schlüssig. Den Gedanken mit aufpoliertem Gameplay auf kleinsten Raum sehe ich absolut als Parallele zu Nintendo. Ob Bayonetta 2 ohne Nintendos Hinzutun nicht vielleicht trotzdem so ausgesehen hätte wie es aussieht ist schwer zu sagen. Man weiß halt nicht, wie sehr Nintendo dort in grundlegenden Design-Entscheidungen beigetragen hat.
Vielleicht ist Tobias hier etwas überschwänglich, aber recht hat er mit seinen Aussagen allemal.
Die Entwickler sprachen auch bereits öfter über die Unterschiede - besonders die optischen - zwischen dem ersten und zweiten Teil. Man hat sich bewusst für mehr Klarheit und Kontrast entschieden. Ob das nun daran liegt, dass sie mit/für Nintendo gearbeitet haben?! Wohl eher nicht. Sie hätten sich vermutlich auch ohne Nintendo optisch/designtechnisch weiterentwickelt/etwas anderes versucht. Was ich sehr begrüße. Denn so gut der erste Teil auch ist (auch vom Charakter und Gegnerdesign), war er mir doch immer zu matschig, grau, kontrastarm.
So eine Fanboyhymne hab ich schon lange nicht mehr gelesen ueberflogen.
Das verdient eine standing ovation, oder sogar zwei.