Ehrlich gesagt habe ich mir durchaus ein wenig darauf eingebildet, über die Geschichte von Nintendo Bescheid zu wissen. Stets auf der Suche nach neuem Material, habe ich mir kürzlich ein vielversprechendes Buch mit dem vielversprechenden Titel „The History of Nintendo: 1889-1980, Volume 1: From Playing-Cards to Game & Watch“ gekauft. Und nach der Lektüre muss ich sagen: Ich hatte gar keine Ahnung von der Geschichte von Nintendo!
Eine großartige Kollaboration
Zunächst ein paar Worte zur Entstehung dieses Buches. Es wurde vom
französischen Nintendo-Historiker Florent Gorges verfasst. Es
unterstützten ihn bei Recherche und Fotografie einige weltbekannte
Nintendo-Experten, darunter Isao Yamakazi, Besitzer der wohl
umfangreichsten Nintendo-Sammlung und 2007 Veranstalter eines
offiziellen Nintendo-Museums, sowie der Nintendo-Sammler Erik V., der
die Website http://blog.beforemario.com betreibt.
Während Gorges Erfahrung als Redakteur und Korrespondent aufzeigen kann,
hat Yamakazi bereits in Japan ein eigenes Buch geschrieben. Trotzdem
sollte man sie weniger als professionelle Journalisten, sondern eher als
Hardcore-Fans betrachten. Ihr ursprünglich in französischer Sprache
verfasstes Buch kam 2011 in einer englischsprachigen Übersetzung im
kleinen Verlag Pix'n Love Publishing heraus. Diese Fassung stellen wir
euch in diesem Bericht vor.
Die unbekannte Geschichte
Die Anzahl der wirklich empfehlenswerten Bücher zur Geschichte der
Videospielindustrie kann man an einer Hand abzählen. Die Geschichte von
Nintendo wird in diesen eigentlich zwar stets ganz gut abgearbeitet,
allerdings wirkt Nintendo erst seit den 1980er Jahren im
Videospielsektor, obwohl das Unternehmen schon seit 1889 existiert.
Über die ersten 100 Jahre von Nintendo ist generell nicht viel bekannt.
Diese Frühphase wird normalerweise sehr romantisiert dargestellt.
Jahrzehntelang war Nintendo demnach ein kleines, unbedeutendes
Familienunternehmen, das zunächst Hanafuda-Spielkarten herstellte und
plötzlich zum bedeutendsten Konzern der neuen Videospielbranche
aufstieg.
„The History of Nintendo“ zeigt auf, dass dies nicht der Wahrheit
entspricht. Auf über 200 Seiten wird hier ausführlich die unbekannte
Geschichte von Nintendo erzählt. Die Quellen dafür sind unter anderem
seltene Sammlerstücke und zuvor unbekannte Dokumente. Die Autoren
betreiben hier quasi archäologische Arbeit.
Florent Gorges mit dem französischen Exemplar des dritten Bandes von „The History of Nintendo“ vor dem Nintendo-Hauptquartier (Bildquelle)
Eine Schatztruhe voller Nintendo-Wissen
Das Buch offenbart unzählige Fakten zur Geschichte von Nintendo, die
vorher nicht bekannt waren. Es listet so gut wie sämtliche Produkte auf,
die das Unternehmen bis 1980 herstellte und mit denen es durchaus sehr
beachtliche Erfolge feiern konnte. Darunter befinden sich neben den
obligatorischen Spielkarten auch Spielzeuge, Brettspiele, elektronische
Spielgeräte und zuletzt auch Kuriosa wie Möbel, Kinderwagen oder
Bürozubehör. Schließlich wird der Übergang zu Videospielen
veranschaulicht.
Dies alles dokumentiert das Buch und bebildert alles mit knapp 1000
Fotos. Der Verfasser dieser Zeilen war regelmäßig absolut verblüfft, was
für obskure Fakten und Bilder das Buch zu Tage bringt. Es ist ein
wahrlicher Schatz an Nintendo-Wissen, der die Lücke in der
Geschichtsschreibung des Konzerns würdig abdeckt.
Anhand der ausführlichen Auflistung der Produkte wird gut ersichtlich,
wie Nintendo langsam vom Spielkarten-Anbieter zum Spielzeugproduzenten
„mutierte“. Ebenso erlangt der Leser einen Blick auf die Motivationen
Hiroshi Yamauchis, der 50 Jahre lang Nintendo-Präsident war, und die
vielen Krisen und Erfolge, die das Unternehmen schon in seiner Urzeit
einstecken musste und feiern durfte.
Vor allem aber: Es gibt kein anderes Buch, das sich derart mit der
Frühgeschichte Nintendos beschäftigt. Wer sich für das Thema
interessiert, kommt um „The History of Nintendo, Vol. 1“ nicht umher.
Der Großteil der Fakten aus dem Buch hat es noch nicht ins Internet
geschafft, weshalb die Informationen und Fotos aus dem Buch sehr
unverbraucht wirken.
Lausige Qualität
Nach diesen Lobeshymnen bezüglich des Inhaltes muss nun aber die Form
stark kritisiert werden. So gut „The History of Nintendo“ recherchiert
ist, so lausig wurde es gemacht. Zunächst einmal das Buch an sich: Es
kommt im Taschenbuchformat daher und ist somit sehr unpraktisch zu
lesen. Der Plastik-Einband erzeugt einen billigen Eindruck. Und trotz
vorsichtigem Umgang ist uns beim Lesen eine Seite einfach rausgefallen.
Eine sehr schlechte Verarbeitung.
Die englische Übersetzung ist sprachlich wie typographisch scheußlich.
Es finden sich viele nichtssagende und sehr seltsam klingende Sätze,
darüber hinaus dutzende falsch platzierte Leerzeichen oder Kommata. Hier
hat es eindeutig am Lektorat gemangelt. Auch sonst schlampt der kleine
Verlag Pix'n Love ziemlich herum.
Die Fotos sind zwar ein reichhaltiger Schatz und in Farbe gedruckt,
allerdings ist das Layout auf vielen der ohnehin schon sehr kleinen
Seiten äußerst verwirrend. Auch sonst gibt es einige Mängel. So kann
sich das Buch nicht recht erscheinen, ob es ein Geschichtswerk oder doch
eher eine Sammlerfibel sein möchte. Der Schreibstil an sich ist zwar
angenehm und sehr unterhaltsam zu lesen. Er zeigt aber zugleich
deutlich, dass das Buch aus der Perspektive von Hardcore-Fans
geschrieben ist und wirkt daher stellenweise sehr unprofessionell. Die
einzelnen Produkte von Nintendo werden sehr liebenswert und teils mit
einem zwinkernden Auge beschrieben. Dafür ein großes Lob.
Isao Yamakazi inmitten seiner Nintendo-Sammlung (Bildquelle)
Fazit
Wer „The History of Nintendo, Vol. 1“ für etwa 25 € nicht besitzt, der solle nicht glauben, er kenne die Frühgeschichte von Nintendo. Es ist unglaublich, wie viel zuvor unbekanntes Wissen hier drin steckt. Es ist die Bibel für jeden Nintendo-Historiker und Sammler. Es ist das einzige Buch seiner Art. Und hier liegt auch das Problem, denn der grandiose Inhalt wird durch die lausige Qualität der Texte und der Verarbeitung des Buches stark getrübt. Ein professioneller Autor und ein professioneller Verlag hätten hier ein viel besseres Werk hervorgebracht. Da es aber keine Alternative gibt, ändert dies nichts an dem unglaublichen Wert, der der Recherche dieses Buches innewohnt.
Bisher gibt es zehn Kommentare
Die mangelhafte Qualität bei Büchern aus UK ist leider vielfach ein Problem. Das liegt vor allem an der fehlenden Buchpreisbindung.
Ich kann dir gar nicht sagen, wieviele Bücher isch schon zurückgesandt habe, weil sie sich nach dem Aufschlagen als Puzzle entpuppten.
Ich hab echt nur gewusst, dass Nintendo sogar Möbel oder Kinderwagen hergestellt hat, ich dachte immer, die hätten nur Spielzeug produziert.