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The Legend of Zelda: Link's...

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Analysiert: Zelda trifft auf Kafka – ein Deutungsversuch zu Link's Awakening

Die in Not geratene Prinzessin, der fiese Bösewicht, das bedrohte Königreich und das heilige Relikt: Von der Handlung her waren die drei ersten „The Legend of Zelda“-Teile typischer Fantasy-Stoff. Doch dann kam 1993 das erste ungewöhnliche „Zelda“-Spiel, „Link's Awakening“ für den Game Boy. Weshalb das monochrome Mobil-Abenteuer so merkwürdig ist, erklärten wie in einem „Inside Nintendo“-Bericht zu dessen Entwicklung: Es wurde durch die US-Mysteryserie „Twin Peaks“ inspiriert und in der lockeren Atmosphäre eines Hobbyclubs entwickelt. Nun möchten wir uns genauer mit der Handlung des Spiels befassen und versuchen, einen Sinn hinter dieser geradezu absurd-kafkaesk anmutenden Anomalie aufzuspüren.

An dieser Stelle eine obligatorische Spoiler-Warnung: Wir gehen ausführlich auf die Handlung und auch auf das Ende des Spiels ein. Wer „Link's Awakening“ noch nicht gespielt hat und sich die Überraschung nicht verderben möchte, sollte diesen Bericht dann natürlich erst einmal nicht lesen.


Am Strand von Cocolint findet Marin den bewusstlosen Link.

Auf der Rückreise nach Hyrule per Boot erleidet Link Schiffbruch. Er strandet auf der Insel Cocolint. Cocolint ist nicht Hyrule. Die Insel ist Isolation. Link möchte zurück nach Hyrule. Also muss er Cocolint verlassen. Doch außerhalb der Insel gibt es nichts. Das behaupten zumindest die Einwohner.

Nur eine Möglichkeit gibt es, um die Insel zu verlassen: Link muss den Windfisch wecken, der in einem riesigen Ei auf der Spitze eines Berges ruht – logisch. Dazu muss er vor dem Ei die Ballade des Windfisches auf den acht Instrumenten der Sirenen spielen. Jene magischen Musikinstrumente werden in acht über die ganze Insel verteilten, monsterverseuchten Verliesen aufbewahrt. Links Mission steht somit fest.

Spielerisch erwartet uns recht normale 2D-„Zelda“-Kost, doch in der Spielwelt fallen uns immer mehr kuriose Begebenheiten auf. Da wäre das Kind, das uns die Speicherfunktion erklärt und hinzufügt, dass es nicht wisse, was dies überhaupt bedeute – es sei ja noch ein Kind. Da wäre der Typ, der sich in einer Art Trance in einen bösen Waschbären verwandelt hat und Link in den Zauberwäldern den Durchgang verwehrt. Da wäre der junge Familienvater, der sein eigenes Verschwinden in den Bergen prophezeit. Und da wären jene Gegner, die dem männlichen Glied ähnlich aussehen und in der deutschsprachigen Erstversion des Spiels Sprüche wie „Nie ohne Kondom!“ zum Besten geben.

Es ist kaum vorstellbar, doch „Link's Awakening“ wird noch absurder. Denn bald erfährt Link: Die Insel Cocolint, die Gegner und die Einwohner existieren gar nicht wirklich; das alles ist nur der Traum des Windfisches. Erweckt Link das mystische Meerestier, dann endet der Traum. Link wäre dann frei, doch die irreale Traumwelt würde aufhören zu existieren: die Bewohner – mit manchen hat sich der Zipfelmützenträger bereits angefreundet –, die Landschaften, die Monster – alles. Letztere machen Link das Leben schwer, um das Ende ihrer Existenz abzuwenden. Wer ist gut, wer ist böse? Die schwarz-weiß-Einteilung vieler anderer Spiele und der meisten „Zelda“-Abenteuer wird hier ad absurdum geführt. Denn um zu entkommen, muss Link den Tod, oder besser, das Existenzende einer gesamten, wenn auch nicht wirklich realen, Welt in Kauf nehmen.


Eine Wandschrift im Schrein im Süden erklärt, dass Cocolint nur im Traum des Windfisches existiert.

Ein wahres Dilemma ist Links Situation, sie ist ein wahrhaftiger Albtraum. Wie ist seine reale Existenz in den Traum eines fremden Wesens geraten und dort eingesperrt worden? Wir wissen es nicht, Link weiß es auch nicht. Doch den Knaben interessiert das auch gar nicht. Selbst ein moralisch fragwürdiges Handeln hinterfragt der grüne Jüngling nicht. Wie in fast allen „Zelda“-Spielen ist er nicht mehr als eine leere Hülle. Im Kontext von „Link's Awakening“ ist dies besonders bemerkenswert: Links Seele ist so leer wie die Welt, in der er ist, und die doch selbst nicht ist.

Link hinterfragt also nicht; er muss den Windfisch aus dessen Schlaf wecken. Das weise Wesen kann nicht aus eigener Kraft aufwachen, weil es von Albträumen heimgesucht wird. Doch der Windfisch möchte aufwachen, in der Form einer Eule unterstützt er Link auf dessen Abenteuer. Die Eule ist dabei die Manifestation des Bewusstseins des Windfisches. So sammelt Link schließlich sämtliche acht magischen Instrumente, spielt die Ballade des Windfisches, betrifft das enorme Ei und besiegt die Albträume. Link erfährt von der Eule: Die Albträume haben Cocolint terrorisiert, weshalb Link als Retter und Erlöser prädestiniert wurde. Nun erwacht der Windfisch, Cocolint verschwindet und Link wacht auf dem Ozean treibend auf, als sei dies alles nur ein Traum gewesen.

ICH BIN DER
WINDFISCH!
LANGE WAR MEIN
SCHLAF …
IM TRAUM …
EIN EI ERSCHIEN.
MIT EINER INSEL DRUMHERUM … DA
WAREN TIERE UND MENSCHEN …
… … … …
… … … …
ABER JEDER TRAUM
IST EINMAL ZU
ENDE.

Diese Worte teilt der Windfisch nach seinem Erwachen Link mit.

Ein Traum war es auf jeden Fall, doch wer hat hier wen geträumt? Manches spricht dafür, dass Link alles bloß selbst geträumt hat, während er bewusstlos auf dem Meer trieb: Figuren aus dem Traum sehen Charakteren aus der fiktiven Realität verdächtig ähnlich – Marin und Zelda –, Cocolint sieht dem Hyrule aus „A Link to the Past“ im Hinblick auf das Grundlayout ziemlich ähnlich und die Albträume des Windfisches nehmen die Formen von „Zelda“-Bossgegnern an. Außerdem: Im Traum einer anderen Kreatur gefangen zu sein – wie absurd ist das bitte? Zuletzt deutet ja auch der Titel des Spiels – „Link's Awakening“, also Links Erwachen – darauf hin, dass der Zipfelmützenträger derjenige war, der schlief.

Ganz so einfach ist die Sache aber leider nicht, denn nach seinem titelgebenden Erwachen auf dem Meer sieht Link den Windfisch davonziehen. Auch das geheime wahre Ende des Spiels enthält einen ähnlichen Hinweis. An der ganzen Sache muss also doch etwas Wahres gewesen sein. Vielleicht bezieht sich der Titel des Spiels ja auch auf Links anfängliches Erwachen auf Cocolint.

Als wäre das alles nicht schon genug, finden sich in „Link's Awakening“ auch noch Referenzen, die die Vierte Wand durchbrechen: Charaktere aus „Super Mario“ und „Kirby“ als Gegner, in der deutschen Übersetzung anzutreffende Anspielungen wie „Stop War! Give Peace a Chance“, und selbstreferenzierende (Meta)-Aussagen von Spielfiguren – all dies umwebt die Logik des Spiels, darf bei einer ernsthaften Deutung seines Inhaltes aber nicht einfach als lustiges „Easter-Egg“ abgetan werden.

Vielmehr muss aus all diesen Befunden der Schluss gezogen werden, dass die mysteriöse Handlung von „Link's Awakening“ aufgrund von Paradoxa nicht widerspruchsfrei geklärt werden kann. Die Handlung ist gleichermaßen absurd wie bedrohlich wirkend – sie ist eben kafkaesk. Und genau wie die Werke Franz Kafkas lässt sich auch „Link's Awakening“ sicher in mehrerlei Hinsicht deuten, wobei keine Deutung endgültig und eindeutig sein wird. Versuchen wir uns also einmal an einer tiefergehenden Deutung.

„Link's Awakening“ könnte eine Art Parabel sein, die sich um einen Spieler dreht, der sich im „Zelda“-Universum festgespielt hat. Jemand, der so intensiv spielt, dass er seine Gedanken gar nicht mehr von dem Spiel lösen kann. Link stünde dann für jenen Spieler, Cocolint für jenes Spiel und der Windfisch vielleicht für den Entwickler, denn so wie Cocolint dem Traum des Windfisches entstammt, geht ein Spiel aus dem Geiste des Entwicklers hervor.

Dann ließe sich „Link's Awakening“ wie folgt deuten: Der Spieler steckt auf einmal im übertragenen Sinne mitten im Spiel; es fesselt ihn so sehr, dass er nicht zu spielen aufhören und seine Gedanken erst wieder lösen kann, wenn er es durchgespielt hat. Er kann also nur noch in seine eigene Welt zurückkehren, indem er das tut, was ihm der Entwickler indirekt in Form des Spielziels befiehlt – so wie Link Cocolint nur verlassen kann, wenn er die Aufträge erfüllt, die das Bewusstsein des Windfisches, die Eule, ihm nennt. Ein Spieler hinterfragt das Spielziel für gewöhnlich nicht, außerdem verschwindet der Bann eines klassischen Spiel normalerweise rasch, sobald das Ziel erreicht worden ist – genauso wie Link nicht hinterfragt und Cocolint letztlich verschwindet.

Weiterführend, aber doch nicht ganz identisch ist ein weiterer Deutungsansatz: Dass „Link's Awakening“ die Entwicklung des Verstandes eines Spieler parabolisch ausdrückt; den Verstand eines Spielers, der geradezu krankhaft in einem Spiel feststeckt. „Link's Awakening“ wirkt immerhin ein wenig wie ein Albtraum, der einem zu intensiven Spielkonsum folgen kann. Elemente aus „A Link to the Past“ werden mit welchen aus anderen Spielen vermengt, hinzu kommen völlig sinnfreie und willkürliche Begebenheiten, etwa ein Fisch in einem riesigen Ei – wie in Albträumen üblich. Erst sobald der Albtraum besiegt ist, kann der Spieler aufwachen.

Für diesen Deutungsansatz spielt die hervorragende Musik von „Link's Awakening“ eine wichtige Rolle. Die Dungeon-Melodien werden im Spielverlauf immer atonaler; das Thema des achten und letzten Dungeons ist Wahnsinn in Musikform, zumal der Dungeon selbst sehr vertrackt ist. Wer hier festhängt, dem brennt sich die Dungeonmelodie ins Bewusstsein ein, was zu einem Albtraum führen kann, dem man nicht einfach so entkommt – genau wie die oberflächliche Handlung von „Link's Awakening“. Falls dies schwierig nachzuvollziehen sein sollte, der Verfasser dieser Zeilen hat einmal einen solchen Albtraum zu „Link's Awakening“ gehabt – zur Deutung popkultureller Werke ist eben auch der persönliche Zugang stets bedeutsam.

Bevor wir aber allzu weit abschweifen, ziehen wir lieber an dieser Stelle einen Schlussstrich. „Link's Awakening“ ist nicht bloß im Hinblick auf seine Handlung wahrhaftig kafkaesk, sondern auch in Bezug auf seinen Deutungszugang. Auf bloßer oberflächlicher Ebene ist es nicht möglich, einen Sinn für diese Erzählung zu finden – sie ergibt einfach keinen Sinn. Aber natürlich lassen sich Elemente der Handlung auf einer tieferen Ebene deuten. Dann kann das Spiel als Parabel für die Natur eines Spielers, oder als Manifestation eines quasi wahnhaften Albtraums eines intensiven Videospielers betrachtet werden. Dies waren zumindest unsere beiden Deutungsansätze zum Titel.

Es handelt sich aber bloß um Ansätze, nicht mehr. Sie vermögen bei Weitem nicht das gesamte Werk umfassend zu deuten. Außerdem glauben wir nicht ernsthaft, dass die Entwickler bei Nintendo die kafkaeske Handlung bewusst mit tiefgreifenden Deutungsmöglichkeiten versahen. Sie wollten einfach ein surrealistisches „Zelda“ erschaffen, und spätestens nach Lektüre dieses Artikels sollte ersichtlich sein, dass dies gelungen ist. Doch – zum Glück – kommt es bei der deutenden Analyse popkultureller Werke kaum auf die Intentionen der Schöpfer an. Und so wirkt „Link's Awakening“ wie eine Vermählung von „Zelda“ mit Kafka, was die Entwickler wohl kaum bewusst so gemacht haben.

Weiterführende Links: Forum-Thread

Bisher gibt es 15 Kommentare

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  • Avatar von lavars
    lavars 09.09.2015, 12:50
    Zitat Zitat von Garo Beitrag anzeigen
    Im großen und ganzen ein schöner Deutungsversuch mit ein paar Überinterpretationen.
    Beispielsweise fand ich jenes sehr krass:

    1. Sah der Schleim schon in ALttP so aus.
    2. Wie du schon sagst, ist es German Only und somit irellevant.

    Mir war noch was unangenehm aufgefallen, aber was das war hab ich mittlerweile vergessen.
    "geb mir deinen Saft, und ich gebe dir meinen" hahaha
  • Avatar von Garo
    Garo 01.09.2015, 11:04
    Im großen und ganzen ein schöner Deutungsversuch mit ein paar Überinterpretationen.
    Beispielsweise fand ich jenes sehr krass:
    Und da wären jene Gegner, die dem männlichen Glied ähnlich aussehen und in der deutschsprachigen Erstversion des Spiels Sprüche wie „Nie ohne Kondom!“ zum Besten geben.
    1. Sah der Schleim schon in ALttP so aus.
    2. Wie du schon sagst, ist es German Only und somit irellevant.

    Mir war noch was unangenehm aufgefallen, aber was das war hab ich mittlerweile vergessen.
  • Avatar von Tiago
    Tiago 01.09.2015, 10:25
    Xenoblade ist ein philosophisches Monster. Allein die Themen, die in den letzten paar Minuten angerissen werden...
  • Avatar von Tobias
    Tobias 01.09.2015, 10:12
    Danke allen für das positive Feedback! Finde generell Deutungen und Interpretationen sehr interessant. Und gerade Videospiele sind Medien, bei denen so etwas noch einmal interessanter ist. Umso bedauerlicher, dass spielebezogene Interpretationen eher selten sind.

    @1UP-Maschine, Xenoblade merk ich mir vor. Wenn ich den 3DS-Port hab und nochmal alles durchspiel, werde ich mal darauf achten, was man dazu so schreiben könnte. Die Handlung von Xeno is ja viel komplexer als von nem Link's Awakening
  • Avatar von 1UP-Maschine
    1UP-Maschine 31.08.2015, 19:11
    Hab's leider noch nicht durchgespielt, aber danke für die Erinnerung!

    Die Idee dieser neuen "Serie" gefällt mir aber sehr gut. Vielleicht kannst du ja mal die Hintergrundgeschichte von Xenoblade durchgehen.
  • Avatar von Taurin
    Taurin 30.08.2015, 23:36
    Hab ich mir gerne durchgelesen. Guter Text. Hab den Teil noch für meinen Ur Gameboy und liebe diesen Teil. Ruhig mehr von solchen Artikeln bzw. NEWS in dieser Ausführung. Danke
  • Avatar von Miischi
    Miischi 30.08.2015, 22:51
    Echt ein guter Artikel. Dafür brauchst du dich echt nicht entschuldigen^^
  • Avatar von Sepp
    Sepp 30.08.2015, 21:01
    Sehr toller Artikel! Bitte mehr davon!
  • Avatar von BIGBen
    BIGBen 30.08.2015, 15:40
    Ein wirklich grandioser Artikel!
    Ich möchte nur auf einen Fehler hinweisen. Am Ende des drittletzten Absatzes muss "Ziele" wahrscheinlich eigentlich "Zeilen" heißen, oder?

    Liebe Grüße und bitte mehr von solchen genialen Artikeln.
    Sowas finde ich super.


    PS: Link's Awakening ist im Übrigen eines meiner liebsten Zeldas (und war in meiner Kindheit mein erstes)
  • Avatar von A.Einstein
    A.Einstein 30.08.2015, 15:22
    Ich finde es gibt allgemein viel zu wenig (gute) Deutungen von Videospielen.
    Man sollte dieser Form der Kunst endlich mal etwas mehr Aufmerksamkeit widmen.
    Darum gute Idee!
  • Avatar von Ryumaou
    Ryumaou 30.08.2015, 14:40
    Na, da können wir doch froh sein, dass du dich letztendlich dazu entschlossen hast, den Text zu veröffentlichen.
    Hat mir ebenfalls sehr gut gefallen. :-)
  • Avatar von Ruki
    Ruki 30.08.2015, 14:28
    Zitat Zitat von Tobias Beitrag anzeigen
    Ich entschuldige mich schonmal für den Bericht, falls er nicht ok sein sollte. Hab ihn vor nem halben Jahr geschrieben und war mir nicht sicher, ob er wirklich veröffentlicht werden sollte. Aber was geschrieben ist, ist geschrieben ;P
    Wenn sich Redakteure schon für ihre Texte entschuldigen müssen ... Wo kommen wir denn dahin!?
    Ich wünsche mir ehrlich gesagt viel mehr sowas, ich liebe solche Texte. 1a gelungen, wirklich!
  • Avatar von mithos630
    mithos630 30.08.2015, 14:22
    Sehr gut geschrieben. So etwas ähnliches Gabs bei Dragon Quest 6 auch.
  • Avatar von smario66
    smario66 30.08.2015, 13:04
    Ich fand den Bericht eigentlich ziemlich gelungen. Ist ne ganz spannende Auslegung der Geschichte und liest sich sehr angenehm...
  • Avatar von Tobias
    Tobias 30.08.2015, 12:47
    Ich entschuldige mich schonmal für den Bericht, falls er nicht ok sein sollte. Hab ihn vor nem halben Jahr geschrieben und war mir nicht sicher, ob er wirklich veröffentlicht werden sollte. Aber was geschrieben ist, ist geschrieben ;P