Das Erdbeerkuchenproblem
Neulich, am Nachmittag, wurde mir die geradezu unglaubliche, unbeschreibliche und für die meisten Normalsterblichen absolut unerreichbare Ehre schlechthin erteilt. Ich hielt die Verpackung meines Glückes in Händen. Ich traute mich kaum den Karton zu öffnen und in dem Müll zu werfen aus Angst, ich könnte meinem persönlichen Garten Eden schaden. Meiner Wenigkeit, ich kann es immer noch nicht fassen, wurde die Ehre zu Teil etwas ganz besonderes zu verspeisen: Kuchen! Dass es sich hierbei nicht um irgendeinen Kuchen handelte, versteht sich wahrscheinlich von selbst. Wieso würde ich auch sonst diesen Augenblick als einen so besonderen zu bezeichnen? Es war ein wundervoll süßes Meisterwerk der Backkunst. Ein Erdbeerkuchen!
Mal abgesehen von der bescheidenen Tatsache, dass ich auch ohne Kuchen die
Erdbeere zwischen meinen Zähnen und auf dem Weg in meinen Magen zu schätzen weiß, machte dieses sinnlich sündige, rund geformte Stück Kalorienbombe einen unwiderstehlich leckeren Eindruck. So lecker, dass ich mich vor zwei so noch nie dagewesenen, kolossalen Problemen konfrontiert sah:
Zum einen fragte ich mich, wie man das Superlativ von „lecker“ noch überbieten konnte, was hier auch bitter nötig war, denn was mir hier präsentiert wurde, sprengte einfach jeglichen nur vorstellbaren Rahmen eines infamen „Am Leckersten“ und der Zusammenhang zwischen meiner Vorliebe für Erdbeeren, meinen Appetit und die Genialität dieses Gebäcks musste unbedingt berücksichtigt werden! Doch als ich eine gefühlte Ewigkeit über Gott, die Welt und besagtem
Super-Superlativ nachdachte knurrte mein Magen und machte mich auf ein weiteres Problem aufmerksam: Die ganze (!)
Erdbeere in der Mitte auf dem Stück Kuchen.
Sie müssen verstehen, es handelte sich hier nicht um ein einfaches, kleines Stück Kuchen! Nein! Es war von formidabler Größe! Manche würden es als einen ganzen Kuchen bezeichnen, oder sogar als zwei, sofern man einen Kreis in zwei gleichgroße runde Teile schneiden könnte, doch ein
Erdbeer(kuchen)-Liebhaber wie ich, musste dies als ein einzelnes Stück bezeichnen um so dem Gott zu frönen, der sich den Erdbeerkuchenliebhabern gewidmet hatte.
Doch ich schweife ab…
Ich hatte keine andere Wahl! Sowas will wohl durchdacht sein! Das Super-Superlativ sprengte mit meinen nach Erdbeerkuchen lechzenden Trieben meine Gedanken und war schon fast vergessen, als ich verzweifelt bemerkte, dass
Ich
nicht
wusste,
OB ICH DIE
ERDBEERE ZUERST ODER ZULETZT ESSEN SOLL!
…
Sie verstehen dass nicht… Es ist grausam! Was sollte ich auch tun? Ich verzweifelte. Verlor die Nerven. Versuchte mich zu beruhigen. Minuten wurden zu Stunden. Stunden zu Tage! Eine gefühlte Ewigkeit saß ich dort! Unfähig zu handeln!
Ich musste mich zusammen reißen!
Ich versuchte einmal tief durchzuatmen…
Ein…
und aus…
…
Jetzt geht’s wieder.
Ich versuchte rational abzuwägen wie meine Perspektiven aussahen. Zum einen konnte ich dieses wundervoll rote, wohl geformte Objekt meiner Begierde direkt zu Beginn verspeisen. Doch was war damit gewonnen? Ich müsste mich mit der Vorstellung anfreunden, den Rest des Kuchens im tristen Schatten einer sonnigen, sonnengereiften
Erdbeere zu verzehren. Hätte der Kuchen dann noch einen Sinn? Würde ich das Stück Kuchen wegschmeißen müssen, da seine Existenz ohne die
Erdbeere jede Daseinsberechtigung verloren hatte? Könnte ich dem Konditor, der dieses vollkommene Werk erschaffen hatte, in die Augen blicken und sagen ich hätte die
Erdbeere zuerst gegessen? Das könnte ich ihm nicht antun… unmöglich!
Die zweite Perspektive erfüllte mich mit Angst und Schrecken. Könnte mir das tatsächlich passieren? Wäre mein Körper durchtrieben genug mich so über alle Maßen zu verraten? Was wäre,… würde ich beim Essen so voll, dass ich die besagte
Erdbeere und womöglich auch noch einen Teil dieses Stückes Perfektion…nicht mehr herunter bekäme? Wenn mein Magen gefüllt und meine Nerven am Ende wären? Mich grauste es schon bei der Vorstellung. Eher würde ich sterben, als der
Erdbeere eine solche Schmach über sich ergehen zu lassen!
…
Ich beschloss es darauf ankommen zu lassen! Die Zeit der Taten war gekommen! Beherzt griff ich zur Gabel und entfernte mit ihr einen kleinen Teil dieser Vollkommenheit. Doch was war das? Seltsame grüne Flecken zierten den blassrosa Teint meines Verlangten. Kann es denn wahr sein? Unmöglich… Nein… Der Erzfeind eines jeden Kuchenliebhabers hatte zugeschlagen: Schimmel!
NEEEEIIIIIIIIN !!!
Hatte ich zu lange gezögert? War dies die Strafe für die falsche Entscheidung? Hätte ich doch die
Erdbeere zuerst essen sollen?! Was habe ich getan? Oh mein Gott!!
Doch da kam mir ein Gedanke! Ich rannte zum Mülleimer und griff die Verpackung des Kuchens heraus um verzweifelt das Verfallsdatum zu erspähen nur um festzustellen, dass der Kuchen bereits vor einer Woche abgelaufen und mein Dilemma umsonst gewesen war…