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Mario Bros. (eShop)

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Inside Nintendo 208: Unverhofft kommt oft: Wie Mario Bros. die Weichen der Super-Mario-Reihe stellte

1981 fing mit „Donkey Kong“ alles an, zwei Jahre später erschien das Spin-off „Mario Bros.“, und mit dessen berühmtem „Super“-Nachfolger startete Nintendo 1985 richtig durch. Dies ist heutzutage Allgemeinwissen für Gamerinnen und Gamer. Die Abfolge „Donkey Kong“ – „Mario Bros.“ – „Super Mario Bros.“ erscheint im Rückblick geradezu selbstverständlich. Allerdings war diese Entwicklung weder so geplant noch überhaupt damals vorhersehbar gewesen. Anlässlich des 40-jährigen Jubiläums von „Mario Bros.“ beschäftigen wir uns heute bei „Inside Nintendo“ damit, wie das zu seiner Zeit eher unscheinbare Spiel das Fundament für den künftigen Mega-Erfolg der „Super Mario“-Reihe legte.

Wenn zwei Nintendo-Legenden zusammenarbeiten

Wie schon zuvor das erste „Donkey Kong“ entstand auch das Arcade-Spiel „Mario Bros.“ aus einer engen Zusammenarbeit zwischen dem jungen Designer Shigeru Miyamoto und dessen Mentor Gunpei Yokoi. Es scheint naheliegend, dass der als „Mario“-Schöpfer bekannte Miyamoto das Spiel selber erdacht und dass Yokoi ihn dabei in erster Linie nur beratschlagt hat. Tatsächlich geht das Grundkonzept von „Mario Bros.“ aber größtenteils auf Yokoi zurück. „Ich habe das Konzept für das ‚Mario Bros.‘-Spiel entworfen und Miyamoto die Aufgabe gegeben, es mit Leben zu füllen“, schreibt Yokoi in seiner japanischen Autobiographie (zitiert nach Audureau, S. 145).

Der Großteil unseres Wissens über die Entwicklung von „Mario Bros.“ stammt allerdings von Miyamoto, der 2009 im „Iwata fragt“-Interview zu „New Super Mario Bros. Wii“ – eine unfassbar wertvolle Quelle für die Geschichte hinter den frühen „Mario“-Titeln – recht ausführlich über das Spiel erzählte. Davon abgesehen stehen uns kaum Quellen zur Verfügung. Der 1996 bei einem Autounfall ums Leben gekommene Yokoi hat uns keine weiteren Informationen überliefert, und wer für die Grafik und Programmierung des Spiels zuständig war, ist bis heute nicht bekannt. Im Vergleich zu „Donkey Kong“ und „Super Mario Bros.“, über deren Entstehung wir sehr viel wissen (vgl. zu Letzterem „Inside Nintendo 177–181“), lassen sich die Hintergründe von „Mario Bros.“ also nur eher dürftig rekonstruieren.

Zu zweit geht alles besser

Der Ausgangspunkt der Entwicklung von „Mario Bros.“ war die Idee eines Titels für zwei Spielende. Damalige Arcade-Automaten waren zwar überwiegend Einzelspielererfahrungen, doch von Haus aus war die Szene auf kompetitives Spielen ausgelegt. Mit dem von Williams Electronics entwickelten „Joust“ wurde 1982 das gleichzeitige Spielen zweier Personen an einem Automaten salonfähig. Angeblich soll Miyamoto selber geäußert haben, durch „Joust“ zur Grundidee von „Mario Bros.“ inspiriert worden zu sein. Zwar war Nintendos „Balloon Fight“ von 1984 stark an „Joust“ angelehnt, doch konnten wir keine Belege dafür finden, dass auch „Mario Bros.“ tatsächlich von Williams’ Erfolgstitel inspiriert wurde.

Hinzu kommt, dass das Zweispieler-Grundkonzept gar nicht von Miyamoto eingebracht worden ist, sondern von Yokoi. Das hat Miyamoto selber mehrfach bestätigt, so etwa in einem französischen Interview von 2009 (zitiert nach Audureau, S. 151): „Er [Yokoi] schlug vor, dass wir ein kompetitives Spiel entwerfen […]. Das Ziel war ein Spiel, in dem zwei Spielende sich gegenseitig helfen, aber auch einander ein wenig in den Rücken fallen können. Es ging sowohl um Kooperation als auch um Kompetition.“

Marios allmähliche Transformation: Zeitgenössische Artworks und Sprites aus „Donkey Kong“ (oben), „Donkey Kong Jr.“ (Mitte) und „Mario Bros.“ (unten).

Auf dem Weg zum Videospielstar

Ob Mario vom ersten Augenblick der Entwicklung an als Spielfigur vorgesehen war, ist unklar. Fest steht, dass Miyamoto und Yokoi nicht geplant hatten, mit einem Spin-off rund um die Spielfigur aus „Donkey Kong“ eine neue Reihe zu begründen. Es ist heute schwer vorstellbar, aber wie das wenig bekannte Buch von William Audureau aufzeigt, war Mario 1981/1982 für Nintendo und die damalige Videospiellandschaft keine sonderlich wichtige Figur. Dadurch wird auch verständlich, warum er in „Donkey Kong Jr.“ einfach so zum Bösewicht werden konnte (dazu ausführlich in „Inside Nintendo 198“).

Erst 1983, als er auf einmal in mehreren Nintendo-Spielen mehr oder weniger zufällig die Hauptrolle erhielt, wurde Mario mehr Aufmerksamkeit zuteil. Das dürfte mit Miyamotos Ambition zusammenhängen, „seine“ Figur in möglichst vielen Spielen unterzubekommen. Den Anfang machte im März 1983 das Game-&-Watch-Spiel „Mario Bros.“, das eher wenig mit dem gleichnamigen Arcade-Spiel zu tun hat. Mit „Mario’s Cement Factory“ (April) und „Mario’s Bombs Away“ (November), zwei weiteren Game-&-Watch-Titeln, feierte Mario dann seine ersten Solo-Auftritte.

„Im Jahr 1981 wären diese Spiele wahrscheinlich nicht mit einem bekannten Charakter verbunden gewesen“, schreibt Audureau dazu. „Im Jahr 1982 hätte wohl eine populäre Figur wie Donkey Kong, Popeye oder Mickey die Hauptrolle gespielt, aber 1983 war es der Zimmermann, der zum neuen Standardhelden zu werden schien. Mario war noch kein vollwertiges Maskottchen, aber er wurde stillschweigend und unbewusst zu Nintendos Standardfigur.“ Prinzipiell hätte in Miyamotos und Yokois neuem Projekt eine x-beliebige Figur die Hauptrolle erhalten können, doch vermochte sich schließlich Mario vor dem Hintergrund seines allmählichen Aufstiegs durchzusetzen.

Wie Jumpman zum Sprunghelden wurde

Damals war Mario noch keine wirklich fest umrissene Figur. In seinem ersten Auftritt, ursprünglich noch unter dem Namen „Jumpman“, arbeitete er als Zimmermann, doch in den drei vorhin erwähnten Game-&-Watch-Spielen von 1983 schlug er sich als Getränkelieferant, in einem Zementwerk und sogar beim Militär durch. Auch war er von Beginn an als realistische Figur konzipiert, die einen durchschnittlichen Menschen ohne besondere Fähigkeiten repräsentieren sollte. In „Donkey Kong“ und „Donkey Kong Jr.“ kosten ihn dementsprechend bereits Stürze aus geringer Höhe das Leben.

Beides – Marios Gelegenheitsjobs und seine Normalo-Fähigkeiten – änderte sich mit dem Arcade-Spiel „Mario Bros.“, in dem Mario bekanntlich zum Klempner wurde und Stürze auch aus großer Höhe überstehen konnte. Diese beiden Transformationen waren jedoch kein Selbstzweck, sondern wurden analog zum Entwurf des Spielkonzepts ersonnen. Wir beginnen mit Marios Wandel vom Durchschnittstypen zum Superhelden, bei dem Yokoi der ausschlaggebende Part war, während Miyamoto zunächst Skepsis an den Tag legte.

„Wenn Mario in ‚Donkey Kong‘ über eine gewisse Distanz gefallen ist, die höher als seine Körpergröße war, verlor der Spieler einen Versuch“, erklärte Miyamoto im genannten „Iwata fragt“-Interview. „Dieses Mal sagte Mr. Yokoi: ‚Warum lassen wir ihn nicht höher springen und tiefer fallen?‘ Ich habe zunächst gedacht, wenn wir das tun, taugt das Spiel nicht mehr viel.“ Langsam freundete sich Miyamoto aber mit der Idee an, und als man es einfach mal ausprobierte, sprang der Funke direkt über: „Wir stellten einen Prototyp zusammen, bei dem Mario nach Belieben herumlaufen und springen konnte, und stellten fest, dass es viel Spaß machte.“

Der springende Punkt

„Zu diesem Zeitpunkt haben wir aber so etwas wie eine Sackgasse erreicht“, fuhr Miyamoto fort. „Wir haben uns gefragt, was für eine Art Spiel es werden sollte.“ „Donkey Kong“ und „Donkey Kong Jr.“ waren im Grunde große Hindernisparcours gewesen, doch wegen Marios neuer übermenschlicher Sprungfähigkeiten war ein solches Konzept diesmal wenig sinnvoll. Das Projekt bestand zu diesem Zeitpunkt im Wesentlichen aus mehreren Plattformen, über die Mario springen konnte. Es fehlte ein Ziel, eine Herausforderung. Die wegweisende Idee kam wiederum von Yokoi. Er schlug vor, dass die Spielfigur von unten gegen die Plattformen springen sollte, um darauf befindliche Gegner zu besiegen. Es sollte also nicht mehr darum gehen, Gegnern oder Hindernissen auszuweichen; vielmehr galt es nun, Gegner durch geschickten Einsatz der Sprungfähigkeiten zu eliminieren.

Das war ein wichtiger Schritt nach vorn, brachte aber ein weiteres Problem mit sich. „Als wir das versucht haben, stellten wir fest, dass es unglaublich leicht war“, so Miyamoto. „Bevor man sich versah, waren keine Gegner mehr übrig. […] Das machte das Spiel viel zu leicht.“ Daher wurde ein weiterer Schritt eingefügt: Zunächst mussten Gegner durch einen Sprung von unten betäubt werden; anschließend galt es, sie von oben oder von der Seite aus dem Spielfeld zu kicken.

Die Geburt der Koopa-Vorfahren

Auf der Suche nach einer gegnerischen Figur, die zu diesem Spielkonzept passen würde, kam Miyamoto und Yokoi bald eine Tierart in dem Sinn, die aus dem „Super Mario“-Universum heutzutage nicht mehr wegzudenken ist. „Die Schildkröte war die einzige Lösung“, erklärte Miyamoto. „Schlägt man von unten auf sie, kippt sie um! Lässt man sie so liegen, steht sie irgendwann von selbst wieder auf!“

Der erste Entwurf eines uns nicht namentlich bekannten Designers ergab, so Miyamoto, „eine unglaublich realistische Schildkröte“. Das passte aber stilistisch nicht zum Projekt. Schließlich griff Miyamoto selber zu Stift und Papier und zeichnete eine deutlich cartoon-artigere Schildkröte mit einem großen Gesicht. Damit waren die späteren Koopas aus den „Super Mario“-Spielen geboren, auch wenn die Schildkröten-Gegner in „Mario Bros.“ noch die Bezeichnung „Shellcreeper“ tragen.

Das weniger realistische Aussehen der Schildkröten-Gegner war auf jeden Fall dem Spiel angemessen. Denn Yokoi brachte eine anatomisch wenig korrekte Idee ein. In seiner Autobiographie schreibt er (zitiert nach Audureau, S. 156f.): „Ich habe einmal sehr gelacht, als ich einen Zeichentrickfilm sah, in dem eine auf dem Rücken liegende Schildkröte aus ihrem Panzer herauskam, ihn umdrehte und wieder hineinkroch. Das brachte mich auf die Idee, daraus ein Spiel zu machen.“ Diese Animation diente jedoch nicht allein dem Gagfaktor, sondern sollte verdeutlichen, wann ein betäubter Gegner wieder auf die Beine kommt.

Artworks der drei Gegnerarten aus „Mario Bros.“: Shellcreeper, Sidestepper und Fighterfly. Eine verworfene vierte Gegnerart konnte als ungenutztes Grafikelement im Programmcode ausfindig gemacht werden – was für ein Wesen das wohl darstellen soll? Es gibt übrigens Indizien dafür, dass in „Super Mario Bros.“ das Verhalten der Koopas noch näher an dem der Shellcreeper angelehnt sein sollte und dass auch Sidestepper und Fighterfly in einem sehr frühen Stadium für den NES-Klassiker geplant waren.

In die Röhre schauen

Ein zentrales Problem gab es im Spielkonzept aber immer noch: Da die Schildkröten die Plattformen entlang krochen und an deren Enden nach unten fielen, sammelten sie sich irgendwann auf der untersten Ebene an, wenn sie nicht vorher besiegt wurden. Es musste also eine Möglichkeit gefunden werden, Gegner von unten wieder nach oben zu befördern. Auf die Lösung für das Problem stieß Miyamoto ganz zufällig: „Dann, eines Tages auf dem Weg nach Hause vom Büro, sah ich eine Betonwand, aus der mehrere Abwasserröhren herausragten. Ich dachte: ‚Die sind perfekt!‘ Es ist jedem klar, dass etwas in ein Rohr hinein- und wieder herauskommen kann.“ Außerdem erinnerten ihn die Röhren an Mangas aus seiner Kindheit: „Wenn man ältere Mangas liest, gibt es immer verwüstete Landschaften, in denen Röhren herumliegen. […] Die Idee, dass man ins Innere klettern könnte, wenn man sie sieht, erschien mir sehr natürlich.“

So wurde entschieden, dass die Gegner am oberen Bildschirmrand aus Röhren auftauchen und, wenn sie die unterste Ebene erreicht haben, über eine Röhre wieder nach oben gelangen. Damit war ein weiteres zentrales Element der späteren „Super Mario“-Spiele ins Leben gerufen. Die Röhren brachten Miyamoto und Yokoi wiederum auf die Idee, als Setting des Spiels eine Kanalisation zu wählen. Und so, wie Mario in „Donkey Kong“ deshalb Zimmermann gewesen war, weil das Spiel wegen der Plattformen auf einer Baustelle handelte, wurde die Spielfigur infolge des neuen Settings kurzerhand zum Klempner.

Übrigens spielt „Mario Bros.“ nicht etwa im späteren Pilzkönigreich, sondern in den Kanalisationen von New York. In einem Interview von 1999 erklärte Miyamoto, dass er zwar nie in der US-Metropole gewesen sei, sie aber aus Filmen kenne. „Ich stellte mir vor, dass es dort eine riesige unterirdische Welt geben musste, die eine perfekte Kulisse für das Spiel sein würde.“ Wie Mario als Klempner aus der realen Welt in das magische Pilzkönigreich gelangte, wurde übrigens erst kürzlich im „Super Mario Bros. Film“ erklärt, der, wenn man so möchte, die Handlungslücke zwischen „Mario Bros.“ und den übrigen „Super Mario“-Spielen schloss.

Grün, grün, grün sind alle meine Kleider

Dass die Röhren ihre bis heute charakteristische grüne Farbe erhielten, hatte keinen besonderen künstlerischen Grund. Miyamoto führte dafür vielmehr die Farbbeschränkungen der damaligen Spiele an. Man konnte nicht viele verschiedene Farben verwenden, und von den zur Verfügung stehenden war „Grün […] einfach eine Farbe, die hervorragend funktionierte, wenn man zwei Schattierungen verwendete.“ So ergab sich mehr oder weniger zufällig, dass die Röhren die gleiche Farbe wie die Schildkröten erhielten.

Natürlich ist noch ein anderes für die „Super Mario“-Reihe zentrales Element, das in „Mario Bros.“ eingeführt wurde, für seine grüne Farbe berühmt: Luigi! Da das neue Projekt ja von Anfang an als Zweispieler-Titel geplant war, musste selbstverständlich eine zweite Spielfigur her. Schon in „Donkey Kong Jr.“ war in der kurzen Filmsequenz zu Spielbeginn ein zweiter Mario zu sehen gewesen. Ähnlich hätte es auch diesmal sein können, denn wegen des knappen Speichers konnte die zweite Figur nicht wirklich anders aussehen als die erste.

Das Kanalisationssetting von „Mario Bros.“ passt gut zu einer weiteren Gameplay-Eigenart des Spiels: Der linke und rechte Bildschirmrand sind miteinander verbunden. Dieses Konzept hatte kurz zuvor schon Miyamotos „Popeye“-Automat (links) geboten, wo die Bildschirmränder an bestimmten Stellen miteinander verbunden waren. Im Innenraum eines großen röhrenförmigen Gebildes, wie etwa eines Kanalschachtes, ergibt dies noch besseren Sinn. Ganz ähnlich ist übrigens der Vulkan-Level in „New Super Mario Bros.“ (Welt 8-6; rechts). Vermutlich ist dieser Level eine gezielte Hommage an „Mario Bros.“, denn zusätzlich zu der Wraparound-Mechanik können hier ganz wie im Klassiker Gegner durch einen Sprung von unten gegen eine Plattform umgeworfen werden.

Luigi – die Ursprünge des „grünen Mario“

Wenn schon kein neuer Charakter möglich war, wollten Miyamoto und Yokoi für die zweite Spielfigur wenigstens eine andere Farbe wählen. Wegen der sehr begrenzten Farbpalette kamen nur jene Farben infrage, die ohnehin bereits im Spiel genutzt wurden. Man entschied sich dafür, das Farbschema der Schildkröten – Hautfarbe und Grün – auf die zweite Spielfigur zu übertragen. Weil trotzdem beide Figuren praktisch identisch aussahen, beschlossen Miyamoto und Yokoi, dass es sich um Zwillinge handelt und dass die neue, grüne Figur der jüngere Brüder ist.

Zur Herkunft des Namens „Luigi“ gibt es widersprüchliche Angaben. In einem Kurzinterview mit der englischsprachigen, in Malaysia erscheinenden Zeitung „New Straits Times“ äußerte Miyamoto 1986: „Um es zu einem Spiel zu machen, mussten wir zwei ähnliche Charaktere gegeneinander antreten lassen, und ‚Ruiji‘ ist das japanische Wort für ‚ähnlich‘.“ Demnach wäre die Figur in Anlehnung an ihr ähnliches Aussehen auf den Namen „Luigi“ getauft worden. Andererseits zirkuliert das Gerücht, dass der Name eine Hommage an eine Pizzeria in der Nähe des Nintendo-of-America-Hauptquartiers namens „Mario and Luigi“ darstellen solle. In einem Interview mit der japanischen Zeitschrift Nintendo Dream von 2010 erzählte Miyamoto noch eine andere Version. Er habe lediglich nach einem verbreiteten italienischen Namen gesucht, der zu „Mario“ passe. Für „Luigi“ habe er sich entschieden, weil auch viele italienische Designer diesen Vornamen tragen.

Wer ist Luigis wahrer Schöpfer?

Seinen ersten Auftritt feierte Luigi allerdings nicht, wie in der Regel behauptet wird, Mitte 1983 im Arcade-Automaten „Mario Bros.“, sondern bereits im März im gleichnamigen Game-&-Watch-Spiel. Es handelt sich zwar auch um einen Zweispieler-Titel, hier aber müssen Mario und Luigi Getränke-Lieferwagen beladen – dem Farbschema zufolge scheint es um Weinflaschen zu gehen. Am Game-&-Watch-„Mario Bros.“ hat Miyamoto nicht direkt mitgewirkt; das Bindeglied zwischen Game-&-Watch- und Arcade-Spiel war vielmehr Yokoi. Das wiederum wirft eine große Frage auf: Wurde Luigi tatsächlich ursprünglich für das Arcade-„Mario Bros.“ erfunden, oder war er zunächst für das Game-&-Watch-Spiel geplant und wurde dann in das Arcade-Spiel übertragen? Sollte die zweite Option zutreffen, dann war möglicherweise Yokoi oder eines seiner „Game & Watch“-Teammitglieder Luigis wahrer Schöpfer.

Wer genau wann Luigi erfunden hat, lässt sich also nicht mehr eindeutig klären. Die Einführung von Luigi bedeutete jedenfalls einen weiteren wichtigen Schritt auf Marios Karriereleiter und trug zur Etablierung und Abgrenzung eines eigenen Spieleuniversums bei. Mario war, wie Audureau formulierte, „zum ersten Mal nicht mehr ein Sidekick, sondern die Hauptfigur. Mario gehörte nicht mehr zum ‚Donkey Kong‘-Universum, sondern Luigi gehörte zu Marios Universum.“

Das Game-&-Watch-Gerät „Mario Bros.“ von März 1983 stellt Luigis wahren ersten Auftritt dar. Im Spiel selber sieht er absolut identisch wie Mario aus. Auf der Verpackung hingegen hat er bereits seine grüne Farbe, wie später auch im Arcade-Automaten. Das Problem: Game-&-Watch- und Arcade-Spiel haben abgesehen vom Titel wenig miteinander zu tun, und es ist nicht bekannt, in welchem Verhältnis die beiden Projekte während der Entwicklung zueinander standen. Das wiederum bedeutet, dass die genauen Ursprünge von Luigi nicht zu klären sind. Sehr wahrscheinlich war er gar nicht Miyamotos Erfindung!

Programmcode und Ton hauchen der Spielidee Leben ein

In „Donkey Kong“ und „Donkey Kong Jr.“ hatte es für jeden Level unterschiedliche Hintergrundmusik gegeben, auch wenn diese nicht mehr als eine kurze Tonabfolge in Dauerschleife war. „Mario Bros.“ hingegen bietet während der Level seltsamerweise keine Musik mehr; die Spielenden bekommen nur die Soundeffekte zu hören, allen voran die Schritte der Spielfiguren. Zwischen den Leveln gibt es dafür mehrere kurze Tonjingles, am bekanntesten natürlich zu Spielbeginn der Anfang von Mozarts „Eine kleine Nachtmusik“.

Vermutlich war genau wie bei den beiden Vorgängern der vor allem für seine Arbeit an „Tetris“, „Super Mario Land“ und „Metroid“ berühmte Hirokazu Tanaka für die Soundeffekte und der weniger bekannte Yukio Kaneoka für die kurzen Musikstücke zuständig. Ob neben Miyamoto und Yokoi noch jemand am Spielkonzept und Grafikdesign mitgewirkt hat, ist unbekannt. Ebenfalls nicht bekannt sind sodann die Programmierer hinter „Mario Bros.“ Nachdem man sich im Streit vom Partnerunternehmen Ikegami Tsushinki, das für die technische Realisierung der ersten Nintendo-Arcade-Spiele zuständig war, getrennt hatte, war „Donkey Kong Jr.“ das erste intern programmierte Nintendo-Spiel gewesen. „Mario Bros.“ dürfte auf Grundlage der dadurch gewonnenen Expertise entstanden sein.

Aus alt mach neu

Es ist immer so eine Sache, in der Frühzeit der Videospielgeschichte nach exakten offiziellen Erscheinungsterminen zu fragen. Im Falle von „Mario Bros.“ nennen verschiedene Quellen Juni, Juli oder August 1983. Nintendo selber sprach 2013 vom 14. Juli 1983. Eine interne Atari-Memo von November 1983 hingegen gibt April als Veröffentlichungsdatum an. Die Unklarheiten sind gerade bei einem Arcade-Spiel nicht ungewöhnlich, denn die klobigen Automaten konnten schließlich nur nach und nach an Spielhallenbetreiber und -betreiberinnen ausgeliefert werden. Allerdings erschien „Mario Bros.“ nicht nur als eigenständiges dediziertes Arcade-Kabinett, sondern auch als sogenanntes „Nintendo-Pak“.

Mit einem „Nintendo-Pak“ ließen sich Nintendos frühere Automatenspiele „Donkey Kong“, „Donkey Kong Jr.“ und „Popeye“ in ein neues Spiel umwandeln, ohne dass die alten Automaten aufwändig entsorgt und durch einen neuen ersetzt werden mussten. Man konnte vor Ort das Motherboard sowie die Aufkleber am Gehäuse auswechseln, was unkompliziert und vor allem sehr günstig war. Mit dem „Nintendo-Pak“ versuchte Nintendo, neue Impulse im damals schwächelnden Arcade-Markt zu setzen. Die schmaleren Gehäuse der älteren Spiele boten im Vergleich zum breiteren dedizierten Kabinett von „Mario Bros.“ lediglich weniger Platz für die beiden nebeneinanderstehenden Spielenden.

Die Klempnerbrüder höchstselbst bauen mithilfe des „Nintendo-Pak“ die Automaten von „Donkey Kong Jr.“ und „Popeye“ zu „Mario Bros.“ um.

Das „Mario Bros.“-Konzept wird super

Mit „Mario Bros.“ hatte Miyamoto ein weiteres Mal sein Talent als Spieldesigner unter Beweis gestellt. Wenige Monate später wurde er zum Leiter der neuen Entwicklungsabteilung Research & Development 4 (R&D4) befördert, die brandneue Famicom-Spiele entwickeln sollte. Zur zweiten Welle an R&D4-Spielen zählte das spätere „Super Mario Bros.“, das ähnlich wie „Mario Bros.“ als schlichter Renn- und Spring-Prototyp begann.

Mit „Super Mario Bros.“ wurde das Franchise rund um den Klempner endgültig etabliert. So sensationell neu die Spielerfahrung damals auch war, so gehen doch überraschend viele Grundelemente auf „Mario Bros.“ zurück. Schon erwähnt haben wir Marios Entwicklung vom realistischen Durchschnittstypen zur übermenschlichen Fantasyfigur, die grünen Röhren, die Koopas und natürlich Luigi. Hinzu kommen das Sammeln von Münzen, das Besiegen von Gegnern durch Sprünge sowie Feuerbälle, die in „Mario Bros.“ freilich noch eine Gefahr für die Spielfigur darstellen. Und dem nicht genug, wurde Mario nur darum zur Spielfigur von „Super Mario Bros.“ erkoren, weil sich während der Entwicklung die Famicom-Version von „Mario Bros.“ so gut verkaufte. Ursprünglich sollten übrigens auch die krabbenartigen Sidestepper-Gegner sowie der POW-Block in „Super Mario Bros.“ auftauchen. Letzterer wurde erst mit dem westlichen „Super Mario Bros. 2“ fester Bestandteil der „Mario“-Welt.

Form vor Funktion – ein Paradebeispiel

Hatten „Donkey Kong“ und „Donkey Kong Jr.“ noch eine eigene Handlung mit kleinen Zwischensequenzen erzählt, so trat dieser Aspekt mit „Mario Bros.“ komplett in den Hintergrund. Dies änderte sich mit „Super Mario Bros.“ nur unwesentlich. Für Nintendo steht das spielerische Konzept an erster Stelle, und erst sekundär werden Figuren, Setting und Handlung erdacht. Doch nur wenige Spiele waren in ihrer Entwicklung so deutlich von dieser „Funktion vor Form“-Philosophie geprägt wie „Mario Bros.“ Wie wir gesehen haben, kamen von den Schildkröten-Gegnern bis hin zu Marios Klempnerjob alle wegweisenden Neuerungen des Spiels nur darum zustande, weil sie sich ideal in das Spielkonzept einfügten. „Mario Bros.“ hat vor 40 Jahren die Weichen der „Super Mario“-Reihe gestellt, gewissermaßen ihre DNA grundgelegt – und das alles völlig ungeplant.

Die nächste „Inside Nintendo“-Reportage wird sich ebenfalls mit „Mario Bros.“ befassen. Es wird um die vielen Portierungen, Neuauflagen und Wiederveröffentlichungen des Klassikers in den letzten 40 Jahren gehen, die viel Unerwartetes zu bieten haben!

Artwork zur Famicom-Version von „Mario Bros.“

Quellen: „Iwata fragt: New Super Mario Bros. Wii“, Teil 1, Nintendo.de, 2009; Patrick Doyle: „Shigeru Miyamoto Shares Nintendo Secrets“, Rolling Stone, 8. April 2013; William Audureau: The History of Mario. 1981–1991: The rise of an icon, from myths to reality, Pix’n Love Editions 2014, S. 144–159; Ken Horowitz: Beyond Donkey Kong. A History of Nintendo Arcade Games, McFarland & Company 2021, S. 95–102. Zusätzliche Quellen sind an den entsprechenden Stellen des Textes verlinkt.

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Bisher gibt es drei Kommentare

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  • Avatar von Garo
    Garo 07.08.2023, 11:17
    Erstmal: Sehr guter Artikel. Super informativ und interessant.

    Joust kenne ich tatsächlich nur aus Ready Player One. Da nimmt das Spiel eine sehr zentrale Rolle beim ersten Schlüssel ein.

    Wer sich übrigens für die vielen Ports von SMB1 interessiert, der YouTuber The Lonely Goomba hat kürzlich ein Video hochgeladen, in dem er jede Version von Mario Bros. spielt und bewertet.
    https://www.youtube.com/watch?v=dnoNOwMgo9k
  • Avatar von Tobias
    Tobias 07.08.2023, 10:09
    Zitat Zitat von Karltoffel Beitrag anzeigen
    Ui, eine Würdigung eines meiner liebsten Nintendo-Spiele aller Zeiten. Wobei ich bis heute am liebsten das "Classic Series"-Remake spiele. Mit dem NES Advantage hat das damals richtig gerockt.
    Das ist eine sehr gute Wahl! Die Classic-Series-Fassung (die übrigens Europa-exklusiv war!) ist bis heute die mit Abstand beste 8-Bit-Version, mit Ausnahme freilich von der Arcade-Archives-Wiederveröffentlichung. Ich hatte selber das Glück, Mario Bros. Classic Series vor ein paar Jahren mit Verpackung günstig auf einem Trödelmarkt zu erstehen. Es ist erschreckend, wie schlecht sich dagegen etwa die Version bei Nintendo Switch Online spielt! (Im kommenden zweiten Teil der Reportage wird es übrigens um die zahlreichen Versionen des Spiels aus den letzten 40 Jahren gehen.)
  • Avatar von Karltoffel
    Karltoffel 06.08.2023, 12:17
    Ui, eine Würdigung eines meiner liebsten Nintendo-Spiele aller Zeiten. Wobei ich bis heute am liebsten das "Classic Series"-Remake spiele. Mit dem NES Advantage hat das damals richtig gerockt.