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Super Mario Bros. (VC)

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Analysiert: Super Mario Bros. als Lehrbuch für Game-Design

„Super Mario Bros.“ ist ein derart kultiger Klassiker, dass das NES-Spiel aus dem Jahre 1985 schon quasi omnipotent ist. „Super Mario Bros.“ ist buchstäblich ein Spiel der Superlative: Es ist eine der besten, der bekanntesten, der einflussreichsten und der erfolgreichsten Produkte der Videospielindustrie. Das alles kommt nicht von irgendwo her, sondern liegt daran, dass das Spiel in Sachen Game-Design ein glänzendes Geniewerk ist. Doch die Omnipräsenz des Klassikers blendet uns derart, dass wir die beispiellose Brillanz des Titels gar nicht mehr bewusst wahrnehmen können. Analysieren wir also nun das Game-Design von „Super Mario Bros.“!

„Super Mario Bros.“ beginnt mit einem Levelabschnitt ohne Gegner oder Hindernisse. Nur Mario ist da; er steht auf dem Boden, im Hintergrund nur das Blau des Himmels. Mario befindet sich ganz links im Bild, er schaut nach rechts in die einladenden Weiten des Levels. Instinktiv wird dem Spieler dadurch klar, dass Mario nach rechts muss. Da es sich um ein 2D-Spiel handelt, muss sich der Spieler gar nicht um die dritte Dimension kümmern. Es kann nur nach links oder nach rechts gehen, und die Konstellation ganz zu Beginn des Spiels schließt Ersteres aus. Das Spielziel ist, Mario nach rechts zu bewegen. Es ist immer das Gleiche. So muss sich der Spieler nicht darauf konzentrieren, wo sein Ziel liegt, sondern kann seine Aufmerksamkeit voll und ganz auf den eigentlichen, mit Hindernissen gespickten Weg richten. Ein Verlaufen ist ausgeschlossen.

Ganz ohne Text geschweige denn Tutorial vermittelt „Super Mario Bros.“ also in seiner allerersten Sekunde bereits das Spielziel. So geht es munter weiter; der allererste Level bringt dem Spieler sämtliche Grundlagen des Spielprinzips bei. Auch dies geschieht ohne auch nur eine Texteinblendung, ausschließlich durch das Level-Design. Und in dieser Hinsicht ist Level 1-1 von „Super Mario Bros.“ ein unangefochtenes Meisterwerk.

Zunächst steuert der Spieler Mario nach rechts. Drückt er aus Neugier den A-Knopf, so lernt er: Mario kann nicht nur gehen, sondern auch springen. Bald nun folgen die ersten Hindernisse und der erste Gegner des Spiels. Ein braunes Pilzwesen bewegt sich unaufhaltsam auf Mario zu und symbolisiert Gefahr. Der Spieler nutzt sein erlerntes Wissen und weicht dem gemeinen Gumba mit einem Sprung aus. Unbeabsichtigt springt Mario dabei von unten gegen einen besonderen, blinkenden Block. Ein heller Pilz steigt auf und strebt auf Mario zu. Der unerfahrene Spieler hält den in Wahrheit stärkenden Super-Pilz für eine weitere Gefahr und versucht diese mit einem weiteren Sprung zu umgehen. Doch aufgrund der Anordnung der in der Luft schwebenden Blöcke gelingt dies nicht. Mario berührt den Super-Pilz – und wird auf einmal größer!

Diese kurze Levelpassage hat dem Spieler bereits jede Menge beigebracht. Im Idealfall hat er sogar noch gelernt, dass Marios Sprungfähigkeit multifunktional ist; dass man einfache Gegner besiegen kann, indem man auf ihren Kopf springt. Marios zentrale Fähigkeit dient also sowohl der Fortbewegung als auch der Gegnerbekämpfung. Diese Idee ist so trivial, dass wir heute nicht mehr verstehen können, wie genial sie damals war. Aber wie dem auch sei: Als nächstes erlernt der Spieler anhand mehrerer verschieden hoher Röhren-Hindernisse, das Lauftempo und die Sprunghöhe von Mario zu kontrollieren und zu variieren. Am ersten Abgrund macht der Spieler schließlich die bittere Erfahrung, dass Stürze ins Bodenlose tödlich enden.

Der legendäre erste Level von „Super Mario Bros.“ ist ein brillant wie unauffällig gestaltetes Tutorial.

Hat der Spieler den ersten Level absolviert, so kennt er sich bereits mit allen Grundlagen des Spiels aus. Einzig die Unterwasser-Abschnitte später sind etwas völlig Neues; der Rest des Spiels setzt sich aus den früh erlernten Grundlagen zusammen, welche sowohl einfach als auch wenig sind. Die Anordnung dieser wenigen Kernelemente ist wirklich genial, denn obwohl der Spieler nach Level 1-1 fast alles Wichtige schon gesehen hat, kann das Spiel stets mit Abwechslung aufwarten, und durch die behutsame Einführung neuer Herausforderungen, die aus Neuarrangements von Bekanntem bestehen, kommt ein beachtenswert linearer Anstieg des Schwierigkeitsgrades zustande.

Weniger ist mehr. Diese Aussage beweist „Super Mario Bros.“ durch seinen überschaubaren Umfang in eindrucksvollem Maße. Nur drei Arten von Umgebungsherausforderungen gibt es im ganzen Spiel: Hindernisse wie Blöcke oder Röhren, Abgründe und bewegliche Plattformen. Nur auf drei grundlegende Arten von Gegnern stoßen wir: Unbewegliche, die keine große Gefahr darstellen; sich fortbewegende Gegner; und schließlich solche, die Mario näher kommen und ihn aktiv angreifen. Nur drei Taktiken zur Gegnerbekämpfung stehen dem Klempner zur Verfügung: Ein Sprung auf den Kopf, von unten gegen einen Block springen, auf dem ein Gegner steht, und mit Feuerbällen schießen. Jede Gegnerrasse im Spiel ist dabei für mindestens eine dieser Taktiken anfällig; die schwächsten Gegner können gleich auf alle drei Arten besiegt werden. Doch das Besiegen ist dabei optional: Bis auf die Endbosse kann man jedem Gegner in „Super Mario Bros.“ auch einfach ausweichen.

Nur zwei verschiedene Power-ups gibt es in „Super Mario Bros.“ – den Super-Pilz und die Feuer-Blume –, und auch davon profitiert das Spiel. Ferner gibt es die beiden sehr nutzbringenden Items Stern und 1-Up-Pilz. Sie sind ein Beispiel für die vielfältigen Belohnungen, die der Klassiker seinem Spieler bietet und die ebenfalls zur Brillanz des Spielprinzips beitragen. Weitere Beispiele sind der Punktestand, die Münzen, mit denen man wertvolle Bonusversuche verdienen kann, und das elegant wie unaufdringlich in den Spielfluss integrierte Fahnen-Minispiel am Ende jedes Levels.

Auch verbogene Items, versteckte Levelpassagen und besonders die legendären Warp-Zonen sind starke Belohnungen. Sie gelten insbesondere jenen Spielern, die „Super Mario Bros.“ sehr intensiv spielen. Dadurch gestaltet sich der Klassiker auch noch vielschichtig: Trotz (oder gerade aufgrund) seines simplen Aufbaus kann sich das Spielerlebnis flexibel und dynamisch den Ansprüchen des Spielers anpassen. Dass dies ganz ohne konfigurierbaren Schwierigkeitsgrad gelingt, ist ein weiterer Beweis für die Genialität des Spiels!

Ein überschaubares Spielkonzept und doch ein überragendes Maß an Abwechslung, ein perfekter, gar nicht erst auf ein oberflächliches Tutorial angewiesener Spieleinstieg und zahlreiche belohnende und motivierende Elemente – dies sind einige der Säulen, die „Super Mario Bros.“ zu so einem Musterbeispiel für gutes Game-Design machen. Das alles würde aber nichts bringen, wäre das Spiel schlecht umgesetzt. Doch das ist es nicht, im Gegenteil. Die Steuerung ist, besonders mit früheren Spielen verglichen, sehr präzise, außerordentlich kohärent und hat eine gute Physik. Sie ist schlicht und doch vielfältig, und allein das Umherrennen und -springen macht Spaß. Ein Jump&Run steht und fällt mit seiner Sprungmechanik. Jene von „Super Mario Bros.“ überzeugt selbst heute noch.


Gegenüber späteren NES-Titeln kann die Grafik keinen Blumentopf gewinnen, aber vom Aspekt der Zweckmäßigkeit aus betrachtet brilliert sie dennoch. Denn auch hier ist weniger mehr: Alles ist deutlich erkennbar, es gibt keine grafischen Ablenkungen und passend zum angenehm hohen Spieltempo ist die Bildfrequenz stets konstant. Und die Toneffekte und Musik erst einmal – in welcher Weise die Akustik produktiv zum Spielerlebnis beiträgt, dazu löhnte sich ein eigener Bericht. Summt an dieser Stelle lieber das legendäre Hauptthema des Spiels und seid versichert, dass es umfangreiche professionelle Analysen zum Ton von „Super Mario Bros.“ gibt!

Ein geniales Konzept gepaart mit einer nicht minder genialen Umsetzung und einem für die damalige Zeit unerhörten Umfang – das macht „Super Mario Bros.“ zu einem spielgewordenen Lehrbuch für Game-Design. Nicht umsonst verkaufen sich Nintendos Neuauflagen des Spielkonzepts noch nach über zwei Jahrzehnten zehnmillionenfach. Und: Die Game-Design-Philosophien hinter dem Spiel sind so grundsätzlicher Natur, dass sie für jedes Videospiel gelten, egal von wann, egal welchen Genres, egal auf welcher Plattform. Entsprechend sind Spiele, die jene Philosophien besonders gut befolgen, auch in der Regel richtig erfolgreich. So unterschiedliche Spiele wie „Tetris“ oder „Wii Sports“ erfüllen die Philosophien von „Super Mario Bros.“, weshalb sie ebenfalls zeitlos gut und zeitlos beliebt sind.


Kurzum: Ein Game-Designer, der „Super Mario Bros.“ nicht gespielt hat, ist wie ein Komponist, der nie Mozart gehört hat, wie ein Künstler, der nie von Michelangelo gehört hat, wie ein Regisseur, der keinen George Lucas oder Steven Spielberg gesehen hat.

Einen interessanten, wenn auch englischsprachigen Aufsatz zum Game-Design von „Super Mario Bros.“ verfasste 2009 der Game-Designer Patrick Curry: Everything I know about game design I learned from Super Mario Bros. (Well Played 1.0: Video Games, Value and Meaning, S. 14–35).

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Bisher gibt es drei Kommentare

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  • Avatar von Starkirby
    Starkirby 07.06.2015, 23:11
    Alter Schwede, bisher dachte ich immer, dass nur Kunstkritiker viel aus Bildern lesen können, was anderen niemals auffällt, aber offenbar geht das auch mit Videospielen 0__0
  • Avatar von Anonym 20200729
    Anonym 20200729 07.06.2015, 20:11
    -
  • Avatar von foobar
    foobar 07.06.2015, 17:02
    "Ganz ohne Text geschweige denn Tutorial vermittelt „Super Mario Bros.“ also in seiner allerersten Sekunde bereits das Spielziel."

    Dabei aber bitte zwei Dinge nicht vergessen:

    1) Spielen lag früher auch immer ein relativ dickes Handbuch bei.

    2) Der Controller hatte nur drei Knöpfe: A, B, Steuerkreuz - es gibt dadurch keinerlei Möglichkeit, einen Knopf zu drücken, der nichts oder etwas falsches macht.

    Ein Super Mario Bros. auf dem PC hätte es nicht so einfach gehabt. Ich hatte als Kind zu DOS-Zeiten, Ende der 80er, ein Prince of Persia ohne Handbuch. Da konnte man Anfangs auch nur in eine Richtung laufen, springen, schlagen. Ich hatte aber nie wirklich alle Tasten rausgefunden, weil es so viele Tasten gab udn ich nirgends nachschlagen konnte.

    Das simple Steuerungskonzept ist auch der Einfacheit der Hardware geschuldet - nicht allein des Game Designs wegen (ohne Mario Bros. oder den Artikel in seinem Kern kritisieren zu wollen, es ist nur eben noch eine Nummer vielschichtiger als dargestellt).