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The Legend of Starfy 4

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Inside Nintendo 65: Nintendo und der Outsourcing-Ninja der Spieleindustrie

Outsourcing assoziieren wir mit Ausbeutung, Ausnutzung, Sweatshops. Dabei handelt es sich natürlich nur um die krassesten Beispiele für Outsourcing. Bestimmte Aufgaben an andere Unternehmen auszulagern, ist in der Wirtschaft nun einmal unabdingbar. Auch in der Videospielindustrie ist das gang und gäbe: Große Publisher lagern gerne die Spieleentwicklung oder zumindest Teilaspekte an andere Unternehmen aus. Und natürlich handhabt auch Nintendo das so. Beispiele dafür sind Monolith Soft Kyoto oder 1-UP Studio, die seit wenigen Jahren als Grafik-Outsourcing-Studios für interne Nintendo-Entwicklungen dienen, während die Programmierung zahlreicher hauseigener Spiele seit jeher an Systems Research & Development (SRD) auslagert wird.

Doch auch die krassere Form des Outsourcings ist in der Spieleindustrie präsent. Es geht darum, dass ganze Aufträge an große Unternehmen im Osten vergeben werden, welche quasi wie ein Ninja im Geheimen operieren. Solche Unternehmen bezeichnet man als Schattenentwickler, und der größte dieser Art ist Tose. Tose gibt es schon seit Jahrzehnten; seine Kundenliste umfasst sämtliche großen Spieler der Industrie und über tausend Spiele entstammen seinen Studios. Trotzdem ist nur sehr wenig über Tose bekannt.

Auch Nintendo ist regelmäßig Kunde bei Tose. Es gibt sogar zwei Nintendo-Reihen, die in Wahrheit von Tose entwickelt wurden. Nach dieser etwas längeren Einleitung (sorry!) versuchen wir nun, etwas Licht ins Dunkel zu bringen, was Tose betrifft. Natürlich werden wir dann auch beleuchten, was Nintendo so alles an den nebulösen Schattenentwickler outgesourct hat.


Niemand kennt den weltgrößten Spieleentwickler

Der Spieleentwickler Tose ist in Japan beheimatet und existiert bereits seit Ende 1979. Das Unternehmen besitzt sechs Studios in Kyoto, eines in Tokyo und zwei in China. Es hat 1000 Angestellte, davon 800 in Japan. Damit ist Tose der weltweit größte Spieleentwickler, der nicht zugleich Publisher ist – Unternehmen wie Ubisoft mit Tausenden von Angestellten sind natürlich größer, im Gegensatz zu Tose handelt es sich aber auch um Publisher.

Tose hat ein recht kurios anmutendes Geschäftsmodell. Es übernimmt für seine Kunden Teilaspekte oder gleich die gesamte Entwicklung eines Videospielprojektes, bleibt stets hinter den Kulissen und der Kunde gibt das Produkt schließlich als sein eigenes aus. Auf einem von Tose entwickelten Spiel findet man normalerweise nie den Namen des Unternehmens, auch im Abspann taucht er für gewöhnlich nicht auf. Mit anderen Worten übernimmt Tose stillschweigend und unerkannt die Drecksarbeit, mit deren Lorbeeren sich dann die jeweiligen Publisher schmücken.

Wieso gibt es Schattenentwickler?

Das klingt nach einer äußerst undankbaren Arbeit. Doch dieses Modell ist absolut im Sinne des Unternehmens. Tose und seine Mitarbeiter unterstützen diese diskrete und anonyme Arbeitsweise bewusst, möchten ihre Namen gar nicht auf dem fertigen Produkt oder in dessen Credits vorfinden. Solche Unternehmen wie Tose bezeichnet man als Schattenentwickler. Derer gibt es in der Industrie so einige. Ein bekanntes Beispiel ist der heutige Elektronik-Hersteller Ikegami Tsushinki. Er fungierte vor vielen Jahren als Schattenentwickler und programmierte unter anderem Nintendos frühe Arcade-Spiele Ende der 1970er und Anfang der 1980er Jahre. Ikegami steckt auch hinter der Programmierung von Nintendos Arcade-Hit „Donkey Kong”, was erst viele Jahre später öffentlich bekannt wurde.

Schattenentwickler sind für Spieleunternehmen eine sehr lukrative Möglichkeit. Hat man die Idee für ein neues Spiel, aber keine eigenen Kapazitäten, um diese umzusetzen? Ganz einfach einen Schattenentwickler anheuern. Das fertige Spiel darf man dann sogar als sein eigenes Werk ausgeben. Das klingt natürlich nach Ausbeutung und Ausnutzung, ist aber ausdrücklich im Sinne jener Schattenentwickler. Und mit einem Sweatshop ist so etwas auch nicht vergleichbar. Die Angestellten von Schattenentwicklern haben durchaus was auf dem Kasten und arbeiten für gewöhnlich unter völlig normalen Bedingungen. Es sind völlig normale Studios, deren Arbeit lediglich nicht publik wird. Vielleicht reizt die Mitarbeiter von Schattenentwicklern ja gerade die Möglichkeit, völlig anonym an großen Spielen mitzuwirken.

Das Studio der tausend Spiele

Der weltweit größte Schattenentwickler ist Tose. Etwa 120 Unternehmen listet Tose auf seiner Homepage als Kunden auf. So gut wie jeder, der in der Industrie Rang und Namen besitzt, ist dort aufgeführt; Capcom, Namco, Sega, Sony, Square Enix, selbst westliche Unternehmen wie Disney, EA oder THQ befinden sich auf Toses Liste. Auch Nintendo und die hauseigenen Studios Intelligent Systems und Monolith Soft sind Kunden von Tose.

Laut einer offiziellen Angabe von 2006 habe Tose bis dahin über 1100 Spiele (mit-)entwickelt. Da das Unternehmen hinter den Kulissen agiert, sind aber nur die wenigsten dieser Spiele identifiziert. Und selbst wenn eine Mitwirkung bekannt ist, weiß man nicht, ob Tose nur an der Grafik beteiligt war, an der Programmierung aushalf oder gleich das ganze Spiel von vorne bis hinten entwickelte. Auch die Kunden verlieren über Tose kein Wort, wie von beiden Parteien gewünscht. War Tose also an „Fire Emblem” beteiligt? Wirkte Tose bei „Xenoblade Chronicles” mit? Gut möglich, wer weiß?

Der Großteil der Spiele, an denen Tose mitwirkte, ist somit unbekannt. Doch man kann sich sicher sein, dass der Schattenentwickler selbst bei den größten und wichtigsten Produktionen der Industrie seine Finger heimlich im Spiel hatte. Auf der Liste von Spielen, bei denen Tose vermutlich seine Hände im Spiel hatte, finden sich immerhin große Namen wie „Dragon Ball”, „Dragon Quest”, „Final Fantasy” und „Resident Evil”.

Game & Watch-Remakes und eine eigene Reihe

Auch an Nintendo-Spielen hat Tose mitgearbeitet, denn wie schon erwähnt, werden Nintendo selbst wie auch die Tochterunternehmen Monolith Soft und Intelligent Systems als Kunden von Tose aufgeführt. Aber nur für wenige Nintendo-Spiele ist bestätigt, dass Tose beteiligt war. Beispielsweise steckt der Schattenentwickler hinter der vierteiligen Reihe „Game & Watch Gallery”, die zwischen 1997 und 2002 für Game Boy/Color/Advance erschien. Es handelt sich um Neuauflagen alter Game & Watch-Spiele – keine allzu aufwendigen oder bedeutsamen Entwicklungen.

Wesentlich interessanter ist die zweite Nintendo-Reihe, die von Tose entwickelt wurde, nämlich „The Legendary Starfy”. 2002 erschien der erste Teil der Reihe für den Game Boy Advance, mit „The Legendary Starfy 4” von 2006 gelang der Serie der Übergang zum DS. Die Rechte an der Reihe gehören Tose selbst, weshalb der Name des Entwicklers prominent auf den Verpackungen der Spiele zu finden ist. Beides ist in Toses riesigem Portfolio einmalig; an keinem anderen seiner vielen Spiele besitzt das Schattenstudio die Rechte, auf keinen anderen seiner unzähligen Veröffentlichungen ist der Studioname sichtbar.

Dieses Nintendo-Spiel wurde in Wahrheit von Tose entwickelt. Es ist eines von weit über 1000 Spielen des geheimnisvollen Studios.

Tose steckt überall

Abgesehen von „Game & Watch Gallery“ und „The Legendary Starfy“ ist bekannt, dass Tose auch hinter „Super Princess Peach“ steckt. Das Jump'n'Run mit Peach in ihrer ersten Hauptrolle kam 2005 in Japan für den DS heraus, im Westen folgte die Veröffentlichung 2006. Produzent des Spiels war Yasuhiro Minamimoto von Tose, der auch einer der kreativen Köpfe hinter „Starfy“ ist. Er war ferner beteiligt an „Tetris 2“ (NES/SNES 1993/1994), „Kirby's Block Ball“ (Game Boy, 1995), „Nintendo Puzzle Collection“ (GameCube, 2003), „Dr. Mario & Puzzle League“ (GBA, 2005) und „Dr. Kawashima 2“ (DS, 2005). All diese – größtenteils ziemlich unbekannten – Spiele aus dem Hause Nintendo wurden also auch von Tose mitentwickelt.

Wer ist Starfy?!

Doch zurück zu „The Legendary Starfy“. Es handelt sich um Jump'n'Run-Spiele, die Ähnlichkeiten zu Nintendos „Kirby“-Reihe aufweisen. Der Großteil des Spiels findet jedoch Unterwasser statt, sodass Starfy hauptsächlich durch die Levels schwimmt. Die ersten vier Spiele der Reihe erschienen ausschließlich in Japan, weshalb Starfy in unseren Gefilden recht unbekannt ist. Die meisten werden Starfy eher als Helfertrophäe aus „Super Smash Bros. Brawl“/„for 3DS/Wii U“ kennen. Und was ist Starfy überhaupt? Wie ein Seestern sieht der Meeresbewohner aus, doch er ist kein Seestern, betonen die Entwickler. Was Starfy stattdessen ist? „Der Prinz von Pufftop“ ist die genauste Beschreibung, die Tose und Nintendo zu Starfys Natur geben.

2009 schaffte es die Reihe erstmals in den Westen. Trotz seines Namens ist „The Legendary Starfy“ tatsächlich der fünfte Teil der Reihe. Wie der Vorgänger handelt es sich um ein DS-Spiel. Leider kam das Spiel neben Japan nur in Nordamerika und Australien heraus; wir Europäer gelangten nicht in seinen Genuss. Seitdem ist kein neuer Teil der Reihe erschienen. Ob Starfy je in Europa Fuß fassen wird?

Sieben Jahre für ein Game Boy-Jump'n'Run

Die Geschichte von Starfy reicht sogar zurück bis Ende 1995. Damals erhielt der Nintendo-Produzent Hitoshi Yamagami den Auftrag, ein Jump'n'Run mit einer treibenden Spielfigur zu entwickeln. Bis zu seiner Veröffentlichung stand dem Spiel aber noch ein sehr langer und steiniger Weg bevor. Yamagami tat sich für das Projekt mit Tose-Produzent Yasuhiro Minamimoto zusammen. Zunächst dachten die beiden an ein Spiel, in dem ein Luftballon gesteuert werden sollte. Später kam die Idee zu einer schwimmenden Spielfigur auf. Erst im März 1998 begann die eigentliche Entwicklung des Spiels.

Ursprünglich ein Spiel für den Game Boy, wurde das Projekt gegen Ende 1998 auf den Game Boy Color übertragen. 1999 sollte es schließlich auf den Markt kommen. Kurz vor seiner Fertigstellung kam jedoch aus der hohen Nintendo-Riege die Anweisung, das Projekt auf den bald erscheinenden Game Boy Advance zu übertragen, weil das alte Game Boy-Modell nun auslaufen sollte. „The Legendary Starfy“ wurde quasi von Grund auf neu entwickelt, sodass es erst im September 2002 in Japan herauskam – nach etwa siebenjähriger Entwicklungsphase!

Knallharte „Kirby“-Konkurrenz

In Japan waren die fünf „Starfy“-Spiele recht erfolgreich, wobei die Verkaufszahlen vom ersten Spiel (über 400.000) bis zum vorerst letzten Ableger (etwa 125.000) konstant nachließen. Zum Vergleich: Der erste „Starfy“-Ableger verkaufte sich besser als alle „Kirby“-Spiele nach „Dream Land 2“. Bedenkt man die Ähnlichkeiten beider Serien – beides unkonventionelle Jump'n'Runs mit einer knuffigen, undefinierbaren und treibenden Spielfigur, hauptsächlich an Kinder gerichtet und von Nintendo veröffentlicht–, sind diese Zahlen ziemlich aussagekräftig.

Starfy ist in Japan erfolgreicher als „Kirby“!

Wie Starfy westwärts schwamm

„Starfy“-Co-Schöpfer Yamagami wollte die Spiele zwar auch in Nordamerika veröffentlichen, selbst einige Mitarbeiter von Tose sollen sich dafür eingesetzt haben. Doch es scheiterte an Nintendo of America; man hielt die Spiele für zu japanisch. Erst mit dem fünften Teil berücksichtigten die Entwickler konkret den westlichen Markt, sodass die Reihe endlich in Nordamerika durchstarten konnte. Yamagami nimmt die lange Wartezeit bis zur westlichen Markteinführung übrigens gelassen: Starfy sei von Japan bis nach Amerika geschwommen, daher die lange Wartezeit – so beliebt Yamagami in Interviews zu scherzen.

„The Legendary Starfy“ wurde in Nordamerika schließlich durchaus positiv aufgenommen. Ein Metascore von etwa 80 Punkten zeugt von soliden Kritiken und in den amerikanischen Videospielverkaufscharts für Juli 2009 schaffte es das Spiel immerhin auf Platz 19. Warum das Spiel nicht auch in Europa erschien, ist angesichts dessen ein Rätsel.

Tose und „Starfy“, beide sind und bleiben unbekannt

Seit 2009 gibt es kein Lebenszeichen mehr von „The Legendary Starfy“, der von Nintendo und Tose entwickelten Jump'n'Run-Serie. Dies ist recht verwunderlich angesichts des Erfolges der Reihe und seiner Einführung im Westen. Noch mehr verwundert es, da die Entwickler offenbar eine Fortsetzung geplant hatten. 2009 antwortete Yamagami in einem Interview auf die Frage, ob es einen sechsten Teil geben werde, nämlich überdeutlich mit einem „Ja“, gefolgt von einer Pause und dann einem Lachen. Einem Heimkonsolen-Ableger der Reihe gab man damals übrigens quasi eine Absage.

Nun sind wir von der geheimnisvollen Geschichte des Schattenentwicklers Tose zur Historie der obskuren „Starfy“-Reihe abgedriftet – aber keine Sorge, das war so geplant. Wir wollten euch ein wenig Licht in die Chroniken des Studios und der Serie gewähren, die beide hierzulande unbekannt sind. Während Tose weiterhin im Hintergrund wirken wird, hoffen wir sehr, dass „Starfy“ bald wieder aus seiner Versenkung zurückkehrt – im Idealfall auch endlich hier in Europa!

Die Hauptquellen für diesen Bericht waren Sam Kennedy: Gaming's Dirty Secret (1UP, 24. Januar 2007), ein interessanter Report über Tose; sowie ein Interview mit den Entwicklern von „Starfy“ bei Nintendo Life (22. Mai 2009). Beide Links bieten viele weiterführende Informationen.

Stafys Trophäenbeschreibung in „Super Smash Bros.“ Seine offizielle Schreibweise variiert übrigens zwischen Starfy und Stafy.


In unserer jeden zweiten Sonntag erscheinenden Rubrik „Inside Nintendo“ berichten wir über die Geschichten hinter Spielen, Serien, Konsolen, Studios und Personen rund um Nintendo. Eine Übersicht aller bislang veröffentlichten Ausgaben ist unter diesem Link zu finden.

Weiterführende Links: Forum-Thread

Bisher gibt es fünf Kommentare

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  • Avatar von Forodway
    Forodway 06.05.2015, 21:07
    Diese Entwickler dürfen mit den unterschiedlichsten Lizenzen arbeiten. Verschiedene GamePlay Elemente, Grafiken... Alles aus dem gesamten Spektrum der Gameswelt. Das ist schon mehr wert als Ruhm, den man höchstens von denen erntet, die sich für die Credits interessieren. (Sehr wenige.) Als Kreativer Kopf sollte man da alles andere als undankbar für sein. ^-^
  • Avatar von Parker
    Parker 03.05.2015, 15:16
    Das ist ja dann ein Verkaufsargument.
    Die gehen immer
  • Avatar von rowdy007
    rowdy007 03.05.2015, 15:12
    Zitat Zitat von Minato Beitrag anzeigen
    Trotzdem ist das meiner Meinung ein scheinheiliges Verhalten der Auftraggeber, es als ihr Werk zu bezeichnen...
    Is doch absolut normal in der Wirtschaft. Wir bauen auch Produkte die andere Firmen z.B. in Dänemark dann unter ihrem Logo verkaufen. Aber Made in Germany dürfen wir dann doch noch draufschreiben.
  • Avatar von Minato
    Minato 03.05.2015, 15:00
    Diese Thematik um Tose und allgemein den Schattenentwicklern ist ziemlich interessant, unglaublich, dass kaum einer diese Studios kennt. Das heißt aber auch, dass sie ihren Job wohl gut erledigen, wie gewollt
    Trotzdem ist das meiner Meinung ein scheinheiliges Verhalten der Auftraggeber, es als ihr Werk zu bezeichnen...
  • Avatar von 1UP-Maschine
    1UP-Maschine 03.05.2015, 13:02
    Auch wieder sehr interessant, vielen Dank. Nur die vergleichsweise recht häufigen Wiederholungen haben mich ein wenig gestört.

    Schon sehr kurios und irgendwie komm' ich mir ein wenig hintergangen vor, aber das ist Quatsch. Solange Nintendo den Auftrag gibt, ist es auch von Nintendo, so muss man es sehen.